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Regierungswechsel in der Slowakei

von Dr. Hubert Gehring, Christoph Thanei

Schnelle Regierungsbildung der Mitte-Rechts-Parteien

Auch im Tempo der Regierungsbildung hat das Wirtschaftswachstumsland Slowakei wieder die tschechischen Nachbarn in den Schatten gestellt: Obwohl in Tschechien schon Ende Mai ein neues Parlament gewählt worden war und in der Slowakei erst am 12. Juni, konnten sich die Slowaken schon am 8. Juli über eine neue Regierung freuen.

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Für diesen Tag hatte Staatspräsident Ivan Gašparovič schon gleich nach der Wahl die konstituierende Sitzung des neu gewählten Parlaments anberaumt und der bisherige sozialdemokratische Premier Robert Fico den formellen Rücktritt seiner Regierung im Anschluss an die Sitzung angekündigt.

Kurzzeitig schien die Voraussage von Iveta Radičová, bis dahin werde die neue Regierungskoalition sicher längst schon feststehen, fast etwas zu optimistisch. Denn notwendige Kompromisse zogen zum Schluss doch noch die Aufteilung der Ministerposten um ein paar Tage in die Länge. "Wir bilden da nicht irgendeine Bezirksgruppe, sondern die Regierung der Slowakei", begründeten die künftigen Koalitionspartner aber diese kleine Verzögerung gelassen.

Auch wenn dann noch einige Detailverhandlungen hinter verschlossenen Türen notwendig wurden, war das Tempo der Regierungsbildung beachtlich: Erst am 23. Juni hatte der sozialdemokratische Noch-Premier Robert Fico seinen Auftrag zur Regierungsbildung zurück gegeben, den ihm Staatspräsident Ivan Gašparovič der Form halber nach den Wahlen am 12. Juni erteilt hatte. Zwei Stunden später nahm die 53-jährige Soziologieprofessorin Iveta Radičová nicht nur als erste Frau in der Geschichte der Slowakei den Auftrag zur Regierungsbildung an. Sondern sie konnte auch schon einen in der Nacht zuvor in einer Marathonverhandlung vereinbarten Rahmen für das künftige Regierungsprogramm präsentieren.

Und am Dienstag, den 6. Juli, noch zwei Tage vor der selbstgesteckten Deadline, konnten Radičová und die vier Parteichefs der künftigen Mitte-Rechts-Koalition in öffentlicher Zeremonie ihren Koalitionsvertrag unterzeichnen. (Radičová selbst ist keine Parteichefin, sondern war "nur" Spitzenkandidatin der christlich-liberalen SDKÚ-DS, deren Parteichef weiterhin Ex-Premier Mikuláš Dzurinda bleibt.) Einer Vereidigung am 8. Juli stand außer mancherseits befürchteter Verzögerungen beim Wechsel der Parlamentsfunktionen (durch die automatisch auch die anschließende Demission der alten Regierung verschoben worden wäre) nichts mehr im Wege.

"Die Slowakei soll wieder ein Ort für ein würdiges Leben werden", verkündete die künftige Premierministerin Iveta Radičová nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages als gemeinsames Ziel der von ihr geführten Regierung. Sie versprach "ein verantwortungsvolles und transparentes Regieren", bei dem die Bekämpfung der Korruption neben der Eindämmung des Haushaltsdefizits oberste Priorität sein werde. In Anspielung auf zahlreiche Korruptionsskandale aller bisherigen Regierungen drohte Radičová auch ihren Regierungspartnern mit "Nulltoleranz" schon beim ersten begründeten Verdacht von Korruption.

