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Heinrich Lübke, Portrait. (Quelle: Peter Bouserath/KAS-ACDP) Heinrich Lübke, Portrait. (Quelle: Peter Bouserath/KAS-ACDP) © (Quelle: Peter Bouserath/KAS-ACDP)

Heinrich Lübke

Agrar- und Siedlungsexperte, Bundespräsident Dr. agr. h. c. 14. Oktober 1894 Enkhausen/Kreis Arnsberg 6. April 1972 Bonn
von Rudolf Morsey

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Als Sohn eines Schumachermeisters und Kleinlandwirts wuchs Lübke in einem winzigen Dorf des Sauerlands auf, zusammen mit vier Geschwistern. Er begann nach Abschluss seiner Gymnasialzeit in Werl und Brilon (1913 Abitur) und einem Praktikum in einem Vermessungsbüro in Menden im Sommer 1914 sein Studium an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Bonn. Sofort nach Beginn des 1. Weltkriegs meldete er sich freiwillig zum Wehrdienst und wurde am 15. August 1914 „eingezogen“. Er war als Artillerist in Ostpreußen und an der Westfront eingesetzt, seit 1916 Leutnant d. R., und wurde mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet.

Ende 1918 setzte Lübke sein Studium an der Landwirtschaftlichen Hochschule und an der Universität in Berlin fort, wo er 1921 sein Examen als Vermessungs- und Kulturingenieur ablegte. Während seiner anschließenden Tätigkeit im Büro des Westfälischen Pächter- und Siedlerbundes in Münster ergänzte er seine Ausbildung durch das Studium der Staatswissenschaften an der dortigen Universität. Seit 1923 war Lübke in Berlin im kleinbäuerlichen Organisations- und Siedlungswesen tätig und 1925 an der Gründung des Reichsverbandes landwirtschaftlicher Klein- und Mittelbetriebe beteiligt, den er als Geschäftsführer betreute. Daraus entstand, durch Zusammenschluss mit einer Reihe anderer mittelbäuerlicher Verbände, 1927 die Deutsche Bauernschaft. Neben deren Geschäftsführung leitete Lübke die im selben Jahr gegründete Siedlungsgesellschaft Bauernland. Durch weitere Mitgliedschaften in Vorständen und Aufsichtsräten landwirtschaftlicher Organisationen und Kreditinstitute wurde der vielbeschäftigte Verbandspolitiker zu einem erfolgreichen Agrar- und Siedlungsexperten. Die großbäuerlichen Interessenvertreter bekämpften ihn als „Bodenreformer“ und „roten Lübke“. 1929 heiratete er die aus dem sauerländischen Ramsbeck stammende Wilhelmine Keuthen (1885–1981), die ihren Beruf als Studienrätin aufgab. Die Ehe blieb kinderlos.

 

NS-Zeit

Im April 1932 in den Preußischen Landtag gewählt (Zentrum), und am 5. März 1933 wiedergewählt, verlor Lübke nach Hitlers Machtübernahme zunächst, im Juli 1933, sein Amt in der Deutschen Bauernschaft, dann das Mandat und im März 1934 auch seine Stellung als Geschäftsführer in der Siedlungsgesellschaft Bauernland. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits (seit dem 5. Februar 1934) unter dem Vorwand der „Korruption“ verhaftet worden. Er blieb in einem ungewöhnlich aufwendigen Untersuchungsverfahren lange in Haft in Berlin. Erst am 11. Oktober 1935 wurde er entlassen, ohne dass Anklage erfolgte. Er erhielt nicht die Möglichkeit, Berufung einzulegen oder eine Entschädigung für die 20-monatige Haft, die ihn gesundheitlich geschwächt hatte, zu beantragen. Zunächst arbeitslos, erholte er sich auf dem Bauernhof seines Bruders Friedrich Wilhelm Lübke in Augaard bei Flensburg. 1937 übernahm er in Berlin die Geschäftsführung der Niedersächsischen Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft. Nach drei Wehrübungen (1937–1939) zum Oberleutnant d. R. (1942 Hauptmann d. R.) befördert, wurde er nicht zum Kriegsdienst einberufen, sondern dienstverpflichtet und als Vermessungsingenieur dem Architektur- und Ingenieurbüro Walter Schlempp in Berlin zugewiesen. Es unterstand der Verfügung des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt und späteren Reichsminister Albert Speer und war mit dem Bau von zivilen und militärischen Anlagen, zunächst vor allem in Peenemünde, seit 1943 dann in Sachsen-Anhalt, beschäftigt. Die „Baugruppe Schlempp“ errichtete auch Unterkünfte für ausländische Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Im April 1945 setzte sich Lübke nach Augaard zu seinem Bruder ab.

