Die Kooperation der Visegrád-Staaten im Bereich der Östlichen Partnerschaft - Auslandsbüro Tschechische Republik
Einzeltitel
I. Einleitung
Tatsächlich hat sich die
Visegrád-Gruppe seit mehr als zwei Jahrzehnten insbesondere auf zivilgesellschaftlicher Ebene als
eine wichtige regionale Konstante erwiesen, die als Kommunikationsplattform einen Interessensund
Erfahrungsaustausch ermöglicht und damit zur Stabilisierung in der Region beiträgt.
Bezüglich der Reichweite des Handelns der V4 gibt es allerdings unterschiedliche Einschätzungen.
Während etwa der polnische Koordinator Zbigniew Kruzynski von einer „Erfolgsstory der
regionalen Kooperation“2 spricht, bezeichnen andere Beobachter die Aktivitäten der Visegrád-
Gruppe als reine Symbolpolitik ohne greifbare Ergebnisse.3 In der Vergangenheit hat sich gezeigt,
dass die verschiedenen innenpolitischen, geopolitischen und ökonomischen Interessen der V4
häufig einem tiefgreifenden koordinierten Vorgehen im Wege standen.
In dieser Arbeit sollen die Aktivitäten der V4 zu den einzelnen Ländern der Östlichen Partnerschaft
näher untersucht und bewertet werden. Dazu werden in einer Einführung zunächst die V4 und ihr
institutioneller Unterbau sowie die wichtigsten Aspekte der Östlichen Partnerschaft vorgestellt. Im
Hauptteil erfolgt nach der Behandlung der politischen Ausgangssituation in den sechs Ländern der
Östlichen Partnerschaft eine Analyse der V4-Aktivitäten in diesen Ländern - im EU-Rahmen, als
nationale Politiken und als geeinte V4-Aktivitäten. Den Abschluss bilden jeweils
Handlungsvorschläge zur Adressierung von bestehenden Problemen und Herausforderungen. Ziel
ist es, herauszustellen, ob und inwieweit die Visegrád-Gruppe ihr Vermittlungspotenzial im Bereich
der Östlichen Partnerschaft genutzt hat.
II. Hintergrundinformationen
1.) Schwerpunkte und Ziele der V4 vor und nach Aufnahme in EU und NATO
Geeint durch den Willen, sich aus dem sowjetischen Einflussbereich zu lösen und in die Strukturen
des Westens zu integrieren, unterzeichneten die Staaten Ungarn, Polen und die damalige
Tschechoslowakei im Jahre 1991 in der ungarischen Stadt Visegrád die Visegrád-Erklärung, die
seither die Grundlage der Kooperation der Staatengruppe bildet. In dieser Erklärung verständigten
sie sich auf die gemeinsamen Ziele, ihre staatliche Souveränität zurückzugewinnen, die Spuren des
Totalitarismus zu beseitigen und bezüglich der Westintegration in NATO und EU sowie bei der
Umsetzung von Demokratie und Sozialer Marktwirtschaft zu kooperieren. Die Visegrád-Erklärung
schuf keinerlei Institutionen. Regelmäßige Konsultationen auf Regierungsebene und der Ausbau
wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Kontakte sollten die einzigen Instrumente der V4-
Kooperation bilden.
Insbesondere die Anfangsphase der Kooperation von 1991-1993 war von großem Erfolg
gekennzeichnet. So trug die intensive Kooperation zwischen Ungarn, Polen und der
Tschechoslowakei bedeutsam zum Abschluss der Europa-Abkommen im Jahre 1991 bei. Im
Rahmen dieser sollten die drei Staaten durch Maßnahmen zur Steigerung wirtschaftlicher,
politischer und rechtlicher Konvergenz auf einen künftigen EU-Beitritt vorbereitet werden. 1992
ermöglichte die Visegrád-Kooperation auch auf handelspolitischer Ebene mit der Gründung des
Mitteleuropäischen Freihandelsabkommens (CEFTA) einen wichtigen Durchbruch. Mit dem
Aufbrechen der Tschechoslowakei in zwei Teilstaaten im Jahre 1993 entstand das aktuelle Format
der V4. Zeitgleich begann eine Phase sinkenden Kooperationswillens. Verantwortlich dafür waren
die Abwendung des tschechischen Ministerpräsidenten Václav Klaus vom V4-Format im Zuge
seiner pro-westlichen Politik sowie die stark nationalistisch geprägte Politik des slowakischen
Ministerpräsidenten Vladimir Mečiar. Daneben erschwerten politische Spannungen zwischen der
Slowakei und Ungarn die Kooperation der V4. Die Situation änderte sich 1998 mit dem Ende der
Regierungen Mečiar und Klaus und im Zuge der bevorstehenden NATO-Mitgliedschaft, die für die
V4 ein gemeinsames Ziel und damit eine wesentliche Motivation für gesteigerte Kooperation darstellte. In der viel beachteten Erklärung von Bratislava vereinbarten die Regierungschefs der V4-Staaten 1999 neben regelmäßigen Treffen auf Regierungsebene auch Konsultationen zwischen
Experten der V4-Staaten und eine verstärkte Kooperation in den Bereichen Außenpolitik, Inneres,
Bildung, Jugend und Sport. Auch sollten Erfahrungen zum NATO-Beitritt ausgetauscht und
insbesondere die Slowakei in ihrem Aufholprozess zur Integration in NATO und EU unterstützt
werden. Ein weiterer Durchbruch erfolgte ein Jahr später mit der Schaffung des International
Visegrad Fund (IVF). Damit erhielt die bisher formlose Kooperation eine wichtige institutionelle
Komponente.
