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Veranstaltungsberichte

Eine „überforderte Behörde“?

Historische und Politische Perspektiven auf die Praxis der Treuhandanstalt

Historiker, Zeitzeugen und Politiker diskutierten bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am 10. Dezember 2019 in Dresden über aktuelle Forschungsergebnisse und die politische Bewertung der Praxis der Treuhandanstalt in den 1990er Jahren. Das Ziel der Veranstaltung war es, „aus Vermutungen und Meinungen Sachverhalte herauszudestillieren“.

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„Im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit wird kein Thema so regelmäßig und kontrovers diskutiert wie die Treuhand“, sagte Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und Präsident des Deutschen Bundestages a.D. bei seiner Begrüßung am Abend der Veranstaltung „Die Treuhand in der Diskussion. Stand und Perspektiven der Forschung“ am 10. Dezember 2019 in Dresden. Das, womit sich die Treuhand beschäftigt, habe unmittelbar in die Lebensrealität der Menschen hineingewirkt. Dies sei der Grund für die besondere emotionale und politische Aufladung des Themas bis heute. Es dränge sich dabei die Vermutung auf, so Lammert, dass sich mit der Debatte über die Treuhand auch Versuche der politischen Vereinnahmung verbinden. Ziel der der gemeinsamen Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit sei es deswegen, „aus Vermutungen und Meinungen Sachverhalte herauszudestillieren“ und sich mit dem Thema nüchtern aber auch kritisch auseinanderzusetzen.

Diesem Gedanken hatten sich in den Stunden zuvor Wissenschaftler, Zeitzeugen und Politiker in drei Themenblöcken gewidmet. Sie diskutierten dabei über das schwierige wirtschaftliche Erbe der DDR, die politische Situation in den 1990er Jahren sowie den aktuellen Forschungsstand zur Treuhand und Möglichkeiten zu dessen Vermittlung. Da mittlerweile große Teile der Treuhand-Akten im Bundesarchiv zur Einsicht freigegeben wurden und mehrere aktuelle Forschungsvorhaben sich dem Thema widmen, sind hier in den nächsten Jahren weitere Erkenntnisse zu erwarten.

Ökonomische Aspekte des Themas standen im Mittelpunkt des ersten Panels „Das Erbe der DDR“. Die Diskussion drehte sich dabei um die Frage des Journalisten Reinhard Hübsch, wie leistungsfähig die DDR-Wirtschaft 1989 noch gewesen sei: Lag sie „am Boden“ oder – so der Mythos –, zählte die DDR „zu den 10 größten Industrienationen der Welt“? Die Ansichten der Experten hierzu variierten nur im Detail. André Steiner, Mitarbeiter des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam argumentierte aus wirtschaftshistorischer Sicht, die DDR „hätte nach 1989 noch einige Jahre weiter existieren können“, denn die Verschuldung sei zu diesem Zeitpunkt „noch beherrschbar“ gewesen. Allerdings sei schon damals absehbar gewesen, dass sich das mittelfristig ändern werde. Die Hauptursache des Zusammenbruchs im Jahr 1989 sei insofern, meinte Steiner, nicht der schlechte wirtschaftliche Zustand, sondern die politische Entwicklung gewesen – also der Mangel an innerer Akzeptanz, der sich in der Ausreisebewegung zeigte und der Zerfall des Sowjetimperiums und dessen Folgen. Dies bestätigte auch Michael Burda, Volkswirt an der Humboldt-Universität zu Berlin. Burda insistierte darauf, dass die „interne Konsistenz der DDR-Wirtschaft“ abhängig von der Einheit des Ostblocks als Handelseinheit gewesen sei. Mit dem Beginn des Zerfalls des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe der Ostblock-Staaten sei auch die DDR wirtschaftlich nicht mehr lebensfähig gewesen. Karl-Heinz Paqué, der Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, wies darauf hin, man müsse zwischen dem Zustand der DDR „innerhalb des Ostblock-Systems“ und dem Zustand der DDR im Hinblick auf die Entwicklung des Weltmarkts unterscheiden. In den 40 Jahren des Bestehens der DDR hatte sich, wie Paqué ausführte, weltweit ein System globalisierter Arbeitsteilung entwickelt. Nach 1990 hätten alle ost- und mitteleuropäischen Länder einen schwierigen Anpassungsprozess in die Wege leiten und ihre Produktpaletten weiterentwickeln müssen, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Dies sei auch das fundamentale Problem der Treuhand gewesen, sagte Paqué, denn die Produkte der DDR, die innerhalb des geschlossenen Systems der DDR bzw. des Ostblocks zuvor ihren Markt gehabt hätten, seien nun – bis auf wenige Ausnahmen – nicht mehr gefragt gewesen.