 

Eintritt in die CDU

Unmittelbar nach Kriegsende übersiedelte er nach Höxter, wo er als Leiter eines „Baubüros“ die dortige zerstörte Weserbrücke wieder aufbaute. Mit anderen Partnern gründete er in Frankfurt/M. eine Baufirma („Main-Bau GmbH“). 1945 trat Lübke in Höxter der CDU bei, „geworben“ von Josef Kannengießer (Osnabrück). 1946 wurde er von der britischen Militärregierung in den Beratenden Westfälischen Provinzialrat in Münster und am 2. Oktober in den ernannten Landtag von Nordrhein-Westfalen berufen. Am 20. April 1947 für den Wahlkreis Arnsberg in den 1. Landtag gewählt, leitete er vom 6. Januar 1947 bis 31. Dezember 1952 das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. In diesem schwierigen Ressort in der Zeit der Trümmerwüste und Hungersnot gewann der Unionspolitiker mit seinem Bestreben nach einem Interessenausgleich zwischen Erzeugern und Verbrauchern allgemeines Ansehen.

1949 wurde Lübke auch in den Deutschen Bundestag gewählt (Wahlkreis Arnsberg-Soest). Dieses Mandat nahm er, was damals noch möglich war, bis September 1950 neben seinen Düsseldorfer Ämtern wahr. Von Januar bis September 1953 war Lübke als Generalanwalt des Raiffeisenverbands in Bonn tätig, drängte jedoch bald in die Bundespolitik. 1953 verlieh ihm die Landwirtschaftliche Fakultät der Universität Bonn den Dr. agr. h. c. Nach seiner erneuten Wahl in den Deutschen Bundestag (Wahlkreis Rees-Dinslaken) berief Konrad Adenauer ihn in seine 2. Regierung. Als Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, auch in Adenauers 3. Kabinett (1957), entwickelte sich Lübke zu einem neben Ludwig Erhard und Fritz Schäffer erfolgreichen Ressortchef. Auf der Grundlage jährlich entwickelter „Grüner Pläne“ (seit 1955) gelang es, die Landwirtschaft zu modernisieren und ihren strukturellen Anpassungsprozess ohne soziale Erschütterungen vorzunehmen.

 

