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Veranstaltungsberichte

Erfurter Europagespräch - Neue Herausforderungen in der europäischen Sicherheitspolitik

von Elisabeth Helbig
Vortrag und Gespräch

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Im Rahmen des Erfurter Europagesprächs am 17.11.2014 diskutierten Dr. Karl-Heinz Kamp und Marcin Terlikowski zum Thema „Neue Herausforderungen in der Europäischen Sicherheitspolitik“. Die in Kooperation mit dem Polnischen Institut Berlin –Filiale Leipzig und dem Politischen Bildungsforum Thüringen der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgerichtete Veranstaltung wurde von etwa 30 interessierten BürgerInnen besucht und im Namen der Veranstalter durch Bernd Karwen vom Polnischen Institut eröffnet. Er verwies u.a. auf die Jahrestage, die Polen 2014 besonders begangen hat: 25 Jahre freie Wahlen in Polen, sowie den NATO-Beitritt 1999 und den EU-Beitritt Polens 2004.

Prof. Dr. Florian Hoffmann, Professor der Willy Brandt School moderierte die Diskussion, die sich mit den relativ jungen außenpolitischen Herausforderungen für Europa befasste. Marcin Terlikowski, der am Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten (PISM) arbeitet und Leiter der Arbeitsgruppe zur Europäischen Sicherheitspolitik ist, verwies in seinem Impulsvortrag vor allem auf die neue Situation in der sich Europa befinde und auf die mit ihr einhergehenden neuen Aufgaben.

Die Frage nach Sicherheit in Europa habe sich in den vergangenen Monaten stark verändert. Mit Zuspitzung des Ukraine-Konflikts und der Annexion der Krim durch Russland, seien Probleme aufgetreten, die Europa seit 25 Jahren versuche abzuwenden. Terlikowski bezeichnete die Situation in der sich Europa und allem voran die EU nun befinde als eine Art Realitätscheck für Europa selbst und für die transatlantischen Beziehungen. Die Krise betreffe die unterschiedlichsten Bereiche der europäischen Politik und könne jetzt dazu dienen, Bündnisse wie NATO oder EU wieder zu stärken, aber auch bisherige Vorgehen zu überdenken. Dem Ausspruch „der Krieg ist zurück in Europa“ stimmte Terlikowski zu. Dadurch, dass Russland Teile eines anderen, souveränen Staates durch Gewalt an sich gebracht habe, sei internationales Recht gebrochen worden. Dies könne Europa so nicht hinnehmen. Der Krieg sei zurück, jedoch müsse man bedenken, dass er eine ganz andere und neue Qualität habe als noch der Kalte Krieg vor 25 Jahren. Dennoch, so Terlikowski, sei dieser Konflikt eine Herausforderung sowohl für die europäische Politik, als auch für den europäischen und transatlantischen Zusammenhalt. Während man in den vergangenen Jahren vor allem Einsätze wie den in Afghanistan mit der NATO in Verbindung gebracht habe, sei man jetzt wieder dabei sich auf die Urkompetenzen des Bündnis zu besinnen, nämlich auf die Kompetenz der Verteidigung. Auch die Nachbarschaftspolitik der EU müsse jetzt komplett überdacht werden und bedürfe einiger Reformen. Damit meinte Terlikowski, dass man in der Europäische Union seiner Ansicht nach zu lang eine Politik des „Wandel durch Handel“ betrieben habe, anstatt Ländern auch inhaltlich dabei zu helfen, sich selbst aus ihren wirtschaftlichen oder sozialen Problemen zu befreien. So verwies Terlikowski noch einmal darauf, dass die EU zwar zum Beispiel Finanz- und Wirtschaftssektoren seiner Nachbarländer fördere, dabei aber nicht auf die strukturellen Probleme dieser Länder, wie beispielsweise Korruption achte. Das sei speziell in osteuropäischen Ländern noch immer ein großes Problem und unterwandere jede Maßnahme seitens der EU. Die Angebote und Vorhaben müssten viel stärker an die individuellen Länder angepasst werden. Diese angepassten Programme müssten dann unterfüttert werden, zum Beispiel durch Engagement in Form von Polizei-Trainings oder Reformen der Sicherheitsapparate. Die EU müsse schließlich ein Paket aus Entwicklungshilfe, Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und Teilen anderer Politikfelder, wie Erweiterungspolitik schnüren.

