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Länderberichte

Instabile politische Situation im Kosovo

Das Kosovo-Sondertribunal bestätigt die wichtigsten Anklagen

Am 5. November trat Hashim Thaçi, der Präsident der Republik Kosovo und ehemaliger politischer Kopf der UÇK (Kosovarische Befreiungsarmee), nach Bestätigung seiner Anklage vor dem Kosovo-Sondertribunal in Den Haag, von seinem Amt als Staatspräsident zurück. In einer Pressekonferenz erklärte Thaçi, er lege sein Amt als Präsident zur Wahrung der Integrität des Kosovo nieder und werde sich nach Den Haag begeben. Wenige Stunden zuvor hatte Kadri Veseli, Vorsitzender der PDK (Demokratische Partei Kosovo, drittstärkste Partei bei den Wahlen 2019), ehemaliger Präsident des Parlaments und während des Krieges Chef des kosovarischen Geheimdienstes, erklärt, dass auch die Anklage gegen ihn in Den Haag bestätigt worden sei und dass er sich freiwillig dem Sondertribunal stellen werde.

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Bereits am 4. November wurde, nach Bestätigung der Anklage, Jakup Krasniqi, ehemaliger Sprecher der Kosovo-Befreiungsarmee und ehemaliger Präsident des kosovarischen Parlaments sowie eine der Hauptfiguren der NISMA-Partei, in einer Aufsehen erregenden Aktion verhaftet. Am selben Tag gab Rexhep Selimi, Vorstandsmitglied der Partei Vetëvendosje (VV, stärkste Partei bei den Wahlen 2019) und Parlamentsabgeordneter bekannt, dass seine Anklage ebenfalls bestätigt worden sei. Alle Angeklagten bestätigten, dass sie die Haager Beschlüsse respektieren und sich freiwillig in die Hände des Kosovo-Sondertribunals begeben würden.

Hashim Thaçi und Kadri Veseli werden
eine ganze Reihe von Taten zur Last gelegt: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, darunter Mord, gewaltsame Entführung, Verfolgung und Folter, wie die Sonderstaatsanwaltschaft bereits Ende Juni 2020 mitteilte.

Aus rechtlicher Sicht wird es ausschlaggebend sein, ob es im Verfahren gelingt, den Angeklagten eine Mitschuld an den von anderen begangenen Taten nachzuweisen.

Besonderheiten des Kosovo-Sondertribunals

Das im niederländischen Den Haag ansässige Kosovo-Sondertribunal und die Sonderstaatsanwaltschaft wurden gemäß einem vom kosovarischen Parlament ratifizierten internationalen Abkommen, durch Verfassungsänderung und das „Gesetz zum Kosovo-Sondertribunal und Sonderstaatsanwaltschaft“ eingerichtet.

Diese Einrichtungen der Justiz sind vorübergehender Natur und haben nur eine begrenzte Gerichtsbarkeit, mit Zuständigkeit speziell für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und andere Verbrechen nach dem kosovarischen Recht, die zwischen dem 1. Januar 1998 und dem 31. Dezember 2000 von oder gegen Bürger des Kosovo oder der Bundesrepublik Jugoslawien begangen wurden. Dieses Sondertribunal ist aber kein internationales Gericht, sondern gehört zum nationalen Gerichtssystems des Kosovo. Daher ist es eine Besonderheit, dass der Sitz der Institutionen sich nicht im Kosovo, sondern in Den Haag, Niederlande, befindet. Dies soll insbesondere dem Zeugenschutz dienen. Auch das Justiz-Personal ist international, ebenso wie die Richter (darunter sind auch mehrere Deutsche), der Sonderstaatsanwalt und der Registrator.

Dieses Gericht beschäftigt sich nur mit Einzelpersonen und Fällen individueller Verantwortung. Es werden Menschen für Verbrechen verantwortlich gemacht, die sie als Einzelne begangen haben, nicht als Vertreter einer Gruppe, einer Gemeinschaft oder einer Ethnie. Es geht nur um individuelle Taten. Das heißt aber nicht, dass das Gericht nur einen einzigen Täter für eine bestimmte Tat verantwortlich machen kann. Das kann auch jemand sein, der die Tat geplant oder zur Tat angestiftet hat. Es könnte ein Vorgesetzter sein, der ein Verbrechen nicht verhindert oder den Verantwortlichen anschließend nicht bestraft hat.

Grundlage für die Schaffung des Kosovo Sondertribunals in Den Haag war der Bericht des Sonderberichterstatters Dick Marty, den der Europarat Anfang 2011 angenommen hat. Darin betont der Schweizer Ex-Staatsanwalt, dass es Verbrechen der serbischen Militärs und Polizei im Kosovo gegeben hat, diese seien bereits gut dokumentiert. Marty nannte in seinem Bericht namentlich mehrere hohe Ex-UCK Vertreter im Zusammenhang mit mutmaßlichen Verbrechen.

