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Jona Thiel

Kinder der Weltgeschichte - Teil 3

21. Jahrhundert

In unseren ersten beiden Folgen haben wir Kinder aus den vergangenen Jahrhunderten vorgestellt. Diesmal geht es um berühmte Kinder aus unserem Jahrhundert. Die vier leben auf verschiedenen Kontinenten, und jeder von ihnen hat auf seine Weise die Welt verändert. Ob als König, Aktivistin oder Friedensnobelpreisträgerin.

Rukidi IV. (König Oyo)Rukidi IV. (König Oyo)

@KingOyoOfficial | Twitter

* 16. April 1992, in Uganda  

 

12. September 1995, Königreich Toro, Uganda: Ein Dreijähriger wird zum jüngsten König der Welt gekrönt. Der Krönung voraus geht ein großes Spektakel: eine gespielte Schlacht mit vermeintlichen Rebellen, deren Anführer vorgibt, auch Anspruch auf den Thron zu erheben. Und natürlich gewinnt das Kleinkind. Zur Legitimierung seiner Macht wird es mit dem Blut eines geschlachteten Stieres und einer weißen Henne gesegnet. Eine Tradition, die das Volk der Toro seit jeher pflegt, wenn es seine Könige krönt. Seine Majestät König Oyo, Herrscher über das Volk der Toro, ist im Amt.

Noch ist die Stimmung im Königspalast wegen des Todes des vorherigen Monarchen gedrückt, ahnt doch keiner der Anwesenden, dass das Kind zu einem der fähigsten Herrscher des kleinen Königreiches heranwachsen wird.

In Uganda gibt es viele Königreiche, wie das im Südwesten Ugandas gelegene Toro. Und wie die anderen Könige verfügt auch König Oyo über keine Regierungsgewalt. Er ist für kulturelle Belange verantwortlich. Für seine Untertanen aber ist er der Souverän.

Schon als Teenager weiß König Oyo um seine Pflichten und die enorme Verantwortung, die auf seinen Schultern lastet. Er reist um die Welt, um Geld für sozioökonomische Projekte aufzutreiben. Und er begreift, dass unter seinem Volk ein Leiden besonders wütet: Aids. Der König startet eine Kooperation mit der UN, um das HI-Virus einzudämmen. Die Kampagne läuft bis heute.

Weitere humanitäre Projekte folgen: Er errichtet ein Informations- und Kommunikationszentrum für Jugendliche, richtet Bildungsprogramme für notleidende Kinder aus und besorgt für seine Untertanen sogar 100 Rollstühle.

Ein Kind, das heute im Königreich Toro geboren wird, hat ungemein bessere Überlebens- und Bildungschancen als ein Neugeborenes zu Beginn von Oyos Herrschaft. Viele der Fortschritte in Toro hat er zu verantworten: König Oyo, der als Dreijähriger seine erste „Schlacht“ gewann.

 

Malala Yousafzai

Claude Truong-Ngoc | Wikimedia Commons

* 12. Juli 1997, in Pakistan  

 

9. Oktober 2012, Swat-Tal, Pakistan: Die 15-jährige Malala ist mit dem Schulbus auf dem Heimweg – das Fahrzeug wird gestoppt. Männer betreten den Bus und fragen nach ihr. Einer tritt auf sie zu, zieht einen Revolver und schießt ihr mehrmals in Kopf und Hals. Auch zwei von Malalas Mitschülerinnen werden getroffen. Die schwerverletzte Malala kämpft um ihr Leben. Sie wird in einem Militärkrankenhaus behandelt und später nach England ausgeflogen. Sie überlebt[1].

Warum sollte das Mädchen sterben? Gehen wir zurück ins Jahr 2009: Malala ist elf Jahre alt, als sie beginnt, einen Blog zu schreiben. Unter Pseudonym, veröffentlicht bei der BBC Urdu. Vermittelt von ihrem Vater, einem Lehrer. Sie beschreibt den Alltag in ihrem Dorf – unter der Herrschaft der Taliban. Ihr Dorf liegt im Swat-Tal, das zu dieser Zeit in weiten Teilen von den pakistanischen Taliban kontrolliert wird. Sie schränken das Leben der Frauen und Mädchen ein, schließen Schulen und Geschäfte, brennen sie nieder und ermorden politische Gegner.

