Asset-Herausgeber

Länderberichte

Indien am Vorabend der Wahlen

von Dr. Beatrice Gorawantschy, Martin-Maurice Böhme
Vom 16. April bis zum 13. Mai 2009 stehen in Indien Parlamentswahlen an. Die Wahlen zur Lok Sabha (indisches Unterhaus) stellen die weltweit umfangreichste Wahlübung dar. Gewählt wird in 543 Wahlkreisen. Neun nationale Parteien, 47 Parteien auf Bundesstaatsebene und 500 kleinere Parteien sind bei der Election Commission – der unabhängigen Kommission, die für die Durchführung der Wahlen verantwortlich ist – registriert.

Asset-Herausgeber

Insgesamt sind 714 Millionen Inder wahlberechtigt, davon rund 100 Millionen Jung- bzw. Erstwähler. Aus logistischen Gründen wird phasenweise an fünf Terminen (16. April, 23. April, 30. April, 7. Mai und 13. Mai) gewählt; das Ergebnis wird bis zum 28. Mai 2009 erwartet.

Seit den Wahlen zur 14. Lok Sabha im Jahr 2004 ist eine von der Kongresspartei geführte Koalitionsregierung – United Progressive Alliance (UPA) – im Amt. Sie besteht aus einer Koalition mit elf weiteren regionalen und kastenspezifischen Parteien. Diese Regierungskoalition hat keine parlamentarische Mehrheit und war auf die Unterstützung der Parteienkoalition, der so genannten „Left Front“ – einem Zusammenschluss der kommunistischen Parteien und der BSP, der Partei der Kastenlosen (Dalit) –, angewiesen. Dies hatte dazu geführt, dass die Bilanz der amtierenden Regierung nur bedingt als positiv zu bewerten ist; zahlreiche wirtschaftliche und politische Reformvorhaben konnten auf Grund der instabilen Mehrheitsverhältnisse nicht umgesetzt werden.

Dieser Tage haben die beiden großen Parteien – die regierende Kongresspartei und die in der Opposition befindliche hindunatioalistische BJP (Bharatiya Janata Party) – ihre Programme vorgestellt. Die Kongresspartei rückt „Sicherheit und Wohlstand für alle Bürger sowie Soziale Gerechtigkeit“ in den Vordergrund ihrer Wahlversprechen. Laut Sonia Gandhi, der Parteipräsidentin, und Manmohan Singh, dem amtierenden Premierminister, der ebenfalls weiterhin Kandidat der Kongresspartei sein wird, seien 80 % der Wahlversprechen der vergangenen Legislaturperiode von der Partei eingehalten worden. Trotz globaler Wirtschafts- und Finanzkrise sei weiterhin ein hohes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen und mit der Wiederwahl würde dieser positive Kurs auch für die Zukunft garantiert. Darüber hinaus sei die Besserstellung der Bauern Priorität der Partei.

Sonia Gandhi, die seit 1998 den Kongress führt und Vorsitzende der UPA ist, bleibt weiterhin sehr einflussreich. Darüber hinaus strebt ihr Sohn, Rahul Gandhi, der Enkel der legendären Premierministerin Indira Gandhi und der Urenkel des ersten indischen Premiers Jawaharlal Nehru, bei den bevorstehenden Wahlen höhere politische Weihen an. Als neue „Jugend-Ikone“ der Kongresspartei soll Rahul Gandhi, seit 2007 Generalsekretär der Partei, die jungen Inder für den Kongress gewinnen. In einer Nation, in der die unter 35-Jährigen 60 % der Wähler ausmachen , ist dies kein zu vernachlässigender Faktor.

