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Dreißig Jahre Freundschaft mit Deutschland und die aktuelle Situation in Europa und in der Welt.

von Gabriela Tibenská

Podiumsdiskussion in der Botschaft der Slowakischen Republik in Berlin

Im Februar 2022 jährte sich zum 30. Mal die Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit.

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30 Jahre Vertrag über gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland

Videoaufnahme von der Podiumsdiskussion in der slowakischen Botschaft in Berlin am 16.05.2022

Zu diesem Anlass trafen in der Botschaft der Slowakischen Republik in Berlin die bei der Vertragsunterzeichnung anwesenden Persönlichkeiten, František Mikloško, damaliger Präsident des Slowakischen Nationalrats, und Pavol Demeš, Minister für internationale Beziehungen der Slowakischen Republik a. D., sowie weitere Politiker und Politologen zusammen. Es wurde über die Bedeutung des Freundschaftsvertrags, sowie über die aktuellen Ereignisse in Europa und der Welt im Zusammenhang mit dem Kriegskonflikt in der Ukraine diskutiert. An der Podiumsdiskussion nahmen teil Renata Alt, MdB, Georg Milbradt, ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen, Peter Osuský, Mitglied des Slowakischen Parlaments, Tomáš Strážay, Leiter der Slowakischen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Botschafter Marián Jakubócy und Frau Zarife Gagica von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin begrüßten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Im Eröffnungsdialog wurde an die bahnbrechenden Ereignisse in Europa in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren - den Fall der Berliner Mauer, die Wiedervereinigung Deutschlands und den Fall des Eisernen Vorhangs erinnert. Ermöglicht wurden diese Ereignisse durch die Unterstützung des Westens und der USA, aber auch durch die stille Zustimmung des aufgeklärten Staatspräsidenten der damaligen Sowjetunion Michail Gorbatschow und seines Außenministers Eduard Schewarnadse. Heute, mehr als dreißig Jahre später, erleben wir den schockierenden Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und das Bemühen um die Wiederherstellung des Totalitarismus der Vor-Gorbatschow-Ära. Wie Europa, die Slowakei und Deutschland mit dieser dramatischen Situation umgehen und welche sind die aktuellen Herausforderungen, darüber diskutierten die Redner während der Podiumsdiskussion.

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Im ersten Teil der Veranstaltung wurden die wichtigsten Ereignisse, die der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrags vorausgingen, erörtert - vom Fall der Berliner Mauer bis zur Gründung der unabhängigen Slowakei im Jahr 1993. František Mikloško erwähnte die vielen wichtigen Besuche in der Slowakei nach dem Fall des Kommunismus und erzählte über sein Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Der ehemalige Nationalratspräsident hält den Freundschaftsvertrag, der auf mehreren Seiten die Zusammenarbeit in allen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens behandelt, für eine der größten Errungenschaften der damaligen tschechoslowakischen Politik. Nach der Teilung der Tschechoslowakei wurde dieser Vertrag von den beiden Nachfolgestaaten - der Tschechischen und der Slowakischen Republik - unverändert übernommen. Herr Mikloško hob auch die Bedeutung der deutschen politischen Stiftungen hervor, insbesondere der Hanns-Seidel-Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung, die den Demokratisierungs- und Integrationsprozess der Slowakei in jeder Hinsicht unterstützt haben, wie es auch Zarife Gagica von der Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrer Einführung erwähnte.

Der zweite Teil der Diskussion befasste sich mit dem aktuellen Thema der russischen Aggression in der Ukraine und deren Folgen für die Region, Europa und die Welt. Renata Alt, Bundestagsabgeordnete slowakischer Herkunft, betonte, dass niemand mit einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine gerechnet habe, obwohl es in der vergangenen Zeit viele Signale gegeben habe, die von Bundestagsabgeordneten und anderen Politikern und europäischen Politikern offenbar übersehen und nicht ernst genug genommen worden seien. Die Annexion der Krim zum Beispiel war ein solch schwerwiegendes Signal, aber auch die anschließende Schließung von Stiftungen und die Einschränkung und Bestrafung jeglicher Kritik von Menschenrechtsorganisationen usw. Russland hat seit langem eine gut vorbereitete Strategie, die von der Propaganda in den russischen Medien unterstützt wird.

