Länderberichte
Nun wird seine Partei kurz vor den im Oktober statt findenden Senats- und Kommunalwahlen auch noch von einer Spitzelaffäre gebeutelt, die ihn möglicherweise endgültig den Erhalt der Regierungskoalition kosten könnte. Der 29-jährige ODS-Abgeordnete Jan Morava tappte in eine vom Privat-Fernsehsender Nova gestellte Falle und offenbarte Methoden, die Sorgen über den Stand der politischen Kultur aufkommen lassen. Nova hatte dem seit 2006 im Parlament sitzenden Morava „interessantes Material“ angeboten. Hierbei handelte es sich um in Zusammenarbeit mit dem früheren Finanzminister Vlastimil Tlusty fingierte Fotoaufnahmen von ihm selbst und einer blonden Begleiterin. Pikanterweise ist Tlusty auch ODS-Abgeordneter. Nachdem der TV-Sender, getarnt als Detektivbüro, diese Bilder erfolglos der Politik nahe stehenden Personen anbot – u.a. Marek Dalik, einem bekannten ODS-„Informanten“ und Berater Topolaneks – biß Morava an. Von versteckten Kameras gefilmt, kaufte der junge Abgeordnete die Bilder und bat die getarnten Journalisten, ihm in Zukunft jedwedes interessante Material anzubieten. Von der Qualität der fingierten Tlusty-Bilder in die Irre geführt und von der Professionalität der „Detektive“ überzeugt, forderte Morava die neu gewonnen Partner auf, Bilder von der Tochter der Grünen-Abgeordneten Olga Zubova zu schießen: „Frau Zubova soll erfahren, dass wir alles über den Aufenthaltsort ihrer Tochter wissen“. Mit solchen Aussagen vor versteckter Kamera enthüllte der 29-jährige ODS-Abgeordnete Vorgänge, die Interpretationsspielraum lassen: Handelt es sich um einen Einzelfall oder ist das die Spitze eines durchorganisierten Systems. Er sei dabei in der Partei nicht derjenige, „der für Inhalte und Entscheidungen zuständig ist, sondern Informationen beschaffen soll“.
ODS verneint systematische Bespitzelung
Die mit den versteckten Aufnahmen konfrontierte ODS-Parteiführung demen-tierte eine solche Rollenverteilung und wies die Tat als unverantwortlichen Bruch mit den Idealen der Partei zurück. Es handele sich dabei um einen bedauernswerten Einzelfall. Mirek Topolanek zeigte sich sichtlich geschockt über den Kauf der Fotos und stellte klar, dass der junge Abgeordnete Konsequenzen daraus ziehen müsse. Am Tag nach der öffentlichen Ausstrahlung der Reportage trat Morava zurück. Topolanek ging aber noch weiter und forderte lautstark den Rücktritt des ewigen ODS-Rebellen, Vlastimil Tlusty. Dieser ist seit Regierungsantritt zusammen mit zwei weiteren Abgeordneten mehrfach vehement gegen Vorhaben der Regierung eingetreten und drohte immer wieder nicht nur mit dem Bruch der Fraktionsdisziplin, sondern auch mit dem Sturz der Regierung. Bei den knappen Mehrheitsverhältnissen von nur wenigen Stimmen sind Topolanek dabei die Hände nahezu gebunden. Die fingierten Fotos, die letztendlich die eigene Partei in die Krise stürzen, könnten nun auch Tlusty den Kopf kosten. Neben Topolanek sprachen sich alle Kreisverbände der ODS für einen Rücktritt Tlustys aus.
Steht die Koalition von ODS, KDU-CSL und den Grünen vor dem Ende?