Um die „Politischen Rahmenbedingungen für die Praxis der Treuhand“ ging es im zweiten Panel. Die Frage von Annett Witte, der Leiterin des Liberalen Instituts der Naumann Stiftung, ob es einen Masterplan für die Wiedervereinigung und die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft gegeben habe, verneinten die Beteiligten des Podiums einhellig. Es gab keinen Masterplan, sondern nur das Treuhandgesetz der Regierung de Maizière vom 17. Juni 1990. Das Treuhand-Gesetz kam mehrmals im Laufe der Debatten zur Sprache, denn an ihm wird deutlich, dass am Anfang der Tätigkeit der Treuhand eben nicht – wie es in öffentlichen Diskussionen oft zu hören ist, ein „Übernahmeplan“ westlicher Eliten stand, sondern der Wille der frei gewählten Volksvertreter in der DDR zur Überführung der Volkseigenen Betriebe in Privateigentum.

Johannes Ludewig, Koordinator für die neuen Bundesländer im Kanzleramt in den 1990er Jahren, beschrieb in Übereinstimmung mit den Wirtschaftsexperten, dass es die Hauptaufgabe der Treuhand gewesen sei, die Betriebe der DDR für den innerdeutschen Wettbewerb und den Weltmarkt konkurrenzfähig zu machen. Insofern sei es unabdingbar gewesen, für die Betriebe in Ostdeutschland erfahrene Manager zu rekrutieren, die dies hätten bewerkstelligen können. Ludewig betonte außerdem, dass die ostdeutschen Länder je einen Sitz im Verwaltungsrat der Treuhand innegehabt hätten und somit die Entscheidungsprozesse hätten beeinflussen können. Gleiches gelte für die Gewerkschaften. Die Treuhand sei daher nicht zentral „von Bonn gesteuert“ gewesen. Gleichwohl, so Ludewigs kritische Bilanz, sei es offenkundig nicht gelungen, den Menschen, die vom Verlust der Arbeitsplätze betroffen waren, das Gefühl zu vermitteln, dass man „auf Augenhöhe verhandelte“. Insofern ist es auch auf politische Versäumnisse zurückzuführen, dass sich im Nachhinein die Praxis der Treuhand mit dem Eindruck der fehlenden Anerkennung der Lebensleistung der Menschen verbindet.

Das bestätigte auch Wolf Klinz, Vorstandsmitglied der Treuhandanstalt von 1990 bis 1995. Klinz ergänzte, es sei in den 1990er Jahren schließlich nicht nur um den Wegfall von Arbeitsplätzen gegangen, sondern auch um den Verlust des sozialen Umfelds der Menschen – auch deshalb, weil in der DDR soziale Einrichtungen, wie Polikliniken oder Kindertagesstätten, anders als im Westen oftmals an die Betriebe gebunden gewesen seien. Dies sei von den damaligen Akteuren zu wenig berücksichtigt worden. Als möglichen Grund für die Versäumnisse nannte Bernhard Vogel, Ministerpräsident des Freistaats Thüringen von 1992 bis 2003 und Ehrenvorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, das „zu geringe Interesse der Westdeutschen an Ostdeutschland, das, so Vogel, bis heute zu beobachten sei. Dennoch zeichnete Vogel insgesamt ein positives Bild der Treuhand, denn dank ihr sei es gelungen, eine „Deindustrialisierung der ostdeutschen Länder“ zu verhindern, die ohne den Erhalt bestehender Strukturen zweifelsohne eingetreten wäre. Vogel verwies auf das Beispiel Italiens, wo es einen starken Norden und einen – im Grunde – deindustrialisierten Süden gibt. Ähnliches hätte in Deutschland auch drohen können.

