Asset-Herausgeber

Veranstaltungsberichte

Festveranstaltung zum 20-jährigen Bestehen des Bildungswerks Sachsen der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Am 9. Juni 2010 feierte das Bildungswerk Sachsen der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., im Rahmen einer Festveranstaltung im Neuem Rathaus der Stadt Dresden ihr 20-jähriges Bestehen. Festredner war Prof. Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident a.D. und Ehrenvorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Thema seinem Festvortrages lautete "Was heißt politische Bildung"

Asset-Herausgeber

Rede Prof. Dr. Bernhard Vogel am 09.06.2010 in Dresden

(20 Jahre Bildungswerk Sachsen)

Sehr verehrter Herr Dr. Klose,

meine Damen und Herrn Parlamentarier,

verehrte Frau Piepenschneider,

Herr Staatssekretär,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich hoffe, Sie merken mir an, dass ich heute gern zu dieser Geburtstagsfeier nach Dresden gekommen bin, um mich mit unserem hier ansässigen Bildungswerk und, wie ich hoffe, auch mit Ihnen zu freuen, dass die Saat die vor 20 Jahren gesät wurde, aufgegangen ist. Der Freistaat ist zu einer Erfolgsgeschichte geworden, was auch der bescheidenen, aber erfolgreichen Arbeit dieser Stiftung zu verdanken ist, die zu-nächst in Leipzig und heute in der Landeshauptstadt Sachsens ihren Sitz hat.

„In Jubel, Fahnen schwenkend, Tränen, atemloser Stille ereignet sich eine der äu-ßerst seltenen Weltsekunden, in denen eine der großen Weichen des Menschenle-bens gestellt wird, und diesmal, das spüren die meisten Versammelten, zu einem zwar schwierigen, prekär bleibenden, aber aus Freiheit geborenen Glück“. Dieses Zitat stammt von einem der heute bekanntesten Söhne Dresdens, Uwe Tellkamp, in Erinnerung an den 19. Dezember 1989 als Helmut Kohl noch vor den Trümmern der Dresdner Frauenkirche sprach. Dieses „aus Freiheit geborene Glück“ erfasste uns alle im Herbst und Winter 1989. Im Westen, wie im Norden, im Süden Deutschlands, wie im Osten. Es begann eine Zeit, wie wir sie uns lange gewünscht, aber nicht für möglich gehalten haben. Eine Zeit, auf die wir nicht vorbereitet waren. Die Wieder-vereinigung kam über Nacht, tatsächlich über Nacht, wie niemand sie erwartet hat, auch die nicht, die sie sich sehnlichst wünschten.

Deutsch wäre es gewesen, Kommissionen zu bilden, ihnen die Namen ihrer Vorsit-zenden zu geben, sie zwei Jahre beraten zu lassen und dann langsam über die ge-fassten Beschlüsse nachzudenken, was zu tun ist. Aber die Lage war anders: Es musste aus dem Stegreif gehandelt werden und was noch schwieriger war: Aus dem Stegreif musste auch entschieden werden. Alles war neu, niemand brachte Erfah-rungen mit. Das galt im Großen, das galt bei der Wiedererrichtung der 1952 abge-schafften Länder, das galt aber auch in der ganz konkreten Arbeit etwa für unsere Stiftung. Mit der Möglichkeit, Bildungswerke – wie wir sie in Westdeutschland seit Jahrzehnten hatten – in den gar nicht mehr existierenden Ländern der DDR errichten zu können, hatte niemand von uns gerechnet. Auch ich nicht, als ich im Februar 1989 zum Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung gewählt wurde.

Was war in dieser Situation zu tun? Im Januar und Februar 1990 besuchten erste Leiter westdeutscher Bildungswerke gezielt die damaligen Bezirkshauptstädte der DDR um erste Kontakte zu knüpfen. Im Januar 1990 habe ich Briefe an alle etwa 500, 600 Mitarbeiter der Stiftung in der ganzen Welt geschrieben und gefragt, wer sich freiwillig bereit erklärte, in die damals noch eigenständige DDR zu gehen und zu helfen. Fünf von den Mitarbeitern, die sich meldeten, bildeten ein Team. Ihr Sprecher wurde Wolfgang Hilberer, der spätere Leiter des Bildungswerkes Sachsen. Eine ihrer ersten Maßnahmen war die Beratung von Bürgern, die bereit waren, politische Ver-antwortung, vor allem auf kommunaler Ebene, zu übernehmen. Der Bedarf an Bera-tung und an Information war riesig. Das Material, das diese fünf Personen – stif-tungsintern nannten wir sie „Die Fünferbande“ – mitbrachten, hat die Stände, die bei Veranstaltungen aufgebaut waren, nicht erreicht. Es wurde ihnen schon zuvor aus den Händen gerissen, beispielsweise bei der legendären Kundgebung mit Helmut Kohl auf dem Domplatz in Erfurt vor den ersten freien Volkskammerwahlen im Feb-ruar 1990.

