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Länderberichte

Wahlkampf in Guatemala

von Prof. Dr. Stefan Jost

Zwischen Beharrungseliten und unkanalisiertem Protest

Am 25. Juni finden in Guatemala turnusgemäß Wahlen für die Periode 2024-2028 statt. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei die Präsidentschaftswahlen und die Wahl des Kongresses. Gleichzeitig werden jedoch auch die neuen Verantwortlichen in den 340 Kommunen sowie die Abgeordneten des Zentralamerikanischen Parlaments (Parlacen) gewählt.

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Die Ausgangslage

Knapp 9.4 Millionen eingeschriebene Wahlberechtigte entscheiden am 25. Juni, wer ab Januar 2024 für die nächsten vier Jahre die Geschicke des Landes auf nationaler und kommunaler Ebene lenken wird. Gewählt werden der Staatspräsident und sein Vize, 160 Kongressabgeordnete, 340 Bürgermeister und 20 Abgeordnete für das Zentralamerikanische Parlament.

In Guatemala besteht ein komplexer Problemkontext: Hohe und extreme Armut, Unterernährung, niedriger Bildungsstand, defizitäres und territorial teilweise inexistentes Gesundheitssystem, hoher Anteil informeller Beschäftigung, mangelhafte (Verkehrs)infrastruktur, eine prekäre Sicherheitslage, Einfluss der Organisierten Kriminalität auf Politik und Gesellschaft, eine schier grenzenlose Korruption, ein hoher Migrationsdruck mit allen gesellschaftlichen Begleitproblemen. Hinzukommt auch die Abhängigkeit des Staatshaushaltes und vieler Familien von den sogenannten „remesas“, d.h. den aus dem Ausland von den Migranten erfolgenden Überweisungen, die auf etwa 20% des BIP geschätzt werden.

Vor allem aber wird von vielen nationalen wie internationalen Beobachtern auch die Erosion demokratischer Institutionalität beklagt, das geht bis zum Vorwurf der „Gleichschaltung“ der verschiedenen Staatsorgane durch die Regierung.

Es besteht eine hohe Unzufriedenheit mit der Regierung, die als schlechteste der vergangenen vier Regierungen bewertet wird (75% bezeichnen sie als „schlecht“).

In anderen lateinamerikanischen Ländern, gerade auch mit hohem indigenen Bevölkerungsanteil, führen bereits sehr viel punktuellere Probleme in regelmäßigen Abständen zu dramatischen politischen Konvulsionen und Veränderungen. Nicht so in Guatemala, aus sehr unterschiedlichen, aber miteinander zusammenhängenden Gründen.

Insbesondere sind die 24 Maya-Völker, die Bevölkerungsmehrheit in Guatemala, zu unterschiedlich und weit davon entfernt einen einheitlichen politischen Resonanzkörper zu bilden oder gar einen politischen Akteur darzustellen.

Das indigene MPL (Movimiento para la Liberación de los Pueblos) erreichte bei den Wahlen 2019 zwar mit knappen Abstand den 4. Platz, gilt aber insgesamt als zu anti-systemisch und fundamentalistisch, als dass die Bündelung eines sich aus allen Bevölkerungsgruppen speisenden konstruktiven Protestpotentials gelingen könnte.

Es bestehen keine institutionalisierten Kanäle, die in der Lage sind, diese Unzufriedenheit zu aggregieren, zu artikulieren und in umsetzbare alternative Politikentwürfe zu fassen. Am wenigsten hierzu in der Lage ist das zersplitterte, hochgradig volatile und stark nepotistisch und klientelistisch geprägte Parteiensystem. Parteien und ihre Gründung gelten eher als kurzfristiges Geschäftsmodell denn als langangelegtes, programmatisch und ideologisch gefestigtes politisches Projekt.

Zur Veranschaulichung: Von den 160 Abgeordneten kandidieren 126 erneut, von diesen wiederum 78 Abgeordnete für 28 verschiedene Parteien, für die sie 2019 noch nicht kandidiert hatten.

Ergebnis ist der in Guatemala so genannte „Pakt der Korrupten“, d.h. all derjenigen, die im Parlament die aktuelle Regierung unterstützen.

Auf der anderen Seite sind keine im Kern aktionsbereiten Veränderungseliten zu erkennen, vielmehr dominieren die Beharrungseliten, die sich keinem problematischen Veränderungsdruck gegenübersehen.

Eine traditionell ausgeprägte Distanz zur Politik bis hin zu Angst, sich politisch allzu stark zu positionieren, so gut wie keine Hoffnung auf Veränderung durch die bevorstehenden Wahlen, gleichzeitig aber vielfältige Kritik und Unzufriedenheit mit der Situation des Landes – diese zwiespältige Formel beschreibt die aktuelle Stimmungslage wohl am anschaulichsten.

