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Italien ist nicht mehr das ‚Belpaese’

Eurispes: Schwere politische, institutionelle, ökonomische und soziale Krise in Italien

Das italienische Meinungsforschungsinstitut Eurispes hat am Freitag die neueste Studie zur Lage Italiens vorgelegt. Das mehr als tausend Seiten umfassende Werk zeichnet ein besorgniserregendes Bild der italienischen Gesellschaft: Für 54,7 Prozent der Italiener ist es fast unmöglich, mit dem Einkommen die monatlichen Ausgaben zu bestreiten.

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40 Prozent der italienischen Familien haben Probleme, den Kredit für die Wohnung abzubezahlen – 2010 waren es noch 23,2 Prozent. Die monatliche Miete bringt rund 38 Prozent der Bevölkerung in Bedrängnis. Da wundert es nicht, dass laut Eurispes mehr als 80 Prozent der Italiener pessimistisch in die Zukunft schauen.

Das 1982 gegründete private unabhängige Meinungsforschungsinstitut Eurispes gehört zu den leitenden Umfrageagenturen in Italien. Der Leiter, Prof. Gian Maria Fara, unterrichtet u.a. an der römischen Universität LUMSA und der Link Campus University in Malta. Er ist Berater des Päpstlichen Rates für die sozialen Kommunikationsmittel, kurz Medienrat genannt. Für die vom 20.Dezember 2010 bis 12. Januar 2011 durchgeführte Erhebung befragte das Institut 1532 Personen.

Laut Eurispes braucht Italien eine „Operation der Wahrheit“, um das Land aus dem Stillstand zu befreien. Zwei „Zeitbomben“ drohten zu explodieren: Der institutionelle Konflikt und die Staatsschulden. „Italien erlebt gerade eine schwere politisch-institutionelle, wirtschaftliche und soziale Krise. Die Krise breitet sich in drei Linien aus, die sich miteinander verflechten, sich gegenseitig nähren, sich ineinander verwickeln und am Ende ein solides, resistentes und jedem Entwirrungsversuch gegenüber hartnäckiges Ganzes schaffen, das schwer in den Griff zu bekommen ist“, erklärt Eurispes-Präsident Gian Maria Fara. „Unsere derzeitige Führungsklasse, im Unterschied zu anderen Ländern, ist weder einheitlich noch fest verbunden. Sie besitzt ein großes Bewusstsein für sich selbst und gar kein Bewusstsein für die allgemeinen Probleme. Es ist ihr niemals gelungen, sich in eine verantwortliche Elite zu wandeln.“

Im Bericht kann man die tatsächlich dramatischen Zahlen dieser dreifachen Krise nachlesen, die scheinbar jeden Lebensbereich der Italiener betrifft.

Das Monatsende mit dem eigenen Gehalt erreichen, ist für 35,1% der italienischen Familien zu einem „unüberwindbaren Hindernis“ geworden. Das ist die vielleicht alarmierendste Zahl, die durch Eurispes ermittelt wurde. Im Jahr 2011 „geht die Zahl der italienischen Familien zurück, die es trotz aller Umstände noch schaffen, etwas anzusparen (26,2% gegenüber 30,8% im Jahr 2010) und mit dem Gehalt das Monatsende erreichen (61% gegen 66% im Jahr 2010). Ein Ziel, – so Eurispes – das jedoch für 35,1% der Familien (im Jahr 2010 waren es 28,6%) unerreichbar bleibt“. Diese Notlage schnellt im Süden in schwindelerregende Höhe (43%), ist aber auch im Nord-Osten (37%) und auf den Inseln (36,5%) akut.

Kredite und Mieten sind untragbar für 2 von 5 Italienern. Laut Eurispes haben 40% der Familien Schwierigkeiten, Raten und Mieten zu bezahlen. Die Wohnung stelle seit jeher die höchste Ausgabe einer Familie dar. Die Ergebnisse der Veröffentlichung zeigen ein beunruhigendes Bild, vergleicht man die Daten 2011 mit denen des Vorjahres: 40% der italienischen Familien haben Schwierigkeiten die Raten eines Kredits (Jahr 2010 waren es noch 23,2% ) und 38,1% (2010 waren es 18,1%) die Mietskosten zu bezahlen.

Einkäufe: Es ist kein Zufall, dass dieser finanzielle Engpass bei den Einkäufen weitergeht: Die Italiener verzichten als erstes auf Ausgaben für Geschenke (77,8%, im Jahr 2010 waren es noch 75,3%) und Reisen (70%, 4,8% mehr als im Vorjahr) und gehen im Schlussverkauf auf Schnäppchenjagd. Weniger Geld wird ausgegeben für Mahlzeiten außer Haus (73,5%) und für die Freizeit (69,3%, 8,8% gegenüber dem Jahr 2010). Große Umsicht herrscht auch beim Einkauf von Lebensmitteln: 67,8% wechseln die Produktmarke, wenn eine andere günstiger ist und 55,6% suchen preiswertere Geschäfte auf, wie zum Beispiel Discountmärkte.