Europa ist heute mit der Rivalität zwischen den USA und China konfrontiert und darf sich gleichzeitig auch nicht von der russischen Militärmacht überwältigen lassen. Außerdem darf Europa die gefährliche Situation auf dem westlichen Balkan nicht übersehen. Deshalb sind das heutige Treffen und diese Debatte so wichtig, um darüber zu sprechen, wie wir unsere Freiheiten und Menschenrechte, unseren europäischen Zusammenhalt schützen können. 

Peter Osuský, Mitglied des Nationalrates der Slowakischen Republik, brachte seine Dankbarkeit gegenüber dem Altbundeskanzler Kohl und der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Ausdruck, die den Demokratisierungsprozess in der Slowakei auch in den dunklen Zeiten der Mečiar – Ära stets unterstützt haben. Er äußerte sich über die KGB-Vergangenheit des russischen Präsidenten Putin und bezeichnete dessen Position als ebenso absurd wie die eines deutschen Präsidenten mit Gestapo-Vergangenheit.

Neben den vielen tragischen Aspekten des Krieges hob Peter Osuský hervor, dass das Nationalbewusstseins der Ukrainer durch den Krieg gestärkt wurde. Gleichzeitig habe sich gezeigt, dass die europäischen Länder, die bisher aus wirtschaftlichen Interessen mit Russland kooperierten, auch in der Lage seien, sich zusammenzuschließen und die europäischen Werte zu verteidigen. Er berichtete auch von seinen Erfahrungen als Wahlbeobachter bei den ukrainischen Wahlen, wo er eine sehr optimistische Atmosphäre und großes bürgerliches Engagement erlebte.

Der ehemalige Ministerpräsident des Freistaates Sachsen Prof. Milbradt sagte, dass die heutigen Entwicklungen in der Ukraine ihr Vorspiel im Krieg in Georgien, auf dem westlichen Balkan, im Donbass, in Luhansk und auf der Krim hatte... Er meinte, dass die Ukraine vor allem für die deutsche Bevölkerung immer ein sehr fernes Land gewesen sei, obwohl sie geografisch nur etwa 1 800 km von Deutschland entfernt liege. Die Ukrainer sind eine europäische Nation, die im Gegensatz zu den Slowaken, den Tschechen oder den baltischen Ländern das Pech hatte, nach dem Ersten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit nicht zu erlangen. Wie andere Redner betonte er, dass Europa es heute dem US-Präsident Biden zu verdanken habe, dass sich Amerika so stark in der Ukraine engagiert. Ohne die amerikanische Unterstützung gäbe es keine Lösung für Ukraine, erklärte Milbradt. Es sei jedoch wichtig, dass Europa in Zukunft neben der Wirtschaftsunion auch ein Militärbündnis eingeht, das seiner Kultur und seiner Geschichte gerecht wird. Wir müssen zugeben, so Milbradt, dass nur die NATO die schlimmsten kriegerischen Konflikte abwenden kann. Wir können uns jedoch nicht darauf verlassen, dass der amerikanische Steuerzahler dies weiterhin tut und Europa weiterhin unterstützt. Es heißt, dass die Ukraine das Tor zu Europa sei. Wenn wir also die Ukraine verteidigen, verteidigen wir in erster Linie unsere Länder, unser Europa. Wenn wir Putin nicht aufhalten, wird er weiter vorrücken, und wir sehen bereits die möglichen Opfer - Moldawien, Georgien und Litauen. Und wir sollten uns auch daran erinnern, was Putin vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine gesagt hat - dass er sich eine NATO wie vor 1990 wünsche. Das bedeutet eine NATO ohne die Slowakei, ohne die Tschechische Republik.

