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„Houston, wir haben kein Problem“

von Romina Liesel Elbracht, Justin Bankemper

Indiens Premierminister Modi und der amerikanische Präsident Trump Hand in Hand bei dem „Howdy, Modi!“-Event in Houston, Texas

Vor fünf Jahren hatte Modi noch im New Yorker Madison Square seinen ersten Wahlsieg gefeiert. Zuvor war ihm die Einreise in die USA seit fast einem Jahrzehnt verweigert worden. Anti-muslimische Pogrome im Jahr 2002 im indischen Bundesstaat Gujarat, in dem Modi seit 2001 Ministerpräsident war, forderten mindestens tausend Menschenleben und trugen damals zu seinem umstrittenen Ansehen bei. Sein Staatsbesuch 2014 wurde daher von vielen als Versuch gesehen, sein Image auf der Weltbühne positiv zu verändern. Seitdem hat sich in der indischen Politik viel verändert; Modi gewann 2019 zum zweiten Mal – und noch deutlicher – die indischen Parlamentswahlen auf Unionsebene mit einer absoluten Mehrheit.

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Bei einer riesigen Show in Houston am 22. September sprach der indische Premierminister vor einer weitaus größeren Menge von Anhängern als noch damals im Madison Square Garden. Das Bild an der Seite von Donald Trump, so mutmaßen viele Beobachter, wird Narendra Modi helfen, einen Teil der internationalen Kritik an seinem teils umstrittenen Vorgehen in der Kaschmirregion abzuschütteln. Rund 50.000 Menschen versammelten sich im NRG-Stadion zu einem „zutiefst historischen Ereignis”, wie Trump es ausdrückte. „Howdy, Modi!” war einer der größten Empfänge eines ausländischen Regierungschefs in der Geschichte der USA. Die Veranstaltung wurde als PR-Triumph für Modi und Trump gefeiert, aber auch als Beweis für die wachsende Bedeutung der strategischen Beziehung zwischen den beiden größten Demokratien der Welt, die es angesichts eines immer expansiver agierenden chinesischen Rivalen rasch auszubauen gilt.

Warum ausgerechnet Houston? Houston nimmt eine Schlüsselstellung für praktisch alle Bereiche der amerikanischen Energiewirtschaft ein, einschließlich Forschung, Produktion, Marketing, Versorgung und Technologie. Abgesehen von Öl und Gas steht Houston auch sinnbildlich für eine einzigartige Beziehung zu Indien. Laut Angaben der Stadt betreiben mehr als 28 Unternehmen mit Sitz in Houston 69 Tochtergesellschaften in Indien. Der südasiatische Wirtschaftsriese war 2018 mit einem Handelsvolumen von über 4,3 Milliarden US-Dollar der zehntgrößte Handelspartner Houstons. Dies entspricht einer Steigerung von 36% gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl ist vor allem in Anbetracht der kürzlich aufgeflammten indisch-amerikanischen Handelsstreitigkeiten beachtlich.[1]

Für Indien war der Besuch ein wichtiger Schritt im Bestreben, das Handelsdefizit mit den USA zu senken, wobei der Handel gleichzeitig ein wichtiges Thema für Trump ist. Für ihn, selbst großer Fan von Spektakeln der Superlative, war das Mega-Event mit Modi gewiss auch eine Plattform, um die Gunst der indisch-amerikanischen Wählerschaft für Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Mit mehr als 3,2 Millionen Einwohnern macht die indische Diaspora rund 1% der US-Gesamtbevölkerung aus und gilt gleichzeitig als eine der reichsten Gruppen des Landes. Während der Bundesstaat Texas vornehmlich republikanisch orientiert ist, präsentiert sich seine größte Stadt Houston regelmäßig als demokratische Festung. Für die Republikaner sind der Bundesstaat Texas, und nicht zuletzt Houston, entscheidend für Trumps Wiederwahl 2020. In seiner Bedeutung ist der "Lone Star State" damit vergleichbar mit dem bevölkerungsreichsten indischen Bundesstaat Uttar Pradesh, der in Anbetracht des vorherrschenden Mehrheitswahlrechts für die indische Regierungspartei BJP seit jeher von entscheidender Bedeutung war.