Der ehemalige Finanzminister dagegen wehrt sich: Er sei lediglich dabei behilflich gewesen, der Öffentlichkeit die „Machen-schaften im System Topolanek“ zu zeigen, so Tlusty in einer Fernsehdiskussion. Der Skandal kommt für die Bürgerdemokraten sehr ungelegen: Der Wahlkampf für die Regionalwahlen im Oktober läuft auf vollen Touren und auch die Durchsetzung des Radarvertrages und des Lissabonner Vertrages stehen an. Dafür braucht Topolanek die volle Unterstützung seiner Partei im Abgeordnetenhaus und im Senat – Und danach sieht es derzeit nicht aus. Der Tlusty-Freund und Abgeordnete Juraj Raninec (ODS) ist inzwischen aus der Fraktion ausgetreten. Mit schriftlichen Beweisen möchte er einem auf Initiative der Sozialdemokraten eingesetzten Untersuchungsausschuß darstellen, dass Morava nicht auf eigene Faust und ohne Wissen der Parteiführung gehandelt habe. Weitere ODS-Parlamentarier könnten dem Austritt folgen. Innenminister Ivan Langer (ODS) reagierte trotzig auf diese Entwicklung und gab in einer Fernsehdiskussion klar zu verstehen, dass Topolanek in Zukunft nicht mehr „um jede Stimme betteln würde“. Die Regierung muss also um ihre Mehrheit bangen. In der Zwischenzeit rechnet Topolanek auch mit der Möglichkeit, in einer von den Sozialdemokraten für November, also kurz nach Senats- und Kommunalwahlen, angekündigten Vertrauensabstimmung zu scheitern. In diesem Falle werde man beraten, wie die Amtsgeschäfte während der tschechischen Ratspräsidentschaft weitergeführt würden, so Topolanek gegenüber der Presse. Neuwahlen würden dann erst für den Herbst 2009 angesetzt werden. Die Frage stellt sich aber, ob es den ODS-Rebellen wirklich um den Sturz der Regierung geht, oder um den Kopf Topolaneks als Parteivorsitzenden. Raninec stellte klar, dass sein Austritt aus der Fraktion nicht bedeute, dass er in Zukunft für die Opposition stimme. Einen besseren Vorsitzenden als Topolanek könne er sich aber durchaus vorstellen, so der abtrünnige Parlamentarier. Der Parteitag zur Wahl des ODS-Vorsitzenden ist für Dezember angesetzt.
Morava als Spitze des „Eisbergs“ in Tschechien?
Die Opposition nahm das Durcheinander in der ODS gerne auf und attackierte die „mafiösen Vorgänge“ in der Regierung aufs Schärfste. Am Wochenende gab der Parteichef der Sozialdemokraten Jiri Paroubek bekannt, dass seine Partei sich mit Nachdruck der Aufklärung der Vorgänge widmen würden. Dabei ist davon auszugehen, dass es sich nicht nur um ein Phänomen innerhalb einer Partei handelt: „In postsozialistischen Transformationsstaaten sind Fälle von Korruption und über die Grenzen des Legalen hinausgehende Fälle von Einflußnahme eine allgegenwärtige Erblast“, so der Politikwissenschaftler Dr. Petr Kolar. Allerdings, so der Wissenschaftler weiter, ist die Frage berechtigt, warum knapp 20 Jahre nach dem Umbruch offensichtlich in Tschechien diese Erblast nach wie vor schwer wiegt, wogegen andere Staaten Mittel- und Osteuropas bereits beträchtliche Fortschritte gemacht hätten. In der Tat ziehen sich ähnliche und weitaus schwerere Fälle durch die junge Geschichte der tschechischen Republik. Den Koalitionsvertrag zwischen der damals oppositionellen ODS und regierenden CSSD im Jahre 1998 sehen viele Experten dabei als einen starken Bruch im Anti-Korruptionsprozeß, in dem sich Tschechien zum damaligen Zeitpunkt befand. Ohne tatsächliche Opposition war den Akteuren Tür und Tor geöffnet und es ist nicht verwunderlich, dass sich die schwersten Fälle von Korruption gerade in der Folgezeit finden lassen. Und diese ziehen sich bis heute hin: Kurz nach der Ernennung der Regierung Topolanek begannen 2007 Turbulenzen bei den Sozialdemokraten. Mehrere Abgeordnete traten aus der Fraktion aus und bezichtigten Parteichef Paroubek totalitärer Methoden von Telefonabhörung über persönliche Beschattung. Zuletzt sorgten auch die Vorfälle rund um die Präsidentschaftswahlen für Aufruhr: Am Tag der Abstimmung im Februar 2008 war Staatspräsident Vaclav Klaus für seine Wiederwahl auf jede Stimme angewiesen. Unter dubiosen Umständen blieben mehrere Abgeordnete, die als Anhänger des Klaus-Herausforderers Jan Svejnar galten, der Abstimmung fern. Interessanterweise befand sich darunter auch die im Fall Morava betroffene Abgeordnete der Grünen, Olga Zubova (SZ). Wie sehr also Tschechien bereits an Fälle von Korruption und Einflußnahme gewöhnt und vielleicht bereits abgehärtet sein sollte: Neu am Fall Morava ist die Enthüllung der Mechanismen und Verhandlungen – zuvor war es nicht gelungen, einen solchen Fall von Anfang bis Ende zu dokumentieren. Und das sorgt durchaus für Aufhorchen, denn gerade Morava als junger 29-jähriger Abgeordneter kann nicht mehr als Vertreter des „alten“ Systems gelten.