Die wichtigste Oppositionspartei ist die Bharatiya Janata Party (BJP), die bereits von 1999 bis 2004 die aus 20 Parteien und Gruppierungen bestehende Koalitionsregierung National Democratic Alliance (NDA) anführte. Die BJP versucht mit einem wirtschaftsliberalen und auf innere Sicherheit konzentrierten Programm Wähler über das eigene Lager hinaus zu gewinnen. Auch bei der BJP kann bei den bevorstehenden Wahlen nicht von einem Generationenwechsel gesprochen werden. Der über 80-jährige LK Advani ist der Spitzenkandidat der Partei für das Premierministeramt. Parteiinterne Machtkämpfe haben ihn im Vorfeld des Urnengangs geschwächt.

Im Nachgang zu den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008, war verschiedentlich ein Wiedererstarken der hindunationalistischen Kräfte vorausgesagt worden, dennoch konnte die Kongresspartei bei den Regionalwahlen in drei von fünf Bundesstaaten im November/Dezember 2008 wider aller Prognosen gut abschneiden.

„Good Governance, wirtschaftliche Entwicklung und Sicherheit“ lautet der Wahlslogan der BJP, der sich kaum vom Wahlprogramm des Kongress unterscheidet. Im Einzelnen verspricht die BJP Familien, die unterhalb der Armutsgrenze leben, monatlich Reis zu Vorzugspreisen, die Befreiung geringer Verdienender von der Einkommensteuer, bessere Infrastruktur im Hinblick auf die Anbindung der Dörfer an die Städte und die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in ländlichen Gebieten. Darüber hinaus propagiert die Partei eine verschärfte Anti-Terror-Gesetzgebung und eine härtere Haltung gegenüber den maoistischen Rebellen –dem Kongress wird in diesem Zusammenhang Schwäche vorgeworfen.

Während Teile der BJP versuchen, bewusst von ihrem hindunationalistischen Image abzurücken, hat ein prominentes Mitglied der Partei, Varun Gandhi (abtrünniger Spross des Nehru-Gandhi Clans, Cousin von Rahul Gandhi und BJP-Kandidat in Uttar Pradesh), in den letzten Wochen mit hetzerischen Reden gegen Muslime die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen und landete nach Anklage seitens der Wahlkommission im Gefängnis.

Die kommunistischen Parteien, die über Jahrzehnte vornehmlich auf regionaler Ebene eine Rolle spielten, erhielten erstmals als Zünglein an der Waage und Mehrheitsbeschaffer der Koalitionsregierung (UPA) eine wichtige Bedeutung auf zentralstaatlicher Ebene. Sie sind derzeit um die Bildung eines dritten großen Parteienbündnisses bemüht, das als Alternative zu UPA und NDA bei den Wahlen antreten könnte.

In den 80er Jahren hatten sich in vielen indischen Bundesstaaten Regionalparteien herausgebildet. Eine jüngere Entwicklung im indischen Parteiensystem ist die Mobilisierung von Wählern außerhalb ihres ursprünglichen regionalen Einflussgebietes (beispielsweise der nationale Anspruch der Partei der Kastenlosen, BSP – Bahujan Samaj Party aus Uttar Pradesh).

Unlängst hat der Wahlforscher Yogendra Yadav, vom KAS-Partner Centre for the Study of Developing Societies (CSDS), in den Medien die Bedeutung der Wahlprogramme der Parteien, der so genannten „Manifestos“ analysiert. Dabei beklagte er die zu geringe Beachtung, die die Programme der Parteien erhielten. Man könne die Vielgestaltigkeit der Parteien, ihre Absichten und die Ernsthaftigkeit ihrer Anliegen bestens mit dem Studium der Manifestos analysieren. Bedingt durch die mangelnde Berichterstattung halte sich jedoch die öffentliche Diskussion in engen Grenzen, so dass die Parteien kaum Rückmeldungen zu ihren Programmaussagen bekämen. Dabei sei es bemerkenswert, dass graduell nahezu alle Parteien die Prozesse der Liberalisierung, Globalisierung und Privatisierung anerkennen würden. Auch im Bereich der sozialen Sicherung fände man viele vergleichbare Positionen. Darin sieht Yadav eine Gefahr. Seiner Analyse nach, führe inhaltliche Konvergenz, gepaart mit dem Desinteresse der Medien an der Parteiprogrammatik und den fundamentalen Problemen des Landes, zu einer Gefährdung der Demokratie.