Malalas Blog-Tagebuch wird in Pakistan schnell bekannt. Sie begleitet ihren Vater zu öffentlichen Auftritten, setzt sich gemeinsam mit ihm für bessere Bildung ein.

Und dann wird ihr Pseudonym aufgedeckt. Die Taliban wissen nun, wer die Verfasserin des von ihnen so verhassten Blogs ist. Sie bestimmen den 9. Oktober 2012 zu ihrem Todestag. Nach der Tat bekennen sie sich sofort zu dem Mordanschlag. Die pakistanische Regierung bittet die Bevölkerung bei der Suche nach den Tätern um Hilfe. Man fasst sie erst zwei Jahre später. Von zehn beteiligten Personen werden zwei verurteilt.

Malala, inzwischen genesen, lässt sich nicht einschüchtern. Sie reist um die Welt und kämpft für die Bildung benachteiligter Mädchen. 2014 erhält sie mit 17 Jahren den Friedensnobelpreis. Bis heute ist sie die jüngste aller Preisträger. Ihr Engagement hat zur Gründung vieler Hilfsorganisationen und Fonds geführt, die in Pakistan und Indien für die Bildungsrechte von jungen Frauen und Mädchen einstehen.

Heute ist Malala erwachsen, und sie kämpft immer noch gegen Bildungsungerechtigkeit und die Ausgrenzung von Frauen aus Schulen und Universitäten. In Zeiten der Taliban-Herrschaft in Afghanistan ist ihr Engagement wichtiger denn je.

 

X González

 

The Office of Congressman Ted Deutch | Wikipedia

* 11. November 1999, in den USA  

 

14. Februar 2018, 14:21 Uhr, Parkland, Florida: Nikolas Cruz, ein suspendierter Schüler der Marjory Stoneman Douglas Highschool betritt das Schulgelände. Es ist kurz vor Unterrichtsschluss, einige Schüler verlassen bereits das Gebäude. Er löst den Feueralarm aus, zündet mehrere Rauchbomben und schießt mit einem halbautomatischen Gewehr auf Schüler und Lehrer.

Emma González sitzt mit zwölf anderen Jugendlichen in einem Hörsaal und schreibt ihre Abschlussarbeit. Als der Feueralarm losgeht, laufen sie los, um nach draußen zu gelangen. Die ersten Schüsse fallen. Emma und ihre Mitschüler rennen zurück in den Hörsaal und verstecken sich. Zwei Stunden später gelingt es der Polizei, sie in Sicherheit zu bringen. An diesem Tag sterben in der Marjory Stoneman Douglas Highschool 17 Menschen.

Gemeinsam mit Mitschülern gründet sie „March for our Lives“, eine Protestbewegung, die die ganzen USA erfasst, und die sich für schärfere Waffengesetze einsetzt. Emma, die sich heute X Gonzàles nennt, wird zu einem der bekanntesten Gesichter des jugendlichen Widerstands. Sie ist eine brillante Rednerin und schwört sowohl Demokraten als auch Republikaner darauf ein, dass die Gewalt an Schulen ein Ende haben muss. Die US-Medien berichten über sie, verbreiten ihre Reden. Die Politik kann sie nicht länger ignorieren.

X González ist kein Kind mehr, als sie sich als Aktivistin einen Namen macht: Wir haben sie trotzdem in unsere Reihe aufgenommen. Weil das Engagement dieser sehr jungen Frau so bemerkenswert ist. [2]. Am 24. März 2018, wenige Wochen nach dem Amoklauf spricht sie beim „March of our Lives“ in Washington vor 800.000 Menschen. Sie bittet um Stille: sechs Minuten und zwanzig Sekunden – so lange, wie Nikolas Cruz gebraucht hat, um 17 Menschen zu töten.

Etwa zur gleichen Zeit, im März 2018, tragen die gewaltigen und lautstarken Proteste der Jugendlichen erste Früchte: In Florida wird der Marjory Stoneman Douglas High School Public Safety Act beschlossen. Er begrenzt die gesetzliche Altersuntergrenze zum Kauf einer Feuerwaffe auf 21 Jahre und fordert mehr Hintergrundchecks und Polizeikräfte an Schulen. Das Gesetz verbietet Schnellfeuerkolben, die die Schussrate einer halbautomatischen Waffe enorm erhöhen können. Es ist zwar nicht unumstritten, erlaubt es doch ausgewählten Lehrern Waffen zu tragen. Aber es ist ein Anfang.

