Länderberichte
Koalitionsvereinbarung mit härtestem Sparpaket der tschechischen Geschichte
Die Koalitionsvereinbarung der Mitte-Rechts-Koalition enthält sieben Kapitel. Nach den anfänglichen Forderungen der Partei VV zur Kürzung des Verteidigungshaushaltes kam es in diesen Bereichen erstaunlich schnell zur Einigung. Zu den innovativen Elementen der Koalitionsvereinbarung zählen die geplante Direktwahl des Präsidenten und die Einführung von Studiengebühren ab 2013.
Darüber hinaus hat die Koalition das bisher härteste Sparpaket in der Geschichte der Tschechischen Republik mit Einsparungen bei den Staatsausgaben von insgesamt 40 Mrd. CZK (1,6 Mrd. €) geschnürt. Der untere Steuersatz soll auf 12% angehoben werden, der Steuersatz für Besserverdienende wird auf 31% erhöht. Somit hofft die Regierung im nächsten Jahr auf Steuermehreinnahmen von weiteren 30 Mrd. CZK (1,2 Mrd. €). Die Europäische Kommission bezeichnet die tschechischen Sparmaßnahmen der Regierung Fischer unterdessen schon als „ausreichend“, um die Haushaltsziele 2010 zu erreichen. Die Neuverschuldung wird voraussichtlich mit 5,7% des BIP noch über den 3% der EU-Konvergenzkriterien liegen.
Zunächst überschattete die Wahl des Parlamentsvorsitzenden die neue Dreieinigkeit der Mitte-Rechts-Koalition – dem Gewohnheitsrecht folgend beanspruchte nämlich die nach den Wahlen stimmenstärkste Partei, die Sozialdemokraten (ČSSD), diesen Posten für sich. Sie konnten mit ihrem Kandidaten Lubomír Zaorálek schließlich nur den stellvertretenden Parlamentsvorsitz ergattern, da die künftige Koalition Miroslava Němcová (ODS) durchsetzte.
Auch die Frage der Ministerienverteilung brachte harte Verhandlungen mit sich. Während die Bürgerdemokraten für sich sieben, die TOP 09 fünf und die VV drei Minister einplante (kurz: 7:5:3), forderte Karel Schwarzenberg die unbedingte Gleichverteilung der Ministerposten unter ODS und TOP 09 (kurz: 6:6:4). Die endgültige Verteilung der Ministerposten erfolgte schließlich nach dem Schlüssel 6:5:4, wobei alle Parteien ihre wichtigsten Forderungen nach Posten durchsetzen konnten.
Der Vizevorsitzende der TOP 09, Miroslav Kalousek, bestand auf dem Posten des Finanzministers. Zudem forderte TOP 09 Schlüsselministerien für sich, um das Wahlergebnis, das nahe an dem der ODS war, zu würdigen. Tschechische Medien bezeichneten die TOP 09 hierbei als „knallharten Verhandlungspartner“.
In eine fragwürdige Verhandlungsposition manövrierte Kristyna Koči, Programmbeauftragte und Abgeordnete der VV, ihre Partei. Sie verkündete in einer Fernsehdebatte, dass die VV sich nur auf eine Dreierkoalition einlassen werde, wenn ihr Vorsitzender Radek John Innenminister würde. Da der Kampf gegen Korruption ein Hauptziel der Partei sei, sei eine Regierungsbeteiligung von VV nur mit gleichzeitiger Besetzung des Innenministeriums denkbar.
Als problematisch bezeichnete Radek John, Vorsitzender der Partei der öffentlichen Angelegenheiten (VV), im Verlauf der Koalitionsverhandlungen weiterhin die Bereiche Gesundheitswesen und Rentenreform. Des Weiteren will die Koalition an der Verschlankung von Parlamentsgremien arbeiten und diese von insgesamt 91 auf 66 reduzieren, sowie den EU-Ministerposten wieder in das Außenamt integrieren und von einem Regierungssekretär vertreten lassen. Auch die Antikorruptionspolitik war ein strittiger Punkt des Koalitionsvertrags.
Köpfe der Triokoalition
Für die nächsten vier Jahre werden die Gesichter von Petr Nečas (Premierminister) und Karel Schwarzenberg (Außenminister), Miroslav Kalousek (Finanzminister), Alexandr Vondra (Verteidigungsminister)und Radek John (Innenminister) die politische Landschaft in Tschechien dominieren. Auch im Abgeordnetenhaus hat die Koalition ihre Wunschkandidatinnen Miroslava Němcová (ODS) als Vorsitzende und Vlasta Parkanová (TOP 09) und Kateřina Klasnová (VV) als stellvertretende Vorsitzende platzieren können. Der verbleibende Posten des ersten Stellvertreters ging wie zu erwarten an den Sozialdemokraten Lubomír Zaorálek. Die Anzahl der Frauen in Führungspositionen im neuen Abgeordnetenhaus ist hiermit zwar erhöht worden, jedoch erhielt keine Frau einen Ministerposten.
