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Das New Economic Model

Kompass ohne innovative Koordinaten für Malaysias weitere Entwicklung

Seit der Unabhängigkeit vor mehr als 50 Jahren hat in Malaysia, insbesondere während der letzten drei Jahrzehnte, eine rasante wirtschaftliche Entwicklung stattgefunden. Als eine emerging economy steuert Malaysia das Ziel an, im Jahr 2020 den Übergang zu einer vollentwickelten Volkswirtschaft zu vollziehen. Dennoch, veränderte Rahmenbedingungen auf den Weltmärkten sowie politische und gesellschaftliche Prozesse zwingen die Regierung zu einer Überarbeitung ihrer wirtschaftspolitischen Ausrichtung. Mitte 2010 wurde das New Economic Model (NEM) der Öffentlichkeit vorgestellt.

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Als am 3. April 2009 Dato’ Sri Mohd Najib bin Tun Haji Razak (kurz Najib) sein Amt als neuer Premierminister Malaysias antrat, hatte sich die Lage der regierenden Koalition Barisan National (BN) und der in ihr dominierenden Partei United Malay National Organisation (UMNO) entschieden verändert. Das Bündnis aus drei Oppositionsparteien, Pakatan Rakyat (PR, Bürgerpakt), errang durch einen multiethnisch geprägten Politikansatz einen klaren Sieg bei den Parlamentswahlen 2008, und konnte einen deutlichen Anstieg der Stimmenanteile verbuchen (knapp 50 Prozent der absoluten Stimmen).

Gleichzeitig büßte die seit mehr als 50 Jahren regierende BN nicht nur erstmalig ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament ein, sondern verlor darüber hinaus vier Bundesstaaten, darunter Selangor und Penang, die größten Wirtschaftszentren des Landes. Damit schien die Stunde des Umdenkens und des Aufbaus neuer Politikansätze gekommen zu sein. Premierminister Najib ließ in den Folgemonaten nicht nur einen neuen Landesslogan Malaysia schaffen, der die Einheit Malaysias und den gegenseitigen Respekt der im Land lebenden verschiedenen Ethnien demonstrieren soll, er ließ zudem ein neues Wirtschaftsmodell erarbeiten.

Das New Economic Model (NEM), das primär auch den Inhalt des Slogans Malaysia wieder spiegeln soll, wurde mit dem Ziel entwickelt, das alte Konzept der New Economic Policy (NEP) abzulösen. NEP wurde Anfang der Siebziger als Antwort auf die politischen (Rassen-) Unruhen im Jahr 1969 unter der Führung Tun Abdul Razaks, dem verstorbenen Vater des aktuellen Premiers, eingeführt. Die NEP gab nicht nur Impulse für eine stark vom Staat bestimmte Entwicklung, sie sah insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung des malaiischen Bevölkerungsteils, der zumeist muslimischen Bumiputera (Söhne der Erde), vor. Diese machen heute knapp 60 Prozent der Bevölkerung Malaysias aus, weitere 25 Prozent sind chinesischer und etwa 10 Prozent indischer Abstammung.

Förderung der Bumiputera in Wirtschaftsmodellen hat Tradition

Die NEP wiederum wurde 1991 durch die New Development Policy (NDP) abgelöst. Ein Konzept, das gegenüber der NEP eine stärkere gesamtgesellschaftliche Entwicklung betonte, und damit die wirtschaftliche Förderung der Bumiputera zu relativieren versuchte. Trotz der Umbenennung wurde jedoch ein Großteil der alten Agenda der NEP weiter beibehalten. Gleichzeitig wurde unter der Regierung von Tun Dr. Mahathir das Modell der Vision 2020, das Malaysia bis 2020 in Augenhöhe mit den Industriestaaten befördern soll, zum staatlichen Großprojekt und Leitsatz für die nächsten Jahrzehnte bestimmt. Ein Ansatz, der auch bei der derzeitigen Regierung weiterhin höchste Priorität genießt.

Im März 2010 schließlich stellte der amtierende Premierminister Najib sein New Economic Model (NEM) vor. Dieses knüpft unmittelbar an der Zielsetzung der Vision 2020 an und sieht bis 2020 Malaysias vollständige Transformation in ein industrialisiertes Land vor. Durch die Vorstellung des 10. Malayasia-Plan im Juni 2010, dessen Entwicklungsziele ab 1. Januar 2011 für fünf Jahre gelten sollen, wurde das NEM weiter konkretisiert und ergänzt.

Das vom National Economic Advisory Council erarbeitete NEM baut auf drei Säulen auf: Verfolgt wird das Ziel eines Hocheinkommenslandes, zudem soll das Prinzip der Nachhaltigkeit umgesetzt und die Einbeziehung aller ethnischen Volksgruppen in Malaysia vorangetrieben werden. Auf der Grundlage eines Economic Transformation Programme (ETP), werden acht konkrete Strategic Reform Initiatives (SRI) definiert: Liberalisierungsmaßnahmen, die eine Belebung des Privatsektors vorsehen, Förderung einer wettbewerbsfähigen Binnenwirtschaft und die Forcierung des Wirtschaftswachstums im Allgemeinen.