Wir unterstützten diejenigen, die auf den unterschiedlichen Ebenen Verantwortung übernehmen wollten. Aus diesem Grund standen ganz am Anfang die Lehrer im Mit-telpunkt unserer Arbeit, die von heute auf morgen andere Fächer in anderen Schulen unterrichten mussten. Mit Marxismus-Leninismus war nicht mehr viel anzufangen – Englisch wollte man lernen. Aber wie macht man über Nacht aus einem Russisch- einen Englischlehrer? An die Universitäten entsandten wir in großer Zahl Gastpro-fessoren, vor allem in den Fächern, die neu aufgebaut werden mussten, beispiels-weise in der Jurisprudenz, der politischen Wissenschaft und in den Gesellschaftswis-senschaften. Wie selbstverständlich wollten viele Bürger in unseren Veranstaltungen Grundwissen, etwa über die Soziale Marktwirtschaft, die Europäische Gemeinschaft, die NATO und zahlreiche andere Themen, erfahren. Mit der Nachfrage wuchs bei uns rasch die Erkenntnis, dass wir uns auch organisatorisch neu aufstellen mussten, um diesen Herausforderungen gewachsen zu sein. Als erste politische Stiftung ha-ben wir am 1. Juni 1990, noch zu Zeiten der DDR und vor der Wirtschafts- und Wäh-rungsunion, das erste Büro in den neuen Ländern eröffnet – wo sonst als in Sach-sen, damals noch in Leipzig. Den Leitern, den schon genannten Wolfgang Hilberer, aber auch seiner Nachfolgerin Frau Schorpp und dem heutigen Leiter, Herrn Dr. Klo-se, den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Referenten der letz-ten 20 Jahre, die zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben, sei ausdrücklich auch von mir Danke gesagt. Sie haben ein gutes Werk getan.

Inzwischen existieren unsere Bildungswerke in den Hauptstädten aller neuen Länder. In Wendgräben, Sachsen-Anhalt, unterhalten wir, wie in Nordrhein-Westfahlen, ne-ben dem Bildungswerk auch eine eigene Akademie. Vieles, und das ist erfreulich, ist selbstverständlich geworden – Gott sei Dank. Auch die Unterschiede zwischen West und Ost haben abgenommen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass in einigen Be-reichen die Unterschiede zwischen Nord und Süd heute deutlicher werden als die Unterschiede zwischen Ost und West – aber so ganz gleich wollen wir auch gar nicht werden! Die Sachsen wollen, so habe ich den Eindruck, Sachsen bleiben, Schwaben wollen Schwaben bleiben, wir wollen einander näher kennen lernen, einander ähnli-cher werden, aber die historische, geographische, soziale und politische Identität jeder einzelnen Landschaften soll nicht gleichgehobelt werden. Es soll auch bei Un-terschieden bleiben. Aber, wenn wir am heutigen Abend das Erreichte, das selbst-verständlich Gewordene betonen, dann dürfen wir nicht übersehen, dass neue Her-ausforderungen auf der Tagesordnung stehen. Eine dieser Herausforderungen, viel-leicht nicht die aktuellste, aber eine der Grundsätzlichsten, ist nach meiner Überzeu-gung, die Frage nach der politischen Bildung. Darum ist es gut, dass dies heute hier auf der Tagesordnung steht.