Im Anschluss an diesen Appell ging Terlikowski auf die von der EU verhängten Sanktionen gegen Russland ein. Dabei sprach er vor allem über die Bedeutung bilateraler Wirt-schaftsbeziehungen. Denn diese manifestierten sich geradezu in solchen Situationen. Be-sonders für Staaten wie Ungarn, Österreich oder auch die Slowakei, die meist Abhängig vom Energiemarkt Russlands seien, sei die Entscheidung für Sanktionen zu stimmen eine sehr schwierige. Viele dieser Länder stünden selbst wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Umso erstaunlicher und eindrucksvoller sei es, dass sich diese Länder im Verbund einigen und für Sanktionen entscheiden. Eine Lektion die man also aus der ganzen Krise lernen könne, sei dass es zwar Unterschiede gäbe, dennoch ein hoher Grad an Solidarität vorherrsche, wenn die grundsätzlichen Prinzipien der Union mit einer Bedrohung konfrontiert sind. Dies zeige den eigentlichen Gedanken der EU in seiner ganzen Pracht. Weiterhin sei es jetzt notwendig die Frage zu beantworten, wie man wieder Vertrauen zwischen dem Westen und Russland bilden könne. Die OSZE könne bei diesem Prozess ein ent-scheidender Faktor sein. In diesem Forum aus 57 Mitgliedsstaaten sei die Möglichkeit er-heblich größer, eine politische Lösung für die Ukraine-Krise zu finden.

Es folgte eine Darstellung der Standpunkte Dr. Karl-Heinz Kamps. Der Direktor für Weiter-entwicklung an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin und früherer Berater der NATO Group of Experts on the new Strategic Concept, sah vor allem zwei große Her-ausforderungen für Europa und die EU. Zum einen den zunehmenden Konflikt zwischen Russland und der NATO und zum anderen die Bedrohungen durch den IS. Schwierig sei es, hier einen Konsens zu finden, welches Problem zuerst angegangen werden müsse. Während sich der europäische Süden mehr Sorgen um den Vormarsch der IS-Truppen mache, sei der Norden und Osten besorgter über die Krise mit Russland. Auch die Rolle der NATO sei hier relativ klar formuliert. In Bezug auf den Konflikt mit Russland könne die NATO etwas bewirken. Im Falle des IS sei dies schon schwieriger. Hier verwies Kamp ausdrücklich daraufhin, dass die NATO dafür auch nicht vorgesehen sei, sie „könne dies nicht leisten, da sie keine Hilfsorganisation ist“. Anschließend formulierte Kamp vier zentrale Fragen, für die es gelte eine Antwort in Bezug auf den Ukraine-Konflikt zu finden. Worum geht es Russland, was will Russland, was hat die NATO bisher getan und wo geht es hin? Kamp distanzierte sich hier von der Behauptung der Kalte Krieg sei zurück. Er begründete dies dadurch, dass Russland bei weitem nicht die Machtfülle habe, die die Sowjetunion vor 25 Jahren besessen habe. Ebenso sei ein Vergleich der Truppenstärken hier angebracht. Russland habe circa eine Million Soldaten auf die es im Ernstfall zurückgreifen könne, die NATO-Staaten hingegen etwa 3,5 Millionen. Der Konflikt habe aus russischer Sicht drei Dimensionen. Die erste sei, dass sich das Land selbst als anti-westliche Macht definiere und hierbei ein Überlegenheitsdenken demonstriere. Die zweite Dimension sei, dass Russland die NATO als ihren Gegner definiere. Dies sei andersherum so niemals geschehen. Die dritte und letzte Dimension sei schließlich dass Russland Grenzen mit Gewalt verändere und international gültige Verträge wie die Charta von Paris oder die Verträge von Helsinki bewusst gebrochen habe. Dadurch habe das Land die europäische Nachkriegsordnung bewusst verletzt und gefährdet. Es sei das eingetreten, was man seit einem viertel Jahrhundert versuche zu verhindern und was man dachte überwunden zu haben, nämlich das man Grenzen mit Gewalt auflöst und verändere.

Was genau Putin will, wisse niemand so genau. Sein Denken und Handeln passe vermehrt nicht mehr zusammen. Bisher habe er nichts gewinnen können, seine „Erfolge“ im Ukraine Konflikt seien nichts was ihn wirtschaftlich voranbringe. Eher im Gegenteil. Die entlegenen Gebiete der Krim müssten mit viel finanziellem Aufwand versorgt werden. Einzig und allein ein kurzzeitiger Prestige- und Imagegewinn im eigenen Land habe Putin bisher vorzuweisen. Dass er durch dieses Verhalten die Ukraine immer mehr gen Westen treibe, habe er sicherlich damit nicht bewirken wollen. Eventuell hätten sich aber Putins eigene Ziele auch verändert, was sein inkonsequentes Handlungsmuster erklären würde. All dies geschehe aber auch vor einem wirtschaftlich desaströsen Hintergrund für Russland. Neben den verschärften Problemen durch Sanktionen habe das Land kein einziges Produkt auf dem Weltmarkt, außer Waffen und Energie. Und bei letzterem sei Europa gerade selbst dabei Alternativen zu entwickeln. Kamp bezeichnete Russland zurzeit als „besoffen von Macht“. Er sei gespannt, wie schlimm der Kater diesmal für Russland ausfalle.

