Israels viele Fronten
Der Krieg gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen begann mit dem Angriff am 7. Oktober 2023 und dauert bis heute an. Im zweiten Kriegsjahr gab es zunächst Hoffnung auf eine Entspannung: Am 19. Januar 2025 einigten sich Israel und die Hamas auf einen Waffenstillstand. Bis zum 19. März ließ die Terrororganisation 33 Geiseln frei – inszeniert als demütigende, medienwirksame Veranstaltungen, bei denen Geiseln und sogar Leichen von Geiseln auf Bühnen präsentiert und durch feindselige Menschenmengen gezerrt wurden.[1] Im Gegenzug entließ Israel fast 2.000 inhaftierte Terroristen. Nach dem Scheitern weiterer Verhandlungen nahm Israel die direkten Kampfhandlungen wieder auf. Nach Angaben der UN begann bereits zuvor eine Blockade von Hilfslieferungen. Israel bezweckte damit, die Hamas zu schwächen, die die Nahrungsmittel an sich brachte und zur Machtsicherung vertrieb. Um die Terrororganisation vom Plündern der Konvois der Hilfsorganisation zu hindern, beauftragte Israel zusammen mit den USA die Gaza Humanitarian Foundation (GHF) mit der Vergabe von Hilfslieferungen in Gaza. Wenig später kündigte Premierminister Netanjahu an, den gesamten Gazastreifen zu besetzen, um dauerhaft sicherzustellen, dass die Hamas politisch und militärisch nicht überleben kann. Am 8. August 2025 beschloss das Kabinett trotz Widerstand der Armeeführung die Eroberung von Gaza-Stadt – ein Schritt, der die Kämpfe erneut eskalierte und Israels Armee langfristig binden könnte. Parallel führt Israel den Kampf gegen die Hamas auch jenseits von Gaza. Mehrfach standen hochrangige Hamas-Vertreter im Ausland im Visier gezielter Operationen, zuletzt am 9. September in Doha.
Zudem ist Israel immer wieder an weiteren Fronten aktiv: Nachdem der Iran im Jahr 2024 bereits zwei Mal Israel mit Raketen und Drohnen angegriffen hatte, brach am 13. Juni der Zwölftagekrieg zwischen Israel und Iran aus. Dabei griff die israelische Luftwaffe iranische Nuklearanlagen an und eliminierte große Teile der iranischen Militärführung. Nach zwölf Tagen intensiver Gefechte mit Raketen, Drohnen und Luftschlägen konnte Israels Luftwaffe die ballistischen Raketenfähigkeiten und mit Unterstützung der US-Armee auch die atomaren Bestrebungen Irans erheblich beeinträchtigen.
Eine weitere, nach wir vor bestehende Bedrohung bilden Angriffe der Huthis aus dem Jemen; im September beschädigten sie bei einem Drohnenangriff den Flughafen bei Eilat. Israel reagiert regelmäßig mit Luftschlägen gegen die Huthi-Führung, zuletzt erneut Ende September. Auch in Syrien wurde Israel seit dem Sturz von Assad mit gezielten Luftschlägen aktiv, wie zum Beispiel am 15. Juli in Sweida zum Schutz der Drusen. Des Weiteren operiert die israelische Luftwaffe weiterhin im Libanon und geht gegen Hisbollah-Aktivitäten im Süden des Landes vor. So zeigt sich: Israel kämpft seit zwei Jahren einen intensiven und verlustreichen Krieg in Gaza, ist jedoch zugleich in eine Reihe weiterer Konflikte in der Region verwickelt, die die militärischen Kapazitäten erheblich beanspruchen und die Region nachhaltig verändern.
Fragmentierung und Polarisierung in Zeiten des Krieges
Die politische Debatte in Israel wird von den Ereignissen seit dem 7. Oktober dominiert: Dem Angriff der Hamas, dem Krieg in Gaza und den weiterhin 48 verschleppten Geiseln. Nahezu jedes Politikfeld ist davon betroffen. Während die israelischen Parteien nach dem 7. Oktober Geschlossenheit demonstrierten, ist davon inzwischen kaum noch etwas zu spüren. Stattdessen sind Politik und Gesellschaft stark fragmentiert und polarisiert.