Was heißt politische Bildung? Warum ist politische Bildung für unser Gemeinwesen überlebensnotwendig? Politische Bildung ist weder politische Wissenschaft noch ist sie Politik, aber zu beiden hat sie Bezug. Die Antwort, was heißt politische Bildung, ist meines Erachtens einfach und klar: Eine Demokratie braucht eine gute Verfas-sung. Dass wir mit unserem Grundgesetz eine gute Verfassung haben, bestreitet weltweit heute niemand mehr und sogar wir selbst haben gewagt, im vergangenen Jahr „60 Jahre Grundgesetz“ als einen erfreulichen Anlass zu feiern, was wir Deut-schen ja höchst selten tun und nur höchst ungern. Aber eine Demokratie braucht nicht nur eine gute Verfassung. Eine Demokratie braucht Demokraten, wenn sie nicht nur eine gute Verfassung haben, sondern in guter Verfassung sein will. Denn die Demokratie ist nicht die einfachste, sondern die schwierigste und fragilste Staats-form, die ein Mensch sich vorstellen kann. Ich erinnere an die derben, aber ebenso weisen Worte von Winston Churchill: „Demokratie ist die schlechteste Regierungs-form außer all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit von Menschen ausprobiert werden.“ In meinen Worten: Demokratie ist die menschlichste aller Staatsformen, aber, um es noch einmal zu unterstreichen, auch die schwierigste. Wir Menschen werden nicht als Demokraten geboren, sondern so wie Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen lernen müssen, so müssen Menschen, junge Menschen, auch lernen, De-mokraten zu werden. Und hier, genau an diesem Punkt, setzt die Aufgabe der politi-schen Bildung an. Bürgerinnen und Bürger müssen befähigt werden, als Deutsche zu leben, als Demokraten, als deutsche Demokraten, als mündige Bürger für unsere freiheitliche Demokratie ein zu stehen und eine aktive Rolle in Politik und Gesell-schaft zu übernehmen. Und wenn schon nicht alle Bürgerinnen und Bürger, so doch wenigstens die Mehrheit von ihnen.

„Demokratische Institutionen können ihre Funktion nur auf Dauer erfüllen, wenn die politische Grundhaltung erkennen lässt, dass ihre Strategie über den Erwerb und Erhalt von Macht hinausgeht.“ Ein kluges Wort von Kardinal Lehmann und Bischof Wolfgang Huber in einem gemeinsamen Papier der christlichen Kirchen zur Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens. Diese Grundhaltung sollte in den Köpfen, aber nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Herzen der Menschen verankert werden, um das Entstehen eines aktiven und mündigen Staatsbürgertums zu unter-stützen - das ist die Aufgabe der politischen Bildung. Sie soll den Menschen befähi-gen, die Welt der Politik und der Gesellschaft in den wesentlichen Grundzügen zu begreifen und sich ein selbständiges Urteil zu bilden. Das heißt, es geht in der politi-schen Bildung natürlich um die Vermittlung von Wissen. Politische Entscheidungsfin-dung setzt Kenntnisse voraus. Vor allem aber geht es um Orientierung. Die politische Bildungsarbeit kann Hilfestellung geben, sich in der wachsenden Komplexität unserer Welt zu Recht zu finden. Norbert Lammert, der Bundestagspräsident und stellvertre-tende Vorsitzende unserer Stiftung hat die Aufgabe politischer Bildung beim Demo-kratiekongress unserer Stiftung im vergangenen Jahr in Berlin folgendermaßen zu-sammengefasst, ich zitiere: „Wenn man überhaupt den breiten Katalog politischer Bildung auf seine Zuständigkeit und Aufgaben reduzieren möchte, dann wäre das nach meiner Einschätzung: Vermittlung von Kenntnissen, Vermittlung von Werten und Vermittlung von Orientierung“.

Orientierung heißt, nach einem Koordinatensystem zu suchen, das Halt bietet, das Ordnung schafft, das uns befähigt, nicht nur mit Erwartetem und Voraussehbarem fertig zu werden und zu leben, sondern gerade auch mit Nichterwartetem und mit Nichtvorgesehenem zurecht zu kommen. Das heißt, es bedeutet Konzentration auf das Wesentliche. Es heißt die Fähigkeit, sich im Leben zu Recht zu finden. Was ist das Wesentliche? Es ist vorhin vom Staatssekretär, obwohl wir uns nicht abgespro-chen haben, schon erwähnt worden: Wesentlich ist, über die Vergangenheit nachzu-denken, aber bitte nicht um ihrer selbst willen, das mögen Forscher tun, sondern vor allem um unserer Zukunft willen, um die Gegenwart besser zu verstehen und die Zu-kunft besser in den Blick zu nehmen. Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß nicht, wo er sich befindet und weiß nicht, wohin er gehen will. Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird die Zukunft nicht in den Griff bekommen können. Das letzte ist ein Wort des Historikers Golo Mann.

Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unserer Veranstaltungen zur politischen Bil-dung, den Bürgerinnen und Bürgern kann durch vergleichende Betrachtung sichtbar gemacht werden, welch große Leistungen der demokratische Verfassungsstaat her-vor gebracht hat.

