Die Formulierung von Bundeskanzler Friedrich Merz „Wir sind noch nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden“ beschreibt die aktuelle Bedrohungslage, die von Spionage und Sabotage gegen Deutschland ausgeht, treffend. Die Liste aktueller Spionage- und Sabotagefälle in Deutschland ist lang: Cyberangriffe auf Parteien und den Deutschen Bundestag, ein Anschlagsplan auf Armin Papperger, den Vorstandsvorsitzenden von Rheinmetall, per Luftpost verschickte Brandsätze (unter anderem der Vorfall im DHL-Logistikzentrum in Leipzig im Sommer 2024), Hunderte Drohnenüberflüge zu Spionagezwecken und zur potenziellen Vorbereitung von Sabotageakten über hiesigen Liegenschaften der Bundeswehr, der USA und der NATO, unbefugter Zutritt von mutmaßlichen Proxy-Akteuren[i] russischer Geheimdienste in militärischen Liegenschaften der Bundeswehr, die beschädigten Datenkabel in der Ostsee im Winter 2024 und Januar 2025 sowie der BND-Spionagefall für einen russischen Geheimdienst im Dezember 2022.[ii] Mehrfach waren zudem in den vergangenen Wochen und Monaten Schiffe und Stützpunkte der Marine Ziel mutmaßlicher Sabotageaktionen: etwa von der Durchtrennung von Kabelbäumen, der Einfüllung von Metallspänen im Antriebs- oder von Öl in das Trinkwassersystem.
Sinkende Hemmschwelle
Das Niveau der Spionage- und Sabotageaktivitäten gegen Deutschland und andere europäische Staaten hat dasjenige des bis 1990 andauernden Ost-West-Konflikts zumindest erreicht, aufgrund der neuen technologischen Möglichkeiten wahrscheinlich sogar bereits überschritten. Die deutschen Verfassungsschutzbehörden stellten im Sommer 2025 fest, dass die Gefahren durch Spionage, Sabotage und Desinformation mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stark gestiegen und „die Hemmschwelle für Aktionen gegen Deutschland auf russischer Seite gesunken“ sei.[iii] Der in Deutschland und anderen europäischen Staaten verzeichnete Anstieg von Spionage- und Sabotagevorfällen, die auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erzeugen, zeige, dass „Russland den Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel betrachtet. Dabei wird gezielt der öffentliche Raum als Resonanzkörper genutzt“.[iv]
„Deutschland ist nicht zuletzt aufgrund seiner Rolle sowohl in der Europäischen Union als auch in der NATO von besonderem Interesse für Staaten wie Russland und China und daher ein zentrales Ziel von politischer Spionage.“
Dr. Stefan Goertz
Deutschland ist nicht zuletzt aufgrund seiner Rolle sowohl in der Europäischen Union als auch in der NATO von besonderem Interesse für Staaten wie Russland und China und daher ein zentrales Ziel von politischer Spionage. Die aktuelle sicherheitspolitische Bedrohungslage ist vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und einem neuen Ost-West-Konflikt geprägt, in dem Länder wie Russland sowohl mit Geheimdiensten als auch mit Proxy-Akteuren, etwa angeworbenen „Low-Level-Agenten“, die nicht Angehörige der Geheimdienste sind, agieren.
„Toolbox Russlands“
„Multipolare Bedrohungen gefährden in ungekanntem Ausmaß die Demokratie, Wirtschaft und Sicherheit in unserem Land. Russland verfolgt aggressiv seine machtpolitischen Ambitionen gegen Deutschland, die EU und seine westlichen Verbündeten. Russische Dienste modifizieren fortlaufend die Eskalationsstufen ihrer Aktivitäten mit dem strategischen Ziel, die liberalen Demokratien zu schwächen. In der Konsequenz detektieren wir ein breites Spektrum von Spionage, Desinformation, Einflussnahme, Sabotage und Cyberangriffen ausländischer Akteure und Staaten in Deutschland.“ Sinan Selen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, am 13.10.2025 im Parlamentarischen Kontrollgremium.[v]
Russische Geheimdienste und deren Proxy-Akteure führen seit Jahren, aber signifikant erhöht in den letzten Monaten, hybride Angriffe gegen Deutschland und andere europäische Staaten aus. „Hybride Angriffe auf uns in Deutschland sind Realität, jeden Tag“, erklärt Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr.[vi] Zurzeit bleibe die hybride Strategie Russlands gegen Deutschland und andere NATO-Mitglieder (meist) noch unterhalb der Regelungen des Artikel 5 des NATO-Vertrages, also unterhalb der Schwelle, bei der die Bündnispartner der Allianz einander Beistand leisten müssten.
Hybride Angriffe sind von einer Kombination regulärer und irregulärer politischer, wirtschaftlicher, medialer, geheimdienstlicher, militärischer und cybertechnischer Mittel geprägt. Dadurch verschwimmen die völkerrechtlichen Grenzen von Krieg und Frieden, von äußerer und innerer Sicherheit. Ein zentrales Motiv hybrider Angriffe besteht darin, eine völkerrechtliche und politische Zurechnung zu erschweren beziehungsweise die Urheberschaft hybrider Aktionen und die eigene Kriegsbeteiligung zu verschleiern.