Auch der frühere Mitarbeiter der NATO bezeichnete den momentanen Zusammenhalt und Konsens innerhalb des Bündnisses und der EU als sehr stark. Es sei eine große Einheit vorhanden, die geschlossen gegen das Brechen internationalen Rechts vorgehen wolle. Bisher habe man sich darauf verständigen können schnelle Eingreiftruppen zu stationieren und Präsenz durch Truppen, Manöver und Gerät zu demonstrieren. Das Ziel aller Maßnahmen sei hierbei jedoch Abschreckung. Man wolle einem potenziellen Angreifer zeigen, dass sich das Kosten-Nutzen-Kalkül einer militärischen Aggression nicht mehr lohne. Auf die letzte Frage, wie es weitergehe entgegnete Kamp, dass man weiterhin Maßnahmen zur Stärkung der EU, der NATO und der transatlantischen Beziehungen schaffen müsse. Die Gespräche und Kooperationen mit Russland dürften nicht enden. In vielen Projekten sei Russland ein starker und wichtiger Partner geworden, den es gelte auch weiterhin an Bord zu haben. Dennoch könne die Annexion der Krim nicht einfach so akzeptiert oder vergessen werden. Dies sei ein Problem, welches nur aufgeschoben und keineswegs aufgehoben sei. Ebenso könne weder die NATO noch die EU ihre Türen und Tore jetzt einfach für die Ukraine und eventuell gefährdete andere Staaten öffnen. Man müsse sich weiterhin vor Augen führen, dass diese Länder durch innere Probleme wie Korruption und Misswirtschaft geprägt seien. Man leiste Hilfe, diese aber vor allem bei der Unterstützung, sich selbst zu helfen. Abschließend appellierte Kamp daran, dass man bei all den Herausforderungen durch Russland und den IS nicht die Gesamtlage aus den Augen verlieren dürfe. Gerade die NATO benötige auch weiterhin einen 360⁰-Blick.

In der anschließenden Diskussion wurden die Fragen des Publikums gesammelt und versucht durch die Referenten zu beantworten. Einige der Fragen richteten sich noch einmal auf die Bedrohung durch den IS aber auch auf die scheinbar kritische Haltung Terlikowskis gegenüber der EU. Ersterem nahm sich Dr. Kamp an, der erneut anmerkte, dass der IS deshalb eine Herausforderung darstelle, da die Regionen, in denen die Terrorgruppe agiert die Bedrohung oftmals nicht direkt erkennen würden. Man habe als westlicher Staat oder als Bündnis zwei Optionen bei einer solchen Bedrohung: man könne versuchen eine Partnerschaft mit den betroffenen Ländern aufzubauen oder militärisch zu intervenieren. Die Schwierigkeit bestünde darin, dass man es oft mit einem Zerfall von Staatlichkeit zutun habe. Wenn die Staatlichkeit zerfalle, habe man keinen Partner mit dem man verhandeln oder gegen den man intervenieren könne. Momentan gäbe es somit keine Lösungsstrategie wie man den IS bekämpfen könne – bestenfalls sei ein Einhegen (Containment) möglich.

Zum Abschluss legte Marcin Terlikowski noch einmal seine Haltung gegenüber der EU und deren Handeln im Ukraine-Konflikt dar. Er sei keineswegs EU-kritisch eingestellt, er fordere jedoch eine Reform der Sicherheits- und Außenpolitik (sowohl die GASP als auch GSVP – diejenige Politik der Union, die militärische Instrumente umfasst). In den letzten Jahren sei es verstärkt um wirtschaftliche Beziehungen gegangen, Ziele seien dadurch aber oft verfehlt worden. Deshalb müsse ein Umdenken stattfinden um eine Sicherheit in Europa mit Russland zu schaffen. Auch Dr. Kamp verwies hier noch einmal auf die Notwendigkeit von gemeinsamen Regeln und Grundlagen. Leider sei Russland kein demokratischer Rechtsstaat, der Europa auch noch immer aus einer Art Sowjetbrille betrachte. Ein Verhandeln sei deshalb sehr schwierig. Er hoffe hingegen auf die Macht der Magnettheorie. Indem man der Ukraine helfe zu einem demokratischen und attraktiven Staat zu werden, könnte der Druck innerhalb der Krim so erhöht werden, dass man auf Grund nicht-eingehaltener Versprechen seitens Russlands dann doch dazu gehören möchte. Er be-zeichnete diese Theorie auch als DDR-Prinzip.

Eine spannende und vielseitige Diskussion kam damit zum Abschluss. Die BesucherInnen suchten anschließend auch noch einmal das persönliche Gespräch mit den Referenten

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Maja Eib

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Landesbeauftragte und Leiterin Politisches Bildungsforum Thüringen

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