Mit dem NATO-Beitritt von Tschechien, Ungarn und Polen im Jahre 1999 und der Slowakei im
Jahre 2004 sowie dem EU-Beitritt aller Visegrád-Staaten im Jahre 2004 schienen die Ziele der
Gruppe erreicht. So folgte der Hochphase der Visegrád-Kooperation zunächst eine Phase der
Selbstfindung. Es mussten neue Ziele und Interessen definiert und die Kooperation auf eine neue
Grundlage gestellt werden. In diesem Zusammenhang fiel die Wahl auf Osteuropa, eine Region die
für die Visegrád-Gruppe zum einen aufgrund der geographischen Nähe, zum anderen aber auch
aufgrund ähnlicher geschichtlicher und kultureller Erfahrungen ein geeignetes Kooperationsfeld
darstellte. Als neue EU-Mitgliedstaaten waren die V4 bestrebt, ihre internationale Glaubwürdigkeit
und ihren Einfluss auszubauen und ein Nischengebiet zu finden, in dem sie sich innerhalb der EU
profilieren konnten. Der Fokus auf Osteuropa sollte dies ermöglichen.
In der Erklärung von Kroměříž aus dem Jahr 2004 wurden die neuen Formen der Zusammenarbeit
definiert, die neben den inhaltlichen Neuorientierungen auch organisatorische Änderungen
vorsahen. Von nun an sollte es eine jährlich rotierende V4-Präsidentschaft geben. Das Land, das
den Vorsitz innehat, ist berechtigt, die Agenda für den Zeitraum des Vorsitzes zu bestimmen.
Einmal pro Jahr findet dann ein offizielles Treffen der Ministerpräsidenten statt, um die vergangene
Präsidentschaft zu bewerten und das Programm der nächsten vorzustellen. Zweimal pro Jahr findet
außerdem ein Treffen der V4-Außenminister statt. Mit thematischem Bezug zur Östlichen Partnerschaft und dem Westlichen Balkan sollen diese Zusammenkünfte dazu dienen, das Treffen der Ministerpräsidenten vorzubereiten. Hinzu kommen ein informelles Treffen pro Jahr und die
Option gegenseitiger Konsultation vor wichtigen Entscheidungen auf EU-Ebene.
2.) Der International Visegrad Fund
Der im Jahre 2000 ins Leben gerufene International Visegrad Fund (IVF) entwickelte sich bald zu
einem der Hauptinstrumente der V4-Kooperation. Ziel der internationalen Organisation mit Sitz in
Bratislava ist es, auf zivilgesellschaftlicher Ebene eine engere Bindung und Zusammenarbeit der
V4-Staaten, aber auch zwischen den V4-Staaten und anderen Partnern, wie insbesondere den
Ländern des Westlichen Balkans und der Östlichen Partnerschaft durch die Bereitstellung von
Fördergeldern und individuellen Stipendien für gemeinsame Projekte in den Bereichen
Wissenschaft, Kultur, Bildung, Jugendaustausch und Tourismus zu erreichen. Das jährliche Budget
für das Jahr 2014 betrug 8 Millionen, bestehend aus Beiträgen der V4-Staaten zu gleichen
Anteilen.
Innerhalb der bestehenden IVF-Programme beschäftigt sich das „Visegrad 4 Eastern Partnership
Program“ (V4EaP) gesondert mit der Östlichen Partnerschaft. Im Jahre 2011 von den Regierungen
der V4 initiiert, hat es zum Ziel, die Erfahrungen der V4-Staaten bezüglich sozialer und
wirtschaftlicher Transformation, Demokratisierung und regionaler Kooperation im Rahmen
gemeinsamer Initiativen zur Stärkung der Bindungen zwischen lokalen Regierungen, Universitäten
und individuellen Bürgern zu nutzen. Die unter das Programm fallenden Projekte sollen damit
letztlich den Reformprozess in den Ländern der Östlichen Partnerschaft begleiten – mit der Absicht,
stärkere Institutionen aufzubauen, eine politische und wirtschaftliche Annäherung an die EU zu
erreichen und die Zivilgesellschaft zu stärken.
3.) Die Östliche Partnerschaft
Die Östliche Partnerschaft (ÖP) regelt die Beziehungen zwischen der EU und den sechs östlichen
postsowjetischen Staaten Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und Ukraine. Das
Konzept der ÖP wurde 2009 auf dem Prager Gipfel als Teil der 2004 gegründeten Europäischen
Nachbarschaftspolitik (ENP) ins Leben gerufen. Ziel der Initiative ist es, nach der Osterweiterung
der EU Trennlinien zwischen den Mittel- und Osteuropäischen Mitgliedstaaten (MOE) und ihren
Nachbarn zu vermeiden und zur Stabilität in Osteuropa beizutragen. Als Teil der ENP soll die ÖP
Reformen in den sechs Partnerländern in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
unterstützen, Marktzugänge gewähren und wirtschaftliche sowie technische Hilfe leisten.
Wesentliches Instrument der ÖP ist der Abschluss von Assoziierungsabkommen (AA) zwischen der
EU und den sechs Partnerländern, deren Bestandteil Tiefe und Umfassende Freihandelsabkommen
(Deep and Comprehensive Free Trade Agreements, DCFTA) sind. Langfristig sollen die
Assoziierungsabkommen die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) ersetzen und
damit eine neue Basis der Zusammenarbeit aufbauen. Seit 2010 werden mit allen Partnerländern
außer Belarus AA verhandelt. In der Zukunft wird eine Visafreiheit für die Staaten der ÖP
angestrebt.