Große Beachtung findet das Spitzenpersonal der Parteien. Betrachtet man die vielen verschiedenen Kandidaten der Parteien, so stehen besonders die Anführer von Kongresspartei, BJP und BSP im Rampenlicht.

Manmohan Singh

Indiens Premierminister seit dem Jahr 2004 (Kongresspartei), hat an der University of Oxford Wirtschaftswissenschaften studiert und bekam überraschend die Chance auf das mächtigste Amt im Staat, nachdem Sonia Gandhi wegen ihrer ausländischen Herkunft verzichten musste. Singh hat in den 1990er Jahren wichtige Weichenstellungen in seiner damaligen Funktion als Finanzminister vorgenommen. Sein Name ist eng mit der wirtschaftlichen Öffnungspolitik und der Liberalisierung der indischen Märkte verbunden. Ihm wird durch eine weitsichtige Finanzpolitik ein großer Teil des wirtschaftlichen Erfolges Indiens zugeschrieben. Hinzu kommt seine Reputation als „politischer Saubermann“ und Technokrat. Mit seinen 76 Jahren hat Manmohan Singh - für indische Verhältnisse - gerade ein Politikeralter erreicht, das ihn für eine weitere Amtszeit prädestiniert.

Lal Krishna Advani

Der 81-jährige Führer der BJP und ehemalige Vize-Premierminister kam in jungen Jahren als Flüchtling aus dem Gebiet des heutigen Pakistan nach Indien. Advani ist es mit seinen Parteifreunden gelungen, die BJP zu einer bedeutenden politischen Kraft in Indien aufzubauen und eine starke Opposition zur Kongresspartei zu formieren. Letztlich sogar die BJP in die Regierung zu führen. Seit dem Machtverlust im Jahr 2004 ist Advani der Oppositionsführer in der Lok Sabha. Er steht in der Kritik, weil er sich gelegentlich in aufwieglerischer Weise mit hindunationalistischen Parolen gegenüber Minderheiten äußert.

Kumari Mayawati

Die Politikerin ist die Chief Ministerin des bevölkerungsreichen und damit auch sehr einflussreichen Bundesstaates Uttar Pradesh. Sie führt die Bahujan Samaj Party (BSP). Damit ist sie eine Spitzenvertreterin der Angehörigen der untersten Kasten, der so genannten „Unantastbaren“. In dieser Funktion verfügt Mayawati über eine Vielzahl von Sympathisanten und Unterstützern. In der jüngeren Vergangenheit hat sie sich darum bemüht, das Image der BSP zu wandeln und sich als Verfechterin für soziale Gerechtigkeit zu positionieren, um so noch mehr Wähler anzusprechen. Auch wenn sie im Vorfeld der Wahlen keine Koalitionsaussage getroffen hat und mit der BSP vollkommen eigenständig antritt, ist Mayawati als mögliche Premierministerin einer linken „Third Front“-Regierung im Gespräch, in Abhängigkeit zum Wahlausgang.

Analysten schreiben neben der Kongresspartei und der BJP acht National- und Regionalparteien die Möglichkeit zu, den Ausgang der Wahlen signifikant beeinflussen zu können:

The Communist Party of India (Marxist)

Die CPI (M) ist 1964 aus der Kommunistischen Partei hervorgegangen. Die Partei hat ihre Hochburgen in Westbengalen, dort regiert sie seit 1977 ununterbrochen, außerdem im Bundesstaat Tripura und in Kerala. Die CPI (M) wendet sich vor allem gegen die Deregulierung des Arbeitsmarktes und gegen Privatisierungen von Staatseigentum. In anderen Politikfeldern, wie etwa im Bereich der Außeninvestitionen, hat in der Vergangenheit bei den Parteioberen einiger Pragmatismus Einzug gehalten.

The Bahujan Samaj Party

Die BSP entstand im Jahr 1984, um die Kaste der so genannten „Unantastbaren“ (Dalit) zu repräsentieren. Programmatisch inspiriert ist die BSP durch BR Ambedkar, der auch Vater der indischen Verfassung ist. Dabei stehen sozialistische Aspekte im Vordergrund. Den letzten Wahlerfolg erzielte die BSP im Jahr 2007 in Uttar Pradesh, dort stellt sie die Chief Ministerin.

Samajwadi Party

Die Partei ist eine der Abspaltungen, die 1992 aus der ehemals größten Oppositionspartei Janata Dal hervorgegangen ist. Die Mitglieder geben sich traditionell sozialistisch. Die Hochburg der Partei befindet sich in Uttar Pradesh. Thematisch war in der vergangenen Legislaturperiode besonders die Unterstützung der UPA bei der Unterzeichnung des Atomabkommens mit den USA auffällig. Hier diente die Samajwadi Party als Mehrheitsbeschaffer.

Shiv Sena

Die Partei kann als hindunationalistisch und am äußeren rechten Rand des Parteienspektrums stehend charakterisiert werden. Die Hochburg der Shiv Sena ist der Staat Maharashtra mit der Metropole Mumbai. Sie ist ein Verbündeter der BJP und war Mitglied der NDA-Regierung von 1999 bis zum Jahr 2004. Die Partei positioniert sich deutlich regional, in dem sie die Rechte der Ur-Einwohner Maharashtras gegenüber anderen ethnischen Gruppierungen zu schützen versucht.

Dravida Munnetra Kazhagarn

Die DMK ist regional im Bundesstaat Tamil Nadu von Bedeutung und stellt dort den Chief Minister. Sie war und ist das politische Sprachrohr der militanten Tamilenbewegung in Indien. Sie steht ebenfalls im Verdacht, die als terroristisch eingestufte LTTE in Sri Lanka zu unterstützen, die dort seit Jahrzehnten für einen eigenständigen Staat kämpft und gegenwärtig in kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Regierung steht.

Rashtriya Janata Dal

Diese Partei ist ebenfalls eine Abspaltung der ehemaligen Janata Dal Partei und seit 1997 eigenständig. Sie regierte den Problemstaat Bihar bis zum Jahr 2005, insbesondere in dem es ihr gelang, die Masse der Angehörigen niedrigerer Kasten zu mobilisieren. Gleichzeitig erlangte die Partei das Image, für soziale Gerechtigkeit zu stehen. Der Parteiführer LP Yadav gehörte der aktuellen Regierung als Eisenbahnminister an.

Communist Party of India

Die CPI hat sich im 2. Weltkrieg von der Kongresspartei abgespalten. Auf nationaler Ebene hat die Partei bisher die UPA unterstützt. Die CPI war allerdings nicht Mitglied der Regierungskoalition, sondern hat sich in der so genannten „Left Front“ organisiert.

Telugu Desam Party

Hierbei handelt es sich um eine regionale Partei, die durch besonderen Populismus auf sich aufmerksam gemacht hat. So wurde sie erstmals 1983 in Andhra Pradesh in die Verantwortung gewählt, als sie versprach den Preis für ein Kilogramm Reis auf Rs. 4 (heute etwa 6 Euro-Cent) festzulegen. Der Parteigründer ist der Filmstar Rama Rao. Der Telugu Desam Party wird positiv angerechnet, dass sie die Kapitale des Bundesstaats, Hyderabad zu einem wichtigen Technologiestandort weiterentwickelt hat.

Bundesstaaten, deren Ergebnisse von entscheidender Bedeutung für das Wahlergebnis insgesamt sein werden:

Uttar Pradesh

Einst eine Hochburg der Kongresspartei, ist Indiens zweitgrößter und bevölkerungsreichster Bundesstaat (190 Millionen Einwohner) nunmehr dominiert von zwei kastenspezifischen Parteien. Einerseits der Bahujan Samaj Partei (BSP) unter der Dalit-Anführerin Mayawati und der Samajwadi Partei (SP) von Mulayam Singh Yadav, der insbesondere den Zuspruch der unteren Kasten und der Muslime erhält. Akute Armut, steigende Kriminalität, unzureichende Infrastruktur und ungenügende Gesundheitsvorsorge sind die größten Probleme dieses Staates, der oft als das Herzstück Indiens bezeichnet wird. Die BSP hat bei den nationalen Wahlen gute Aussichten auf eine Wiederholung ihres überwältigenden Sieges bei den Regionalwahlen im Jahr 2007. Es ist ihr seitdem gelungen, die Unterstützung von Hindus der oberen Kasten zu gewinnen und sich selbst das Image zu verleihen, eine Regenbogenkoalition oberer und unterer Kasten zu bilden. Mayawati selbst erhebt nationalen Führungsanspruch und könnte eine wichtige Rolle bei den Koalitionsverhandlungen spielen. Es besteht gar die Möglichkeit auf das Amt des Premierministers als Kandidatin der „Third Front“.

Bihar

Bihar ist einer der ärmsten Bundesstaaten. Etwa 58% der unter 25-Jährigen liegen unter der Armutsgrenze. Zwei regionale Parteien beherrschen die politische Landschaft – die Rashtriya Janata Dal (RJD) und die Janata Dal United (JDU). Beide Parteien sind Bündnisse mit den großen Parteien eingegangen – RJD mit dem Kongress und JDU mit der BJP. Im Jahr 2004 konnte die RJD unter Laloo Prasad Yadav mehr als die Hälfte der Sitze des Bundesstaates erlangen, die JDU lediglich sechs. Das Blatt hat sich seitdem grundlegend gewandelt. Bei den Regionalwahlen in 2005 gewann JDU unter der Führung von Nitish Kumar in Koalition mit der BJP vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Situation des Bundesstaates in Bezug auf Sicherheit und Rechtstaatlichkeit. Analysten sagen der JDU-BJP-Allianz bei den bevorstehenden Nationalwahlen gute Chancen auf ei nen Sieg voraus. Bihar steht vor der großen Herausforderung, mit dem Rest des Landes Schritt zu halten – Arbeitsplätze, Entwicklung, Infrastruktur und Sicherheit stehen auf der Liste der Forderungen der Wähler.

Tamil Nadu

Tamil Nadu ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung einer der fortschrittlichsten Staaten – doch politisch volatil. Bekannt durch seine florierende Autoindustrie verfügt es aber auch über einen starken Dienstleistungssektor und eine boomende Filmindustrie. Der Wahlkampf wird sich primär zwischen den beiden mächtigsten Regionalparteien, der DMK und der AIADMK abspielen. Die DMK, die derzeit den Staat regiert, wird von M Karunanidhi geführt, der als einziger Politiker des Landes jede Wahl seit seiner Erstwahl 1957 gewonnen hat. Die oppositionelle AIADMK wird von der nicht unumstrittenen früheren Filmschauspielerin J Jayalalitha beherrscht. Die Dominanz dieser beiden von Persönlichkeiten beherrschten Parteien in Tamil Nadu ist so stark, dass es in den letzten Jahrzehnten keiner der beiden großen Parteien gelungen ist, politische Macht zu erlangen. Wenn auch die DMK in 2004 siegreich hervorging, ist Tamil Nadu bekannt als „Swing State“. Wer auch immer bei den nationalen Wahlen gewinnen wird, wird ebenfalls eine bedeutende Rolle bei der Formierung der nächsten Koalitionsregierung spielen.