In unserer zweitausendjährigen Geschichte haben wir nur in einer demokratischen Ordnung 60 Jahre Frieden erlebt und all unsere Nachbarn als Freunde gewusst. Und in unserer ganzen zweitausendjährigen Geschichte war, bei allen Mängeln und Ein-schränkungen, der Wohlstand der Menschen nie größer wie in den demokratischen Jahrzehnten dieses Landes. Das den jungen Menschen klar zu machen, heißt, sie zu befähigen, diese Ordnung für die Zukunft zu sichern. Wer nach Europa fragt, sollte auf Soldatenfriedhöfe gehen und dann wird er zurückkommen und sagen: Lieber zwei Milliarden Euro nach Brüssel, als zehn Milliarden für einen Monat Krieg in Euro-pa. Und deswegen ist das Erinnern gleichzeitig das Erkennen, dass demokratische Verfassungszeiten in der deutschen Geschichte gute Zeiten waren. Sichtbar wird dabei aber auch, was auf dem Spiel steht, wenn unsere freiheitlich demokratische Ordnung durch Extremismus gefährdet oder, was ich persönlich für nicht minder ge-fährlich halte, als zu selbstverständlich erachtet wird. Aufgabe der politischen Bildung muss sein, zu vermitteln, dass Demokratie, Parlamentarismus, Parteien, Soziale Marktwirtschaft, Europäische Integration und vieles mehr, neu erklärt und immer wieder neu erlernt, gelebt und weiter entwickelt werden müssen – in welchen Formen und in welcher Intensität auch immer. Parteien zu kritisieren ist relativ leicht, vor al-lem, wenn sie uns die Kritik so leicht machen, weil sie viel Anlass dazu bieten. In ei-ne Partei einzutreten und es dort besser zu machen, das ist in der Tat wesentlich schwieriger. Die Bedeutung der politischen Parteien ist größer als ihr Ansehen.

Wir sollten uns aber nicht nur mit ihrem Ansehen, sondern eben auch mit ihrer Be-deutung befassen. Der jungen Generation von heute sind verständlicherweise – und es gibt keinerlei Grund, das vorwurfsvoll zu sagen – viele Regelungen unseres Grundgesetzes nicht mehr so selbstverständlich, wie den Verfassern des Grundge-setzes, denn sie hatten dreizehn Jahre vorher die Weimarer Republik erlebt und wa-ren vielfältig an verantwortlicher Stelle tätig. Selbstverständlich war es den damaligen Mitgliedern nicht lange notwendig zu erklären, warum man die Stellung des Bundes-präsidenten so schuf, wie sie heute ist, warum man das konstruktive Misstrauen bei der Abwahl oder Wahl eines Kanzlers in das Grundgesetz schrieb, warum man das Bundesverfassungsgericht schuf, warum man so vorsichtig im Umgang mit Publizis-ten war – das war eine Frucht der selbst erlebten Erfahrung. Der jungen Generation von heute, den Musikern von heute muss das aber neu, aus der heutigen Situation erklärt werden. Allein mit dem Verweis auf Hindenburg können sie wenig anfangen. Übrigens, genau so wenig als ich 20 war, ich mit den Nachfolgern Bismarcks als deutscher Reichskanzler etwas anfangen konnte. Man sollte sich das gelegentlich vergegenwärtigen. Wir müssen vermitteln, das ökonomische Krisen, wie wir sie aktu-ell erleben, nicht auf mangelnde Leistungsfähigkeit unserer politischen Systeme zu-rück zu führen sind, sondern darauf, das Menschen schuldig geworden sind und zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Dass man die Herausforderung, die damit verbunden ist, annehmen muss und das in der sozialen Marktwirtschaft nach wie vor der Schlüssel zu einer gerechten und freien Wirtschaftsordnung zu finden ist, wenn man die soziale Marktwirtschaft nicht nur als Wort ständig im Munde führt, sondern sich gelegentlich ein wenig vertieft, was Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack und die anderen damit eigentlich wollten. Ebenso wichtig ist es, den Menschen eine realisti -sche Einschätzung von dem, was Politik bewegen kann, zu geben, dass der Staat in einer freiheitlichen Demokratie nicht für alles zuständig ist. Dass wir zwar einen star-ken, aber keinen allgegenwärtigen Staat wollen, dass der Staat nach unserem Men-schenbild für die Menschen da ist und nicht die Menschen für den Staat, dass das Ehrenamt nicht notwendig ist, um den Staat von Aufgaben zu entlasten, sondern dass das Ehrenamt notwendig ist, um nicht alles dem Staat zu überlassen, müssen wir mit in unserer Lösung einbeziehen. Dass Freiheit auch Verantwortung und nicht Bildungslosigkeit heißt.