Die Idee einer Ausdifferenzierung der ENP im Sinne einer besonderen Berücksichtigung der
östlichen Nachbarn wurde zunächst von den V4-Staaten formuliert. Nachdem einige
Positionspapiere seitens der V4 hierzu aber nicht die notwendige Unterstützung der EU erhielten,
gelang es schließlich einer polnisch-schwedischen Initiative, die Zustimmung einer Mehrheit der
EU-Mitglieder zu erreichen.
Ein häufig kritisiertes Paradox der ÖP besteht darin, dass den sechs östlichen Partnerländern
offiziell keine EU-Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt wird, bzw. die ÖP sogar als informelles Abwehrinstrument gegen ukrainische Bestrebungen, der EU beizutreten konzipiert wurde, die Perspektive auf EU-Mitgliedschaft aber immer wieder im Rahmen der ÖP als Reformanreiz genutzt wird und die politische und wirtschaftliche Konvergenz der Länder der ÖP zur EU erklärtes Ziel der
Initiative ist:
„The Eastern Partnership (EaP) … is related to the European Neighborhood Policy
(ENP) and is based on the same principles and methods of action, namely differentiation
and positive conditionality. … The main objective of the EaP is to bring the Eastern
partners closer to the EU by exporting the EU acquis into the Union’s Eastern
neighborhood.“
III. Die Visegrád-Kooperation im Bereich der Östlichen Partnerschaft
1.) Armenien
Zusammen mit Georgien und Aserbaidschan gehört Armenien politisch gesehen zu den Staaten des
Südkaukasus. Im Vergleich zu seinem nördlichen Nachbarn Georgien, das spätestens seit dem
Kaukasuskrieg von 2008 im Zentrum der europäischen Aufmerksamkeit steht und seinem östlichen
Nachbarn Aserbaidschan, das aufgrund seiner Ölvorkommen von besonderem Interesse für die EU
ist, wird Armenien im Rahmen der Östlichen Partnerschaft oft übersehen. Aber auch Armenien ist
ein zentraler Akteur, der in den Fokus genommen werden muss, wenn es darum geht, die Sicherheit
im Südkaukasus zu gewährleisten. Als besonders kritisch einzuordnen sind die Beziehungen
Armeniens zur Türkei und der eingefrorene Konflikt mit Aserbaidschan über die Region
Bergkarabach.20 Aber auch im Innern ist Armenien alles andere als stabil. Den heftigen
Ausschreitungen infolge der umstrittenen Wahlen von 2008 haben erhebliche Einschnitte in die
Presse- und Versammlungsfreiheit gefolgt. Wie in den anderen Ländern der Östlichen
Partnerschaft spiegeln auch in Armenien aktuelle Entwicklungen die Konkurrenzsituation zwischen
der EU und Russland wieder. Wie Sersch Asati Sargsjan, gegenwärtiger Staatspräsident Armeniens,
erklärt, sei Armenien vor die Wahl gestellt worden zwischen dem Tiefen und Umfassenden Freihandelsabkommen (DCFTA) mit der EU und der Zollunion mit Russland. Da die strategischen Handelsinteressen Armeniens eng mit den russischen Märkten verwoben sind und Armenien stark
von russischen Energielieferungen abhängt, fiel die Entscheidung zugunsten der Zollunion aus. Seit Januar 2015 ist Armenien nun Mitglied der Zollunion bzw. seit Jahresanfang Eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland, Belarus und Kasachstan.
Insgesamt scheint die EU-Politik der Östlichen Partnerschaft in Bezug auf Armenien eher versagt
zu haben. Um eine Lösung des Konflikts um Bergkarabach bemüht sich die EU lediglich in Form
begrenzter Aktivitäten im Rahmen der OSZE Minsk Gruppe. Auf die problematischen Wahlen von
2008 sowie die hierauf folgenden Repressionen hat die EU nur zögerlich reagiert. Bedenkt man,
dass die EU im Gegensatz zu Russland Armenien keinerlei Sicherheitsgarantien in Aussicht stellen
konnte und die finanziellen Anreize der EU den Angeboten Russland nicht annähernd gleich
kamen, ist es wenig verwunderlich, dass Armenien wie auch die Ukraine beim Vilnius-Gipfel aus
strategischen Erwägungen von den Assoziierungsabkommen mit der EU Abstand genommen
haben.
Für die V4-Staaten ist Armenien von eher geringer Bedeutung. In den offiziellen Berichten der V4
über die jährlichen Treffen zur ÖP findet Armenien im Vergleich zu den anderen fünf Staaten kaum
Erwähnung. Einzig bei den Punkten Assoziierungs- und Visaabkommen rückt Armenien etwas
stärker in den Fokus. Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den V4-Staaten und
Armenien sind derzeit allerdings wenig ausgebaut. Auch die geringeren Entwicklungsgelder der
V4-Regierungen für Armenien sind ein Indiz dafür, dass Armenien innerhalb der Länder der ÖP
eher vernachlässigt wird – was jedoch auch mit Koordinierungsschwierigkeiten der V4 bei der
Verteilung der Entwicklungsgelder zusammen hängt. Entsprechend haben sich die V4 auch auf
EU-Ebene im Rahmen der ÖP nicht speziell für Armenien eingesetzt. Genau genommen war das einzige Ereignis in den Beziehungen der V4 zu Armenien, das für größere mediale Aufmerksamkeit gesorgt hat, der diplomatische Eklat von 2012 zwischen Ungarn und Armenien, nachdem die
Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán entschlossen hatte, einen
aserbaidschanischen Soldaten, der beschuldigt wurde, einen armenischen Bürge ermordet zu haben,
nach Baku zu übergeben. Auf zivilgesellschaftlicher Ebene ist es schwierig zu beurteilen,
inwieweit die V4EaP-Programme des IVF den Demokratieprozess in Armenien unterstützt haben.