114 Neulinge im Abgeordnetenhaus
Die Koalition, die insgesamt 118 von 200 Sitzen im Parlament hat, scheint auf den ersten Blick sehr stabil – erst recht im Vergleich zur zuletzt gestürzten Regierung von Mirek Topolánek, der nach den Wahlen 2006 mit einem Patt von 100 zu 100 Stimmen im Parlament konfrontiert war. Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die vielen neuen Gesichter und „Unbekannten“ im Parlament und der Koalition Fraktionsdisziplin einhalten werden. Immerhin treten in diesen Tagen 114 der 200 (!) Abgeordneten ihr erstes Parlamentsmandat an! Gerade die neu ins Abgeordnetenhaus eingezogene Partei VV (siehe Länderbericht „Wahlen“) wird von vielen Beobachtern in dieser Hinsicht als Wackelkandidat gesehen. Die Partei sprach während der Verhandlungen mehrfach davon, eventuell doch nicht an der Koalition teilzunehmen.
VV wirkte schon zu Beginn der Koalitionsverhandlungen eher unprofessionell und unbeholfen. Wird sich diese umstrittene Partei mit ihrem Populismus dauerhaft etablieren können? Was ist von Ministern dieser Partei überhaupt zu erwarten? Von den Medien wird die Besetzung des Innenministerpostens durch Radek John von der VV kritisch gesehen, da die Partei Verbindungen zu einem großen tschechischen Sicherheitsunternehmen hat. Darüber hinaus wird dem ehemaligen Fernsehmoderator John angekreidet, keinerlei politische Erfahrung für die Leitung eines zentralen Ministeriums mitzubringen und für das Ressort des Inneren keinerlei fachliche Kompetenz zu besitzen.
Aber auch die Reihen von TOP09 könnten letztendlich nicht ganz so geschlossen sein, wie es auf dem Papier scheint. In der Kooperation mit der Vereinigung der „Unabhängigen Bürgermeister“ muss sich noch zeigen, wie „unabhängig“ sich die für die TOP09 ins Parlament eingezogenen Abgeordneten verhalten werden.
ODS-Parteitag – Nečas spricht von einmaligem Ergebnis und setzt auf „demokratischen Instinkt“
Eine wichtige Rückendeckung erhielt der nun ernannte Premier Petr Nečas auf dem Parteitag der ODS am 19. und 20. Juni in Prag. Nečas wurde mit einer Mehrheit von 87% der Delegiertenstimmen ohne Gegenkandidaten zum Parteivorsitzenden gewählt. Nach Václav Klaus und Mírek Topolánek ist Nečas der dritte Vorsitzende der 1991 gegründeten ODS. Bei dem Parteitag wurde überraschend nahezu der gesamte Vorstand ausgetauscht. Die gewählten Stellvertreter entsprechen dabei den Wünschen des neuen Vorsitzenden Nečas. Inszenierte Uneinigkeiten unter den anwesenden regionalen ODS-Vertretern hätten dazu geführt, dass David Vodrážka, ehemaliger erster Stellvertreter aus der nun stark geschwächten Prager ODS, seinen Posten verlor. Nečas verkündete nach seiner Wahl, die Demokratische Bürgerpartei wieder zur führenden politischen Kraft in Tschechien machen zu wollen und sprach von einem einmaligen Ergebnis für die Partei. Nicht alle neu gewählten Mitglieder des Parteivorsitzes müssten in seiner Regierung automatisch einen Ministerposten erhalten, erklärte Nečas und betonte die offenbar neu geweckten „demokratischen Instinkte“ in der ODS-Führungsriege.
Sieg der konservativen Pragmatiker und Niederlage der letzten Klausianer?
Die tschechischen Medien überschlugen sich geradezu in ihren Feststellungen zur Trendwende in der ODS. Im Anschluss an den ODS-Parteikongress berichteten sie über eine „veritable Revolution“, den Beginn „einer neuen Ära nach Klaus“ und das Ende der „Prager Paten“. Václav Klaus hat aber zumindest noch Einfluss in seiner Funktion als Präsident. Viele ausländische Beobachter wundern sich nämlich über den tschechischen Brauch, dass der Präsident den Premierminister und die Regierung ernennt, bevor diese überhaupt die Vertrauensfrage im Parlament stellen konnte. Und selbst wenn der ernannten Regierungsmannschaft das Vertrauen dann nicht ausgesprochen werden würde, könnte die von Klaus ernannte Regierung dennoch – ohne Mehrheit – zunächst weiterregieren.
Die neue Regierung
- Premierminister: Petr Nečas (ODS)
- Außenminister: Karel Schwarzenberg (TOP 09)
- Innenminister: Radek John (VV)
- Finanzminister: Miroslav Kalousek (TOP 09)
- Justizminister: Jiří Pospíšil (ODS)
- Verkehrsminister: Vít Bárta (VV)
- Wirtschaftsminister: Martin Kocourek (ODS)
- Bildungsminister: Josef Dobeš (VV)
- Umweltminister: Pavel Drobil (ODS)
- Gesundheitsminister: Leoš Heger (TOP 09)
- Landwirtschaftsminister: Ivan Fuchsa (ODS)
- Minister für Arbeit und Soziales: Jaromír Drábek (TOP 09)
- Minister für regionale Entwicklung: Kamil Jankovský (VV)
- Kulturminister: Jiří Besser (TOP 09)