Zwei Themen verdeutlichen dies aktuell: Während Reservisten die Hauptlast des Krieges tragen, bleiben bestimmte Bevölkerungsgruppen weitgehend verschont. Besonders umstritten ist die Ausnahme für ultraorthodoxe Juden, die nicht zum Dienst eingezogen werden. Diese Ausnahme wurde im vergangenen Jahr vom Obersten Gericht für rechtswidrig erklärt, seitdem diskutiert die Regierungskoalition, in der die Parteien, die die Ultraorthodoxen repräsentieren, vertreten sind, ob und wie Ultraorthodoxe eingezogen werden sollen. Diese Ungleichbehandlung sorgt für wachsende Frustration in den Streitkräften – mit spürbaren Folgen. Meldeten sich nach dem 7. Oktober 2023 deutlich mehr Reservisten als einberufen wurden, ist laut Medienberichten die Zahl der tatsächlich zum Dienst erschienen Reservisten inzwischen gesunken. Die Streitkräfte machen bislang keine offiziellen Angaben dazu. In Zeitungen sind unterschiedliche Zahlen zur Anwesenheitsquote der Reservisten zu lesen, von etwa 60 Prozent[2] bis hin zu weiterhin nahe 100 Prozent.[3] Strafmaßnahmen werden derzeit nur vereinzelt umgesetzt. Die israelische Regierung kündigte daraufhin an, die Einkommenssteuer für Reservisten, abhängig von der Länge ihres Dienstes, zu senken. Zudem sollen die Lasten auf Spezialeinheiten verlagert werden. Ob diese Maßnahmen wirken, um die Anwesenheit der Reservisten anzuheben, bleibt abzuwarten. Auf der anderen Seite demonstrierten Ultraorthodoxe gegen Einberufungen. Die beiden ultraorthodoxen Parteien in der Regierungskoalition, Shas und Vereinigtes Thora-Judentum, haben ihre Minister abgezogen und Premierminister Netanjahu ein Ultimatum gestellt: Sollte bis zum 19. Oktober, der Beginn der nächste Sitzungsphase der Knesset, keine Lösung gefunden werden, wollen sie ihm ihre Unterstützung in der Knesset entziehen, was zur Auflösung des Parlaments und damit zu vorgezogenen Neuwahlen führen könnte.
Das zweite und zentralste Thema für die tiefe Polarisierung ist der Umgang mit den Geiselverhandlungen mit der Hamas. Schon kurz nach Beginn des Krieges kam es jeden Samstagabend zu öffentlichen Kundgebungen in Tel Aviv, Jerusalem und weiteren Städten. Bei damit verbundenen Demonstrationen kamen zuletzt Anfang September 2025 Tausende Personen nach Jerusalem, um am 700. Tag nach dem 7. Oktober 2023 für einen Deal mit der Hamas und die Freilassung der Geiseln zu demonstrieren. Während die Demonstranten zunächst die Freilassung aller Geiseln und erst danach den entscheidenden Kampf gegen die Hamas fordern, versprechen Netanjahu und seine Regierung die Vernichtung der Hamas, worauf die Freilassung aller Geiseln folgen solle. In Struktur und Dynamik ähneln die Proteste zur Freilassung der Geiseln stark den Demonstrationen gegen die Justizreform – viele Personen, Netzwerke und Symbole prägen beide Bewegungen. Als die Regierung im März mit dem Prozess begann, die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara zu entlassen, kam es am folgenden Samstag kurzerhand zu großen Protesten sowohl wegen der Geiseln als auch wegen der geplanten Entlassung und der voranschreitenden Justizreform.
Laut einer aktuellen Umfrage des Israeli Democracy Institute (IDI) unterstützen etwa zwei Drittel der Befragten ein Abkommen, bei dem alle Geiseln freigelassen, alle Kämpfe eingestellt und Israel seine Positionen im Gazastreifen räumt.[4] Mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler von Likud und den ultraorthodoxen Parteien – den zentralen Parteien der gegenwärtigen Regierungskoalition – befürworten ein solches Abkommen. Ähnliche Resultate, vor allem von Wählern der Regierungskoalition, ermittelte Ende September die Tageszeitung Maariv bei einer Umfrage zu Trumps neuem 21-Punkte-Plan für die Friedensverhandlungen im Nahen Osten.[5] Dennoch lassen sich signifikante Unterschiede zwischen links- und rechtsgerichteten Wählern in ihrer jeweiligen Einstellung gegenüber der Regierungsarbeit feststellen. Eine überwiegende Mehrheit der Wähler aus dem linken Politikspektrum ist davon überzeugt, dass die Regierung mehr für ihr eigenes politisches Überleben tut, als sich um die Befreiung der Geiseln und die Beendigung des Krieges zu bemühen. Die nach wie vor offengebliebene Wunde in Israel seit dem Terrorüberfall der Hamas wird durch den Befund der IDI-Umfrage verdeutlicht, wonach in der jüdischen Bevölkerung mehr Befragte die jüngste Entscheidung des Kabinetts unterstützen, die Militäroperationen im Gazastreifen auszuweiten, als sie ablehnen. Unter den israelisch-arabischen Bürgern lehnt eine sehr große Mehrheit diesen Plan allerdings ab.