Kalan und Zasztowt vom Polis h Institute of international Affairs (PISM) merken an, dass im
Ausbau zivilgesellschaftlicher Kontakte zwischen Armenien und den V4 noch eine der größten
Herausforderungen besteht. Daher sollten Stipendienprogramme für Armenien ausgeweitet und
hierdurch grenzüberschreitende zivilgesellschaftliche Kontakte gefördert werden. Weiterhin sollten
sich die V4-Staaten stärker um eine Beilegung des Konflikts um Bergkarabach bemühen. So
könnten sich die Visegrád-Staaten etwa auf EU-Ebene für eine EU-Beobachtermission ähnlich der
EUMM in Georgien einsetzen – aber eine direkte Einmischung in den Konflikt, wie durch Ungarn
geschehen, vermeiden.
2.) Aserbaidschan
Aufgrund seiner großen Erdgasvorkommen ist Aserbaidschan für die EU von strategischer
Bedeutung. So stellt aserbaidschanisches Gas für die EU eine interessante Alternative zu russischen
Gaslieferungen dar. Aber auch für Aserbaidschan sind die wirtschaftlichen Beziehungen zur EU
von großer Relevanz, denn die EU ist noch vor Russland der wichtigste Handelspartner des
Kaukasus-Staats. Ein wichtiges Projekt, das über mehrere Jahre die Kooperation zwischen
Aserbaidschan und der EU beflügelte war die von der EU mitfinanzierte Nabucco-Pipeline, die
aserbaidschanisches Erdgas von der türkisch-bulgarischen Grenze über Wien nach Zentraleuropa
liefern sollte. Nachdem das Projekt 2013 scheiterte, gab es neue Initiativen wie die TANAP
Pipeline. Wie der polnische Analyst Konrad Zasztowt bemerkt scheint allerdings nun zumindest
seitens der EU nicht mehr dasselbe Kooperationsinteresse wie zu Zeiten der Nabucco-Pipeline bestehen. Dennoch sind die EU und Aserbaidschan wirtschaftlich nach wie vor eng miteinander verflochten und füreinander unverzichtbar.
Problematisch sind indes die politischen Beziehungen zwischen Aserbaidschan und der EU.
Beobachter merken an, dass sich Aserbaidschan zunehmend einer anti-westlichen Rhetorik nach
russischem Muster bedient. Die Reformforderungen der EU setzt Aserbaidschan nur widerwillig
um. Insbesondere die Korruptionsbekämpfung bleibt weiterhin eine große Herausforderung.
Grundlegende Freiheiten wie die Meinungs- und Pressefreiheit werden immer wieder stark
beschnitten. So gab es 2014 eine Reihe politisch motivierter Verhaftungen gegen
Menschenrechtsaktivisten, von der u.a. auch die bekannte Aktivistin Hatice Ismailova betroffen
war. Die höchst umstrittenen Verhaftungen, die ausgerechnet in die Zeit des aserbaidschanischen
Vorsitzes des Europarats fielen, haben das Ansehen der Kaukasusrepublik in der EU stark
beschädigt. Die gegenseitigen Erwartungen von EU und Aserbaidschan im Rahmen der Östlichen
Partnerschaft sind aber bereits seit einigen Jahren auf beiden Seiten heruntergefahren worden. Auf
der einen Seite sind Demokratisierung und Harmonisierung mit dem EU-Recht für die
aserbaidschanische Regierung von geringem Interesse. Auf der anderen Seite mangelt es der EU
aber auch an Anreizmöglichkeiten bzw. Instrumenten, um diese strikter einzufordern.
Ein weiteres Kooperationshindernis ist die Tatsache, dass Aserbaidschan noch immer kein Mitglied
der WTO ist. Dadurch ist Aserbaidschan rechtlich nicht autorisiert, ein DCFTA mit der EU
auszuhandeln. Dafür konnte beim Vilnius-Gipfel Ende 2013 aber zumindest ein
Visaerleichterungsabkommen mit Aserbaidschan vereinbart werden. Dies eröffnet die Möglichkeit
einer Intensivierung der zivilgesellschaftlichen Kontakte.
Für die V4-Staaten scheint Aserbaidschan, ähnlich wie Armenien, eher nachrangig zu sein – wobei
Ungarn und Tschechien innerhalb der V4-Staaten, vor allem auch aus wirtschaftlichen Erwägungen, am meisten an guten Beziehungen zur Kaukasusrepublik interessiert sind. Tatsächlich ist das Handelsvolumen zwischen Tschechien und Aserbaidschan höher als das der restlichen V4-Staaten und Aserbaidschan zusammen genommen. Außerdem wird der Ölbedarf Tschechiens zu 25% von
aserbaidschanischen Öllieferungen gedeckt. Damit entsteht jedoch auch eine gewisse
Abhängigkeit. Interessenpolitik leitete auch Ungarn bei der Übergabe des armenischen
Gefangenen an Aserbaidschan. Damit hat Ungarn, das in Aserbaidschan einen potentiell wichtigen
Handelspartner im Energiebereich sieht, eindeutig Position zugunsten von Aserbaidschan
bezogen. Dass die anderen beiden V4-Staaten eher wenig Handel mit Aserbaidschan betreiben,
hängt vermutlich auch mit dem Mangel an Transparenz und der starken Abhängigkeit der
Geschäftswelt von der Politik in Aserbaidschan zusammen. Kalan und Zasztowt plädieren dafür,
dass sich die V4 verstärkt für eine Wirtschaftsrepräsentanz in Aserbaidschan einsetzen, um
gewinnbringende Kooperationen in den Bereichen Ölförderung, Infrastrukturentwicklung und
Lebensmittelexporte zu fördern.
