20 Jahre Friedliche Revolution - Literarische Blicke auf den Umbruch! - Politisches Bildungsforum Sachsen
Vortrag
Details
Vier literarische Neuerscheinungen werden vorgestellt, besprochen und diskutiert, wobei die Perspektive weniger literaturwissenschaftlich als literaturkritisch sein soll.
Die Veranstaltung orientiert sich am bekannten "Literarischen Quartett" mit Marcel Reich-Ranicki, will aber weder Kopie noch Satire sein.
Julia Schoch: Mit der Geschwindigkeit des Sommers. Piper-Verlag 2009.
Die so bewegende wie einsichtsvolle Geschichte einer rätselhaften Frau: Nuanciert und mitreißend erzählt Julia Schoch vom Untergang der DDR und dem Ende aller Träume mit der Erfüllung des Wunsches nach Freiheit.
Vor allem die Frauen waren übermütig, ihre Gesichter leuchteten, und ihr Lachen hörte man die ganze Nacht hindurch. Als hätte ihnen nun der Lauf der Geschichte, die Auflösung unseres Staates, ein Argument für ein eigenes Leben gegeben. Meine Schwester aber, die in der Abgeschiedenheit der Kiefernwälder und des Stettiner Haffs von der Freiheit geträumt hatte, hatte noch nichts, das sich zu verlassen lohnte. Nur die Familie, den Ehemann. Aber sie blieb, traf sich wieder mit ihrem alten Liebhaber und gab sich fast schwärmerisch der verlockenden Vorstellung hin, dass in diesem anderen Staat ein anderer Lebenslauf für sie bereitgestanden hätte. Wäre ich aufmerksamer gewesen, hätte ich ihre verhängnisvolle Entscheidung vielleicht rückgängig machen können.
Katrin Steglitz: Der Bienenkönig. Weissbooks 2009.
1989, die Mauer fällt – aber die Brüder Richard und Walter, der eine im Westen, der andere im Osten, können nicht zueinander finden. Zu verschieden sind die Befindlichkeiten und Denkweisen, zu unterschiedlich die Wunden, die ihnen zugefügt wurden.
Zeugin des Bruderzwists ist die Erzählerin - Kornelia, Richards Tochter. Sie erinnert sich an Onkel Walters Bienenhaus im Osten, an Episoden ihrer Kindheit, an Besuche, an Gespräche und, mehr noch, an heikle Themen, über die in der Familie geschwiegen wurde. Und erzählt eine so wahre wie packende Geschichte, in der nach und nach aufgedeckt wird, wie sich Teilung, Mauerfall und Wiedervereinigung auf die Beziehung zweier Brüder ausgewirkt haben.
Der Bienenkönig ist ein Roman, der wie ein spannendes Geschichtsbuch gelesen werden kann – oder auch wie ein Theaterstück aus unseren Zeiten, in denen es keine Königs-, aber Familiendramen gibt. Der Bienenkönig ist das Debüt von Katrin Steglitz.
Rayk Wieland: Ich schlage vor, dass wir uns küssen. Antje Kunstmann-Verlag 2009.
Herr W. hat eines Tages eine ominöse Einladung in der Post: Auf einer Podiumsdiskussion unbekannter Untergrunddichter soll er Auskunft geben über sein Werk, über die Unterdrückung in der DDR und über seine Erlebnisse als Staatsfeind. Zuerst glaubt er an einen schlechten Scherz. Ist er überhaupt gemeint? Mit der DDR hat er doch längst abgeschlossen, nachdem sie 1989 wie ein falsch montiertes Chemieklo zusammenklappte. War er je als Dichter auffällig geworden? Als unterdrückter gar? W. stellt Nachforschungen an, unterzieht sich bei der Psychologin Tyna Novelli einer Rückführungstherapie in die DDR-Vergangenheit und nimmt schließlich Einsicht in seine Stasi-Akte. Was für ein Fund: Tatsächlich sind hier seine lyrischen Gehversuche unter dem Titel "Mögliche Exekution des Konjunktivs" abgeheftet, dazu sämtliche Liebesbriefe an Liane in München, alles von einem Oberleutnant Schnatz über Jahre akribisch gegengelesen, verwegen gedeutet und als staatszersetzend-konterrevolutionäres Schrifttum eingestuft.
Michael Kraske: Ich bin dann mal drüben: Von einem der auszog den Osten zu lieben. Herder-Verlag 2009.
Er kommt aus dem Westen und landet im deutschen Osten wie auf einem fremden Planeten. Vieles erscheint dem Autor anfangs fremd und ausserdem hat er natürlich die gängigsten Vorurteile über den Osten im Gepäck. Doch dann kommt alles ganz anders: Von Jammerossis keine Spur, dagegen begegnet er den interessantesten Menschen und ihren skurril-tragischen, schönen und verblüffenden Geschichten.
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