 

Das Kandidatenfeld

Die Zulassung der Kandidaten liegt in den Händen des Obersten Wahlgerichtshofs (TSE). Dieser steht seit geraumer Zeit in der Kritik, zu stark der Exekutive ergeben zu sein. Einige seiner Entscheidungen stießen auf massive Kritik. So wurde beispielsweise die Tochter des ehemaligen Putschisten und Diktators Ríos Montt, Zury Ríos, trotz einer entgegenstehenden Verfassungsbestimmung als Kandidatin zugelassen. Einem anderen Kandidaten wurde vorgezogener Wahlkampf vorgeworfen, die Zulassung trotz Zahlung der Geldstrafe verweigert, das Beschwerdeverfahren im laufenden Wahlkampf, drei Tage vor Druck der Wahlzettel, noch nicht entschieden.

Der indigenen Partei MLP wurde die Zulassung verweigert, da deren Kandidat für die Vize-Präsidentschaft, der vormalige Ombudsmann, nicht über das Entlastungszertifikat seiner Amtszeit verfüge. Auf der anderen Seite erregen dann Zulassungen von bereits verurteilten oder öffentlich der Kooperation mit dem organisierten Verbrechen beschuldigten Kandidaten auf lokaler oder Abgeordnetenebene die Gemüter. Von einer durchgängig nachvollziehbaren Logik oder Transparenz kann daher keine Rede sein.

Für die Präsidentschaftswahlen bewerben sich 23 Parteien, zwei weitere Parteien streiten nach wie vor um ihre Zulassung.

Um die 160 Mandate im Kongress bewerben sich mit einer nationalen Liste 27 Parteien. Die Anzahl der Parteien auf den verschiedenen Departmentslisten und für die Kommunalwahlen variieren.

Eine entsprechende Zersplitterung im Parlament ist daher erneut zu erwarten. Im aktuellen Parlament sind 19 Parteien vertreten, davon 16 mit einem bis neun Abgeordneten.

Einen erklärten Kandidaten des „oficialismo“, d.h. der Regierungsparteien, gibt es erkennbar nicht. Der Kandidat der bisherigen Präsidentenpartei VAMOS liegt bei etwa 5% in den Umfragen.

Angesichts der Anzahl der Kandidaten ist nicht davon auszugehen, dass sich das Präsidentschaftsrennen bereits im 1. Wahlgang entscheidet. Recht schnell kristallisierte sich, trotz aller anzuratenden Vorsicht mit Umfragen in Guatemala, das für den 2. Wahlgang am 20. August relevante Bewerberfeld heraus.

Zum einen zählt hierzu Zury Rios (VALOR), Tochter des ehemaligen Diktators Roos Montt.

Die zweite Frau im Rennen, Sandra Torres (UNE), ist bereits mehrfach angetreten, aber jeweils im 2. Wahlgang gescheitert.

In Guatemala gibt es das Bonmot, dass niemand in Lateinamerika so viele Staatspräsidenten gemacht habe wie Sandra Torres, da mit ihr in der Stichwahl der Sieg des jeweils anderen Kandidaten garantiert sei.

Zurückzuführen ist das nicht zuletzt auf ihre erste Kandidatur, die nur möglich war, da sie sich von ihrem Mann, dem vormaligen Staatspräsidenten Colom, scheiden ließ, um zur Wahl zugelassen zu werden.

Ob sich die bisherige Erfahrung allerdings auch auf eine Situation übertragen lässt, in der die Stichwahl zwischen zwei Frauen stattfindet, bliebe abzuwarten.

Ríos und Torres schienen sich der beiden ersten Plätze im 1. Wahlgang ziemlich sicher zu sein. An den großen Kandidatenbefragungen oder – Debatten haben sie bislang nicht teilgenommen. Die Strategie der Fehlervermeidung scheint im Vordergrund zu stehen. Gerade das könnt sich aber als Fehler erweisen.

Alle anderen Kandidaten suchen diese öffentlichen Darstellungsräume.

So auch Edmundo Mulet (CABAL), politikerfahrener (ehemalige Abgeordneter und Kongresspräsident) Journalist und Anwalt, Botschafter seines Landes bis hin zu hohen Positionen in den VN, der 2019 auf dem 3. Platz landete.

Insbesondere einer erwies sich dabei als Überraschungskandidat, der eher unbekannte Carlos Pineda (Prosperidad Ciudadana).

Der 51- jährige Unternehmer präsentiert sich geschickt als geschäftlich erfolgreicher politischer Außenseiter, fährt jedoch keinen undifferenzierten und ausschließlich polemischen Trump-Kurs gegen das politische System, sondern macht sehr konkrete Vorschläge.

Vor allem im Vergleich zu Mulet (72) und Torres (67) kommt er als sehr viel dynamischer an.