In den Bereichen Zivilgesellschaft, Gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung, den
eigentlichen Zielen der V4 im Bereich der ÖP, ist Aserbaidschan in den Initiativen der V4 nicht
besonders stark in Erscheinung getreten. Der V4-Fokus scheint eindeutig auf Moldau, der Ukraine
und Georgien zu liegen. Damit eine Intensivierung der Demokratieentwicklung in Aserbaidschan
stattfinden kann, müssen sich die Bemühungen der V4 stärker auf das Kaukasus-Land richten.
3.) Belarus
Belarus gilt als die letzte Diktatur Europas. Regelmäßig werden über schwere
Menschenrechtsverletzungen in dem Land berichtet. Dazu zählen insbesondere die zahlreichen
politisch motivierten Inhaftierungen sowie das „Verschwinden“ von Oppositionspolitikern, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Misshandlungen, Folter und die noch immer bestehende Todesstrafe.
Seit Jahren verhängt die EU Sanktionen gegen Belarus. Zuletzt wurden diese Ende 2014 erneuert.
Zwischen dem Diktator Lukaschenko und den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten herrscht großes
Misstrauen. Verantwortlich hierfür ist auch der große Einfluss, den Russland auf Belarus kraft
makroökonomischer Anreize erfolgreich ausübt. Als Gründungsmitglied der im Januar 2015
entstandenen Eurasischen Wirtschaftsunion zwischen Russland, Belarus und Kasachstan scheint
Belarus die Bindungen zugunsten Russlands weiter zu vertiefen und sich im Gegenzug von der EU
einen Schritt weiter zu distanzieren. In diesem Kontext ist es für die EU und mithin auch für die
Visegrád-Staaten äußerst schwierig, Kontakte zur Zivilgesellschaft in Belarus aufzubauen und die
demokratische Transformation in Belarus zu unterstützen. Zumindest aber scheint die Politik der
Visegrád-Staaten in Bezug auf Belarus etwas weniger gleichgültig als bezüglich der Staaten des
Südkaukasus. So fokussieren sich etwa seit 2009 diverse Studienprogramme des IVF in
verhältnismäßig recht großem Umfang auf Belarus. Ein viel beachtetes vom IVF gefördertes
Projekt unter der Beteiligung einiger Forschungsinstitute der Visegrád-Staaten war außerdem das
18-monatige Programm „Public Administration Reform in Visegrad Countries. Lessons Learned for
Belarus and Ukraine“ von 2012, dessen Ziel es war, die spezifischen Erfahrungen der Visegrád-
Staaten beim Aufbau einer starken Zivilgesellschaft und moderner und effizienter Systeme der
öffentlichen Verwaltung durch Studienreisen, Praktika, öffentliche Vorträge und Konferenzen
sowie Forschungsveröffentlichungen für die östlichen Partner bereitzustellen. Innerhalb der V4
hat insbesondere Tschechien in den vergangenen Jahren im Rahmen seiner Menschenrechtspolitik
immer wieder starke Kritik an dem Diktator Lukaschenko geäußert und Maßnahmen zur
Unterstützung der Opposition durchgeführt. So hatte Tschechien etwa dem belarussischen Präsidentschaftskandidaten Ales Mikhalevic im März 2011 und den Mitgliedern der Oppositionsbewegung Razam im Juli 2012 Asyl gewährt, dem Diktator Lukaschenko die Einreise
zu internationalen Gipfeltreffen in Tschechien verwehrt und den internationalen Think Tank
“Občanské Bělorusko”(“Ziviles Belarus”) aufgebaut, der es sich zum Ziel gesetzt hat,
demokratische Initiativen in Belarus zu fördern.
Trotz der angespannten Lage in dem Land und der problematischen Beziehungen zwischen der EU
und Belarus hat es zuletzt bei dem Gipfel zur Östlichen Partnerschaft in Vilnius einige zaghafte
Annäherungsversuche gegeben. So gab der belarussische Außenminister, Uladzimir Makei,
bekannt, Verhandlungen über Visaerleichterungen mit der EU erneut aufnehmen zu wollen. Derzeit
ist Belarus in der gesamten Region der Staat mit der längsten und aufwendigsten Prozedur zur
Ausstellung von Schengen-Visa. Nach Ansicht der Zeitung Belarus Digest werden
Visaerleichterungen traditionell von der belarussischen Regierung als „Demokratisierungsmaßnahme“ mit besonderem Argwohn betrachtet.
Für die Durchführung der an die belarussische Zivilgesellschaft gerichteten Programme des IVF
sind Visaerleichterungen von zentraler Bedeutung. Daher wäre es für die V4 naheliegend und
sinnvoll, sich innerhalb der EU für Visaerleichterungen für belarussische Staatsbürger stark zu
machen. Um darüber hinaus die demokratischen Reformbemühungen in effektiver Weise zu
stärken, sollten reformorientierte Kräfte der Regierung gezielter adressiert werden.
4.) Georgien
Wie auf dem jüngsten Treffen der V4 zur Östlichen Partnerschaft betont wurde ist Georgien
bezüglich der umzusetzenden Reformen auf einem guten Weg, so dass eine baldige
Implementierung des Visa Liberalization Action Plans (VLAP) erwartet wird. Dieser Prozess ist
insofern zentral, als die damit ermöglichte Personenfreizügigkeit bedeutend zu einem Ausbau der zivilgesellschaftlichen Kontakte beitragen und dem Assoziierungsprozess neuen Schwung verleihen würde.
