Veranstaltungsberichte
Menschengemachte Katastrophe
Klima-Experte Lutz Wicke warnt vor den hohen Gefahren einer verschmutzten Atmosphäre
Drastische Szenarien wechseln sich mit ebenso drastischen Formulierungen ab. Wenn Professor Lutz Wicke von "Verbrechen" spricht, die die jetzige Generation an nachfolgenden begehe, schildert er dauerhaft überschwemmte Kulturlandschaften („Millionen ersaufen“), Dürren in anderen Teilen der Welt oder einen um acht Meter angestiegenen Meeresspiegel. So gelingt es dem Direktor für Umweltmanagement an der Europäischen Wirtschaftshochschule Berlin, darzustellen, welche Dramatik die vielen trockenen Zahlen bergen, die Resultat seiner Analysen zum Klimawandel sind. Doch Wicke ist nicht nur Schwarzmaler. Er ist Co-Autor des Buches „Kyoto Plus“, einer kritischen Fortschreibung des Kyoto-Protokolls von 1997, mit dem versprochen wird: „So gelingt der Klimawandel“. Voraussetzung ist, dass Wicke und seinesgleichen die maßgeblichen Politiker von ihrem Anliegen überzeugen. Ein mühsamer Weg, das weiß er: „Theoretisch habe ich keine Hoffnung“, sagt Wicke im Gespräch mit dieser Zeitung, fügt aber gleich hinzu: „Ich gebe nicht gern auf.“
CDU-Mann Wicke, dem der vom Magazin „Der Spiegel“ verliehene Ehrentitel „grüner Schwarzer mit wirtschaftspolitischem Sachverstand“ gut steht, wurde von der Landesregierung schon vor Jahren in eine Expertengruppe mit dem sperrigen Namen „Nachhaltigkeitsbeirat“ berufen. Der soll die umweltgerechte Entwicklung des Südwestens unterstützen. Ein idealer Tummelplatz für den früheren Berliner Umweltstaatssekretär, der allerdings nie die globale Dimension der existenziellen Bedrohung Klimawandel aus den Augen verliert. Gegen diese arbeitet er mit Konzepten und Schriften an, die klarmachen sollen, wie gefährlich es ist, „die Atmosphäre als Müllkippe“ zu missbrauchen.
Eine Art Welthandel schwebt Wicke vor. Um die USA sowie die Entwicklungs- und Schwellenländer zu bewegen, die UN-Klimaschutz-Rahmenbedingungen zu ratifizieren und zu erfüllen, müsse Gleichberechtigung hergestellt werden: Jedem Staat wird ein bestimmter, nach seinen Einwohnern berechneter CO2-Ausstoss zugestanden. Das Quantum wird in Zertifikaten dokumentiert. Länder, die mit der Klimaverpestung unter dem verbindlichen Limit liegen, können anderen, Industrienationen zum Beispiel Erlaubnis zur Luftverschmutzung verkaufen. Für die heißen Dritte-Welt-Länder könnte dies ein Anreiz zum Einstieg in den Umwelt- und Klimaschutz sein. Erneuerbare Energien und Kraftwerke, die arbeiten, ohne den Treibhauseffekt anzuheizen, würden sich schneller durchsetzen, meint Wicke. Und - mancher Politiker wird aufhorchen - Atomkraftwerken würde er eine längere Laufzeit zubilligen, sofern sie bestmöglich nachgerüstet und optimal, also von neutralen Kontrolleuren, überwacht würden. Aber nicht in alle Ewigkeit. Regierungen, denen längere Laufzeiten genehmigt würden, müssten sich verpflichten, ab einem bestimmten Zeitpunkt Energie aus Kraftwerken zu beziehen, die kein Kohlenstoffdioxid produzieren.
Der Ökonom im Ökologen kennt ein wunderbares Erziehungsmittel: Den Geldbeutel. Jedem, der sich nicht klimafreundlich verhalte, müsse das wehtun. Das wäre eine Chance, „das Schlimmste zu verhindern.“
Doch Professor Wicke ist eben nur Berater von Politikern. Aber der Mann, der so ungern aufgibt, sieht einen Hoffnungsfunken: Beim letzten G8-Gipfel hätten bedeutende Wirtschaftsführer - darunter Chefs von mehreren großen europäischen Energieversorgern - zum ersten Mal den Wunsch nach einem weltweiten Emissionshandel mit verbindlichen Regeln geäußert. Kaum hat Wicke das gesagt, fällt dem Klimaschutz-Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem Konstanzer Abgeordneten Andreas Jung, ein, dass Deutschland demnächst die G8- und die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Dort, meint er, müsse die Erkenntnis Wickes, der auf die Erde zukommende gravierende Klimawandel sei „menschengemacht“, thematisiert werden.
Waltraud Schwarz