Kai-Olaf Lang konzentrierte sich auf die Beziehungen innerhalb der Visegrad-Vier und meinte, dass es möglicherweise notwendig sein wird, neue Beziehungen aufzubauen, da es innerhalb der V4 einige Spannungen und unterschiedliche Ansichten darüber gebe, wie der Kriegskonflikt gelöst werden soll. Es scheint, dass Europa und Deutschland ihre Positionen, ihre wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Axiome neu definieren müssen. Dies gilt auch für die Slowakei mit ihrer pro-ukrainischen Außen- und Sicherheitspolitik und ihrem pro-ukrainischen Ministerpräsidenten auf der einen Seite und einer starken Opposition unter der Führung von Robert Fico auf der anderen Seite. Lang sagte auch, dass die deutsch-slowakischen Beziehungen auf drei Grundpfeilern beruhen - zum einen ist es die intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit, zum anderen die Zusammenarbeit im Bereich der internationalen Beziehungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Dabei erwähnte er auch die Anwesenheit deutscher Truppen in Sliač und die enge militärische Zusammenarbeit im aktuellen Konflikt.

Tomas Strážay, Leiter der SFPA, sagte, dass die Ukraine in gewisser Weise das neue Mitteleuropa sei, weil sie die traditionellen europäischen Werte wie Demokratie und Freiheit sehr schätze und bereit sei, ihren Komfort aufzugeben um für diese Werte zu kämpfen. Er erzählte die Geschichte eines ihm bekannten Ehepaares, das seine Kinder in Sicherheit brachte um dann bei dem Bau der Verteidigungsanlagen in Kiew helfen zu können. Und so wird die Ukraine zu einem Land, das seinen Europäismus mit bewundernswertem Mut und Sinn für europäische Werte lebt. 

Herr Strážay wies auch auf gewisse Unterschiede in der EU zwischen den Haltungen Polens und Ungarns hin. Früher habe es einige Vorbehalte gegenüber beiden Staaten in der EU gegeben, aber jetzt könne man beobachten, dass Polen eine sehr klare Position an der Seite der Ukraine eingenommen hat, was man von Ungarn nicht in gleicher Weise sagen kann. In diesem Sinne habe der Krieg eine gewisse Spaltung verursacht, die auch von Dauer sein könnte. Ferner stelle man fest, dass der Krieg die Verfahren der Europäischen Union und die Dynamik ihrer Funktionsweise erheblich verändert hat. So hat die EU zum ersten Mal direkte Militärhilfe für ein Drittland geleistet. Im Zusammenhang mit einer möglichen EU-Erweiterung wird auch die Frage der qualifizierten Mehrheit wieder diskutiert. Es geht darum, dass ein Land in seinen bilateralen Beziehungen den Beitritt eines anderen Landes zur Europäischen Union nicht behindern kann.

In der Debatte mit dem Publikum wurde z. B. das Problem der Energieunabhängigkeit angesprochen, die Nutzung der erneuerbaren Energien und des Flüssiggases. Es hieß, dass die EU sich stärker auf ihre energetische Unabhängigkeit konzentrieren müsse.  Es wurde auch über den EU-Beitritt der Ukraine diskutiert. Laut Professor Milbradt bewerbe sich die Ukraine um den EU-Beitritt um ihre Sicherheit für die Zukunft zu gewährleisten. Solange die EU nicht bereit sei, der Ukraine die EU-Mitgliedschaft zu gewähren oder diese vorläufig durch die Zusage einer NATO-Mitgliedschaft zu ersetzen, sei die gesamte Diskussion mit der Ukraine über den EU-Beitritt sinnlos. Denn für die Ukraine und ihre potenziellen Investoren sei es von entscheidender Bedeutung, eine Friedensgarantie zu haben. Laut Professor Milbradt sei es vor allem Deutschland, das sich für die europäische Integration der Ukraine einsetzen müsse.

Schließlich waren sich die Redner einig, dass der russische Militäreinfall in der Ukraine eine große Herausforderung für Europa ist und Europa muss Mut haben um stark, geeint, solidarisch und zusammengeschlossen zu agieren.

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