Gemeinsam mit der Republik Moldau hat Georgien beim Vilnius-Gipfel Ende 2013 mit der EU ein
Assoziierungsabkommen samt Tiefem- und Umfassendem Freihandelsabkommen ratifiziert und im
Juni 2014 unterzeichnet. Auch dies markiert – ebenso wie der zweite demokratische
Machtwechsel im Herbst 2013 in dem Land – einen bedeutenden Schritt in Richtung
Demokratisierung und Annäherung an die EU.
Besonders in den letzten Jahren scheinen sich die Aktivitäten der V4 positiv auf die Entwicklungen
in Georgien ausgewirkt zu haben. Es bestehen zahlreiche vom IVF geförderte Programme zur
Unterstützung der Reformen in Georgien. Besonders hervorzuheben ist außerdem in diesem
Zusammenhang, dass die institutionellen Reformen in Georgien - auf einer Stufe mit den
Erfahrungen der V4-Staaten - mittlerweile sogar schon als positives Beispiel für IVF-geförderte
Programme verwendet werden, die sich an die Staaten des Westlichen Balkans richten.
Wurde der Südkaukasus von den V4-Staaten traditionell eher vernachlässigt, stieg das Interesse der
V4-Staaten an Georgien vor allem im Zuge des Russisch-Georgischen Kriegs von 2008 und der
pro-europäischen Politik des ehemaligen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili.
Gleichzeitig ist der russisch-georgische Konflikt aber auch ein prominentes Beispiel für das
Versagen der V4, eine kohärente Linie zu verfolgen und geeinte Aktivitäten durchzuführen. So
konnten sich die V4 während des russisch-georgischen Konflikts nicht einmal auf eine gemeinsame
Stellungnahme einigen. Dem Einmarsch russischer Truppen in Georgien standen die vier Staaten untätig gegenüber. Nach Ansicht des polnischen Analysten András Rácz ist das Verhalten der V4 während des Kaukasuskriegs ein Beispiel für den spaltenden Einfluss, den Russland auf die V4-
Staaten ausübt. 2008 war es insbesondere die ungarische Position, die in Bezug auf Russland eine
sehr viel weichere Linie als die drei anderen V4-Staaten verfolgte. So trat Ungarn zwar für die
Souveränität und territoriale Integrität Georgiens ein und erkannte die Unabhängigkeit von
Abchasien und Südossetien nicht an, stellte sich aber jeglichen Sanktionen gegen Russland
entgegen. Zasztowt und Kalan führen die Uneinigkeit und Unschlüssigkeit der V4 während des
Georgienkriegs auf das Dilemma der vier Staaten zurück, einerseits eine Neutralität in regionalen
ethnischen Konflikten zu bewahren und sich andererseits aus pragmatisch-rationalen Gründen zu
Russland zu bekennen.
Die beiden Analysten sehen die Zukunft Georgiens in der EU und empfehlen den V4, sich für eine
EU-Mitgliedschaftsperspektive Georgiens und den Visa-Liberalisierungsprozess weiter einzusetzen.
Darüber hinaus sollte die EU Monitoring Mission (EUMM) in Abchasien und Südossetien
weitergeführt werden. Auch hierfür sollten sich die V4 innerhalb der EU stark machen. Da
Georgien unter den östlichen Partnern der von der Bevölkerung der V4 am meisten besuchte Staat
ist, biete sich Georgien als Ort für ein „Visegrad-Haus“ an, das als Vertretung der V4-Staaten die
kulturellen Beziehungen fördern und Wirtschaftskontakte erleichtern sollte.
5.) Moldau
Die Republik Moldau gilt als “Erfolgsstory der Östlichen Partnerschaft“. Neben Georgien und
der Ukraine ist Moldau der dritte Staat der Östlichen Partnerschaft, der im Juni 2014 ein
Assoziierungabkommen samt Tiefem und Umfassendem Freihandelsabkommen mit der EU ratifiziert hat. Außerdem herrscht seit Juli 2014 keine Visumspflicht mehr für Moldau bei Einreisen in die EU. Entsprechend der hohen Erwartungen, die Moldau im Zuge seiner proeuropäischen
Politik und der vollzogenen Reformschritte erweckt hat, ist das Interesse aller V4-
Staaten an dem Land sehr hoch. Dies spiegelt sich in einer aktiven diplomatischen Repräsentanz der
V4-Staaten in Moldau und ausgeprägter Wirtschafts- und Handelsbeziehungen wider.
Ungarn und die Slowakei sind innerhalb der V4-Gruppe am stärksten an Moldau interessiert. So hat
Ungarn sich vor allem aufgrund der ungarischen Minderheiten in Moldau stark für pro-europäische
Reformen in dem Land eingesetzt. Die Slowakei erachtet Moldau aufgrund seiner geopolitischen
Lage als strategisch wichtiges Land und fördert die pro-europäischen Entwicklungen dort mit
vergleichsweise hohen finanziellen Unterstützungsleistungen.
