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Interview mit Prof. Arenhövel

"Absolute Gerechtigkeit gibt es nicht"

Der Politologe Professor Mark Arenhövel über die Grenzen der Gerechtigkeit, die Rolle von Institutionen und die Macht der Konsumenten.

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KAS: Herr Arenhövel, ist unsere Welt gerecht?

Arenhövel: Wohl kaum, wer würde das schon behaupten. Schauen Sie sich nur den globalen Handel an. Wenn Sie heute ein Hemdchen von Nike kaufen, bekommt die Näherin in El Salvador pro Stück etwa 21 Cent, während es für 55 Dollar in den Handel kommt. Ca. 6 Dollar des Verkaufspreises gehen in die Werbung. Gleichzeitig verdient David Beckham um die 160 Millionen Dollar als Werbefigur für Adidas. Bei Kaffee und vielen anderen Lebensmitteln sind die Relationen ähnlich.

KAS: Trotzdem kaufen viele Menschen solche Produkte. Haben die alle keinen Gerechtigkeitssinn?

Arenhövel: Doch, doch. Aber mit zunehmender Distanz nimmt unser Gerechtigkeitsempfinden ab. Es ist ein Unterschied, ob ein guter Freund gerade im internationalen Wettbewerb seinen Job verloren hat, oder ein Kaffeebauer in Guatemala so wenig verdient, dass er kaum seine Familie durchbringen kann. Außerdem: Wenn wir uns um alle Ungerechtigkeiten der Welt kümmern wollten, stünden wir permanent unter Stress. Unsere Nicht-Wahrnehmung ist auch eine Art Selbstschutz.

KAS: Den Leuten ist egal, was am anderen Ende der Welt passiert?

Arenhövel: Sie nehmen es zumindest weniger stark wahr, drücken es schneller weg. Allerdings verändert sich das gerade. Die Globalisierung erfasst ja nicht nur Waren, sondern auch Informationen und Weltbilder. Wenn in Bangladesch eine schlecht gesicherte Textilfirma brennt, weiß es kurz darauf das halbe Internet. Das beeinflusst auch unser Gerechtigkeitsempfinden.

KAS: Die Globalisierung führt also zu mehr Gerechtigkeit?

Arenhövel: Das kann man nicht so pauschal sagen. Trotzdem wissen wir heute so viel wie noch nie über globale Zusammenhänge und die Bedingungen, die unseren westlichen Wohlstand überhaupt erst ermöglichen. Und – was ebenso wichtig ist – wir haben Bilder der globalen Ungerechtigkeit.

KAS: Aber selbst wenn ich weiß, dass mein Pullover vielleicht unter ungerechten Bedingungen hergestellt wurde, kann ich als Dresdner doch kaum etwas dagegen tun.

Arenhövel: Diese Ausrede höre ich oft. Aber sie ist schlicht falsch. Mit jedem Einkauf treffen Sie eine konkrete Entscheidung. Fragen Sie doch einfach mal bei der nächsten Shopping-Tour, unter welchen Umständen die Jeans genäht worden ist, die Sie gerade anprobiert haben! Schreiben Sie der Firmenzentrale eine Mail! Gehen Sie den Leuten auf die Nerven!

KAS: Klingt mühselig...

Arenhövel: ... und ist bestimmt auch nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg. Aber ein Anfang. Damit wird die Welt nicht gleich verändert, aber vielleicht wird sie ein bisschen gerechter.

KAS: Eine alleinerziehende Mutter, die gerade so die Miete zahlen kann, legt da vielleicht andere Schwerpunkte.

Arenhövel: Ich weiß, das hört sich elitär an. Aber es ist ja auch nicht die einzige Möglichkeit. Genauso wichtig sind unsere demokratisch legitimierten Institutionen. Treten die für eine gerechtere Welt ein? Wie steht es um unsere Handelsbeziehungen? Welche Rolle spielen Gerechtigkeitsfragen in unserer Außen- und Sicherheitspolitik? Als Bürger in einer Demokratie trage ich hier auch ein Stück Verantwortung. Ich glaube ohnehin nicht, dass sich hier alles auf eine Frage des Geldbeutels reduzieren lässt.

KAS: Kann man Gerechtigkeit überhaupt definieren?

Arenhövel: Seit der Antike gibt es hier verschiedene Antworten. Ich drehe den Spieß immer um. Sobald es für eine Ungleichheit keine vernünftige Rechtfertigung gibt, ist das für mich ungerecht. Dazu ein Beispiel: Wenn ich die Nase in meinem Gesicht zu groß finde oder meine Augenfarbe nicht mag, ist das Schicksal. Der Welthandel, die Sozialsysteme oder auch der Klimawandel dagegen sind menschengemacht. Sie sind das Ergebnis unserer Entscheidungen. Nehmen Sie die Näherin und David Beckham. Für diesen Lohnunterschied, finde ich, gibt es keine vernünftige Rechtfertigung.

KAS: Und wo liegen die Grenzen globaler Gerechtigkeit?

Arenhövel: Oft endet unser Gerechtigkeitsempfinden noch immer allzu schnell an den Grenzen des Nationalstaates. Das sehen Sie zum Beispiel an der aktuellen Debatte über den sogenannten "Sozialtourismus" in Europa. Doch selbst bei „uns“ gibt es solche Grenzen. Oft vergessen wir die älteren und kranken Menschen in unserer Gesellschaft. Die werden zwar finanziell irgendwie durchgebracht, aber ob sie ein gutes Leben haben, interessiert keinen.

KAS: Glauben Sie, dass wir in Zukunft in einer gerechteren Welt leben werden?

Arenhövel: Wir sollten nicht erwarten, dass wir bald in einer utopischen Gerechtigkeitswelt leben, nur weil wir ab und an zu Fair-Trade-Produkten greifen, oder Geld spenden. Absolute Gerechtigkeit gibt es nicht. Es geht vielmehr um realistische Utopien. Wir sollten nicht fragen, wie wir die Welt gerecht machen können, sondern wie sie ein wenig gerechter werden kann. Dafür müssen wir aber erst einmal miteinander ins Gespräch kommen. Genau dafür sind Vortragsreihen wie diese da.

Das Gespräch führte Thomas Schmelzer.

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Kontakt

Dr. Joachim Klose

Dr. Joachim Klose

Landesbeauftragter für die Bundeshauptstadt Berlin, Leiter des Politischen Bildungsforums Berlin und Leiter Grundlagenforum

joachim.klose@kas.de 030/26996-3253 030/26996-53253

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