Parallel zur weiteren Eskalation im Krieg in Gaza und Verschärfung der humanitären Lage dort hat die internationale Debatte über die Anerkennung eines palästinensischen Staates an Schärfe gewonnen. Mehrere europäische Staaten, darunter Spanien und Norwegen, entschieden sich bereits 2024 zur Anerkennung. Auch damit verbunden ist die jüngste Ankündigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, manche Förderprogramme mit Israel suspendieren zu wollen. Im Rahmen der UN-Vollversammlung Ende September 2025 kündigten unter anderem Frankreich und Belgien an, ebenfalls einen palästinensischen Staat anzuerkennen. In Israel wird dies als gefährlicher Präzedenzfall und „Belohnung des Terrors“ kritisiert. Innerhalb der Koalition nehmen zudem die Forderungen nach unumkehrbaren territorialen Schritten mit einer Annexion von Teilen des Westjordanlands als Reaktion auf diese Entwicklungen zu – auch trotz Widerspruch seitens des US-Präsidenten Trump. Israels Regierung steht unter wachsendem internationalem Druck – und gleichzeitig unter dem Eindruck zunehmender Isolation.
Wo steht die Wirtschaft nach zwei Jahren Krieg?
Der andauernde Krieg mit mehreren Fronten hat Israels Wirtschaft schwer getroffen. Umso einschneidender ist dies, weil das Land nach den Pandemiejahren eigentlich wieder auf einem stabilen Wachstumspfad lag. In den fünf Jahren vor der Pandemie (2015–2019) wuchs die israelische Wirtschaft im Schnitt um 3,7 Prozent pro Jahr. 2023 verlangsamte sich das Wachstum auf 1,8 Prozent, weil im letzten Quartal des Jahres, aufgrund des Terrorüberfalls vom 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Krieg, die Wirtschaft um 5 Prozent einbrach. 2024 konnte immerhin noch ein Plus von 0,9 Prozent erzielt werden.[6] Die OECD prognostizierte im Juni 2025 ein Wachstum von 3,3 Prozent – nahe dem Vorkrisenniveau.[7] Grundlage war die Entspannung an der Nordgrenze. Doch diese Erwartung zerplatzte mit dem Krieg gegen den Iran. Nach Angaben der israelischen Statistikbehörde schrumpfte die Wirtschaft im zweiten Quartal 2025 um 3,5 Prozent: Geschäfte blieben geschlossen, Flüge fielen aus, Investitionen wurden gestoppt.[8] Damit wird deutlich: Solange Israel militärisch in großflächige Konflikte verstrickt bleibt, sind verlässliche Wachstumsprognosen kaum möglich.