Reformen dringend gesucht
Staatspräsident Vaclav Klaus (ODS) kommentiert die Vorgänge als „Systemversagen“ und einen „Mangel an politischer Kultur“. Tschechien zeigt sich im Korruptionsindex von Transparency International mit Plätzen zwischen 40 und 45 von 180 Ländern als eines der Schlußlichter in der EU. Woran fehlt es also in Tschechien, was in anderen Ländern mit ähnlicher politischer Geschichte anders läuft? Dr. Kolar sieht den Mangel an Werten und Moral als eine Ursache. In Tschechien fehle es offensichtlich an einer unabhängigen „Instanz“, wie beispielsweise der Kirche, die eine Orientierung im Wertesystem geben kann. Andere postsozialistische Staaten hätten dadurch viel größere Fortschritte gemacht. Ein weiterer möglicher Schritt ist die Reform des Verwaltungsapparates: Die Gehälter im öffentlichen Sektor sind viel zu gering, die Trennung in politischen und unpolitischen Beamtenapparat nicht konsequent, die Unsicherheit vor dem Verlust des Arbeitsplatzes zu hoch – erst recht angesichts der knappen Mehrheiten im Parlament. Demgegenüber aber entscheiden junge Bürokraten Tag für Tag über die Verteilung hoher Geldsummen und könnten durchaus Verlockungen erliegen. Der Politikwissenschaftler Ladislav Mrklas vom KAS-Partnerinstitut Cevro tritt für eine Reform des Wahlrechts ein, um in Zukunft das Problem der Minderheitsregierungen und Mehrheiten von nur einer oder zwei Stimmen zu vermeiden. Denn in solchen Konstellationen herrsche ein steter Druck, die eigene Mehrheit zur Not unter Zuhilfenahme „besonderer“ Mittel zu sichern. Eine Änderung des Wahlrechts ist in der jetzigen Konstellation jedoch nur schwerlich denkbar: Die oppositionelle CSSD befürwortet eine Lösung, die den großen Parteien entgegenkommt – Dann nämlich könnten die Sozialdemokraten davon ausgehen, alleine mit den Kommunisten und der ODS im Parlament zu sitzen. Das wollen die Bürgerdemokraten jedoch unbedingt vermeiden und suchen eine Variante, die auch ihre beiden Junior-Koalitionspartner KDU-CSL und Grüne ins Parlament befördert.
Bevölkerung zwischen Fatalismus und Gleichgültigkeit
Bemerkenswert erscheint die Passivität der tschechischen Gesellschaft. Wirken die Vorgänge auf ausländische Beobachter erschütternd, reagiert die einheimische Bevölkerung nahezu gleichgültig und abgestumpft auf die Enthüllungen. Korruption und Einflußnahme sind nun seit 20 Jahren und zuvor im sozialistischen System über Jahrzehnte gang und gäbe. Vom Bau des Sportheimeigenen Parkplatzes über die Beantragung des Kindergartenplatzes bis in die hohe Politik kann es zu Fällen von Korruption kommen. Erst vor Kurzem kamen Indizien über Käuflichkeit in der Ausländerpolizei zu Tage, die als ein weiterer Hinweis auf die tiefe Verwurzelung von „Einflußnahme“ im Alltag der tschechischen Republik gelten könnten.
Lissabonner Vertrag: Verfassungs-änderung nötig?