Das Prekariat breitet sich aus. Die Zahl der befristeten Arbeitsverträge ist in den letzten 16 Jahren, von 1993 bis 2009 übermäßig angestiegen. Hier ist eine Steigerung von 47,3% zu verzeichnen. Die Zahl der Angestellten hat sich von 1.461.000 auf 2.153.000 erhöht. Zu beachten sind auch Verträge über dauerhafte freie Mitarbeit sowie Zeitarbeiter: Die Zahl vorübergehend angestellter Arbeitnehmer nimmt weiter zu; zwischen 2004 und 2008 ist sie von 2.406.000 auf 2.788.000 Angestellte (+15,8%) gewachsen, um dann im Jahre 2009 einen Abstieg (Komplize der Wirtschaftskrise) zu verzeichnen. Die Folgen der Wirtschaftskrise, so unterstreicht Eurispes, „nehmen, die flexiblen Arbeiter betreffend, einen Charakter der Unabwendbarkeit an, insbesondere für junge Menschen. Der Arbeitsmarkt hat vorrangig die vorübergehend angestellten Arbeitnehmer ausgestoßen und somit die Schlangen der Arbeitslosen verlängert.“

Frauen sind vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Italien präsentiert darüber hinaus mit 46,4% eine der niedrigsten Zahlen Europas, was die Beschäftigung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt betrifft. Diese Zahl ist weit entfernt von den Zielen, die auf den Sitzungen zur Lissabon-Strategie definiert wurden und eine weibliche Beschäftigung von 60% anstreben. Der Bericht unterstreicht, dass sich die Lage der Frau, ob sie nun alleinstehend, verheiratet oder verheiratet und Mutter von Kindern ist, negativ auf die Arbeitssituation ausübt. In Italien gehören die Staatsausgaben zugunsten der Familie zu den niedrigsten (nur 1,3% des Bruttoinlandsprodukts) und nur 0,15% gehen an die Betreuung von Kindern.

Pessimismus. Es ist also kein Zufall, dass das „Belpaese“ pessimistisch eingestellt ist. Acht von zehn Italienern stehen der wirtschaftlichen Situation Italiens skeptisch gegenüber. Im Nord-Westen und im Nord-Osten des Landes zeigt sich eine größere Entmutigung hinsichtlich der Zukunft als in anderen Teilen der Halbinsel. Die Italiener, so Eurispes, „empfinden, in den meisten Fällen (51,8%), die wirtschaftliche Situation unseres Landes als deutlich verschlechtert (+4,7% gegenüber 2010). Eine so bedeutende Zahl wurde nur im Jahr 2005 registriert (54%). Wenn sich hier noch diejenigen anschließen, die nur eine leichte Verschlechterung bemerken, zählt man 81,6% Pessimisten.“

Politik und Banken. All dies wirkt sich auf das Verhältnis der Italiener zur Politik aus und schlägt sich im Vertrauen zu den Kreditanstalten nieder. Die „Enthaltungen“ bei Wahlen werden immer weniger, dafür gibt es immer mehr „Gelegenheitswähler“. Tatsächlich geht der Prozentsatz der überzeugten Sich-Enthaltenden zurück, also derjenigen die zugeben, niemals zu wählen. Die Quote der Befragten die behaupten nur manchmal zur Wahl zu gehen, nimmt mit fast 6 Prozentpunkten zu (von 9,4% auf 15%).

43,6% der Befragten empfinden den von ihrer Bank festgesetzten Zinssatz als „hoch“, während ihn nur 35,7% als angebracht bewerten. Am Ende sind 42,5% der Italiener überhaupt nicht davon überzeugt, dass „die Banken sensibel gegenüber den Bedürfnissen der Familien sind“. 38% erklären sich als wenig überzeugt.

Die Regierung hat einen Vertrauensverlust von 12 Prozentpunkten zu verzeichnen, insbesondere unter Jugendlichen. Nur 14,6 % der Bevölkerung bezeichnet sich als sehr oder relativ vertrauensvoll. 84,2% geben an, wenig oder kein Vertrauen in die Regierung zu haben und 1,2 Prozent kann sich kein Urteil bilden oder versagt die Aussage.

Unverändert bleibt jedoch bei den Italienern die Lust auf Europa: 75,7 % sind der Meinung, dass Italien auf die Stärkung Europas setzen müsse. Am überzeugtesten sind die 45-64jährigen (82,8%) und die über 65jährigen (77,6%), Weniger überzeugt davon sind hingegen die Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren (68,5%).

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