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Länderberichte

Indien: Reaktionen auf den G20-Gipfel in Toronto

von Dr. Beatrice Gorawantschy, Martin-Maurice Böhme, Mareen Haring
Auf indischer Seite waren die Erwartungen an das Zusammentreffen der G20 im Vorfeld gering. Die Administration in Neu-Delhi hatte sich schon früh positioniert und eine allgemeine, globale Steuer auf Finanzmarkttransaktionen abgelehnt. Stattdessen nutzte der indische Premierminister Manmohan Singh die Gelegenheit, den versammelten Staats- und Regierungschefs der volkswirtschaftlich bedeutenden Nationen der Welt die Sichtweise der Schwellenländer aufzuzeigen.

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Die indische Presse beschreibt den Auftritt Singhs als eine Art „Lehrstunde“ für seine Zuhörer. So habe der promovierte Wirtschaftswissenschaftler (Oxford) vor einer vorschnellen geld- und fiskalpolitischen Konsolidierung gewarnt. Die gerade wiedererstarkende Weltwirtschaft stünde immer noch auf einem fragilen Fundament. Das gelte gerade für einige Länder der Eurozone. Eine nachhaltige Verschuldungskrise, wie beispielsweise in Griechenland, verunsichere die Weltmärkte. In diesem Umfeld, so Singh, sei die zentrale Herausforderung aus der Perspektive der Schwellenländer, globales Wirtschaftswachstum sicherzustellen. Deshalb gelte es, die Binnennachfrage in den Industrieländern zu stärken und wieder auf das Niveau in der Zeit vor der Krise zu entwickeln. Insofern stellte sich der indische Premierminister auf die Seite der Amerikaner, die sich gegen ein baldiges Ende der wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen aussprachen. Indien sei es durch einen ausgewogenen geld- und fiskalpolitischen Stimulus gelungen, die Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise einzudämmen. So habe man im Krisenjahr 2009 immer noch ein Wirtschaftswachstum von 7 Prozent erzielt und gehe für das kommende Jahr wieder von 9 Prozent Wachstum aus. Insgesamt bewertete Singh die Gefahr einer Deflation, ausgehend von überzogenen Sparbemühungen einzelner Staaten und einer gegensätzlichen Wirtschaftspolitik der Industriestaaten, höher als die Gefahren einer wachsenden Inflation.

Ahluwalia: kein „same-policy-fits-all“ Ergebnis in Sicht

Der ‚Sherpa’ Indiens in der G20-Runde, Montek Singh Ahluwalia, Deputy Head Planning Commission of India, hatte bereits vor Gipfelbeginn deutlich gemacht, dass seine Regierung im Resultat von Toronto kein „same-policy-fits-all“ Ergebnis sehe, dass es also zumindest jetzt noch nicht zu einem globalen Finanzmarkt-Regulierungsansatz aller G20-Mitglieder kommen würde. So erklärte auch Premierminister Manmohan Singh während des Gipfels: „Fiscal consolidation must obviously have high priority in those advanced deficit countries that are experiencing exceptional fiscal stress and where markets have signalled seriuos concern. However, other advanced countries should opt for a much more calibrated exit from stimulus”. Mit dieser Aussage versuchte Singh, der als ausgleichender Politiker gilt, einerseits den Spagat zwischen der Position einiger europäischer Länder, darunter auch Deutschland, die sich für eine rasche Anpassung der Fiskalpolitik an die anziehende Weltkonjunktur einsetzen. Andererseits versuchte der indische Premier ein Signal an Barack Obama und andere zu senden, weiter mit Stimuli an einer Stärkung der Binnenkonjunktur zu arbeiten. Denn dies käme in besonderem Maße den indischen, aber auch den Wachstumsindustrien der übrigen Schwellenländer zu Gute.