"Ich halte das Ruder fest in der Hand", sagte sie und forderte zugleich die Medien auf, ihre "Kontrollfunktion" gegenüber der Politik wahr zu nehmen. Damit betonte sie auffallend einen deutlichen Unterschied zum bisherigen sozialdemokratischen Premierminister Robert Fico, der sich vier Jahre lang heftige Auseinandersetzungen mit fast allen Medien geleistet und Journalisten teilweise feindlich behandelt und auch mit teils äußerst derben Beschimpfungen bedacht hatte. Fico hatte wiederholt die Medien pauschal als "eigentliche Opposition" bezeichnet, die voreingenommen gegen seine Regierung sei. Die Medien hatten in Ficos vierjähriger Regierungszeit zahlreiche Skandale aufgedeckt, in die vor allem die beiden kleineren rechtspopulistischen Regierungsparteien verwickelt waren, aber auch Ficos dominierende Sozialdemokraten selbst. Fico führt noch immer eine ganze Reihe von Gerichtsprozessen gegen mehrere Zeitungen wegen angeblicher Ehrenbeleidigung.

Neue Parteien mit altbekannten Gesichtern aus der glorreichen Reform-Ära

Auch wenn formell zwei der vier künftigen Regierungsparteien erst kurz vor der Parlamentswahl vom 12. Juni neu gegründet wurden, gehörten zumindest ihre Führer schon zu jener Mannschaft, die kurz nach der Jahrtausendwende mit ihren radikalen Reformen für internationale Furore sorgten. Die Weltbank hatte damals die Slowakei als "reformorientierteste Volkswirtschaft der Welt" ausgezeichnet.

Béla Bugár, der jetzt die neue slowakisch-ungarische Partei Most-Híd (slowakisch und ungarisch für "Brücke") zu einem sensationellen Wahlerfolg führte, war damals Parteichef der mitregierenden Ungarn-Partei SMK/MKP, die nach seinem Abgang auf eine eher nationalistischere Schiene umschwenkte und prompt von den Wählern mit dem Rauswurf aus dem Parlament bestraft wurde.

Und Richard Sulík, der zum Teil in Deutschland aufgewachsene Gründer der noch erfolgreicheren Parteineugründung Freiheit und Solidarität SaS, ging seit jeher damit hausieren, dass er als Berater des damaligen Finanzministers Ivan Mikloš die eigentlich treibende Kraft hinter der Einführung der Einheitssteuer (Flat tax) von 19 Prozent für alle Einkommen von Unternehmen und Privatpersonen im Jahr 2004 gewesen war. Stärkste Kraft der neuen Regierung aber ist jetzt wieder die christlich-liberale SDKÚ-DS des ehemaligen Reform-Premiers Mikuláš Dzurinda, die sich mit der künftigen Premierministerin Iveta Radičová nur ein neues Gesicht gegeben hat. Und auch die christlich-konservative KDH mit Ex-EU-Kommissar Ján Figeľ als neuem Frontmann ist eine alte Bekannte der damaligen Reformregierung.

Die wichtigsten und bekanntesten Namen der neuen Regierung

Auch in der Regierungsmannschaft selbst finden sich mehrere bekannte Gesichter, die nach vier Jahren Intermezzo durch Robert Ficos linksnationalistische Koalition wieder in die Regierung zurückkehren. Radičovás christlich-liberale Partei SDKÚ-DS erhält neben dem Premiersamt das Finanz- und das Außenministerium sowie zwei weitere Ressorts. Außenminister soll Ex-Premier und noch immer SDKU-Parteichef Mikuláš Dzurinda werden. Und das Finanzministerium übernimmt wieder Ivan Mikloš, der sich schon mit der Einführung der Einheitssteuer (Flat tax) 2004 und der Vorbereitung auf den erst während der Fico-Regierung vollzogenen Beitritt zur Eurozone den weltweiten Titel "bester Finanzminister" der Zeitschrift Euromoney erworben hatte.

Die bis heute gültige Einheitssteuer von 19 Prozent hat inzwischen in vielen anderen europäischen Ländern vor allem des „neuen Europa“ Nachahmer gefunden. Selten erwähnt wird dabei aber, dass für Steuerzahler in der Slowakei im Vergleich zu anderen Ländern vor allem als Vorteil zählt, dass die Steuer nicht nur niedrig, sondern vor allem einfach auszurechnen ist, was auch kleinere und mittlere Firmen ins Land locken kann. Nun soll Mikloš der Slowakei die unter Fico verlorene Rolle als europäischer Reform-Vorreiter zurückgeben.

