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Deutscher Caritasverband

Himmel und Erde – #DasMachenWirGemeinsam.

125 Jahre Deutscher Caritasverband

Der Deutsche Caritasverband hatte Geburtstag, im November 2022. Gefeiert wurden 125 Jahre! Mit dem 6. Caritaskongress #wirmachendasgemeinsam fanden die Feierlichkeiten ein Ende. Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffaa über Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Caritasverbandes.

Der Deutsche Caritasverband feiert seinen 125. Geburtstag in einer Zeit großer Krisen und Katastrophen. Dies im Bewusstsein findet am 25. und 26. Januar 2023 – als Abschluss einer Kette von Jubiläums-Veranstaltungen, der Caritaskongress in der Elisabethkirche in Berlin. Mit der Wissenschaftsjournalistin Mai-Thi Nguyen-Kim als Keynote-Speakerin, mit Bischof Georg Bätzing als Zelebrant des Festgottesdienstes und mit der Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Tsitsi Dangarembga als Hauptrednerin spannen wir den Bogen zwischen Himmel und Erde. Wir fragen nach den Energiequellen eines Engagements, die es seit 125 Jahren immer wieder neu gespeist werden, damit „Not sehen und handeln“ – das Motto der Caritas – sich mit Leben füllt.

Am Anfang stand das Vorbild des barmherzigen Samariters. Der schaute nicht weg, als er den Niedergeschlagenen am Wegesrand fand. Obwohl einiges dafür sprach, dass dieser weder der eigenen Familie noch dem eigenen Stamm angehörte. Der Samariter stieg vom Esel, versorgte die Wunden und brachte den, der unter die Räuber gefallen war, zum nächsten Wirtshaus. Zeit und Kompetenz des Samariters, den Verletzten gesund zu pflegen, waren begrenzt – im Wirt fand er einen Verbündeten, der die weitere Sorge für den Genesenden verlässlich übernahm.

Die Gründung des Caritasverbandes ist von dieser Gleichnis-Geschichte geprägt: Caritas geht über individuelles Tun hinaus, sie geschieht gemeinsam, sie sucht Mitstreiterinnen und Mitstreiter und bildet Allianzen. Indem wir gemeinsam handeln, wird unser Handeln nachhaltiger und wirkungsvoller. Aus der in kleine Vereine zersplitterten Caritasbewegung des 19. Jahrhunderts konnte so ein tragendes Netzwerk werden: ein großer Wohlfahrtsverband mit fast 700 000 beruflich Mitarbeitenden und mehreren Hunderttausend Freiwilligen. Der Deutsche Caritasverband ist heute eine Organisation, die sich für die soziale Infrastruktur in Deutschland in vielen Bereichen der sozialen Arbeit mitverantwortlich ist und als Träger von Jugend- und Altenhilfeeinrichtungen, von Beratungsstellen und offenen Türen da hilft, wo Hilfe besonders nötig gebraucht wird. Als Initiatorin sozialer Innovationen und Stifterin verschiedenster Formen sozialen Engagements ist Caritas immer auch Fürsprecherin und Lautsprecher derjenigen, die ohne einen starken Partner ihre Interessen selbst nur schwer zu Gehör bringen können: Menschen mit Behinderung, Geflüchteten, Armen und Entrechteten.

 

Menschen machen Mut

Die Erinnerung an Menschen, die vor 50, vor 100, vor 125 Jahren Caritasgeschichte geschrieben haben, hat uns in den vergangenen Monaten gestärkt. Auch wenn uns zum Feiern oft nicht zumute war in einer Zeit, in der die Folgen der Pandemie, in der Energie- und Klimakrise, in dem die Sorge um die Zukunft der (häuslichen) Pflege und der Krankenhausversorgung uns voll und ganz mit Beschlag belegten. Unser Engagement galt auch den Menschen, die aus der Ukraine, aus Afghanistan und der Türkei zu uns kamen und denen, die in Bangladesch und Kolumbien auf die Hilfe von Caritas international unabdingbar angewiesen sind. Zur Rückschau blieb wenig Zeit.

Und doch: Es hilft, beim Bewältigen der Herausforderungen von heute auf das zurückzublicken, was den Caritasverband in den letzten 125 Jahren geprägt hat. Es ist die Fähigkeit, seismographisch aufmerksam Nöte zu sehen, ihre Ursachen und Lösungsmöglichkeiten zu verstehen und: zu handeln! Liebestätigkeit – dieses Wort aus der Gründungszeit des Verbandes wurde für uns faszinierend konkret, als wir in den Archiven Bilder und Berichte fanden - über die ersten Bahnhofsmissionen zum Beispiel. Oder über die Engagierten, die im Kaiserreich das Leid sich unfreiwillig prostituierender junger Frauen und die Stigmatisierung unehelicher Mütter nicht akzeptieren konnten. Über Darlehensprogramme für Studierende aus Familien mit wenig Einkommen, über Priester, die sich der Unterstützung italienischer Arbeiter im Eisenbahnbau verschrieben, über Heime, die Schifferkindern zur Heimat wurden.

