Danylo Pavlov ist ein ukrainischer Dokumentarfotograf und Fotoredakteur beim „Reporters“ Magazin. Er dokumentiert die Folgen des Krieges in der Ukraine, insbesondere in befreiten Gebieten wie Jahidne, Butscha und der Region Cherson. Pavlov arbeitet eng mit Journalisten zusammen, um Foto- und Textreportagen zu verbinden. Seine Arbeiten wurden in The Washington Post, The Times und Forbes veröffentlicht.
Ukrainischen Kriegsfotografen wird oft nachgesagt, sie seien Propagandisten. Was erwidern Sie?
Danylo Pavlov: Das ist ein typisches Klischee – eine Anschuldigung, um zu provozieren oder von der Verantwortung für begangene Verbrechen abzulenken. Die Ukraine ist Opfer einer Invasion, und doch wirft man uns „Inszenierungen“ vor. Ich selbst habe Massengräber und Exhumierungen gesehen, mit der Polizei nach Vermissten gesucht, mit unzähligen Zeugen gesprochen. Renommierte Fotografen, wie Jewhen Maloletka, halten sich streng an journalistische Standards. Sie der Propaganda zu bezichtigen, ist absurd. Die Ukraine muss an vielen Fronten kämpfen – und immer wieder gegen verzerrte Darstellungen. So erhielt neben ukrainischen Fotografen auch eine russische Fotografin den World Press Photo Award 2024. Sie hatte das Leben russischer Soldatenmütter dokumentiert. Hier wurden nicht vergleichbare Dinge gleichgestellt: Das Leid russischer Soldatenfamilien mit dem ukrainischer Zivilisten.
Gelegentlich sieht man Bilder von ukrainischen Opfern und daneben Bilder der russischen Besatzer. Was ist daran falsch?
Danylo Pavlov: Es empört mich, wenn internationale Agenturen russische Soldaten in eroberten Städten als „normale Jungs“ darstellen. Die russische Luftwaffe zerstört erbarmungslos Städte und tötet Zivilisten. Die Leute lesen heute nicht mehr viel, sie sehen sich Fotos und Videoschnipsel an. Doch den wirklichen Schrecken dieses Krieges begreift man erst, wenn man ihn mit eigenen Augen sieht.
Das persönliche Erleben ist ungleich stärker. In Pokrowsk habe ich gesehen, wie jeden Tag 20, 30 lenkbare Bomben einschlugen, wie die Menschen evakuiert wurden. Ähnlich im inzwischen besetzten Kurachowe. Nachdem russische Truppen die Stadt fast vollständig zerstört und besetzt hatten, filmten sie einige der verbliebenen Bewohner, die erklärten, man habe sie, die Russen, erwartet. Das ist eine zynische Manipulation. Das wäre, als würde man in Litauen eine einzelne prorussische Person filmen und behaupten, „Ganz Litauen erwartet Putin“.
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Danylo Pavlov
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In Ausstellungen sieht man oft sehr grausame Aufnahmen. Wo liegt die Grenze zwischen der Darstellung des Schreckens und ethischer Verantwortung?
Danylo Pavlov: Das gilt es ständig abzuwägen. Ein berühmtes Beispiel ist das Foto einer schwer verletzten schwangeren Frau aus Mariupol, die später verstorben ist. Für ihre Angehörigen war die Veröffentlichung des Fotos sehr belastend. Aber die Welt muss sehen, was Russland anrichtet. Oder der Mann, der bei einem Raketenangriff seine ganze Familie verlor. War es ethisch vertretbar, seinen Schmerz zu fotografieren? Würde man jedes Mal um Erlaubnis fragen, gäbe es keine dokumentarische Fotografie. Wir müssen den Krieg realistisch darstellen, auch wenn das schmerzhaft ist. Umso wichtiger ist es, sensibel zu bleiben und die Bilder gemeinsam mit Redakteuren sorgfältig auszuwählen.
Ist Dokumentarfotografie also die ungeschönte Wahrheit, und der Zuschauer entscheidet selbst, ob er hinschaut?
Danylo Pavlov: Ja. Wir halten die Realität fest. Aber wir haben auch eine Verantwortung bei der Auswahl unseres Materials. Kinder könnten die Bilder online sehen. Daher vermeiden wir besonders grausame Szenen. Jeder von uns ist für das verantwortlich, was er veröffentlicht.