Die Gesprächsthemen

Während sich Premierminister Modi in seiner knapp 50-minütigen Rede mit den Themen „ländliche Abwasserentsorgung und Konnektivität“ befasste, sprach Präsident Trump von einer Stärkung der einheimischen verarbeitenden Industrie, seinem Einsatz für eine bessere Beschäftigungsquote und der US-Rolle als weltweiter Energieexporteur. Modi und Trump ließen die kritischen Handelsfragen zwischen den beiden Ländern außen vor, äußerten sich aber optimistisch, dass diese während ihrer bilateralen Gespräche gelöst werden könnten. Trump sagte, er freue sich auf größere Rüstungskäufe durch Indien und kündigte an, dass indische und amerikanische Streitkräfte im November dieses Jahres gemeinsame Übungen abhalten werden. In ihren jeweiligen Diskursen wurde die Freundschaft der beiden immer wieder betont. „Ich bin begeistert, hier in Texas mit einem der größten, ergebensten und treuesten Freunde Amerikas, dem indischen Premierminister Modi, zusammen zu sein”, rief Trump der Menge zu. Modi betonte seinerseits, Indien habe im Weißen Haus einen „wahren Freund”, und beschrieb Trump als warmherzig, freundlich und voller Witz. „Vom CEO zum Präsidenten, vom Sitzungssaal bis zum Oval Office, vom Studio bis zur Weltbühne […] er hat überall einen bleibenden Eindruck hinterlassen”, so Modi.

Trump und Modi betonten beide den essentiellen Kampf gegen den Terrorismus. Der US-Präsident verglich die Sicherheit an der amerikanischen Grenze zu Mexiko mit den Spannungen zwischen Indien und Pakistan in Kaschmir. „Sowohl Indien als auch die USA sind sich darüber im Klaren, dass wir unsere Grenzen schützen müssen, um die Sicherheit unserer Gemeinden zu gewährleisten”, sagte Trump. Modi sprach über seine Entscheidung, Artikel 370 und 35a in Jammu und Kaschmir zu widerrufen, und nannte Pakistan indirekt einen Nährboden für Terrorismus.[2] Dabei verwies er auf die 9/11-Anschläge in den USA sowie die Anschläge vom 26. November 2008 in Mumbai.

„Was Indien getan hat, stört die Menschen, die nicht in der Lage sind, mit ihrem eigenen Land umzugehen”, sagte er mit Blick auf Pakistan, das Indien wegen des Widerrufs des Sonderstatus von Kaschmir scharf kritisiert hatte. Modi appellierte an seine „Familie”, wie er die 50.000 Teilnehmer des Mega-Events bezeichnete, Trump einen stehenden Beifall für seinen Kampf gegen den Terrorismus zu geben. „Wir treten stolz für die Verteidigung der Freiheit und setzen uns dafür ein, unschuldige Zivilisten vor der Bedrohung durch den radikalen islamischen Terrorismus zu schützen”, fügte Trump hinzu.

Modis Rede vor den Vereinten Nationen

Auf dem Parkett der Vereinten Nationen (VN) hatte der pakistanische Premierminister Imran Khan unlängst gefordert, gegen die Aufhebung des Sonderstatus von Kaschmir vorzugehen. Khan warnte vor einer Eskalation der Situation in Kaschmir und behauptete, Pakistan werde für künftige Konflikte von Indien verantwortlich gemacht werden.  Modi habe über die Auswirkungen des Widerrufs des Sonderstatus nicht nachgedacht. Imran Khan warnte auch vor schwerwiegenden Konsequenzen, falls die beiden nuklearen Nachbarstaaten in einen Krieg verwickelt werden sollten.

Der indische Premierminister Narendra Modi hingegen ließ in seiner Ansprache vor den VN die Situation in Kaschmir außen vor und sprach stattdessen über den Klimaschutz, die Bekämpfung von Terrorismus, den Weltfrieden und die Erfolge Indiens und seiner Regierung. Zum Abschluss seiner Rede erinnerte Modi an eine Rede von Swami Vivekananda, einem hinduistischen Mönch und Gelehrten des 19. Jahrhunderts, in Chicago im Jahr 1893. Vor dem Weltparlament der Religionen hatte Swami Vivekananda die Botschaft von „Harmonie und Frieden, nicht Zwietracht” vermittelt. Dieses Ziel bekräftigte nun der indische Premierminister abermals.

Kein indisch-amerikanisches Handelsabkommen

Entgegen den Erwartungen auf beiden Seiten gelang es Indien und den USA nicht, ein Handelsabkommen zu erzielen. Die USA strebten an, dass die Zölle für Informations- und Kommunikationstechnologie-Produkte auf 20% zu senken oder gar zu beseitigen. Abgesehen von Milch und anderen landwirtschaftlichen Produkten forderte die US-Seite einen besseren Zugang zum indischen Markt für bestimmte Medizinprodukte. Eine Lockerung der Preiskontrollen ist für Indien derzeit allerdings keine Option, da dies die Preise von lebenswichtigen Produkten stark in die Höhe treiben würde. Indien seinerseits wollte das allgemeine Präferenzsystem, welches gegenwärtig noch einen bevorzugten Marktzugang für indische Produkte in den USA ermöglicht, wiederherstellen. Dennoch scheint selbst ein abgeschwächtes Handelsabkommen zwischen Indien und den USA in weite Ferne gerückt zu sein.