Die Verfassungsschutzbehörden sprechen in Bezug auf das hybride Vorgehen Putins von einer „Toolbox Russlands“. Zu diesem „Werkzeugkasten“ gehören nach Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz folgende Akteure, Mittel und Taktiken:
- Cyberspionage gegen deutsche Einrichtungen, permanente Cyberangriffe im politischen und politiknahen Raum, Spionage gegen Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen;
- zentral gesteuerte geheimdienstliche Operationen, unter anderem durch den Einsatz reisender Führungsoffiziere, Einsatz eingeschleuster Personen mit falscher Identität, Beauftragung von Proxy-Akteuren über Social Media, etwa
- (Cyber-)Sabotage,
- finanziell motivierte Hackerangriffe,
- Legalresidenturen (geheimdienstliche Operationen aus diplomatischen oder konsularischen Vertretungen heraus, Gesprächsabschöpfung, Ausnutzung der diplomatischen Abdeckung),
- Einflussnahmeoperationen (Einflussnahme auf den öffentlichen Diskurs und den politischen Raum in Deutschland durch Desinformationskampagnen),
- Proliferation (Beschaffen von Produkten beziehungsweise Kenntnissen für den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen, Erwerb anderer Rüstungsgüter und Dual-Use-Güter, Sanktionsumgehungen),
- Ansprachen (Überwachung und aggressive Anwerbeversuche) von westlichen Reisenden aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung in Russland.[vii]
In den letzten Monaten standen drei Taktiken aus der „Toolbox Russlands“ im Vordergrund: Erstens: Spionage als Reaktion auf das gestiegene Informationsbedürfnis Russlands seit Kriegsbeginn, verstärkt auch in Form von Cyberspionage. Zweitens: Die Bereitschaft Russlands zu Sabotageakten, die neben physischen Schäden auch Unsicherheit und Angst in der Bevölkerung europäischer Länder erzeugen soll. Drittens: Einflussnahmeaktivitäten durch Desinformationskampagnen auf den öffentlichen Diskurs.
Neu bei der Vorgehensweise russischer Geheimdienste ist der zunehmende Einsatz „niederschwellig rekrutierter Low-Level-Agenten“. Sie fungieren als Handlanger im Auftrag russischer Geheimdienste im Bereich der Ausspähung in Vorbereitung von Sabotageakten. Diese Proxy-Akteure werden häufig über soziale Medien oder Messengerdienste angeworben und gesteuert. Ihre Beweggründe sind oft finanzieller Art – in der Presse werden sie auch als Taschengeld-Agenten bezeichnet. Zugleich könne jedoch eine ideologische Motivation vorliegen (neuer „Ost-West-Konflikt“, eine ideologische Entscheidung pro Russland, gegen westliche Demokratien), so die aktuelle Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz.[viii]
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Bedrohungen durch Drohnen
„Wir hinken alle hinterher, was die Abwehr von Drohnen angeht“[ix], räumte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Anfang Oktober 2025 ein.
Die wiederholten Sperrungen am Münchner Flughafen Anfang Oktober 2025, von denen Tausende Passagiere betroffen waren, machten wie nie zuvor deutlich, wie unzureichend die technischen Mittel und rechtlichen Befugnisse zur Drohnenabwehr bislang sind.
Allein im ersten Quartal 2025 hatten deutsche Sicherheitsbehörden im Hellfeld, – die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher – 270 Sichtungen mit über 530 Drohnen festgestellt. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes konnten jedoch nur in acht von 270 Fällen die Piloten der Drohnen festgenommen werden.[x]
Russische Drohnen überwachen in Deutschland und anderen europäischen Staaten sowohl militärische Liegenschaften als auch Routen für Waffentransporte in die Ukraine. Sie überfliegen zahlreiche Standorte der Bundeswehr und auch Militärstützpunkte der US-Streitkräfte, darunter die strategisch wichtigen in Ramstein, Standorte in der Nähe von Wiesbaden, in Stuttgart und in Bayern sowie die Basis des Airborne Warning and Control System (AWACS) der NATO in Geilenkirchen.
Im Februar und im September 2025 wurden zahlreiche Drohnen sowohl über kritischen Infrastrukturen in Norddeutschland, bei der Marinewerft von Thyssenkrupp in Kiel und über Liegenschaften der Bundeswehr gesichtet, unter anderem bei Cuxhaven, über dem Fliegerhorst Nordholz bei Cuxhaven, bei Bremerhaven, bei Hamburg, nahe dem Marinestützpunkt Wilhelmshaven und über einem Erdgasspeicher im ostfriesischen Jemgum an der Ems. Es soll sich dabei um Drohnen mit Tragflächenspannweiten von drei bis sechs Metern und damit keinesfalls um im normalen Handel erhältliche Geräte gehandelt haben. Offenbar konnte keine der Drohnen abgewehrt werden; die Drohnen sollen von der Nordsee kommend in den deutschen Luftraum eingedrungen sein.[xi]
Wie bereits bei vorherigen Fällen in Norddeutschland, etwa Drohnenüberflüge über dem Chemiepark Brunsbüttel in Schleswig-Holstein, gehen die ermittelnden Behörden davon aus, dass die Drohnen von in der Nord- oder Ostsee verkehrenden Schiffen aus gestartet wurden, möglicherweise auch von solchen, die der sogenannten Schattenflotte Russlands zugerechnet werden.