Viele junge ausländische Fotografen möchten den Krieg dokumentieren, ohne je einen Krieg erlebt zu haben. Was raten Sie ihnen?
Danylo Pavlov: Es wird eigentlich immer gefährlicher. Man muss den Drohnen ausweichen und gelangt nur nachts oder bei schlechtem Wetter an Positionen nahe der Front. Wer an die Front möchte, braucht eine Akkreditierung vom Verteidigungsministerium und wird von Presseoffizieren begleitet. Doch selbst mit Genehmigung passiert es immer wieder, dass man aufgrund sich plötzlich verschärfender Gefechte nicht überall hinkommt.
Sie arbeiten in einer Redaktion. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von der freiberuflicher Fotografen?
Danylo Pavlov: Ich bin Fotoredakteur und Fotograf beim „Reporters“ Magazin, einem ukrainischen Printmedium. Wir erscheinen vier Mal im Jahr. Freelancer, die mit großen internationalen Medien zusammenarbeiten, erreichen manchmal sehr viel mehr Menschen. Doch lokale Medien wie wir sind genauso wichtig, weil wir den regionalen Kontext vermitteln.
Haben bestimmte Medien bevorzugten Zugang zur Front?
Danylo Pavlov: Am Ende geht es immer um die Sicherheit. Für das Leben der Journalisten sind die Presseoffiziere verantwortlich. Wenn ihnen das Risiko zu hoch ist, verweigern sie den Zugang. Das ist keine Willkür, sondern eine notwendige Sicherheitsmaßnahme.
Sie erwähnten, dass Sie auch für spätere Gerichtsverfahren gegen Russland fotografieren. Gibt es solche Archive bereits?
Danylo Pavlov: Ja, solche Archive existieren. Falls Beweise benötigt werden, kann ich Material bereitstellen, auch über Exhumierungen und Ermittlungen, die ich dokumentiert habe.
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Erzählen Sie uns noch von Ihren Projekten mit dem Wiener Institut (Institut für die Wissenschaften vom Menschen) und dem Evakuierungskorridor?
Danylo Pavlov: In einem Projekt mit Medizinern aus Wien erhalten kriegsverwundete Militärangehörige oder Zivilisten plastische Operationen – so wird mit einer Knochentransplantation aus dem Bein ein zerstörter Kiefer wiederhergestellt. Mit meinen Fotos möchte ich zeigen, wie sie dank dieser Operationen wieder ins normale Leben zurückkehren. In einem anderen Projekt geht es um die Evakuierung von Zivilisten aus von Russland besetzten Gebieten über die Region Sumy. Sie wird vornehmlich von Freiwilligen organisiert, mit Unterstützung internationaler Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen. Es sind hauptsächlich ältere Menschen, Frauen, Kinder und Pflegebedürftige aus russisch besetzten Gebieten wie Luhansk, Donezk, Saporischja oder Cherson. Seit 2022 haben zehntausende diesen Korridor genutzt. Ich habe davon viele Bilder gemacht, die aber noch sortiert werden müssen.
Wie können deutsche Leser ukrainische Journalisten unterstützen?
Danylo Pavlov: Indem sie unsere Beiträge veröffentlichen und ukrainische Fotografen zu Ausstellungen einladen. Unabhängige Medien sind auf Fördergelder angewiesen. Das „Reporters“ Magazin wird von Abonnenten finanziert. Aber jede Fahrt an die Front kostet Treibstoff, Wartung, und sie ist immer riskant. Finanzielle Unterstützung oder gemeinsamer Projekte helfen uns dabei, weiterhin die Wahrheit zu zeigen.
Ksenia Yanko
Das Interview führte Danylo Poliluev-Schmidt. Er ist Essayist und Kolumnist und schreibt regelmäßig für deutsche und europäische Zeitschriften. In seinen Beiträgen beschäftigt er sich mit Fragen europäischer Sicherheit, Erinnerungskultur und Medienfreiheit – immer aus einer persönlichen Perspektive, geprägt durch seine Herkunft und Erfahrungen im osteuropäischen Raum. Seit 2022 konzipiert und leitet er den Kurs Die bewaffnete Wahrheit an der Universität Potsdam, in dem es um Medienkompetenz, Kriegsberichterstattung und die Mechanismen hybrider Kriegsführung geht.