Wahl zum Bundespräsidenten

Nach dem überraschenden Rückzug Adenauers von der Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten Anfang Juni 1959 wurde Lübke am 15. Juni in Bonn als „Ersatzmann“ der Unionsparteien nominiert und am 1. Juli von der Bundesversammlung in Berlin im 2. Wahlgang zum neuen Bundespräsidenten (ab 15. September) gewählt. Am 1. Juli 1964 wurde er wiedergewählt, dieses Mal im 1. Wahlgang, und auch mit den Stimmen (und sogar auf Initiative) der von Herbert Wehner entsprechend bestimmten SPD. Als Nachfolger von Theodor Heuss (1949–1959) hatte der christlich-sozial eingestellte Agrarpolitiker keinen leichten Start. Persönlich ebenso bescheiden wie hilfsbereit, verschaffte er sich jedoch bald Respekt. Er war durchdrungen von seiner Aufgabe, die er als „Wächteramt“ verstand. Kein guter Redner, nutzte Lübke gleichwohl die „Hauptwaffe“ des Bundespräsidenten, die Rede. Auch damit suchte er mit der ihm eigenen Beharrlichkeit politische Akzente zu setzen und seine Kompetenzen, etwa durch Mitwirkung bei Regierungsbildungen, auszudehnen, was nicht gelang. Er trat (im Gefolge der Berlin-Krisen seit 1958) für die Bildung einer Großen Koalition, aber auch für die Vertiefung der deutsch-französischen Zusammenarbeit ein. Lübke verstand sich in der Rolle des „nationalen Hüters historischer Bildung“ (M. Rensing). Seine immer wiederholte Forderung nach Gewährung des Selbstbestimmungsrechts für alle Deutschen unterstrich er durch häufigen Aufenthalt in seinem 2. Amtssitz in Berlin (Ehrenbürger seit 1962). Lübke glaubte unbeirrbar an die Wiedervereinigung des getrennten Deutschland. 1963 proklamierte er den 17. Juni, den „Tag der deutschen Einheit“, zum „Nationalen Gedenktag des deutschen Volkes“. Der dezidierte Einsatz zugunsten von Entwicklungshilfe, auch als Dank für die nach 1945 empfangene Hilfe des Auslands, und Milderung des Hungers in der Welt verschaffte dem Bundespräsidenten bei zahlreichen Staatsbesuchen (insgesamt 37 Auslandsreisen), vor allem in den Ländern der Dritten Welt, bedeutendes Ansehen. Seine sprachgewandte und repräsentationsfreudige Frau unterstützte ihn dabei in hervorragendem Maße.

Lübkes 2. Amtsperiode wurde schon bald zu einer Leidenszeit. Während sich sein Streben nach politischer Mitsprache eher verstärkte, schwanden seine Kräfte sichtlich, häuften sich Ungeschicklichkeiten und Pannen, auch Peinlichkeiten. Eine Propaganda-Offensive der SED, mit der seine Integrität während des Dritten Reiches („KZ-Baumeister“) zu Unrecht angezweifelt wurde, erzielte Wirkung durch ihre Unterstützung in der linksgerichteten Publizistik der Bundesrepublik. Diese Verleumdungskampagne (so auch die Einschätzung der seit 1. Dezember 1966 amtierenden Regierung der Großen Koalition) wurde ungeschickt abgewehrt. Sie zwang den Bundespräsidenten, der für die Methoden und Ziele der antiparlamentarischen Bewegung kein Verständnis aufbrachte, schließlich zu einem um zweieinhalb Monate vorgezogenen Rücktritt (zum 30. Juni 1969). Seitdem lebte er zurückgezogen in Bonn. Lübke hat andere Bevölkerungskreise als sein Amtsvorgänger Heuss angesprochen und das Amt des Staatsoberhaupts redlich und gewissenhaft, aber ohne Glanz und Ausstrahlung geführt.

Seine „Modernität“ ist erst im Nachhinein deutlich geworden. Dazu gehören seine hohe Einschätzung der Wissenschaft und sein frühes Eintreten zugunsten von Umweltschutz und Entwicklungshilfe, aber auch sein Bekenntnis zum „einfachen Leben“ in überschaubaren Verhältnissen.

 

Bestand: BA Koblenz.

Lebenslauf

  • 1914 Studium an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Bonn
  • 1914–1918 Kriegsdienst
  • 1919–1921 Fortsetzung des agrarwissenschaftlichen Studiums in Berlin
  • seit 1923 im klein- und mittelbäuerlichen Verbandswesen tätig
  • 1925–1927 Geschäftsführer des Reichsverbandes landwirtschaftlicher Klein- und Mittelbetriebe
  • seit 1927 der Deutschen Bauernschaft und der Siedlungsgesellschaft Bauernland
  • 1932–33 MdL Preußen (Zentrum)
  • 1933-34 Verlust sämtlicher Ämter
  • 1934–35 Verhaftung
  • 1937–1939 Geschäftsführer der Niedersächsischen Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft in Berlin
  • 1939–1945 Dienstverpflichtung in der „Baugruppe Schlempp“
  • 1945–46 Bauleiter in Höxter
  • 1946–1954 MdL Nordrhein-Westfalen (CDU)
  • 1947–1952 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
  • 1949/1950 MdB
  • 1953–1959 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
  • 1959–1969 Bundespräsident.

 

Literatur

 

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