Für die Landes- und Bündnisverteidigung sind Häfen wie in Hamburg und Kiel von zentraler Bedeutung. Der Hamburger Hafen ist militärisch-logistisch besonders wichtig, weil er als Drehscheibe für die Verlegung von Truppen und Material an die Ostflanke der NATO fungiert. Nach Angaben des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe sind diese Häfen in einem Angriffsfall „first line of attack“.
Die deutsche Drohnenabwehr benötigt schnellstmöglich eine technische Aufrüstung, eine klare rechtliche Grundlage der Befugnisse sowie eine schlanke Organisationsstruktur. Dass Bundesinnenminister Alexander Dobrindt dafür ein polizeiliches Kompetenzzentrum einrichten will, ist richtig. Noch wichtiger, allerdings vermutlich politisch schwerer umzusetzen, ist die Forderung des Bundesinnenministers, das Luftsicherheitsgesetz so zu ändern, dass die Bundeswehr bei der Drohnenabwehr künftig einbezogen werden kann.
„Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat einen „neuen Ost-West-Konflikt“ heraufbeschworen, in dem sich die europäischen Demokratien und Russland als „Systemrivalen“ gegenüberstehen.“
Dr. Stefan Goertz
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat einen „neuen Ost-West-Konflikt“ heraufbeschworen, in dem sich die europäischen Demokratien und Russland als „Systemrivalen“ gegenüberstehen. Daher bedarf es einer realistischen sicherheitspolitischen Analyse der Bedrohungslage, der Hauptakteure und ihrer aktuellen Strategien und Taktiken. Auf dieser Grundlage müssen politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, Verantwortliche in Streitkräften, Behörden, Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen der europäischen Staaten ihr Denken und Handeln ausrichten. Gleichzeitig müssen die für die Abwehr von Spionage und Sabotage verantwortlichen Behörden rasch mit den notwendigen technischen Ressourcen und rechtlichen Befugnissen ausgestattet werden.
Dr. Stefan Goertz, Staatswissenschaftler, Professor für Sicherheitspolitik, Schwerpunkt Extremismus- und Terrorismusforschung, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei, Lübeck.
Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder.
[i] „Proxy-Akteure“ sind Stellvertreter bzw. nichtstaatliche Gruppen und Einzelpersonen, die die Ziele eines Staates verfolgen, aber nicht direkt in dessen militärischer oder geheimdienstlicher Struktur eingebunden sind. Diese Akteure agieren als Vermittler oder Werkzeuge, um die Ziele eines mächtigeren Akteurs zu erreichen, oft ohne, dass die direkte Verbindung offenkundig wird. Der Begriff stammt vom englischen „proxy“: „Stellvertreter“ oder „Bevollmächtigter“.
[ii] Der BND-Spionagefall von 2022 bezieht sich auf die Verhaftung des BND-Referatsleiters Carsten L. am 21.12.2022 wegen Verdachts des Landesverrats durch Spionage für Russland. Er soll Staatsgeheimnisse über eine Operation zur Abwehr des russischen Wagner-Aufstands an Moskau weitergegeben haben. Geschäftsmann Arthur E. wurde als mutmaßlicher Komplize verhaftet, nachdem er die Dokumente nach Russland gebracht hatte.[iii] Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: Gefährdungen durch russische Spionage, Sabotage und Desinformation. Momentaufnahme und Einordnung, Köln, Mai 2025, S. 6, www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/spionage-und-proliferationsabwehr/2025-05-gefaehrdungen-durch-russische-spionage-sabotage-und-desinformation.html [letzter Zugriff: 06.10.2025].
[iv] Vgl. ebd., S. 7.
[v] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2025/pressemitteilung-2025-10-13-pkgr.html (8.11.2025).
[vi] „Russlands hybride Angriffe auf Deutschland“, in: ZDFheute, 18.05.2025, www.zdfheute.de/politik/deutschland/russland-sabotage-hybride-angriffe-100.html [letzter Zugriff: 06.10.2025].
[vii] Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, a. a. O., siehe Fn. 3, S. 10.
[viii] Vgl. ebd., S. 14–15.
[ix] https://www.dw.com/de/wie-deutschland-sein-drohnen-problem-l%C3%B6sen-will/a-74196210 (8.11.2025).
[x] Vgl. „Der Agent im Land“, in: Behörden Spiegel, September 2025, S. 33.
[xi] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/drohnen-ueberfluege-102.html (8.11.2025).