Die kosovarischen Behörden haben mit der EU die Modalitäten für den Umgang mit diesen schwerwiegenden Vorwürfen vereinbart. Am 3. August 2015 verabschiedete das kosovarische Parlament nach dem Briefwechsel zwischen der Präsidentin des Kosovo (damals noch nicht Thaçi, sondern seine Amtsvorgängerin Atifete Jahjaga, die von der LDK für das Amt vorgeschlagen wurde) und dem Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik Artikel 162 der Verfassung des Kosovo und das Gesetz über die Kammern des Sondergerichts und die Sonderstaatsanwaltschaft. Die Sondergerichtskammern sind jeder Ebene des Gerichtssystems im Kosovo zugeordnet - dem Grundgericht, dem Berufungsgericht, dem Obersten Gerichtshof und dem Verfassungsgericht. Es gibt also eine Gerichtskammer der ersten Instanz, eine Berufungskammer, eine Kammer des Obersten Gerichtshofs und eine Kammer des Verfassungsgerichts. Die Kammer am Grundgericht besteht aus drei Richtern und einem Reserve-Richter, während die Kammern an dem Berufungsgericht, Obersten Gerichtshof und Verfassungsgericht jeweils mit drei Richtern besetzt sind.

Alle Kammern funktionieren gemäß den einschlägigen Gesetzen des Kosovo sowie dem Völkergewohnheitsrecht und den internationalen Menschenrechtsstandards.  

Die aktuellen Entwicklungen

Die aktuellen Entwicklungen erzeugten Unsicherheit und Spannung in Politik und Öffentlichkeit des Kosovo. Die Argumentation, dass „das Gericht einseitig und politisch sei“ und dass „die Opfer zu Unrecht mit den Angreifern gleichgesetzt werden“, sind unüberhörbar und in politischen Kreisen weit verbreitet. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwierig vorherzusehen, wieviel Spannungen diese Situation in der kosovarischen Gesellschaft erzeugen wird, stehen sich doch Anhänger und Gegner der UCK unversöhnlich gegenüber. Besonders groß sind die Herausforderungen für die bestehende Regierungskoalition. So hat die AAK, die zweitgrößte Partei in der Regierungskoalition, auf einer außerordentlichen Sitzung unter anderem die Beendigung der Verhandlungen mit Serbien gefordert, bis die politische Situation im Kosovo und insbesondere die Neuwahl des Präsidenten geklärt sei. Bemerkenswert ist die große Solidarität mit den Angeklagten in den sozialen Medien, obwohl große Teile der Bevölkerung, ihnen nicht mehr folgen.

Der Rücktritt von Präsident Thaçi hat dazu geführt, dass Parlamentspräsidentin Vjosa Osmani die Aufgaben des Staatspräsidenten übernommen hat. Gemäß der Verfassung des Kosovo geht in solchen Fällen das Amt des Staatspräsidenten automatisch auf den Parlamentspräsidenten über. Bis zu sechs Monaten lässt die Verfassung diese Situation zu, dann muss vom Parlament ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden.

Die Wahl des Präsidenten der Republik Kosovo bleibt eine Herausforderung, da diesbezüglich keine Einigung zwischen den Regierungsparteien herrscht und unter den gegenwärtigen Umständen kaum erreichbar zu sein scheint. Die AAK besteht darauf, dass der Parteivorsitzende Ramush Haradinaj zum Präsidenten gewählt werden soll, während die LDK diesem Vorschlag skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Haradinaj selbst hatte sich wegen der Anklage von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien verantworten müssen, war jedoch 2012 in einem Aufsehen erregenden Urteil von allen Anklagepunkten freigesprochen worden.

Um jedoch überhaupt die Wahl eines Präsidenten zu erreichen, muss mit einer der Oppositionsparteien (VV oder PDK) eine Einigung erzielt werden, um das notwendige Quorum von 2/3 der Stimmen im Parlament zu erreichen. Dabei scheint eine (jedoch unerwünschte) Einigung mit der PDK leichter erreichbar, aber auch nur mit der Zustimmung der AAK, die der PDK ablehnend gegenübersteht. Sollte es zu keiner Einigung der Regierungskoalition mit einer der beiden genannten Oppositionsparteien kommen, stehen Neuwahlen zu erwarten, die nach allgemeiner Einschätzung von der VV mit ihrem Vorsitzenden Albin Kurti gewonnen werden dürften. Diese Partei ist als einzige wirkliche Oppositionspartei in einer günstigen Position, da sie als nicht Teil des alten politischen Systems angesehen wird.

Die politische Situation im Kosovo ist einmal mehr instabil, auch vor dem Hintergrund der Wahlergebnisse in den USA, die im Kosovo traditionell einen starken Einfluss haben. Auch Belgrad wünscht sich einen starken Verhandlungspartner, der in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, um den von der EU geführten Belgrad-Pristina Dialog weiter voran zu treiben. Sicher ist, dass die politischen Entwicklungen im Kosovo eine sehr gefährliche Richtung eingeschlagen haben.

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reuters/Hazir Reka
29. Mai 2020
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