Die Verheißung, dass den Herausforderungen unserer Zeit mit staatlicher Allmacht ohne individuelle Verantwortung zu begegnen sei, stellt eine große Verlockung dar. Aber das Versprechen, dass das Kollektiv die Probleme des einzelnen Menschen lösen könnte, ist eine der großen Herausforderungen gegenüber der Demokratie. Mit dem richtigen Verhältnis des Bürgers zum Staat steht und fällt die parlamentarische Demokratie. Jeder einzelne Bürger muss wissen, dass er bestimmte Aufgaben zu erfüllen hat, er muss und soll Kritik üben, aber in konstruktiver Weise nicht aus störe-rischer Tendenz heraus, aus purer Negation. Das sind Sätze, die die klare Überzeu-gung des Autors, nämlich Konrad Adenauer, ausdrücken. Wir müssen diese Fähig-keit zum richtigen Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat entwickeln, die Fähigkeit zur konstruktiven Kritik, das Recht verschiedener Meinung zu sein und als Kernkom-petenz begreifen und auch vermitteln, dass der, der anderer Meinung ist, nicht bös-willig, weniger kundig oder deswegen zu bekämpfen ist, sondern dass man an der anderen Meinung des Anderen die Richtigkeit der eigenen Meinung zu überprüfen hat. Wir müssen dafür arbeiten, dass die Menschen die Fähigkeit erkennen, dass Demokratie Tugend braucht und nicht Beliebigkeit. Politische Bildung soll Hilfestel-lung für den Einzelnen bieten, sich seiner Rechte, seiner Verantwortung und seiner Möglichkeiten bewusst zu werden. Wir alle tragen Verantwortung für unseren demo-kratischen Staat. Das heißt, wir haben dafür Sorge zu tragen, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in ausreichendem Maße politisch gebildet sind.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist von vielen schnell erkannt worden, wie wichtig die politische Bildung ist, wenn die zweite Chance einen demokratischen Staat aufzubauen besser gelingen soll, als der erste Versuch nach dem Ersten Welt-krieg.

In den letzten sechs Jahrzehnten hat sich in der alten Bundesrepublik und in den letzten zwei Jahrzehnten auch in den neuen Ländern eine flächendeckende pluralis-tische Trägerlandschaft der politischen Bildung entwickelt. Etwa 1.500 staatliche und nichtstaatliche, schulische und außerschulische Anbieter politischer Bildung gibt es heute. In den letzten fünf Jahren, so das Ergebnis einer Umfrage, die die Konrad-Adenauer-Stiftung 2009 anlässlich des vorhin schon einmal erwähnten Demokratie-kongresses mit der Gesellschaft für Markt- und Sozialforschung durchgeführt hat, haben in den letzten fünf Jahren neun Millionen Menschen, das sind rund 13 Prozent der deutschen Bevölkerung, an mindestens einer Veranstaltung zur politischen Bil-dung teilgenommen – und das Potential ist damit keineswegs ausgeschöpft. Jeder dritte Bundesbürger ist auf jeden Fall oder sehr wahrscheinlich, so lauten die Antwor-ten, bereit, bei interessanten Themen und Angeboten der politischen Bildung nach-zukommen, und den Bürgern ist die Notwendigkeit politischer Bildung auch durchaus bewusst: 79 Prozent sind der Ansicht, dass politische Bildung in der Demokratie un-verzichtbar ist und – wie leider üblich – 75 Prozent fordern dafür eine stärkere staat-liche finanzielle Förderung.