Indien drängt auf Reform multinationaler Entwicklungsinstitutionen

Bedingt durch die internationale Beachtung und gestärkt durch das hohe Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre, stellt Indien selbstbewusst hohe Forderungen. Indien will auf globaler Ebene in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Zusammen mit Brasilien, Russland und China (BRIC-Staaten) will man mehr Stimmrechte und Macht in der G20 erhalten. Mittelfristig ist es ein Ziel der Inder, Reformen im Bereich des IWF, der Weltbank und anderer multilateraler Entwicklungsbanken durchzusetzen. Dabei geht es Delhi vor allem um die Stärkung grenzübergreifender finanzieller Kooperationen zum Nutzen der Schwellenländer. Bereits im September 2009 hatte Montek Singh Ahluwalia im Rahmen einer Fachkonferenz der KAS darüber gesprochen, dass der IWF in der Vergangenheit nicht immer eine glückliche Rolle gespielt habe – das gelte gerade für sein Verhältnis zu den Schwellenländern in Asien. Positiv sei, dass das Komitee zur Finanzstabilisierung des IWF nun mit allen Mitgliedern der G20 besetzt sei. Insgesamt müsse aber die Glaubwürdigkeit der Institution erhöht werden. In Toronto erneuerte Shiv Shankar Menon, der nationale Sicherheitsberater Indiens, diese Forderung. Er sprach von der Notwendigkeit, die „Entscheidungs-Matrix“ der finanziellen Schlüsselinstitutionen Weltbank und IWF zu Gunsten Indiens und der übrigen Schwellenländer zu verändern. Es gäbe zwar bereits die grundsätzliche Entscheidung, den personellen Einfluss der Entwicklungsländer innerhalb des IWF um 5 Prozent zu erhöhen und den Ländern der südlichen Hemisphäre eine stärkere Gewichtung innerhalb der Weltbank-Gruppe zu Teil werden zu lassen, nun müssten den Worten aber auch Taten folgen.

Indien unterstützt Basel III

Indien unterstützt die Absichten der anderen G20-Staaten, bis zum nächsten Gipfel im November 2010 in Seoul/Südkorea eine Übereinkunft über allgemeingültige Finanzmarktnormen zu erzielen. Die Einigung auf das so genannte Basel III Abkommen, mit dem die Eigenkapitalquoten von Finanzinstituten erhöht werden sollen, um diese krisenresistenter zu machen, werde die strukturelle Qualität des Kapitalmarktes erhöhen und finanzielle Risiken für die Staaten minimieren helfen. Darüber hinaus sollen Hedgefonds und Ratingagenturen sowie problematische Finanzmarktderivate, wie beispielsweise Swaps, einer stärkeren Kontrolle und Regulierung unterzogen werden. Insgesamt geht es der indischen Regierung darum, die Märkte sowohl fair als auch robust zu gestalten. Im Bezug auf die eigenen indischen Finanzplätze verläuft der Öffnungsprozess aber verhalten und Regulierungsbemühungen überwiegen weiterhin. Zwar wurde im Jahr 2009 vom indischen Finanzministerium ein Plan zur Etablierung einer Financial Stability and Development Authority entwickelt, die sich auch mit der Akkreditierung ausländischer Finanzinstitute befassen soll, jedoch wurden hierzu noch keine abschließenden Beschlüsse gefasst.

Nebeneffekte des Gipfels

Premierminister Manmohan Singh nutzte seine Teilnahme am G20-Gipfel, um gemeinsam mit dem kanadischen Premier Harper, der Unterzeichnung eines zivilen Nuklearabkommens zwischen Indien und Kanada beizuwohnen. Singh beschrieb diesen Schritt als Widerspiegelung des Wandels internationaler Wirklichkeiten. Das Abkommen ist der erste Schritt zum Bau von kanadischen Atomreaktoren in Indien. Ebenfalls Signalwirkung hatte ein bilaterales Treffen zwischen Premierminister Singh und US-Präsident Barack Obama. Beobachter werteten diese Unterhaltung als Betonung der strategischen Partnerschaft zwischen Indien und den USA. Obama hatte Indien unlängst den Status einer globalen Macht zugebilligt. Bisher war immer von einer wichtigen regionalen Größe gesprochen worden. Darüber hinaus habe Indien eine herausragende Rolle bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Bekannt ist auch, dass Obama den Wirtschaftssachverstand Singhs schätzt und das Wort des Premiers in den USA bei der Regulierung der internationalen Märkte Gewicht hat.

G20 bindet Schwellenländer an schwierige Herausforderungen

Im Vorfeld auf den kommenden Gipfel sind die Unterhändler der G20 Staaten gefordert viel Abstimmungsarbeit leisten, damit die Ergebnisse für alle beteiligten befriedigender ausfallen. Shrawan Nigam, Senior Consultant des führenden indischen Wirtschaftsforschungsinstitut Indian Council for Research on International Economic Relations (ICRIER), betrachtet die bisherigen Ergebnisse durchaus kritisch. Demnach sei man in Indien der Auffassung, dass die G20 parallel zur G8 von den Industrieländern etabliert wurde, um die Ziele der westlichen Staaten effektiver umsetzen zu können, in dem man die Entwicklungsländer dazu bringt, die Schlusserklärungen der Gipfel mit zu tragen und diese damit moralisch bindend mache. Es sei nun Aufgabe der 13 entwickelten Länder, die Agenda der kommenden Gipfel „inklusiver“ zu gestalten, um diesem Eindruck entgegen zu wirken. In Indien spreche man sich für verstärkte internationale Kooperation explizit aus, diese müsse aber auf einer ausgewogeneren Agenda beruhen.

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Peter Rimmele

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