Andhra Pradesh

Dieser Bundesstaat ist durch Extreme gekennzeichnet – riesige Farmen und eine große IT- und Dienstleistungsindustrie ebenso wie große Armut. Der Staat muss sich zusätzlich mit einer Separatistenbewegung in der besonders unterentwickelten Telangana Region auseinandersetzen. Andhra Pradesh war immer eine Kongress-Hochburg, bis die Oppositionspartei Teluga Desam Partei (TDP) mit Unterstützung der Kommunisten in den 80er Jahren entstand. Im Jahr 2004 hat die vom Kongress geführte Allianz die Wahlen gewonnen, während 5 Jahre vorher die Koalition aus TDP und BJP siegreich hervorgegangen war. Chief Minister Rajasekhara Reddy von der Kongresspartei verspricht im Wahlkampf 2009 billigen Reis, freie Elektrizität für Bauern, freie Gesundheitsvorsorge für sozial schwache Familien und billige Kredite für Frauen. In den letzten Jahren haben ihn seine Maßnahmen zur Unterstützung der Bauern zu großer Popularität verholfen. Inzwischen wird lokal allerdings Chandrababu Naidu, der TDP-Anführer als Inbegriff der Wirtschaftsreformen gepriesen; er verspricht freien Zugang zu Elektrizität, Fernsehgeräte und Arbeitslosenversorgung im Wahlkampf.

Orissa

Nach der kürzlich erfolgten Absplitterung der Biju Janata Dal (BJD) von der BJP stehen bei den Wahlen drei Parteien in Konkurrenz zueinander – die Kongresspartei ist die Haupt- Oppositionspartei in Orissa. Die BJD hofft auf Wählerstimmen mit jüngst implizierten populistischen Maßnahmen – billigen Reis für die Armen, Gehaltsanhebungen für die Beamten und höhere Renten. Der Kongress wird die Wahlkampagnen auf Korruptionsbekämpfung, die BJP auf Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung fokussieren, Analysten räumen der Kongresspartei gute Chancen ein – nicht notwendigerweise jedoch einen eindeutigen Sieg.

Maharashtra

Nach den Anschlägen von Mumbai im vergangenen November ist das Thema Sicherheit Priorität in Indiens Wirtschaftsmetropole. Der Chief Minister von Maharashtra, Vilasrao Deshmuk (Kongress) musste nach den Terroranschlägen zurücktreten und hat nunmehr eine Vor-Wahlallianz mit der Nationalist Kongress Partei von Sharad Pawar gebildet. Raj Thackeraj, der Neffe des Vorsitzenden der stark rechts orientierten Hindu Shiv Sena Partei, hat eine neue Partei namens Maharashtra Navinirmaan Sena mit ähnlicher hindunationalistischer Ideologie gegründet, die aber wenig Aussichten auf nationalen Einfluss hat. Die BJP wird in diesem Bundesstaat das Thema innere Sicherheit in den Vordergrund stellen ebenso wie die schlechte wirtschaftliche Lage der Bauern. Hinzu kommt die vielerorts mangelhafte Stromversorgung.

Westbengalen

Seit mehr als drei Jahrzehnten regiert eine Koalition des linken Flügels diesen Bundesstaat. Die Linke gewann im Jahr 2004 insgesamt 35 Parlamentssitze in Westbengalen, der Kongress 6 Sitze und der Trinamul Kongress – eine ausschließlich in Westbengalen existierende Partei – nur 1 Sitz. Im Wahlkampf bildet die Opposition eine geschlossene Front gegen die Politik des Chief Ministers, Buddhadev Bhattacharya, der große Flächen Farmland für Industrieprojekte umwandeln will.