Alles in allem: Positive Aussichten für die indisch-amerikanischen Beziehungen

Insgesamt kann der Besuch Modis in den USA als Erfolg gewertet werden. Dafür spricht, dass das Format des sogenannten Quadrilateral Security Dialogue (kurz: Quad), bestehend aus Indien, den USA, Australien und Japan, mit dem Treffen auf Ministerebene in New York im Anschluss an das “Howdy, Modi!”-Event einen entscheidenden Auftrieb erhalten hat. Die Quad-Partner bekräftigen hierbei ihr Engagement, für gemeinsame Werte einzustehen sowie die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit, Infrastruktur und Konnektivität, v.a. im Seeverkehr, zur Unterstützung einer regelbasierten internationalen Ordnung zu stärken. Darüber hinaus wurden die Bemühungen um die Aufrechterhaltung und Förderung eines offenen und inklusiven Indopazifiks diskutiert und die Entscheidung getroffen, dass nunmehr regelmäßige Treffen auf Ministerebene abgehalten werden sollen. Die Aufwertung des Quad auf die Ministerebene deutet darauf hin, dass der zuvor bereits bestehende Rahmen des Formats gestärkt werden soll, um die Informationsbeschaffung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu verbessern und eine einheitliche Linie in Bezug auf regionale Sicherheitsfragen zu präsentieren.

Über die Beziehung zu Indien ließ US-Präsident Trump während des Besuchs mehrere Botschaften verlauten: Erstens unterstrich er Indiens Rolle als Opfer eines grenzüberschreitenden Terrorismus, der auf islamistischen Radikalismus beruhe. Gleichzeitig unterstützte er Indiens legitime Versuche, seine Grenzen gegen terroristische Angriffe zu schützen, um das Wohlergehen von Land und Bewohnern zu sichern. Darüber hinaus sprach Trump von einer Win-win-Situation im Handelsbereich. So schätzte er den Kauf von US-Verteidigungsgütern sowie des aus Texas stammenden Öls und Gas durch Indien.

Dieses Statement ist auch als Seitenhieb auf den Iran zu verstehen, denn insbesondere Neu-Delhi galt bis zu den verhängten US-Sanktionen als ein Hauptabnehmer des preiswerten iranischen Öls. Washington setzt jedoch auf die endgültige Blockade von Öl-Exporten aus dem Iran und setzte Länder wie Indien, für die erstmals noch Ausnahmeregelungen galten, erfolgreich unter Druck. Im selben Atemzug ließ Trump zudem verlauten, dass die Investitionsbeziehung eine wechselseitige sei, und dass US-amerikanische Unternehmen ebenfalls in Indien investierten. Trumps dritte Botschaft bezog sich auf die indische Diaspora in den USA. Dabei schwärmte er nahezu von ihr und beschrieb sie als „hart arbeitende, steuerzahlende und gesetzestreue Gruppe” der amerikanischen Gesellschaft. Wie die indische Gemeinde in den USA auch zukünftig gesehen wird, wird auch davon abhängen, wie sie ihr aufstrebendes politisches Profil nutzen kann. Modi hat mit seinem Besuch den Status der indischen Community erhöht und das Potenzial ihres kollektiven Gewichts aufgezeigt.

Vor fünf Jahren traf Modi mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama zusammen, um ähnliche Ergebnisse wie die aktuellen zu erzielen. So kann die Teilnahme des indischen Premierministers am VN-Klimagipfel im Laufe der US-Besuchswoche als Erbe einer durchaus längerfristigen Annäherung in den indisch-amerikanischen Beziehungen gesehen werden. Dass der indische Premierminister, der so hartnäckig eine Verbindung zu Obama aufbauen wollte, jetzt die gleichen Anstrengungen mit Trump unternimmt, macht allerdings auch deutlich: Für Modi, den Pragmatiker, ist das indisch-amerikanische Verhältnis ein strategisches und kein ideologisches.

 

[1] Auslöser der jüngsten Zuspitzung war Trumps Entscheidung von Anfang Juni, bislang geltende Zollvergünstigungen für Indien zu streichen, nach denen der südasiatische Subkontinent Waren im Wert von knapp sechs Milliarden Dollar zollfrei in die USA einführen durfte. Trump begründete dies mit seinem Vorwurf, Indien würde unfaire Hürden für amerikanischen Unternehmen bei Geschäften aufstellen. Im Gegenzug strich die Regierung in Neu-Delhi im Anschluss die Sonderzölle für Mandeln, Äpfel und Walnüsse aus den USA, für die Indien bislang einer der größten Abnehmer darstellte.

[2] Beide Artikel der indischen Verfassung hatten den indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir seit der indischen Unabhängigkeit mit einem Sonderstatus ausgestattet.

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Dr. Adrian Haack

Portrait Adrian Haack

Leiter des Auslandsbüros Indien

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Narendra Modi / flickr / CC BY-SA 2.0
24. Oktober 2019
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