Als ich vor zwei Jahren meinen Instagram-Account „historische_wahlplakate" eröffnete, war das für mich eine Reise in die Tiefen der Vergangenheit. Wenn man so will ein Nostalgietrip. Eigentlich begann alles mit meinem Geschichtslehrer in der Oberstufe. Er zeigte uns Wahlplakate aus der Weimarer Republik. Diese farbenfrohen und oft überraschend modern anmutenden Plakate faszinierten mich. Ich lernte die politische Landschaft jener Zeit kennen und fragte mich, wer oder was waren „Spartakus“, „USPD“ oder „DNVP“ und wofür standen sie. Meine Neugier war geweckt.
Das erste Plakat, das ich auf meinem Account teilte, ist ein Klassiker aus den 1950er-Jahren. Darauf das Porträt eines Mannes mit strengem Blick. Detailverliebt hat der Künstler jede einzelne Falte gemalt. Die dünnen Haare des damals 80-jährigen Konrad Adenauers sind zurückgegelt. Darunter steht „Keine Experimente“. Ein Slogan, der wie kein Zweiter die Sehnsucht vieler Bundesbürger nach politischer Stabilität und Frieden in der damaligen Nachkriegszeit aufgriff.
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Plakat zur Bundestagswahl 1957
Die Resonanz auf meinen Instagram-Account war überwältigend. Menschen aus dem gesamten politischen Spektrum kommentierten meine Beiträge und tauschten sich über die Ästhetik und die politischen Botschaften aus. Die Begeisterung, die ich selbst empfand, schien auf meine Community überzuspringen. Während ich durch die Kommentare scrollte und die Diskussionen verfolgte, wurde mir bewusst, dass meine Generation die Plakate auf besondere Weise wahrnahm.
Ich bin 23 Jahre alt, aufgewachsen in einer Welt, in der sich alles um digitale Technologien drehte. Den digitalen Fortschritt habe ich hautnah miterlebt. Meine Generation ist mit dem Smartphone aufgewachsen, die sozialen Medien sind für uns Alltag. Sie haben unsere Sehgewohnheiten geprägt, unser ästhetisches Empfinden. Und diese alten Wahlplakate hatten für mich etwas Besonderes, eine verborgene Magie, eine Schönheit im Einfachen und eine Klarheit in den Botschaften, wie ich sie aus der heutigen politischen Kommunikation nicht kannte.
Derzeit erklären immer mehr politikverdrossene Wähler, ihr Kreuz bei der AFD machen zu wollen. Ein Trend, der sich neben der aktuellen Dauerkrise auch mit der fehlenden Unterscheidbarkeit der etablierten Parteien, allen voran die beiden Volksparteien, erklären lässt. „Kompetenz für Deutschland“(SPD) oder „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“(CDU) ist langweilig und nichtssagend. Bloß nicht anecken oder gar provozieren.
CDU Deutschland
Plakat zur Bundestagswahl 2017
Populistische Slogans wie „Für Millionen, nicht für Millionäre“ der Linkspartei oder „Deutschland. Aber normal“ der AfD generieren mehr Aufmerksamkeit. Und in der Tat profitiert insbesondere die AfD von der Profillosigkeit der wahlkämpfenden Volksparteien. Bevor sie mit ihren populistischen Wahlslogans weiter punktet, sollten die etablierten Parteien ihre Strategien überdenken. Das braucht auch den Mut, mal zu überspitzen, um das eigene Profil zu schärfen und sich von der politischen Konkurrenz abzugrenzen.
Hier hilft ein Blick auf die alten Wahlplakate von CDU und SPD. So scheinbar „harmoniesüchtig“ wie heutzutage waren die Wahlkämpfe vergangener Zeiten nicht. Erinnert sei an die legendären Wortgefechte zwischen Franz Josef Strauß (CSU) und Herbert Wehner (SPD). Oder der Wahlkampf 1980: Franz Josef Strauß, Spitzenkandidat der Union, wurde „Stoppt Strauß“ entgegengehalten. Damals wurde polarisiert, im Wahlkampf schonte man sich nicht.
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Plakat zur BTW 1980
In einer Zeit, in der politische Botschaften in 280 Zeichen untergebracht werden müssen und Social-Media-Strategien das Nonplusultra sind, erinnern sich ältere Mitbürger wahrscheinlich wehmütig an Wahlplakate mit starken Botschaften und sorgfältig gestalteter Bildsprache. Doch was macht diese Plakate so besonders? Und waren sie wirklich besser?
Früher waren Wahlplakate Kunstwerke: Handgefertigte Illustrationen, sorgfältig ausgewählte Farben und die künstlerische Gestaltung sorgten dafür, dass sich die Botschaften einprägten. Heute, in Zeiten der Digitalisierung scheint die Kunst, Wahlplakate zu gestalten, verloren gegangen. Die Vorlagen sind oft standardisiert und lassen wenig Raum für kreativen Ausdruck. Es werden einfach Portraits der jeweiligen Politiker per Grafikprogramm hinzugefügt. Die Slogans sind knapp, manchmal auf ein Schlagwort reduziert. Das mag den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie entsprechen, Tiefe und Nuancen gehen verloren. In unserer immer schnelllebigen Zeit verkürzen sich die Aufmerksamkeitsspannen. Ob für Schokoriegel oder Politiker, es gilt das Motto: Je einfacher und minimalistischer, desto besser. Werbung, die Konzentration erfordert, sie zu verstehen, läuft Gefahr übersehen zu werden. Und dann sind da noch die Autofahrer. Wer im Auto sitzt, hat wenig Zeit, ein Plakat wahrzunehmen. Oft bleiben nur das Gesicht und der Name des Kandidaten haften. Früher waren man gemächlicher unterwegs, zu Fuß oder mit dem Rad. Und man hatte Zeit, vor einem Plakat zu verweilen. Und auch so fand die eine oder andere komplexere Botschaft ihren Empfänger.
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Und zu guter Letzt: Handgefertigte Illustrationen auf Papier vermittelten immer auch eine emotionale Botschaft. Sie sind von Menschen gemacht. Heute werden Plakate von Grafikprogrammen generiert und auf Plastik-Hohlkammerplakate gedruckt. Das ist zwar effizient, man sieht es ihnen aber auch an.
Aussageschwache Botschaften wie „Zukunft" am besten noch als Hashtag aufgedruckt sind langweilig. Plakate echter Künstler würden Menschen inspirieren. Politiker und Agenturen setzt auf die Künstler!
Interessiert an Wahlplakaten? Dann schauen Sie ins Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort finden Sie 23.000 vorwiegend politische Plakate, mit der umfangreichsten Sammlung deutscher Wahlplakaten seit 1949. Die meisten kann man online - je nach Rechtslage - unter CC-Lizenz nutzen.
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