 

Fränkischer Hof – Köln 1897

1897 wurde der Deutsche Caritasverband von einer Gruppe katholischer Sozialreformer gegründet, im Fränkischen Hof, dem Gastraum eines bürgerlichen Hotels im Schatten des Kölner Doms. Der Genius des Ortes markiert die Spannung zwischen Himmel und Erde. Gegründet wurde aus christlicher Nächstenliebe ein Bürger-Verein, dem seine Anerkennung durch die Bischöfe zwanzig Jahre lang verwehrt blieb. Anliegen der Gründer war es, die politische Schlagkraft der Nächstenliebe zu erhöhen und die Professionalität der sozialen Arbeit zu steigern: die vielen caritativen Orden, sozialen Initiativen, Elisabeth- und Vinzenzvereine könnten, davon war Lorenz Werthmann als erster Caritas-Präsident unumstößlich überzeugt, unter dem Dach eines Verbandes viel mehr erreichen. Die Gründungsidee ist bis heute tragfähig. Die gemeinsame Marke macht die glückliche Beziehung, die in den vielen sorgenden Begegnungen gelingt, zu einem politischen Projekt.

Es geht der Caritas in einer Welt voller Spaltungen um das verbindende „UND“ - als Stifterin von Zukunft UND Zusammenhalt. Für Jung UND Alt, für Menschen, die bei uns geboren wurden, UND die, die zu uns gekommen sind, für Pflegebedürftige UND Überschuldete, für Christen UND Nichtchristen. Für soziale Gerechtigkeit UND Klimaschutz. Für Freiheit UND Sicherheit. Analog UND digital. Es ist weder selbstverständlich noch einfach, dieses UND zu leben.

Denn jedes Thema, jede Not fordert den ganzen Einsatz, die uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Jede Abwägung, jedes „Und“ kann wie ein fauler Kompromiss erscheinen, wie ein Zugeständnis, wie eine Unentschiedenheit. Wir konkurrieren als breit aufgestellter Wohlfahrtsverband mit den wendigen Ein-Themen-Akteuren, die alles auf eine Karte setzen, die uns der Halbherzigkeit zeihen, wenn wir uns für ihr Thema und das Thema der anderen einsetzen, die uns schwerfällig finden, wenn wir die Auswirkungen eines Engagements auf andere Arbeitsfelder abwägen.

Dabei ist das „UND“ vor allem auch ein UND der Allianzen. Wir wollen als Caritas weiter innovativ für neue soziale Lösungen wirken. Indem wir auf neue Partnerinnen zugehen und uns von neuen Partnern einladen lassen, mitzutun. Ohne die alten Allianzen mit Verbänden, Politik und Kirche zu vergessen, mit denen wir seit vielen Jahrzehnten ein tragfähiges Netz der Daseinsfürsorge prägen.

 

Not sehen und gemeinsam handeln

Not sehen und gemeinsam handeln, erfordert immer wieder neu die Kraft, Not zu sehen und zu verstehen und Ressourcen zu organisieren und zu handeln. Das „Verstehen“ wird als Voraussetzung gezielten Handelns dabei immer anspruchsvoller, die Ursachen für Not immer komplexer. Es reicht für wirkungsvollen Klimaschutz nicht aus, die Temperaturen am eigenen Fensterbrett zu messen. CO2-Senken, Treibhausgase, Permafrost und Gletscherschmelze, fossile Brennstoffe und grüner Wasserstoff… es sind viele Vokabeln und Verhaltensweisen, die verstanden und eingeübt werden wollen. Klimaschutz erfordert eine große Transformation, die institutionelle, soziale, ökonomische, naturwissenschaftliche, technische und kulturelle Herausforderungen verbindet.

Ähnlich ist es bei der Digitalisierung. Algorithmen, Plattformen, Datenmanagement. Ohne technisch-naturwissenschaftliches Grundwissen sind die Risiken für die Armen und die Chancen für eine gerechtere Welt kaum einzuordnen und die Handlungsoptionen nicht zu bewerten und umzusetzen, die wir als Caritasverband ergreifen können und sollten.