Die Schwierigkeit der „richtigen“ Perspektive auf die Ereignisse stand anschließend im Zentrum des Podiums zum Thema „Erkenntnisse der Forschung und ihre Vermittlung“. Der Bochumer Historiker Marcus Böick plädierte dafür „komplexe Erzählungen mit offener Perspektive zu finden“. Als „Bad Bank“ für schlechte Erinnerungen diene die Treuhand bislang vorwiegend als Projektionsfläche. Es sei deshalb wichtig, sich dem Thema „dialogisch“ zu widmen, auch um die gefühlte „Zweitklassigkeit“ der Ostdeutschen zu überwinden. Auch Dierk Hoffmann vom Institut für Zeitgeschichte in Berlin stellte fest, Historiker müssten sich bemühen, „die Erfahrungen der Menschen in ihre Erzählungen einzubeziehen“. Außerdem sei es wichtig, „aus der Zeit heraus“ zu argumentieren und die Handlungsmöglichkeiten realistisch zu bewerten. Hoffmann bezeichnete die Treuhand als „überforderte Behörde“, denn ihr ursprünglicher Arbeitsauftrag sei nach und nach mit immer mehr Aufgaben überfrachtet worden, so etwa Sozialpläne auszuarbeiten, Mittelstandspolitik zu betreiben und zur Bewältigung der Altschulden beizutragen. Erschwerend für die Tätigkeit der Treuhand sei es außerdem gewesen, erklärte der Publizist Norbert F. Pötzl, dass die Gewerkschaften Lohnerhöhungen für die Beschäftigten in Ostdeutschland hätten durchsetzen wollen und dies auch getan hätten.

Pötzl wies außerdem darauf hin, dass die Mehrheit der Arbeitsplätze auf dem Gebiet der ehemaligen DDR außerhalb der Verantwortung der Treuhand verloren gegangen seien, z.B. im Staatsdienst und in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Emotionales Reagieren der Betroffen sei zwar nachvollziehbar, so Pötzls Bewertung der öffentlichen Debatten über die Treuhand, ein anderes Bild ergebe sich aber, wenn man „Fakten über die Emotionen stellt“.

Michael Borchard, Leiter des Archivs der Konrad-Adenauer-Stiftung und Moderator der Abendveranstaltung, knüpfte an diese Diskussion an und plädierte auch mit Blick auf das Ende der 30jährigen Archivsperrfristen dafür, mit einer „Mischung aus Zeitzeugenberichten und Forschungserkenntnissen“ ein differenziertes Bild der Treuhand zu zeichnen. Als Zeitzeuge erinnerte dann Richard Schröder, der SPD-Fraktionsvorsitzende in der frei gewählten Volkskammer der DDR 1990, an die große Eile, mit der die Entscheidungen der Jahre 1990 bis 1994 getroffen werden mussten. Die Initiative, die Betriebe der DDR zu privatisieren, sei zuerst von der Volkskammer ausgegangen: „Der sehnliche Wunsch der Menschen in der DDR nach der D-Mark erforderte viele Arbeitsplätze, denn die Westwaren waren „für die Menschen attraktiver.“ Franz Schuster, Thüringer Wirtschaftsminister im Kabinett Vogel von 1994 bis 2003, schilderte anschließend Beispiele für erfolgreiche Privatisierungen durch die Treuhand, so etwa die erfolgreiche Transformation in der Automobilregion Eisenach oder die Überführung des Kombinats VEB Carl Zeiss Jena in die Jenoptik Gmbh bzw. die Jenoptik AG und die Carl Zeiss AG.

„Gefühlte Wahrheiten widersprechen dem Geist der Aufklärung“ resümierte Karl-Heinz Paqué für die Friedrich-Naumann-Stiftung die Beiträge zur Treuhand von Experten aus Wissenschaft und politischer Praxis. Paqué erinnerte damit abermals an die Notwendigkeit einer nüchternen Betrachtung historischer Entwicklungen. Es gebe Situationen in der Geschichte, die nicht mit einfachen Mitteln aufzulösen sind, am Bespiel der Geschichte der Treuhandanstalt zeige sich dabei die „Tragik der Freiheit“. Die heutige politische Situation in Deutschland lasse sich allerdings nicht unmittelbar auf die Ereignisse der 1990er Jahre zurückführen, denn „neue Ereignisse in Deutschland und Europa“ hätten die aktuell zu beobachtende Spaltung zwischen Ost und West bewirkt.

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