Mit der Formulierung dieser und weiterer fünf SRIs wird deutlich, dass die Regierung der sich verändernden Rahmenbedingungen wohl bewusst ist. Sie gesteht ein, dass der Staat und die öffentlichen Unternehmen in einigen Industriesektoren private Investoren verdrängt haben, und erkennt die stellenweise zu hohe Bürokratisierung als Investitionshemmnis an. Angesprochen werden zudem der dramatisch steigende Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und die notwendige Förderung von Ausbildungsprogrammen. Auch die ungleiche Behandlung der unterschiedlichen Volksgruppen wird als Problem bestätigt. Das Versprechen, dass alle Einwohner Malaysias die gleichen Chancen erhalten und konkret 40 Prozent aller Haushalte, sprich die Gruppe der Geringverdiener, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft eine besondere Förderung erhalten sollen, wurde von Premierminister Najib bei der Vorstellung des NEM in besonderer Weise hervorgehoben. „Affirmative action will consider all ethnic groups equally as long as they qualify for access to resources under affirmative action.” Eine zumindest stellenweise Aufhebung fest vorgeschriebener Quoten, in der Regel 30 Prozent, welche bis heute die Bumiputera insbesondere im Wirtschaftsbereich bevorzugen, soll eingeleitet werden.

Neuformulierung alter Themen ist kein neues Konzept

Die konkrete Umsetzung dieser Ansätze findet sich im 10. Malaysia-Plan, der in den nächsten fünf Jahren ein jährliches Wirtschaftswachstum von 6% prognostiziert. Das verfügbare Einkommen soll, ausgehend von einem geschätzten Pro-Kopf-Einkommen von 7.558 US$ im Jahr 2010“, auf mindestens 12.471 US$ pro Einwohner im Jahr 2015 steigen. Es soll zudem in Infrastruktur und Zukunftstechnologien investiert werden. Vergeblich sucht man jedoch sowohl Ansätze zur Abschaffung gesetzlich vorgeschriebener Quoten der Bumiputera als auch konkrete Umsetzungsstrategien zur Gleichstellung aller ethnischen Gruppen. Vermisst werden zudem konkrete Liberalisierungsansätze sowie die Problemanalyse zu fehlenden Steuereinnahmen.

Eine bloße Neuformulierung der Schwierigkeiten, mit denen das Land seit Jahrzehnten zu kämpfen hat, stellt damit kein neues Konzept dar. Die Betonung der Gleichbehandlung aller ethnischen Gruppen, die Forcierung des Wirtschaftswachstums sowie die Forderung nach besserer Bildung sind keine neuen Ansätze, die erst mit dem Amtsantritt Najibs adressiert wurden. Es sind vielmehr Themen, die von anderen Regierungen immer wieder aufgegriffen wurden, wie eingangs beschrieben, jedoch ohne weitere Ergebnisse meist wieder fallen gelassen wurden. Heute, anders als früher, besteht jedoch die dringende Notwendigkeit zum Handeln.

Angesichts bevorstehender Wahlen spätestens im Jahr 2013 muss Premierminister Najib allerdings vor allem die Stammwähler der UMNO im Auge behalten. Insbesondere die ältere Generation beharrt auf ihren fest verankerten Privilegien. Nicht nur die Gleichbehandlung aller Ethnien sondern auch eine weitreichende Liberalisierung der Wirtschaft, worunter auch die Freigabe der Regierung sowohl des Öl- als auch Gassektors fällt, sind sensible Bereiche, die insbesondere mit dem konservativen Flügel der UMNO unvereinbar sind. Davon zeugt auch die Neugründung der Pertubuhan Pribumi Perkasa (PERSKASA), einer Organisation, welche die Rechte der Malaiien verteidigt. „Pressure groups such as Perkasa – the Malay word for warrior – have angrily protested that Malays as a group remain significantly less well off than the Chinese and Indian Malaysians who make up the rest of the population.” Andererseits muss aufgrund der gravierenden Einbussen bei der letzten Parlamentswahl und der sich im Land spürbar verändernden politischen Stimmung, die Parteiführung der UMNO auch Themen ansprechen, die sowohl für die jüngere Wählergeneration (z.B. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit) wichtiger werden, als auch neue potenzielle Wähler interessieren. Momentan scheinen hierbei jedoch erhebliche Mängel zu bestehen.

Das Economic Transformation Programme (ETP) wird nicht nur von der Opposition sondern auch von der Öffentlichkeit und vor allem von Wirtschafts- und Investorenkreisen als unvollständige und lückenhafte Ausarbeitung kritisiert. Das ETP, das die Grundlage des NEM bildet, liest sich zumindest stellenweise wie abgeschriebene Passagen aus einem Lehrbuch.