Neben all den Turbulenzen in der Regierungskoalition und v.a. in der eigenen Partei bleiben Topolanek weitere schwierige Fragen nicht erspart. Das Verfassungsgericht im mährischen Brno prüft derzeit den Lissabonner Vertrag auf Vereinbarkeit mit der tschechischen Verfassung. Dabei seien bereits Punkte aufgetaucht, die „schwierig sind“, meldete der Premierminister am Rande seines Besuches in Kroatien. Demnach gäbe es zwei Möglichkeiten: Eine Ausnahmeregelung für Tschechien im Lissabonner Vertrag oder eine Verfassungsänderung. Topolanek setzt sich im Falle des Falles für eine Verfassungsänderung ein, die angesichts der schwierigen Konstellation im Parlament weitere Sorgenfalten in das Gesicht des Premiers treiben wird.
EU: Tschechien will Europa „versüßen“
Die Regierung hat den Endspurt in Richtung EU-Ratspräsidentschaft eingeläutet und die offizielle Medienkampagne vorgestellt. Unter dem Motto „Wir versüßen Europa“ versucht die Regierung der Bevölkerung die Ratspräsidentschaft 2009 mit einem mit tschechischen Stars gespickten Werbespot näher zu bringen (Direkter Link zum Video: http://www.euroskop.cz/690/2158/clanek/video/tvare-ceskeho-predsednictvi/). Im Mittelpunkt steht ein Stück Würfelzucker, das symbolisch für Tschechiens Beitrag zur EU am Ende des Spots in eine Tasse schwarzen Kaffee fällt. Die Kampagne erntete sofort Kritik, selbst aus den eigenen Reihen: Der Vorsitzende der KDU-CSL, Jiri Cunek, distanzierte sich von dem Duktus der Kampagne, denn mit dem Bild des „Versüßens“ könne im tschechischen Sprachgebrauch durchaus ein negativer Hintergrundgedanke ähnlich des deutschen „Suppe versalzens“ gemeint sein. Die Opposition und weite Teile der wissenschaftlichen Szene kritisierten die Kampagne als inhaltsleer. Laut Oppositionsführer Paroubek zeige der Spot die Orientierungslosigkeit der Regierung in Europafragen. Der Vizepremier für Europaangelegenheiten, Alexandr Vondra (ODS) wies die Vorwürfe zurück: Es gehe schließlich nicht darum, Themen umfassend und im Detail zu erklären, sondern, die zumeist politisch weniger interessierte Bevölkerung auf die Ratspräsidentschaft vorzubereiten. Kom-plexe Themen wären dafür nicht geeignet und würden eher kontraproduktiv wirken, so Vondra in einer Diskussionsrunde.
Wahlkampf für die Regionalwahlen auf vollen Touren
Für die im Oktober anstehenden Senats- und Kommunalwahlen haben die Parteien den Wahlkampf eingeläutet. Dabei könnte v.a. die Neuwahl von einem Drittel der Senatoren für einen beträchtlichen Wandel der Mehrheitsverhältnisse im Parlament sorgen. Bisher stellten ODS und KDU-CSL traditionell die Mehrheit der Senatoren. Inzwischen ist jedoch durchaus davon auszugehen, dass der ein oder andere Senator mehr nun von der CSSD gestellt wird. Interessant wird diese Frage im Hinblick auf die notwendigen Verfassungsmehrheiten in beiden Kammern für den Lissabonner Vertrag und das Radarabkommen. Was den Lissaboner Vertrag betrifft werden die Sozialdemokraten für den Vertrag stimmen. In der Frage des Radarabkommens rief Parteichef Paroubek die Abgeordneten zum kollektiven „Nein“ auf. Es könnte also knapp werden für den Radarvertrag. Ein Scheitern wäre nach den langwierigen Verhandlungen mit den USA eine Bankrotterklärung für Topolanek. Neben der ODS muss jedoch auch die christdemokratische KDU-CSL um Sitze im Senat und in den Kommunalvertretungen bangen. Seit längerem kämpft die Partei mit fallenden Umfragewerten. Ob sich nun nach der „Kausa Cunek“ die Partei fängt, hängt auch von der Professionalität zukünftiger Kampagnen ab. In erster Linie aber muss die Partei in der Bevölkerung wieder glaubhaft mit Themen und Inhalten identifiziert werden.