Die offene Frage ist jedoch, inwieweit sich seine vor allem durch die Sozialen Medien geschaffene Präsenz in Wählerstimmen ummünzen lässt, da nicht einzuschätzen ist, ob viele seiner jugendlichen Anhänger überhaupt in die Wählerlisten eingetragen sind.

Zu Beginn seiner Wahlkampagne trat er mit einem überdimensionalen Bleistift auf, symbolhaft für seinen Anspruch, das korrupte System abzuschaffen und die Geschichte eines neuen Guatemalas zu schreiben.

Diese vier bilden in allen Umfragen, wenngleich mit teils abweichenden Ergebnissen, das Spitzenquartett mit zwischen 14% und 28%.

Drei bis vier Bewerber bewegen sich zwischen 4% und 7%, alle anderen mit teilweise deutlich unter 2%. In diesen Fällen geht es de facto nur darum, die rechtliche Existenz der Partei zu sichern oder auch mit einer nur geringen parlamentarischen Repräsentanz für eine parlamentarische Mehrheit zur Unterstützung des Präsidenten gebraucht zu werden und dadurch einen Teil des Machtkuchens abzubekommen.

 

Formale Fehler oder „schlägt das System zurück“?

Guatemala ist ein sehr konservatives Land und dies prägt auch den Wahlkampf. Er ist nicht durch eine akzentuierte ideologische Auseinandersetzung geprägt und zeichnete sich bislang auch nicht durch inhaltliche Überraschungen aus, die eine oder andere bedenkenswerte Idee eines Kandidaten mit unter 2% in den Umfragen interessiert niemanden besonders.

Knapp vier Wochen vor den Wahlen nimmt die Polarisierung jedoch signifikant zu. Pineda behauptet, ein Mordkommando sei auf ihn angesetzt, warnt vor „sozialen Kriegen“ und bittet die internationale Gemeinschaft um Hilfe für Guatemala. Ob seine teils unter Tränen vorgetragene Beschuldigung des „Systems“ oder sein Pathos, er sei bereit als „Held“ oder „Märtyrer“ zu sterben, statt sich für 500.000 Euros einen europäischen Pass zu kaufen, überall verfängt, ist schwer einzuschätzen.

Mulet wiederum spricht vom „Narcostaat“, beide machen die Korruptionsbekämpfung zu einem zentralen Wahlkampfthema.

Und dann der bisherige Höhepunkt: Ein ehemaliger Parteifreund Pinedas aus seiner vorherigen Partei, aus den USA nach Verbüßung seiner Haftstrafe nach Guatemala in Partei und Politik zurückgekehrt, erhebt Einspruch gegen die Kandidatur Pinedas und aller weiteren 1200 Kandidaten der Prosperidad Ciudadana mit der Behauptung, der Nominierungsparteitag sei formal fehlerhaft abgelaufen. Die entsprechenden Instanzen der Wahlgerichtsbarkeit geben dem Einspruch statt und suspendieren alle Kandidaturen der Partei, die Präsidentschaftskandidatur eingeschlossen.

Insgesamt sind über 90 weitere Einsprüche von Parteien gegen andere Parteien und Kandidaturen beim Wahlgerichtshof und der nächsthöheren Instanz anhängig.

Von außen vermag niemand die Sache zu durchschauen. Bestehen die formalen Mängel, hat das der beim Parteitag anwesende Vertreter des TSE nicht bemerkt, wenn doch, warum hat der TSE dann die Kandidatur zugelassen? Betrachtete man ihn nicht als „gefährlichen Kandidaten“, der erst jetzt nach den hervorragenden Umfragewerten aus dem Rennen genommen werden soll?

 

Schlussphase

Das Rennen für den 1. Wahlgang ist offen, entschieden werden dürfte die Präsidentschaftswahl wie auch bislang erst im 2. Wahlgang.

Sollte es bei dem Ausschluss Pinedas bleiben, der Verfassungsgerichtshof hat letztinstanzlich zu entscheiden, dann stellt sich die entscheidende Frage, wer der verbleibenden bislang drei relevanten Kandidaten in welchem Umfang vom Wählerpotential Pinedas profitieren kann. Eine Empfehlung für Mulet wird Pineda jedenfalls nicht aussprechen, denn er beschuldigt ihn inzwischen mit der Regierung gemeinsame Sache zu machen, um zusammen mit Torres in den 2. Wahlgang zu kommen.

Transparenz, nachvollziehbare Entscheidungen, Glaubwürdigkeit und Vertrauen in einen Wahlprozess, all das droht beschädigt zu werden. Ob diese Vorgänge nach den Wahlen und dann vergleichsweise hoffentlich in ruhigeren Fahrwassern endlich dazu führen wird, die seit Jahren vielfach angemahnten Änderungen im Wahlrecht anzugehen, bleibt mit der erforderlichen Portion Skepsis abzuwarten.

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Kontakt

Prof. Dr. Stefan Jost

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Leiter der Auslandsbüros Guatemala und Honduras

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