Gujarat

Trotz eines ambitionierten Wahlkampfes ist es dem Kongress bei den Regionalwahlen im Jahr 2007 nicht gelungen, über die BJP zu triumphieren. Der umstrittene Chief Minister Narendra Modi wurde zum dritten Mal im Amt bestätigt. 2002 gelang ihm die Wiederwahl mit einem hindunationalistischen Programm, im Jahr 2007 bezog er sich in seinem Wahlkampf auf das erreichte positive Wirtschaftswachstum. Der Bundesstaat Gujarat weist ein jährliches Wachstum von über 10 % vor und liegt damit über dem nationalen Durchschnitt. Modi hat im Februar einen Muslim zum Polizeichef ernannt, was Analysten als säkulare Imagepflege interpretierten. Allerdings wird die Verhaftung des Bildungsministers im März – im Zusammenhang mit den Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen im Jahr 2002 – als große Blamage für die Partei gewertet. Modi wird darüber hinaus als potentieller Nachfolger des alternden BJP Führers LK Advani gehandelt und wird auch in anderen Landesteilen Wahlkampf führen.

Verlässliche Prognosen für den Wahlausgang im Mai können derzeit nicht angestellt werden bzw. wären rein hypothetischer Natur. Fest steht, dass die Wahlentscheidung eher über lokale als nationale Themen getroffen wird. Von großer Bedeutung ist insbesondere die sich verschärfende Arbeitslosigkeit. Nationale und internationale Themen wie die globale Wirtschafts- und Finanzkrise sowie innere Sicherheit werden nur in ihren Auswirkungen auf den Einzelnen eine Rolle spielen. Es zeichnet sich ebenfalls ab, dass der Wahlkampf auch während der Abstimmungsphase auf harte, polarisierende Weise weitergeführt werden wird. Scharfe Wortgefechte zwischen prominenten Parteienvertretern und gegenseitige Schuldzuschreibungen zu bestehenden Missständen sind an der Tagesordnung. Darüber hinaus ist der Versuch einer starken Polarisierung vieler Parteien und Kandidaten im Bereich der nationalistischen und religiösen Fragestellungen spürbar. Diese Auseinandersetzungen bringen auch kuriose Forderungen hervor. So will sich die Samajwadi Party gegen die Benutzung von Englisch in allen öffentlichen Institutionen einsetzen und Computer verbieten.

Der regierende Kongress gibt sich zuversichtlich, an der Macht zu bleiben und ist bemüht, in der Person von Manmohan Singh eine neutrale Führung zu präsentieren, die Indien Wohlstand garantiert und zur Beseitigung kommunaler Unterschiede beigetragen hat. Fest steht jedoch auch, dass keine der beiden großen Parteien – BJP oder Kongress – eine absolute Mehrheit erreichen wird und es wieder zu einer Koalition mit jeweils vielen unterschiedlichen regionalen Parteien kommen wird – ein Phänomen, das sich nunmehr als graduelle Veränderung in der indischen Parteienlandschaft manifestiert. Über mögliche Allianzen können zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur schwer Vorhersagen getroffen werden, da sich Koalitionsaussagen täglich ändern können. Kommentatoren sprechen von einer Wahl der „einzigartigen, nie dagewesenen Allianzen“. Aktuelle Umfragen des KAS-Partners (CSDS) sagen eine Mehrheit von 215 - 235 Sitzen im Unterhaus für die von der Kongresspartei geführte UPA-Koalition gegenüber 165 - 185 Sitzen für die von der BJP geführte NDA-Koalition voraus. Nach dem Ergebnis der letzten Wahlen weiß man aber auch, dass man vor Überraschungen nicht gefeit ist und auch die Umfrageergebnisse nicht notwendigerweise verlässlich sind. Denn im Jahr 2004 hatten Meinungsumfragen der BJP einen überwältigenden Sieg vorausgesagt – letztlich hat der Kongress eine knappe Stimmenmehrheit erzielt und mit geschickten Koalitionsverhandlungen die Regierung gebildet. Noch ist also völlig offen, wer ab Juni den größten, nach demokratischen Grundsätzen regierten Staat der Welt lenken wird.

Asset-Herausgeber

Kontakt

Peter Rimmele

Länderberichte
18. Mai 2009
Jetzt lesen

comment-portlet

Asset-Herausgeber