Neben den nationalen Politiken der V4-Staaten und über die Programme des IVF und
Absichtserklärungen der V4-Staaten hinaus gibt es allerdings wenig Beispiele für geeinte V4-
Aktivitäten mit Bezug zu Moldau. Auch in Bezug auf den eingefrorenen Konflikt um Transnistrien
haben die V4 in der Vergangenheit keine besonders große Rolle gespielt. Gerade hier aber könnte
eine stärkere Involvierung der V4-Staaten besonders nützlich sein. Analysten des Central European
Policy Institute (CEPI) raten den V4-Staaten, existierende Reintegrationspolitiken und die
Funktionsfähigkeit der lokalen Institutionen in Moldau zu stärken und in noch größerem Maße
Projekte zu fördern, die die Zivilgesellschaft auf beiden Seiten des Dnister adressieren. Trotz der
großen Fortschritte in Moldau gibt es außer dem eingefrorenen Konflikt um Transnistrien in dem
Land noch einige weitere Baustellen, bei denen die Nutzung der Transformationserfahrung der V4-
Staaten hilfreich wäre. Probleme und Herausforderungen bestehen etwa in der
Korruptionsbekämpfung, in der geringen öffentlichen Unterstützung für die europäische
Integration, in institutionellen Schwächen des politischen Systems und noch immer ausstehenden
Reformen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Justiz. Analysten des CEPI raten den V4, stärker mit lokalen NGOs in Moldau zusammenarbeiten, externe Spendernationen für die V4EaPProgramme des IVF zu akquirieren (z.B. Rumänien oder die USA) und mehr Öffentlichkeitsarbeit für die bereits bestehenden Projekte zu betreiben, um deren Wirkung und Reichweite zu erhöhen.
6.) Ukraine
Innerhalb der Staaten der Östlichen Partnerschaft genießt die Ukraine in den Augen aller V4-
Staaten eine herausgehobene Stellung. Dies ist allein schon daran erkennbar, dass die meisten IVFProgramme
die Ukraine als Hauptadressaten haben. Zwei Gründe sind hierfür verantwortlich.
Erstens lebt eine bedeutende Zahl ethnischer Minderheiten aus Polen, Ungarn und der Slowakei in
der Ukraine. Zweitens sind alle vier Staaten der Visegrád-Gruppe von der Ukraine als Transitroute
für russische Öl- und vor allem Gaslieferungen abhängig (- wobei Polen auch auf Belarus als
Transitland zurückgreifen kann). Dass der Ausfall der russischen Gaslieferungen an die Ukraine
ernsthafte Konsequenzen haben kann, wurde insbesondere Ungarn und der Slowakei 2009 lebhaft
vor Augen geführt.
Die russische Annexion der Krim und die Auseinandersetzungen in der Ostukraine haben die
sicherheitspolitische Landkarte in Europa und damit auch die Ausgangssituation für die Visegrád-
Staaten von Grund auf verändert. Auch wenn die Viségrad-Staaten nicht direkt von der Ukraine-
Krise betroffen sind, stellt diese nichtsdestotrotz die wohl größte Sicherheitsbedrohung an den
Grenzen (bzw. im Falle Tschechiens in der weiteren Nachbarschaft) der Visegrád-Staaten seit Ende
des Kalten Krieges dar. Neben der Sorge vor direkten militärischen Ausschreitungen erregen die
Möglichkeit hoher Migrationsströme aus der Ukraine in die V4-Staaten und die potentielle
Unterbrechung des Energietransits in den vier Staaten große Besorgnis.
Schon bevor es nach dem Vilnius-Gipfel 2013 zu der Krise in der Ukraine gekommen ist, haben
sich die V4-Staaten für eine Annäherung der Ukraine an EU und NATO und den Abschluss eines
Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine stark gemacht. Eine Ausnahme war die Verweigerung Ungarns im Vorfeld des Bukarest-Gipfels der NATO 2008, den Unterstützungsbrief für den NATO-Beitritt der Ukraine zu unterzeichnen, um die Beziehungen mit
Russland nicht zu gefährden. Tschechien, Polen und die Slowakei hingegen hatten den Brief
unterzeichnet.
Nachdem es Ende 2013 beim Vilnius-Gipfel zum Eklat kam und sich der ehemalige ukrainische
Präsident Janukowytsch unter dem Druck Russlands gegen die Unterzeichnung des
Assoziierungsabkommens mit der EU entschied, standen die V4 in ihrer Unterstützung der proeuropäischen
Einheiten in der Ukraine zusammen und wiesen sogar gemessen an der Anzahl ihrer
außerordentlichen gemeinsamen Treffen und Erklärungen eine nie dagewesene Aktivität auf.
Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang auch der gemeinsame Brief der V4-Staaten an die
damalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und den damaligen EUNachbarschaftskommissar
Stefan Füle Anfang März 2014, in dem sie für eine schnelle Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens eintraten.
Als aber innerhalb der EU Forderungen nach Sanktionen gegen Russland lauter wurden, schwand
die Einigkeit der V4. Während Polen und Tschechien die Sanktionen gegen Russland eher
unterstützen, stellten sich die Slowakei und Ungarn den Sanktionen entgegen. Seit jeher gilt
Russland als das größte spaltende Element der Visegrád-Gruppe. So ist es wenig verwunderlich,
dass die Reaktionen der V4 bezüglich des russischen Vorgehens in der Ukraine-Krise bedingt durch
unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen in den Beziehungen mit Russland und uneinheitlich
intensive Handelsverflechtungen und Abhängigkeiten von russischem Öl und Gas divergieren.