Dzurinda wird sich als Außenminister zunächst darum kümmern müssen, die irritierten EU-Partner zu besänftigen. "Die Slowakei wird den Euro-Schutzschirm nicht blockieren", widersprach Radičová schon ihren eigenen Wahlkampftönen. Ein bisschen Nachverhandeln werde aber doch noch nötig sein, merkte sie an. Gerade sie und ihre Partei hatten mit dem Argument, die arme Slowakei dürfe nicht für das reichere Griechenland zur Kasse gebeten werden, für merkliche Verstimmung gesorgt, nachdem Fico ein solidarisches Mitmachen der Slowakei bereits zugesichert hatte: "Wir dürfen nicht nur die Vorteile der Europäischen Union genießen, aber abseits stehen, wenn unsere Solidarität gefragt ist", hatte Fico wiederholt gemahnt.

Die Slowakei ist wegen des Machtwechsels das einzige Land, das bei den Griechenland-Hilfsmaßnahmen und dem Euro-Schutzschirm noch immer auf der Bremse steht. Mikloš will aber schon am Montag nach seiner Ernennung Verhandlungen mit den anderen EU-Finanzministern über eine eventuell etwas reduzierte Beteiligung der Slowakei aufnehmen. Mehrere Politiker der neuen Koalition hatten nicht nur im Wahlkampf darauf hingewiesen, die Slowakei habe "gewissenhaft alle Anstrengungen unternommen, um der Eurozone beitreten zu können". Dafür dürfe man die Slowaken jetzt nicht damit bestrafen, dass sie für undiszipliniertere andere Partner wie Griechenland zahlen müssten.

Die neoliberale Parteineugründung Freiheit und Solidarität SaS des Ökonomen Richard Sulík, die bei den EU-Maßnahmen noch radikaler gebremst hatte und Griechenland lieber in den Bankrott schicken als ein "falsches Signal" an die Finanzmärkte aussenden wollte, darf ihren Reformeifer in den mächtigen Ministerien für Wirtschaft bzw. Soziales unter Beweis stellen. Neben zwei weiteren Ministerien erhält die SaS auch die Funktion des Parlamentspräsidenten - Sulík selbst. Und Béla Bugár kehrt nach dem sensationellen Wahlerfolg seiner slowakisch-ungarischen Partei Most-Híd wieder in seine langjährige Funktion als Vizepräsident des Nationalrats zurück.

Most-Híd wird auch in der Regierung exakt jene drei Ministerien besetzen, die die alte Ungarn-Partei SMK/MKP in der Dzurinda-Regierung bis 2006 inne hatte (Vizepremier für Minderheitenfragen, dazu das Landwirtschafts- und das Umweltministerium). Ebenfalls drei Ministerien (Innen-, Gesundheits- und Ministerium für Verkehr) erhält die christlich konservative KDH. Ihr neuer Parteichef, Ex-EU-Kommissar Ján Figeľ, übernimmt das Ministerium für Verkehr, das unter anderem um die Tourismus-Kompetenzen aber auch einen guten Teil der Verantwortung für EU-Fördergelder aufgewertet wird.

Neuer Reformschwung für die Slowakei

Drastische Sparmaßnahmen, weitere Reformen des Sozial- und Gesundheitssystems, eine Modernisierung des im Kern noch aus realsozialistischer Zeit stammenden Bildungswesens und ein ehrgeiziges Programm zur Korruptionsbekämpfung sind die Eckpfeiler der künftigen Politik. Dass alle jene Punkte, über die es keine Einigung zwischen allen vier Partnern gab, einfach aus dem Programm gestrichen wurden, ist dabei ein nicht zu unterschätzender Erfolg der christlich-liberalen Regierungschefin. Schließlich musste die neoliberale SaS die Streichung ihrer prominentesten Wahlkampftrümpfe von der völligen Neudefinition von Bruttolöhnen bis hin zur Entkriminalisierung von Marihuana akzeptieren, während die konservative KDH auf die Konkretisierung von Vatikanverträgen verzichten muss, wegen derer sie vor vier Jahren sogar eine Regierungskoalition gesprengt hatte.

