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Veranstaltungsberichte

Demografischer Wandel und die Zukunft der Demokratie

6. Demokratiekongress der Konrad-Adenauer-Stiftung (Magdeburg, 28. Oktober 2015)

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Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf die Demokratie hat und welche Lösungsansätze gibt es? Wie wird unser Gemeinwesen künftig gestaltet? Wie können wir unsere politische Ordnung entwickeln, um die Herausforderungen einer alternden und zugleich schrumpfenden Gesellschaft zu meistern? Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf politische Organisationen wie Parteien oder Bürgerbewegungen sowie auf die Wahlsysteme und letztlich auf die Wahlen aus? Wie sichert die Demokratie ihre Zukunft?

Diese Fragen standen im Mittelpunkt des 6. Demokratiekongresses der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Jährlich richtet die Stiftung einen Kongress dieser Reihe aus – 2015 erstmals in Magdeburg. Unter dem Titel „Demografischer Wandel und die Zukunft der Demokratie“ waren Gäste aus ganz Sachsen-Anhalt sowie aus mehreren umliegenden Bundesländern nach Magdeburg gereist, darunter Unternehmer, Pädagogen, Kommunalpolitiker sowie Vertreter der Wissenschaft, der Veraltung oder der Kirchen. Gemeinsam debattierten sie – moderiert vom früheren „Volksstimme“-Chefredakteur Dr. Franz Kadell (Regierungssprecher a.D.) – über die Auswirkungen des demografischen Wandels auf unser Gemeinwesen.

Nach Begrüßung durch Alexandra Mehnert, Leiterin des Politischen Bildungsforums Sachsen-Anhalt der Konrad-Adenauer-Stiftung, ergriff Michael Thielen das Wort, der seit 2008 als Generalsekretär der Stiftung wirkt. Thielen erinnerte an den Grundimpuls zur Gründung der Konrad-Adenauer-Stiftung, einen Beitrag zum Aufbau und schließlich zur Festigung der Demokratie zu leisten. Hierbei bezog er sich auf ein Zitat des Namensgebers der Stiftung, denn Dr. Konrad Adenauer selbst hatte einst postuliert: „Demokratie muss gelebt werden.“ Heute allerdings herrschen Klagen über die Demokratie in weiten Teilen der Bevölkerung – zwar gebe ein einerseits großes ehrenamtliches Engagement und Bereitschaft, an Initiativen mitzuwirken; andererseits ist bei den meisten Wahlen eine sinkende Beteiligung zu konstatieren. Zudem sei die Demokratie in vielen Ländern durch autoritäre Parteien unter Druck und es zeigt sich, dass demokratische Systeme nicht in Stein gemeißelt sind, sondern sich ständig verändern müssen.

Durch den demografischen Wandel wird die ganze Gesellschaft älter, doch ergibt sich damit auch die Chance, dass sich Menschen über den Ruhestand hinaus für die Demokratie engagieren können. Alterungsprozesse durchlaufen freilich auch Parteien und Bürgerinitiativen, so dass für diese große Reformanstrengungen nötig sind, um auch für jüngere Menschen attraktiv zu bleiben. Thielen betonte zudem, dass Deutschland aufgrund der Aufnahme vieler Flüchtlinge vor der großen Herausforderung steht, diese in die Demokratie zu integrieren und schließlich auch zu ermöglichen, dass sie in unserer sich verändernden Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Sachsen-Anhalt nimmt die Herausforderungen des demografischen Wandels an und stellt sein Engagement auf institutionelle Füße: Bereits 2008 wurde eine Expertenplattform demografischer Wandel aufgebaut. 2010 berief das Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr den Demografie-Beirat zur Beratung und Unterstützung des Landesregierung und am 21. September 2011 entstand auf dessen Initiative eine Demografie-Allianz für Sachsen-Anhalt.