Nach dem Amoklauf war X González die lauteste und prominenteste Stimme der Überlebenden. Ihrem Einsatz, aber auch ihrer Verbissenheit ist es zu verdanken, dass zumindest in Florida ein gewisses Umdenken eingesetzt hat. Das öffentliche Bewusstsein ist geschärft, die Politik musste nachziehen. Ohne den massiven Druck der Aktivisten um X González wäre sie kaum genötigt gewesen, auf den Amoklauf in der Marjory Stoneman Douglas Highschool zu reagieren.

 

Greta Thunberg

Raph_PH | Glastonbury2022

* 3. Januar 2003, in Schweden  

 

20. August 2018, Stockholm, Schweden: Ein fünfzehnjähriges Mädchen sitzt vor dem Schwedischen Reichstag. Neben ihr ein Schild mit der Aufschrift „Schulstreik für das Klima“. Drei Wochen lang, Tag für Tag – bis zur schwedischen Parlamentswahl am 9. September. Dass ihre Aktion eine Lawine lostritt und in Windeseile zu einer globalen Protestbewegung heranwächst, ahnt zu diesem Zeitpunkt keiner. Ihr Name: Greta Thunberg. Und niemand, der an diesem Augusttag an ihr vorbeigeht, kommt auf die Idee, dass da die schon bald berühmteste Klimaaktivistin der Welt hockt.

Die Bilder von der einsamen Greta vor dem Parlament verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Immer mehr Schüler schließen sich ihr an. Der Hashtag #FridaysForFuture geht viral. Zunächst nur in Europa, später weltweit. Immer freitags wird für das Klima die Schule geschwänzt. Doch die Schüler werden dafür auch heftig kritisiert. Mancher meint, sie sollten lieber in die Schule gehen, statt so viel Zeit auf Demonstrationen zu verbummeln.

Je berühmter Greta wird – und mit ihr Fridays for Future –, desto mehr Einladungen erhält sie. Sie spricht mit dem UN-Generalsekretär, der Präsidentin der EZB und hält sogar eine Rede auf der UN-Klimakonferenz, in der sie die Politik beschwört, nicht wegzusehen.

Das Yale Project on Climate Change Communication wollte herausfinden, was die Menschen an Greta Thunberg so fasziniert. In allen Altersgruppen gaben die Befragten an, sie empfänden eine gewisse Vertrautheit ihr gegenüber. Sie gingen sogar noch weiter: Greta gäbe ihnen das Gefühl, etwas bewirken zu können, wenn man in einem Kollektiv zusammenarbeitet[3].

Greta Thunberg ist zur Identifikationsfigur der weltweiten Klimabewegung geworden. Sie nutzt ihre Berühmtheit, um die Positionen der jungen Generation öffentlich zu vertreten und der Welt zu sagen, dass der Wandel möglich ist – wenn man zusammensteht.

 

Hier gelangen Sie zum ersten Teil der Reihe, von Christus bis ins 19. Jahrhundert.

Hier gelangen Sie zum zweiten Teil der Reihe, vom 19. und 20. Jahrhundert.

 

Jona Thiel, geboren 1999 in Troisdorf (Nordrhein-Westfalen), ist studierter Geschichts- und Politikwissenschaftler. Er publiziert als freier Journalist und fungiert als Sprecher, sowie Autor der Forschungsgruppe "Afrika" des Think Tanks "Kölner Forum für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik". Zudem ist der Historiker ebenfalls als Autor für die Forschungsgruppe "Friedens- und Konfliktforschung" tätig. Thiel führt einen Blog, welcher sich primär historischen und außenpolitischen Themen zuwendet (Instagram: @gepo.global).

 

[1]  Lamb, Christina/Yousafzai, Malala, I Am Malala: The Girl Who Stood Up for Education and Was Shot by the Taliban, 2013, Little, Brown and Company, Boston.
[2] 8 U.S. Code § 1101 – Definitions. [Zugriff am 11.04.2023], unter: https://www.law.cornell.edu/uscode/text/8/1101.

[3] Huang, Hannah, The Greta Thunberg Effect, Yale Scientific, [Zugriff am 07.04.2023], unter: https://www.yalescientific.org/2022/02/the-greta-thunberg-effect/.

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