Allerdings greift es zu kurz, die unterschiedlichen Haltungen der V4-Staaten einzig auf Handel und
Energieabhängigkeit zu reduzieren. Wie Rácz ausführt ist Polen unter den V4-Staaten nämlich der
wirtschaftlich am stärksten mit Russland verflochtene Staat. Tschechien ist nicht deutlich weniger
abhängig von russischen Gaslieferungen als Ungarn und die Slowakei. Dass Tschechien und Polen
anders als die Slowakei und Russland dennoch die Sanktionen gegen Russland unterstützen hängt
daher auch mit geopolitischen, normativen und innenpolitischen Gründen zusammen. Das starke
Bekenntnis Tschechiens zu Menschenrechten und Grundfreiheiten als Konstante dessen
außenpolitischer Glaubwürdigkeit gebietet eine Parteinahme zugunsten der Ukraine. Für Polen dient eine harte Haltung gegenüber Russland auch einer Intensivierung der aus historischen Gründen als strategisch besonders wichtig empfundenen transatlantischen Bindung. Orbán kann
sich aus innenpolitischen Gründen keine Erhöhung der Gaspreise leisten und verfolgt daher eine
vorsichtige Politik gegenüber Russland. Aus ähnlich pragmatischen Gründen handelt die Slowakei,
die zu 93% von russischen Gasimporten abhängig ist.
Gleichzeitig stellt die Situation in der Ukraine für die V4 auch eine gemeinsame Bedrohung dar.
Dies könnte die vier Staaten dazu veranlassen, sich stärker abzustimmen, um geschlossener
reagieren zu können. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit sich die Ukraine-Krise tatsächlich zu
einem „game-changer“ in Europa entwickelt und welche kurz- und langfristigen Auswirkungen
sie auf die Zusammenarbeit der Visegrád-Gruppe haben wird. Rácz erachtet die Chancen eines
künftig einheitlicheren V4-Handelns in Bezug auf Russland und die Ukraine als eher gering – es sei
denn die bisher indirekte Bedrohung der V4-Staaten wird durch eine direkte militärische Bedrohung
abgelöst. Dass es hierzu kommt, bleibt indes nicht zu hoffen.
IV. Bewertung und Ausblick
Die Bilanz darüber, ob die V4 ihre Erfahrungen und ihr Vermittlungspotential im Bereich der
demokratischen Transformation für die Staaten der Östlichen Partnerschaft effektiv genutzt haben,
fällt eher gemischt aus. Die Analyse hat gezeigt, dass die V4-Politik gegenüber den Staaten der
Östlichen Partnerschaft von großer Selektivität geprägt ist. Während Belarus und die Staaten des
Südkaukasus mit der Ausnahme Georgiens eher wenig Beachtung finden, konzentrieren sich die
IVF-Programme und die Aktivitäten der vier Visegrád-Staaten auf Moldau und die Ukraine. Am
Beispiel letzterer lässt sich darüber hinaus ganz besonders deutlich erkennen, dass die V4-Staaten
unterschiedliche Prioritäten und Ziele haben und ihre nationalen Interessen einem geeinten
Vorgehen im Wege stehen können. Neben unterschiedlichen wirtschaftlichen, normativen,
geopolitischen und innenpolitischen Rahmenbedingungen sind auch die verschiedenen historischen
Hintergründe und Risikoeinschätzungen in Bezug auf die Rolle Russlands für die Uneinigkeit und
Inkohärenz der Visegrád-Staaten verantwortlich.
Es fällt schwer, über Absichtserklärungen und IVF-Programme hinaus Beispiele für tiefgreifende
gemeinsame Projekte der vier Staaten in Bezug auf die Östliche Partnerschaft zu nennen. An der
Lösung regionaler Konflikte und politischer Krisen in den ÖP-Staaten haben sich die V4 wenn
überhaupt nur zögerlich beteiligt. Ob und inwieweit sich die vier Staaten „hinter den Kulissen“ als
relativ homogener mitteleuropäischer Block innerhalb der EU für die Staaten der Östlichen
Partnerschaft einsetzen, ist wissenschaftlich nicht leicht nachweisbar.
Es ist aber sicher nicht zu bestreiten, dass die „Visegrád-Sozialisation“, nämlich die über Jahre
hinweg gewonnene politische Kultur der Abstimmung und Konsultation der V4-Staaten im Vorfeld
großer Gipfeltreffen einen wichtigen Beitrag zu gestärktem gemeinsamem Handeln im EU-Rahmen
leistet - und dies vor allem in dem für alle V4-Staaten besonders wichtigen Bereich der Östlichen
Partnerschaft.
Auch muss vor falschen Erwartungen an die V4 gewarnt werden. Eine kohärente Außenpolitik war
nie das Ziel der vier Staaten. In Bezug auf die Östliche Partnerschaft galt es vielmehr, gewonnene Transformationserfahrungen bereitzustellen, zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Kontakte zu
fördern und Unterstützung bei institutionellen Reformen zu leisten. All diese Ziele und Absichten
sind Gegenstand der zahlreichen IVF-geförderten Programme, die sicherlich für die bereits
erfolgten positiven Entwicklungen wie die Visafreiheit in der Republik Moldau und die
Unterzeichnung von Assoziierungsabkommen der EU mit Moldau, Georgien und der Ukraine nicht
völlig unbeteiligt gewesen waren.
Dass die Absichten und Ziele, auf denen bisher der Fokus der V4 lag eher der „soft power“
zuzuordnen sind, muss auch nicht zwangsweise negativ beurteilt werden.
Aber es bietet sich für die V4 an, ihre bestehenden Programme effektiver und öffentlichkeitswirksamer
zu gestalten, um den größten Nutzen hieraus zu gewinnen. Beispielhaft zu nennen sind
die Einbeziehung externer Spendernationen und eine stärkere Öffentlichkeitsarbeit, um eine größere
Reichweite von existierenden Programmen und eine stärkere Involvierung zivilgesellschaftlicher
Akteure zu erreichen.
Die V4 sind eine gute Idee. Aber auch mit einer guten Idee kann man nur dann Erfolge erzielen,
wenn sie intelligent aufbereitet und öffentlichkeitswirksam umgesetzt wird.
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