Seit dem 7. Oktober 2023 ist zudem das internationale Vertrauen in Israel deutlich zurückgegangen. Die Direktinvestitionen aus dem Ausland lagen 2024 bei 16,8 Mrd. US-Dollar – so niedrig wie seit 2017 nicht mehr. Noch 2022, im Jahr vor dem Angriff der Hamas, hatten sie mit 22,9 Mrd. US-Dollar den höchsten Stand seit über 15 Jahren erreicht.[9] Auch der Tourismus ist eingebrochen. Vor der Pandemie kamen jährlich über vier Mio. Besucher, was mehr als fünf Prozent zum BIP beitrug. 2023 waren es 3,2 Mio. – ein deutliches Zeichen der Erholung nach Covid.[10] 2024 sank die Zahl erneut drastisch auf unter eine Million.[11]
Der Arbeitsmarkt leidet unter doppeltem Druck: dem Wegfall palästinensischer Arbeitskräfte und der hohen Belastung durch Einberufungen der Reservisten. Nach dem 7. Oktober wurden fast alle Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser aus Gaza und dem Westjordanland annulliert. Zuvor hatten rund 164.000 Palästinenser in Israel oder Siedlungen gearbeitet[12], darunter 18.000 aus Gaza – unverzichtbar für das Baugewerbe und die Landwirtschaft. Bisher war es nicht möglich, dies mit Arbeitern aus anderen, vor allem asiatischen Ländern zu kompensieren.[13]
Hinzu kam die Mobilisierung von bis zu 300.000 Reservisten Ende 2023, später erweitert auf bis zu 450.000 im Mai 2025. Vor dem Krieg machten Reservedienste weniger als 0,1 Prozent aller Arbeitsstunden aus, im letzten Quartal 2023 lag der Anteil bei fünf Prozent. 2024 sank er auf etwa ein Prozent – immer noch eine Verzehnfachung gegenüber der Vorkriegszeit und eine deutliche Belastung für die israelische Wirtschaft.[14] Besonders schmerzhaft ist der Einbruch im High-Tech-Sektor, Israels wichtigstem Wachstums- und Innovationsmotor. Rund zwölf Prozent der Beschäftigten arbeiten hier, sie erwirtschaften etwa 20 Prozent des BIP und leisten 25 Prozent des gesamten Einkommenssteueraufkommens. 2024 ging die Zahl der Beschäftigten erstmals seit einer Dekade wieder zurück.[15] Sollte sich dieser Trend verstetigen, droht Israels wichtigste Branche dauerhaft Schaden zu nehmen.
Die Kosten des Krieges engen zudem die finanziellen Möglichkeiten der Regierung ein, auf die Probleme zu reagieren. Laut dem schwedischen Forschungsinstitut SIPRI stieg der Anteil der Verteidigungsausgaben gemessen am BIP von 5,4 Prozent in 2023 auf 8,8 Prozent in 2024[16], 2025 blieben die Verteidigungsausgaben ähnlich hoch.[17] Die Neuverschuldung erreichte fast fünf Prozent des BIP, trotz höherer Mehrwertsteuer und Sozialabgaben. Die steigende Neuverschuldung zeigt, dass fiskalische Spielräume schrumpfen. Und trotzdem weist Israel bessere ökonomische Kennzahlen auf als einige westeuropäische Staaten – ein Paradox, das die Widerstandskraft der israelischen Volkswirtschaft – auch durch die beeindruckende Stärke des IT-Sektors mit Megadeals wie der Verkauf von CyberArk und Wiz an US-Technologieunternehmen – unterstreicht.
Wie geht es den Israelis?
Das israelische Gesundheitssystem hat nach dem 7. Oktober 2023 und während der Angriffe des Iran seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Als beispielsweise iranische Raketen am 19. Juni 2025 das Soroka Medical Center in Beer Sheva trafen, konnten Patienten zügig auf andere Krankenhäuser evakuiert werden, die Versorgung blieb erhalten.
Weit herausfordernder sind jedoch die psychischen Folgen der vergangenen zwei Jahre. Der Angriff der Hamas und der anhaltende Krieg in Gaza belasten die Gesellschaft schwer, gerade nach der traumatischen Erfahrung der Pandemie. Ein Indikator dafür ist ERAN (Emotional First Aid), eine Kontaktstelle für psychologische Hilfe am Telefon oder über das Internet. ERAN hat seit dem 7. Oktober über 500.000 Anrufe registriert, davon 100.000 von Minderjährigen – das entspricht rund fünf Prozent der Bevölkerung. Die Zahl der diagnostizierten PTSD-Erkrankten hat sich in Israel nach dem 7. Oktober verdoppelt. Ähnliches gilt für Depressionen und Angststörungen.[18] Die Zahl der Israelis, die nahe dem Gazastreifen leben und regelmäßig verschreibungspflichtige Antidepressiva nehmen müssen, hat sich vervierfacht.[19] Laut dem ICA, dem Israeli Center for Addiction, ist einer von drei Israelis zwischen 18 und 26 Jahren gefährdet, eine Sucht zu entwickeln – oder hat sie bereits entwickelt. Der Konsum von Alkohol, Zigaretten, Drogen o. Ä. ist in dieser Altersgruppe deutlich gestiegen. Am stärksten nahm der Konsum in Gegenden rund um den Gazastreifen zu.[20]