Frage nach Durchführbarkeit bleibt derzeit noch offen

Auf dem Economic Transformation Programme Open Day am 21.09.10 wurden zahlreiche Projekte vorgestellt, die den Eindruck erwecken, ohne jeglichen Bezug zur Realität im Land konzipiert worden zu sein. Bereits die Frage nach der Durchführbarkeit der meisten Projekte ist derzeit noch völlig offen. Etwa der Bau des MRT (Mass Rapid Transit), eines 141 km langen U-Bahn-Streckennetzes im Großraum Kuala Lumpur, das 43 Milliarden Ringgit, ca. 14 Milliarden US$ kosten soll. Noch ist nicht einmal geklärt, wie genau die Finanzierung des Megaprojektes erfolgen soll, es bleibt zudem fraglich, ob in den nächsten Jahren überhaupt mit dem Bau begonnen werden kann. Andere geplante Projekte sind etwa der Bau einer 7 Kilometer langen überdachten Einkaufsstraße im Zentrum Kuala Lumpurs und der Bau eines Casinos in Sabah, deren Notwendigkeit mehr als fraglich erscheinen.

Die staatliche Koordinierungsbehörde des NEP, PEMANDU (Performance Management and Delivery Unit) berechnet, dass sich die Investitionen in den nächsten 10 Jahren auf insgesamt 444 Milliarden US$ belaufen werden, von denen 60% aus dem privaten Sektor, 32% aus regierungsnahen Unternehmen und 8% aus öffentlichen Mitteln stammen sollen. Es könnten dabei etwa 3,3 Millionen neue Arbeitsplätze, vorrangig in den höheren Einkommensklassen, entstehen; diese Zahlen würden jedoch bei weitem die bisherigen jährlichen Werte übersteigen. Wie die insgesamt 444 Milliarden US$ an Investitionen zustande kommen sollen, wurde noch nicht offen gelegt.

Kritik kommt sowohl von Finanzexperten als auch von der Opposition. Insbesondere im Hinblick auf frühere Großprojekte wird darauf hingewiesen, dass die Kosten nicht selten unterschätzt worden sind. Zudem führte korruptes Verhalten immer wieder zu negativen Bilanzen. Ob die Regierung Anreiz- oder Absicherungsprogramme zur Förderung von Investitionen herausarbeiten wird, ist ungewiss. Fest steht nur, dass detaillierte Konzepte und Ansätze vorgelegt werden müssen, um die Attraktivität für potentielle Investoren zu erhöhen. Kritisch betrachtet wird zudem die geografische Verteilung der Projekte, wie etwa die Tatsache, dass sowohl Selangor als auch Penang, die von der Opposition regiert werden, keine nennenswerte Berücksichtigung bei der Verteilung der Großprojekte finden.

Premierminister Najib selbst stellt sich der Kritik zum NEM mit vagen Formulierungen: „The most important enablers of the NEM are political will and leadership needed to break the logjam of resistance and preparing the rakyat (people) to support deep seated changes in policy directions. With these enablers in place, a ‘big push’ in policy actions and initiatives is needed to kick start the transformation process.”

“Luftschlösser” bauen gegen die Gesellschaft und Zeit

Die ständige Wiederholungen der „neuen“ Allzweckwaffen NEM, ETP, 10. Malaysia-Plan zur Steigerung der Wirtschaftsleistung deuten bislang vielmehr auf Versuche der Regierung hin, die Bevölkerung mit „Luftschlössern“ zu versorgen. Zumal mehr als zweifelhaft ist, ob eine umfassende Überarbeitung der Wirtschaftspolitik gegen die stark beharrenden Kräfte überhaupt durchsetzbar sein wird. Wenige Monate nach der Vorstellung des 10. Malaysia-Plans jedenfalls scheint sich Premierminister Najib auf den internen Druck seiner Partei von den ursprünglich ambitionierten Zielen, die er nach seiner Wahl verkündet hatte, langsam verabschieden zu müssen.

Es hat sich während der letzten Jahrzehnte in Malaysia eine ganz eigene Gesellschaftskultur herausgebildet. Sie erschwert heute wie auch früher die Entwicklung des Landes. Aber nicht nur die noch heute vorherrschende Ungleichbehandlung der Bürger, sondern Staatsdirigismus, Korruption und Bürokratismus verlangsamen die Transformation des Landes. Der regulierende Staat, der bis heute Monopolstellungen in einigen strategisch wichtigen Sektoren hat, unterbindet bislang weitere Investitionen, die sowohl für ausländische als auch einheimische Investoren attraktiv wären. So werden Premierminister Najibs Vorstellungen nicht ohne das Aufbrechen der malaiischen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Kultur umgesetzt werden können. Dennoch, Malaysia kann diese Themen nicht wie gewohnt einfach weiter aussitzen, will das Land sich im internationalen Wettbewerb auch zukünftig behaupten. Die Zeit drängt, und Malaysia sollte handeln.

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