Mit Thomas Webel hielt der Minister für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt den ersten zweier Fachvorträge. Webel schloss an seinen Vorredner an und zeigte am Beispiel seines Bundeslandes den Rückgang der Wahlbeteiligung an: Stimmten bei der Landtagswahl 1990 noch 65,1 Prozent der Wahlberechtigten ab, so waren es 2011 nur noch 51,2 Prozent, bei der Europawahl 2014 gar nur 43 Prozent. Sind Nichtwähler zufrieden mit ihrem Leben, zu bequem am Wahltag oder verdrossen über die Politik? Webel zeigte sechs diskutierte Optionen auf, wie die Wahlbeteiligung wachsen könnte: (1) Mehr Vertrauen in die Politik gewinnen, (2) Volksabstimmungen bei zentralen Themen durchführen, (3) elektronisches Wählen per Mausklick zulassen, (4) ein Feld zur Enthaltung auf dem Wahlzettel schaffen, (5) barrierefreie Wahllokale zu fördern sowie (6) die Stimmabgabe über mehrere Tage ermöglichen.

Hinsichtlich des demografischen Wandels zeigte Webel auf, dass ältere Menschen einen größeren Einfluss auf die Wahl haben als jüngere. So sei bei der Bundestagswahl 2013 die Wahlbeteiligung mit dem Alter gestiegen – die Gruppe der über 70jährigen waren dabei erstmals überdurchschnittlich vertreten. Ältere Menschen hätten eine höhere Bildung zu Parteien oder Gewerkschaften als jüngere und zudem eine höhere Wahlnorm. Aber hat dies auch Auswirkungen auf die konkrete Politik? Nehmen die Vertreter der älteren Menschen nur die Interessen älterer wahr oder engagieren sie sich für alle Altersgruppen? Eindeutig sei letzteres der Fall.

Mit Blick auf sein Bundesland zeigte der Minister schließlich auf, wie stark Sachsen-Anhalt bereits heute vom demografischen Wandel betroffen ist: Das Land habe seit seiner Neugründung im Jahr 1990 mehr als 600.000 Menschen verloren – sei es durch Abwanderung oder durch die niedrige Geburtenrate. Lediglich die Großstädte Magdeburg und Halle können einen positiven Wanderungssaldo aufweisen. Fachkräftemangel sei in vielen Bereichen bereits zu spüren. Einwanderung spielte bislang eine untergeordnete Rolle, jedoch gebe es im Land eine Willkommenskultur, gute Verwaltung sowie die Bereitschaft zur Integration. Bei Flüchtlingen seien die Berufsabschlüsse anzuerkennen und der Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, auch mittels Sprachkursen und Qualifizierungsmaßnahmen.

Hinsichtlich der Jugend verwies Webel auf die letzten „Shell-Studien“: Gemäß der vorletzten Ergebnisse habe es sich bei vielen Jugendlichen um „Ego-Taktiker“ gehandelt, die sich nur für jenes interessieren, was ihnen selbst nützt. Gemäß der letzten Studie hingegen sei die Jugend „im Aufbruch“ und zeige deutlich größeres Interesse für Politik und das Weltgeschehen. Dies manifestiere sich im konkreten Engagement, etwa im Boykott bestimmter Waren, bei Online-Petitionen, Teilnahme an Demonstrationen oder Mitwirkung in Bürgerinitiativen. Es gelte, so Webel, neue Wege für Jugendliche zu schaffen, um ihr Engagement zu stärken, etwa mittels Kommunikation im Internet und über soziale Netzwerke. Der Minister verwies auf das bereits abgeschlossene EU-Projekt YURA (Perspektiven der Jugend im demografischen Wandel) oder das Projekt „WOMEN“, um gut ausgebildeten jungen Frauen eine Perspektive im Land zu geben. Daneben seien die Unternehmen Sachsen-Anhalts in der Verantwortung, um den Fachkräftemangel entgegenzuwirken. So bleiben auch junge Menschen im Land und können sich auch langfristig für die Demokratie engagieren, denn „Engagement braucht Partizipation – Partizipation schafft Engagement“