Eine besonders betroffene Gruppe sind die israelischen Soldaten. Seit dem 7. Oktober 2023 wurden 6.218 Soldaten der israelischen Streitkräfte verwundet (Stand 6. September 2025). Seit Beginn der Bodenoffensive im Oktober 2023 sind 456 israelische Soldaten gefallen.[21] Über 30 Soldaten nahmen sich seit Beginn des Krieges das Leben, davon 21 im Jahr 2024 – die höchste Zahl seit 2011.[22] Auch unter Soldaten und Reservisten sind die Raten von PTSD deutlich angestiegen. Seit Beginn des Krieges haben etwa 4.000 Soldaten psychologische Hilfe der Streitkräfte in Anspruch genommen. Vor Beginn des Krieges lag der Jahresdurchschnitt bei 270.[23] Reservisten sind ebenfalls stark betroffen: Schätzungen zufolge leidet rund die Hälfte von ihnen an PTSD oder anderen psychischen Problemen; sie stellen zugleich die Mehrheit der Verwundeten. Ihre psychischen Probleme sind schwieriger zu ermitteln, da sie zum Teil erst nach dem Reservedienst im Privatleben psychologische Hilfe suchen.[24] Für Reservisten entsteht mentaler Stress auch durch ökonomische Unsicherheit. Nach einer Umfrage des Israeli Employment Service, ähnlich der deutschen Bundesagentur für Arbeit, haben 75 Prozent der Reservisten ökonomische Nachteile durch ihre Einberufung, die Hälfte davon beschreibt die Auswirkungen als „signifikant“. Rund 20 Prozent befürchten sogar, ihren Arbeitsplatz nach Rückkehr in das zivile Leben zu verlieren.[25]
Ausblick: Israel vor entscheidenden Wahlen
Die Welt nach dem 7. Oktober 2023 ist für Israel nicht wie davor: Für Israel und die Israelis ist klar, dass Kompromisse bei der eigenen Sicherheit nicht mehr akzeptiert werden dürfen. Die Terrorrangriffe der Hamas habe den Staat in seinen Grundfesten erschüttert und das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in seine Institutionen beschädigt. Vieles ist auch noch unklar, vor allem der Fortgang des Krieges in Gaza und das Schicksal der Geiseln. Nach der jüngsten Ankündigung von Trumps neuem Plan in Anwesenheit von Netanjahu zur Befriedung der Region gibt es zwar Hoffnung, doch es bleiben viele Fragen offen – insbesondere, ob die israelischen Minister Ben-Gvir und Smotrich bei der Umsetzung weiterhin Teil der Regierung bleiben werden und ob die Hamas dem Plan überhaupt zustimmen wird. Diese Entwicklungen werden die israelische Politik und Gesellschaft, die Außenbeziehungen zu Deutschland und Europa sowie zu den Nachbarstaaten und der gesamten Welt prägen.
Mitte Oktober kommt die Knesset nach der Sommerpause und den jüdischen Feiertagen wieder zusammen. Gelingt es Premierminister Netanjahu, seine Regierung zusammenzuhalten, oder wird das Parlament aufgelöst? Sicher ist: Spätestens 2026 werden die nächsten Parlamentswahlen stattfinden. Der reguläre Wahltermin ist für Oktober 2026 vorgesehen. Zerbricht die Koalition, könnte es schon früher zu Wahlen kommen. Die kommende Wahl gehört zu den wichtigsten in den vergangenen Dekaden für die Zukunft des Landes. Gelingt Netanjahu trotz des 7. Oktobers der erneute Wahlsieg, oder wird er abgelöst? Gelingt die Bildung einer stabilen Koalition, oder kommt es zu zähen politischen Verhandlungen mit wiederholten Parlamentswahlen, wie es 2019-2022 der Fall war?
Die Zahl der Parteien, die schon jetzt angekündigt haben, bei der kommenden Wahl neu anzutreten, ist beachtlich. Ein Ausschnitt: Der ehemalige Premierminister Naftali Bennet kehrt zurück, der ehemalige Direktor des Mossad Yossi Cohen und der ehemalige Generalstabschef Gadi Eisenkot, früher Mitglied bei Blau-Weiß, planen, jeweils eigene Parteien zu gründen. Auch der ehemalige Kommunikationsminister Yoaz Hendel hat angekündigt, mit seiner neu gegründeten Reservistenpartei bei den kommenden Wahlen, um Mandate zu kämpfen. Welche Parteien den Einzug in die Knesset schaffen, ist aktuell noch unklar. Nach Medienberichten bemühen sich einige Personen in der Opposition, darunter Eisenkot, Yair Lapid, Bennet und Avigdor Liebermann, um eine Koalition, die die aktuelle Regierungskoalition ersetzen kann. Umfragen sind zum aktuellen Zeitpunkt noch mit großer Vorsicht zu lesen. Nach aktuellem Stand wird es ein Kampf zwischen dem Likud und der Bennet-Partei um den Wahlsieg geben, wenn keine anderen Bündnisse vor den Wahlen zustande kommen. Die aktuelle Regierungskoalition verfügt über keine Mehrheit in den Umfragen,[26] so dass, nach aktuellem Stand, Netanjahus Wiederwahl als Premierminister gefährdet, aber nicht ausgeschlossen ist.