Schluss mit den ständigen Verbalattacken gegen Großinvestoren und den skandalösen Auftragsvergaben an "befreundete" Firmen. Dafür eine neue Privatisierungswelle und eine konsequente Förderung des Mittelstandes. Vor allem aber eine konsequente Sparpolitik: So ließe sich der angekündigte neue Reformschwung für die Slowakei in Schlagworte fassen. Alles soll anders werden. Mit der Misswirtschaft der bisherigen links-nationalistischen Regierung unter dem bisherigen sozialdemokratischen Premier Robert Fico werde ordentlich aufgeräumt, verkündeten die vier künftigen Regierungsparteien euphorisch.

Doch was hat die neue Regierung so Neues zu bieten, wo doch der scheidende Premier Fico weder die ursprünglich von ihm als "nur gut für die Reichen" kritisierte Flat tax abschaffte, noch wagte, die von ihm kritisierten Banken ernsthaft um ihre Profite zu bringen? Am vielversprechendsten sind die Pläne der neu entstehenden Koalition ausgerechnet in Ficos ureigenstem Revier, der Korruptionsbekämpfung. Fico hatte die Wahlen 2006 nicht zuletzt mit heftiger Kritik an der Korruptionsanfälligkeit aller Vorgänger-Regierungen gewonnen. Nach vier Jahren im Amt konnte er aber immer weniger den Eindruck verwischen, in seiner Regierungszeit sei die Korruption und Cliquenwirtschaft sogar noch schlimmer geworden: Seine beiden zur Mehrheitsbeschaffung benötigten rechtspopulistischen Koalitionspartner vermittelten den Eindruck, nur in der Regierung zu sein, um die ihnen zugeteilten Ministerien ungehemmt ausplündern zu können. Und auch auf die Fico-Partei selbst fiel gerade in Zusammenhang mit der Vergabe der elektronischen Maut als größtem Staatsauftrag in der Geschichte der Slowakei der Schatten der Bestechlichkeit. Die neuen Regierungsparteien wollen die Korruption nicht mehr nur verbal bekämpfen, sondern mit konkreten Maßnahmen: Alle Verträge, Rechnungen und sonstigen Finanztransaktionen, die öffentliche Finanzen betreffen, sollen erst dann überhaupt gültig werden, wenn sie zuvor im Internet veröffentlicht wurden. Und der bei der Vergabe des Maut-Auftrags gegen die österreichische Firma Kapsch und das italienisch-österreichische Konsortium Slovakpass angewendete "Ausschluss aus formalen Gründen" soll überhaupt verboten werden.

Die von Premier Fico unterstützte russische Breitspur-Eisenbahn nach Wien findet bei den neuen Regierungsparteien hingegen keine Gegenliebe: Schon in ihren Oppositionszeiten hatten die Christlich-Liberalen wiederholt kritisiert, man werde die strukturschwache Ostslowakei endgültig aushungern, wenn man ihr den jetzigen Umladebahnhof Čierna nad Tisou (dort endet derzeit die Breitspur-Eisenbahn aus der Ukraine kommend) nehme und stattdessen das Verladegeschäft nach Österreich verschiebe. Und der von Fico forcierte Neubau eines zusätzlichen Atomkraftwerks in Jaslovské Bohunice kommt für die neuen Regierungsparteien nur in Frage, wenn er durch private Investoren finanziert wird.

Man wird abwarten müssen, ob die genannten Reformprojekte und Regierungsvorhaben auch letztendlich in die Tat umgesetzt werden. Wenn es nach der aktuellen Stimmung geht, darf man jedoch guter Hoffnung sein, das Klima zwischen den beteiligten Parteien stimmt, alle mussten und sind Kompromisse eingegangen und selbst beim schwierigsten Punkt, der Ressortverteilung wurde relativ schnell eine einvernehmliche Lösung gefunden.

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14. Juni 2010
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