Die Wissenschaftlerin Dr. Nora E. Sánchez Gassen forscht über die künftigen Wähler in Deutschland und hat – vor dem Hintergrund des demografischen Wandels – dazu ihre Dissertation verfasst. Derzeit ist sie an der University of Amsterdam tätig und war als Fachreferentin nach Magdeburg gereist. Sánchez Gassen erinnerte zunächst an Schlagzeilen, die vor einer „Diktatur der Rentner“ warnten oder Panik vor „Wutrentnern“ verbreiteten. Tatsächlich wird Berechnungen zufolge das Medianalter der Wähler steigen – also das Durchschnittsalter aller wahlberechtigten Menschen. So wird die Gruppe der über 65jährigen von 26 Prozent (2010) auf 35 Prozent (2030) wachsen, die Anteile jüngerer Wähler hingegen sinken. Um dem entgegenzuwirken, wird diskutiert, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken oder ganz abzuschaffen, so dass Kinder bereits mit ihrer Geburt wahlberechtig seien. Tatsächlich würde aber nur durch letztgenannte Maßnahme das Medienalter signifikant sinken und auch der Anteil der über 65jährigen ginge zurück. Die eingangs prophezeiten „Rentnerdiktaturen“ würden – so die Wissenschaftlerin – keineswegs eintreffen, denn die Interessen der unterschiedlichen Generationen lägen nicht so weit auseinander.

Als zweiten Punkt mit Blick auf die künftigen Wähler in Deutschland griff Sánchez Gassen die Frage auf, welchen Einfluss mehr Wähler mit ausländischen Wurzeln in Deutschland hätten – sei es aufgrund von Einbürgerungen oder per Wahlrecht für Ausländer. Der Ausländeranteil in Deutschland wird steigen – nicht nur durch die Zuwanderung von Flüchtlingen, auch aufgrund von Arbeitsmigration, Fachkräftezuzug usw. Allerdings haben nur wenige Ausländer auch ein Wahlrecht. Um dies zu verbessern, sei die Erleichterung von Einbürgerungsverfahren nötig, ebenso die Verwirklichung von Idee, Ausländern nach einer gewissen Zeit in Deutschland (z.B. 5 Jahre) das Wahlrecht zu übertragen.

Würde der Anteil von Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund steigen, hätte dies aber nur geringe Auswirkungen auf die Wahlergebnisse demokratischer Parteien, denn die meisten profitieren davon: So wählen Untersuchungen zufolge bereits jetzt Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund häufiger SPD oder B90/Grüne, während Deutsche mit osteuropäischem Hintergrund häufiger für die CDU/CSU votieren. Insgesamt lasse sich, so Sánchez Gassen, mit Blick auf die künftigen Wähler zusammenfassen: der Anteil der älteren Wahlberechtigten wird steigen, der Anteil ausländischer Menschen wird steigen und keine Partei wäre wohl eindeutige „Gewinnerin“ des demographischen Wandels.

Die am Vormittag angesprochenen Themen wurden in drei Foren am Nachmittag vertieft und aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert. Am von Maik Scholkowsky moderierten Forum 1 (Demografischer Wandel im städtischen und im ländlichen Raum) wirkten Staatssekretärin Anne-Marie Keding (Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt), Dr. Günter Dill (Konrad-Adenauer-Stiftung und langjähriger Berater beim Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern) sowie Dieter Klein (Vorsitzender Demografiebeirat) als Referenten und Gesprächspartner mit. Die Referenten bekundeten, dass der demografische Wandel nicht umkehrbar sei und dass es solche Phänomene schon oft gegeben habe – etwa aufgrund von Hungersnöten oder Krieges. Neu sei hingegen seine Kalkulierbarkeit. Die mit den Veränderungen auftretenden Probleme seien nicht mit Geld zu lösen, sondern mit Engagement, etwa durch Bürger oder Gemeinden. Es sei zu analysieren, was vor Ort vorhanden sei (z.B. Bildungs-, Kultur- oder Sporteinrichtungen) und welche Möglichkeiten zur Abstimmung und Vernetzung es gebe. Dies gelte auch für Bereiche wie Medizin oder Pflege.