Ich bin der Überzeugung, dass die politische Bildung ihre anspruchsvollen Aufgaben weiterhin durchaus gut erfüllt. Aber so, wie sich die Herausforderungen ergeben und wie sich die Haarrisse in unserer Demokratie zeigen (und dass die sich zeigen, wird ja wohl niemand leugnen). So ist auch die politische Bildung natürlich in Bewegung geraten. Das Lernen ganz allgemein, aber auch das politische Lernen vollzieht sich in unserer medialen und mediatisierten Welt, zumindest teilweise, völlig anders als früher. Formen, Methoden und Ansprechformen haben sich gewandelt, die neuen elektronischen Medien, allen voran das Internet und auch die immer größer werden-de Vertrautheit mit diesem Medium bietet alternative Formen der Wissensaneignung. Dass die politische Sozialisation auf die politische Bildung aufbaut, hat sich gewan-delt. Die Individualisierung, die Umorientierung des Einzelnen in weniger politische, gar unpolitische Formen des Engagements machen der klassischen politischen Bil-dung zu schaffen. Angesichts des Überangebots alternativer Möglichkeiten der Zeit-gestaltung und des veränderten Freizeitverhaltens, der höheren Mobilität, des höhe-ren beruflichen Drucks, der Dominanz der berufsrelevanten und weniger staatsbür-gerlichen Aspekte bei der Ausbildung, dringen die Angebote der politischen Bildung natürlich schwerer durch als früher. Auch das Interesse der Politik selbst an der poli-tischen Bildung ist gewiss noch steigerungsfähig, in ihrem eigenen Interesse, wie ich hinzufüge. Der Politik kann es nicht gleichgültig sein, wie gut die Bürgerinnen und Bürger politisch gebildet sind. Alle aktiv Beteiligten in der Politik haben deswegen eine besondere Verantwortung dafür, dass die Menschen Politik verstehen und ihre Ergebnisse akzeptieren. Auch Rücktritte sollten verstanden werden können, wenn ich das zu diesem Satz anmerken darf.

Natürlich muss gespart werden und die politische Bildung sollte dafür durchaus Ver-ständnis vermitteln. Sie sollte aber gleichzeitig auch darauf hinweisen, dass sie Teil der Bildung ist. Ich bin Ihnen dankbar, Herr Staatssekretär, dass Sie das vorhin aus-drücklich betont haben. Nach einer Reihe von antijüdischen Schmierereien der Jah-reswende 1959/1960 hat der damalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Namens Goldmann, Konrad Adenauer und Theodor Heuss, Kanzler und Bundesprä-sidenten, aufgefordert, eine Regierungskommission zur politischen Bildung einzurich-ten. Dabei wurden hochrangige Repräsentanten hinein berufen. Namen die damals sehr bedeutend waren: Max Horkheimer, Hans Rothfels, Helmut Krausnick, später auch Karl Dietrich Bracher und Wilhelm Hennis. Bei der ersten Zusammenkunft die-ser Regierungskommission hat Konrad Adenauer zur Eröffnung darauf hingewiesen, dass sich viele Deutsche für ihr Vaterland nicht mehr verantwortlich fühlen. Ich möch-te anregen, einmal darüber nachzudenken, ob man nicht auch heute eine solche Re-gierungskommission zur politischen Bildung wieder einberufen sollte, nicht um alle möglichen Vorschläge zu machen, sondern um der Frage nachzugehen, warum Poli-tik in Deutschland nicht besser vermittelbar ist. Ich glaube, es wäre des Schweißes und der Anstrengung einiger hervorragender Leute wert, sich darüber Gedanken zu machen, in beide Richtungen, den Bürgern gegenüber aber auch denen, die für die Politik in Deutschland die Hauptverantwortung tragen.

Für die Politik Tätige haben eine besondere Verantwortung und sie müssen ihr nach-kommen, damit die politische Bildungsarbeit auf fruchtbaren Boden fallen kann. Las-sen Sie mich zum Schluss noch einmal Uwe Tellkamp zitieren; er hat in seinem Ro-man „Der Turm“ nach 973 Seiten, geschlossen: „Aber dann auf einmal schlugen die Uhren auf den 9. November, Deutschland einig Vaterland am Brandenburger Tor:“ Nach diesem letzten Wort ist kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt gesetzt, mit dem der Roman schließt, und diesen Doppelpunkt muss man laut mitlesen, denn, das meine ich, sei die Botschaft: Die Geschichte der Bundesrepublik geht nach dem Mauerfall weiter. Auch unsere Geschichte geht weiter, auch die Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung geht weiter und ich wünsche mir, dass wir heute dankbar feiern, dass sie 20 Jahre gut geleistet worden ist und Ihnen danken, dass Sie uns dabei be-gleiten. Wichtiger ist mir aber, dass wir uns vornehmen, dass es in den nächsten 20 Jahren ebenso gelingt, denn nur dann haben wir Grund, den Erfolg der Vergangen-heit zu feiern. Wir schließen mit einem Doppelpunkt und nicht mit einem Punkt, die Sache geht weiter!

Danke schön! – (Beifall)

(Es gilt das gesprochene Wort)

Asset-Herausgeber

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber