Vortrag
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"Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral". Die Industriearbeiter der DDR handelten so, wie es der junge Brecht gedichtet hatte: Sie streikten am 17. Juni 1953 gegen Normerhöhungen und für niedrigere Preise. Das "sozialistische Klassenbewusstsein" war ihnen egal. Für sie zählte an erster Stelle, was in der Lohntüte übrig blieb. Politische Forderungen nach Rücktritt der Regierung und freien Wahlen kamen später hinzu. Der erste Aufstand im Ostblock: Das hatte den angeblich obrigkeitshörigen Deutschen niemand zugetraut.
Der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 demonstrierte die Kluft zwischen Regierung und Regierten in der DDR: Sowjetische Panzer vertrieben Demonstranten, Tausende missliebige Personen verschwanden für lange Zeit hinter Gefängnis-Mauern; die Stasi schuf einen gigantischen Überwachungsstaat. Nur Konsumgüter gab es vorübergehend mehr.
In seinem multimedialen Vortrag zeigt der Geschichtsjournalist Dr. Heiner Wember die Lebenssituationen von Arbeitern in der früheren DDR und zeichnet detailgenau die Situation nach, in der plötzlich der Frust Hunderttausender umschlug in eine spontane politische Streik- und Demonstrationsbewegung. Außerdem beschreibt Dr. Wember, wie der 17. Juni in der Zeit des Kalten Krieges instrumentalisiert wurde: Die DDR machte daraus einen "faschistischen Putschversuch" von Westagenten. In der Bundesrepublik wurde der 17. Juni fortan als "Tag der deutschen Einheit" gefeiert, obwohl die Arbeiter in der DDR zunächst nur für niedrige Normen und sinkende Preise demonstriert hatten. Ein Ausblick auf die politische Wende 1989 zeigt, wie die Ostdeutschen erneut friedlich auf die Straße gingen und ihre Zukunft selber in die Hand nahmen