Auch wenn es um den rechten Umgang mit Pandemien geht, wird weder eine rein medizinisch-naturwissenschaftliche noch eine rein sozial(politische) Antwort auf die Fragen nach Impf(pflicht), Masken(pflicht) und Social Distancing überzeugen. Naturwissenschaft kommt zur sozialen Caritaswissenschaft hinzu, wenn wir „Not sehen und handeln“ überzeugend leben wollen. Dies wollen wir in den nächsten Jahren in den Ausschreibungen unserer Wissenschaftspreise, dem Getrud-Luckner-Preis und dem Lorenz-Werthmann-Preis, spürbar werden lassen.

 

Menschen einladen

Nach dem Verstehen geht es ums Handeln. Und dafür bedarf es der nötigen Ressourcen. Finanziell und personell. Als Caritas wollen wir Menschen einladend begeistern, sich der Sache der Caritas zu eigen zu machen. Oder besser noch: Ihre Ideen für eine bessere Welt unter unserer Marke zu entwickeln und umzusetzen. Karin Schlüter hat es am 9. November 2022, am Gründungstag und -ort in Köln, anlässlich der Präsentation der Caritas-Sonderbriefmarke der Deutschen Post so formuliert: Jede Katastrophe, jede Krise hat einen neuen Ring um den (Marken-) Kern der Caritas gelegt. Immer mehr Menschen bauen Beziehungen mit der Caritas auf,seit 125 Jahren. Und so entsteht ein komplexes Bild, das über die Einfachheit eines Logos weit hinausgeht und doch im seit über 100 Jahren den Verband prägenden Flammenkreuz angelegt ist.

Im Flammenkreuz markiert das Kreuz den Ort, an dem die Not zu finden ist, die Aufgabe, der wir uns nicht entziehen können. Die Pfingstflammen als strahlender Wirkungskranz sprechen vom Handeln mit Leidenschaft, von der weltweiten Aufgabe. Sie stehen für die Zuversicht, dass sich das Handeln lohnt. Gegen die Verfechtung der Ohnmacht, die uns immer wieder erfasst in einer überkomplexen Welt, in der das eigene Tun so wenig auszurichten scheint. Ohnmacht – ein verführerisches Privileg? „Es ist das Privileg derjenigen, die von Krisen und Katastrophen nur indirekt betroffen sind und es sich leisten können, in Verzweiflung und Gleichgültigkeit zu versinken. Wer vor dem Hurrikan flieht, der Flut oder dem Brand entkommen muss, gegen den Hunger kämpft, der kann sich keine Ohnmacht leisten. Der muss handeln.“ [1]  

Die Gegenworte zu Ohnmacht sind Zukunftsmut und Möglichkeitssinn. Sie sind unverzichtbar. Denn Ohnmacht lähmt. „Ohnmacht sorgt dafür, dass meine Großmutter morgens nicht mehr die Zeitung aufschlagen mag, dass Familien an Weihnachten nicht mehr über das Klima reden, weil alle sonst streiten. Ohnmacht schaltet gleich: lässt kaum Nuancen zu, keine Widersprüche, keine Unebenheiten. Ohnmacht heißt: Alles ist vergebens, die Welt und ich in ihr gleichermaßen.“[2]

Darin darf man nicht das letzte Wort sehen. „Wir dürfen uns nicht wehrlos und sprachlos machen lassen. Wir müssen sprechen und handeln. Wir können die Verantwortung auf uns nehmen. Und das heißt: Wir können sprechend und handelnd eingreifen in diese sich zunehmend verrohende Welt. … Dazu braucht es nur Vertrauen in das, was uns als Menschen auszeichnet: die Begabung zum Anfangen.“ [3]

Das ist der Markenkern der Caritas: die Begabung zum Anfangen. Seit 125 Jahren. Immer wieder neu. Ausgespannt zwischen Himmel und Erde. Für eine bessere Welt.

 

Eva Maria Welskop-Deffaa, geboren 1959 in Duisburg, Diplom Volkswirtin, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Freiburg/Berlin.

 

[1] Luisa Neubauer, Dagmar Reemtsma, Gegen die Ohnmacht. Meine Großmutter, die Politik und ich. Stuttgart 2022, S. 25

[2] a.a.O, S. 24

[3] Carolin Emcke, Anfangen! Dankesrede, www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/die-preistraeger/2010-2019/carolin-emcke

Deutsche Caritasverband (DCV)

Eva Maria Welskop-Deffaa, geboren 1959 in Duisburg, Diplom Volkswirtin, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Freiburg/Berlin.

Das Titelfoto zeigt den ersten Caritas-Präsident Lorenz Werthmann bei einem Besuch in einem Lazarett 1914.

 

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