Vom demografischen Wandel seien Unternehmen insofern betroffen, als dass sie erschwert Auszubildende und Fachkräfte finden. Zwar wandern viele junge Menschen aus Sachsen-Anhalt ab. Aber sie müssen Erfahrungen sammeln, um später in ihr Heimatland zurückzukehren und dieses mitzugestalten. Zudem sei es wichtig, Studierende für unser Land zu begeistern, um hochqualifizierte Menschen für Sachsen-Anhalt zu gewinnen. Angesichts günstiger Preise und Mieten gebe es zahlreiche Vorteile.

Forum 2 unter Moderation von Prof. Dr. André Göbel (Hochschule Harz) stand unter dem Titel „Demografischer Wandel und politische Strukturen“. Als Referenten beteiligten sich Prof. Dr. Reinhold Sackmann (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Prof. Dr. Jürgen Wolf (Hochschule Magdeburg-Stendal) sowie Heinz-Lothar Theel (Landkreistag Sachsen-Anhalt) an diesem Panel. Ähnlich wie im Forum 1 standen auch hier Beispiele bürgerschaftlichen Engagements im Blickpunkt, etwa die Neuinitiierung einer Schule in der Altmark, da die staatliche Schule dort geschlossen wurde, oder die Förderung lokaler Initiativen zur Identitätsfindung von Bürgern in neu entstandenen Kommunen (z.B. Tag der Vereine, Jugendarbeit, Zuwanderungsfeste). Projekte seien nachhaltig zu gestalten und die tatsächliche Wirkung im Blick zu halten. Es komme auf die Instrument der Gestaltung an!

Zwischen alten und jungen Menschen gebe es keine neue Schere, aber die Präferenzen der älteren Menschen seien oft davon abhängig, ob sie selbst Kinder/Enkel haben und sich für deren Probleme/Themen interessieren. Das Wissen und das Engagement der Älteren sei zu nutzen, damit das ganze Gemeinwohl davon profitiert. Freilich seien vom demografischen Wandel viele Kommunen insofern betroffen, als dass Steuereinnahmen sinken und es auch zu Personalabbau kommt. Viele Aufgaben müssen die Kommunen aber auch weiterhin wahrnehmen, etwa Kinderbetreuung, Schulversorgung, ÖPNV – oder auch Bereiche wie Wasserver- bzw. Entsorgung Abfallentsorgung, Ausstellung von Ausweisen oder KfZ-Zulassung. Entsprechende Ämter müssen auch künftig in der Fläche erreichbar sein. Die kommunale Selbstverwaltung sei dabei die beste Variante, um auf den demografischen Wandel zu reagieren.

Bei Forum 3 (Moderation: Tino Grosche) stand schließlich „Demografischer Wandel als Herausforderung für Parteien/Bürgerinitiativen und die Auswirkungen auf Wähler, Wahlen und Wahlsysteme“ im Blickpunkt. Hier referierten neben Dr. Nora E. Sanchéz Gassen Staatssekretärin a.D. Carmen Niebergall (Landesgeschäftsführerin des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft), Dr. Franz Kadell sowie Wilfried Köhler (Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt). Die Mitwirkenden stimmten auch hier der bereits mehrfach getätigten Aussage zu, dass die Generationen nicht gegeneinander ausspielbar seien, denn schließlich denken die Alten an die Interessen der Kinder /Enkel, die wiederum an die Interessen der Eltern/Großeltern. Parteien müssen attraktiver werden, um verstärkt junge Leute anzusprechen. Auch gelte es, nicht allzu lange an bestimmten Posten festzuhalten. Insgesamt treffe das vielen historischen Persönlichkeiten (Churchill, Twain, Tucholsky …) zugeschriebene Zitat zu, dass Prognosen äußerst schwierig seien, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Doch mit Engagement, mit konkreten Berechnungen und mit Debatten wie beim Demokratiekongress der Konrad-Adenauer-Stiftung in Magdeburg ist diese Zukunft mitzugestalten.

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Alexandra Mehnert

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Landesbeauftragte und Leiterin Politisches Bildungsforum Sachsen-Anhalt

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