Darüber hinaus steht Israel vor einer noch größeren Frage: Wie kann ein Land, das seit zwei Jahren im Krieg lebt, seine Demokratie erneuern, gesellschaftlichen Zusammenhalt wiederherstellen und gleichzeitig seine Sicherheit in einem äußerst herausfordernden Umfeld gewährleisten? Die Antwort darauf wird nicht nur Israels Zukunft bestimmen, sondern auch die Stabilität des Nahen Ostens und das Verhältnis westlicher Demokratien zu einem zentralen Partner in der Region.
[1] Britannica, Israel-Hamas War - Ceasefire and hostage exchange (January–March 2025) | Britannica [22.09.2025].
[2] KAN, 85% or 50%? Bluff of the data for reporting for reserve duty [22.09.2025] & NYTimes, Israel’s Exhausted Soldiers Complicate Plans for Gaza Assault [28.08.2025].
[3] ToI, Sharp drop seen in reservist response rate due to burnout amid long war [22.09.2025] & The Guardian, ‘We are dying for no reason’: Israeli reservists face fresh call-up for a war dividing their nation [02.09.2025]
[4] IDI, Even on the Right, Largest Share of Israelis Support Hostage Deal That Includes Full Withdrawal from Gaza - The Israel Democracy Institute [27.09.2025].
[5] JPost, Nearly half of Netanjahu voters support Trump’s 21 points Gaza Plan [27.09.2025].
[6] World Bank, GDP growth (annual %) - Israel [17.09.2025].
[7] OECD, OECD Economic Outlook, Volume 2025 Issue 1 – Israel [22.09.2025].
[8] ToI, Israel’s economy slumps 3.5%, as Iran war squeezes consumer spending and business [22.09.2025].
[9] World Bank, FDI, net inflows, current US$ - Israel [03.07.2025].
[10] Central Bureau of Statistics – State of Israel, Tourism and Hotel Services Statistics Quarterly, Volume 53, No. 1, Jerusalem, April 2025, PDF, S. 29 [22.09.2025].
[11] Central Bureau of Statistics – State of Israel, Tourism and Hotel Services Statistics Quarterly, Volume 53, No. 1, Jerusalem, April 2025, PDF, S. 29 [22.09.2025].
[12] PCBS, Basic Results of the Second Quarterly Labor Force Survey Session, April-June 2023, [22.08.2025].
[13] AP News, Israel deports thousands of Palestinian workers back to Gaza’s war zone [22.09.2025].
[14] IDI, The Burden of Reserve Duty on the Working Population in Israel [22.09.2025].
[15] DW, Can Israel’s economy withstand multiple conflicts? [22.09.2025].
[16] SIPRI, SIPRI Military Expenditure Database [22.09.2025].
[17] ToI, Israel leads global surge in military spending, with steepest increase since 1967 [22.09.2025].
[18] Neria, Yuval et al. (2025): Israeli mental health in the aftermath of the October 7 terrorist attack: risks, challenges, and recommendations, Israel Journal of Health Policy Research 14 (1), p. 2-3 [22.09.2025].
[19] JPost, Report highlights challenges in Israel’s healthcare system post-Oct 7 [22.09.2025].
[20] JPost, The war will end, but the habit remains’: Israel’s growing crisis of trauma and addiction [19.08.2025].
[21] Ministry of Foreign Affairs, Swords of Iron: IDF Casualties [18.09.2025].
[22] JPost, Our Soldiers must not be left to deal with trauma alone – editorial [22.07.2025].
[23] ToI, Knesset Immigration committee examines mental health challenges faced by IDF’s lone soldiers [06.08.2025].
[24] ToI, As IDF raises reservist call-up cap to 450,000, wary troops decry low Haredi enlistment [22.09.2025].
[25] Ynet, The cost of war: 41% of IDF reservists report job loss after prolonged deployment [22.09.2025].
[26] JPost, Bennett closes election gap against Benjamin Netanyahu | The Jerusalem Post [22.09.2025].
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