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Länderberichte

Gordon Bajnai folgt Ferenc Gyurcsány

von Hans Kaiser

Wechsel im Amt des ungarischen Ministerpräsidenten

Der bisherige Wirtschaftminister Gordon Bajnai ist neuer ungarischer Ministerpräsident. Zuvor hatte sein Vorgänger Ferenc Gyurcsány ein Misstrauensvotum gegen sich selbst eingebracht. Alleiniges Ziel war ein Wechsel im Amt des Regierungschefs unter Vermeidung von vorgezogenen Neuwahlen. Bei dem konstruktiven Misstrauensvotum stimmten 204 der 386 Abgeordneten dafür, Gyurcsány durch den 41-jährigen parteilosen Bajnai zu ersetzen.

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Der Gewinn des Amtes für Bajnai ist dem Verfahren nicht unähnlich, mit dem Gyurcsány selbst vor rund fünf Jahren ins Amt kam, als er seinen Vorgänger, Medgyessy, MSZP, ablöste. Schon den hatten wirtschaftlicher Niedergang, Erfolglosigkeit im Amt, aber zudem auch dunkle Flecken in seiner Vergangenheit zu Fall gebracht. Medgyessy ist vollkommen von der Bühne verschwunden. Gyurcsánys Zukunft ist nach dem selbst gewählten Rückzug schwer einzuschätzen. Der große Strippenzieher im Hintergrund – das können sich die Beobachter der Szene nach seinem hoch problematischen und chaotischen Krisenmanagement kaum noch vorstellen. Zugestanden wurde ihm der Vorsitz der MSZP-Parteistiftung, der Táncsics Mihály Stiftung.

„Eine Woche Affentheater“

Die relative Geräuschlosigkeit, mit der der parlamentarische Akt über die Bühne gegangen ist, steht im krassen Gegensatz zu dem, was sich vorher über mehr als eine Woche hinweg an Polittheater abspielte. „Eine Woche Affentheater“ schlagzeilte der Pester Lloyd auf der Titelseite seiner Ausgabe vom 1. April. Die Unterzeile lautete: Suche nach neuem Regierungschef gerät zur Farce. Und der Bericht gab fast genüsslich wieder, wie unprofessionell und chaotisch die Dinge auf den Weg gebracht wurden, nachdem der bisherige Ministerpräsident und MSZP-Vorsitzende Gyurcsány signalisiert hatte, dass er bereit sei, das Amt des Regierungschefs abzugeben und den Weg für eine „Expertenregierung“ frei zu machen. Am Ende des Chaos war klar, dass Gyurcsány mehr als beschädigt aus dem Ministerpräsidentenamt ausziehen und noch dazu sein Amt als Parteivorsitzender verlieren würde. Zumindest letzteres hatte er mit Gewissheit nicht beabsichtigt oder gewollt. Er verlor nach Meinung der großen Mehrzahl politischer Beobachter die Kontrolle, machte taktische und technische Fehler. Einer brachte es so auf den Punkt: Gyurcsány verkannte ganz einfach die Lage.

In diesem Chaos an Kommunikation und Desinformation kamen Witze auf, wer noch nicht per SMS vom Ministerpräsidenten gefragt worden sei, ob er für ein paar Monate Ministerpräsident unter seiner, Gyurcsánys Führung werden wolle. Einer dieser ernsthaft Gefragten (Bokross) begründete seine Absage so: „Ich erwerbe mir doch nicht in über fünfzehn Jahre Reputation und Respekt, um beides dann in fünf Minuten zu verspielen.“ Soviel sei es ihm doch nicht wert, in seiner Vita Ministerpräsident a. D. stehen zu haben. Dem Vernehmen nach war Bajnai, der schließlich den „Ruf“ akzeptierte, Kandidat Nummer 13. Er machte sein Ja freilich von der Zustimmung einer hinlänglichen Mehrheit für sein Sanierungskonzept abhängig. Er legte ein Papier vor, das von jedem Abgeordneten aus den Fraktionen der Unterstützer (MSZP und SZDSZ) unterschrieben werden sollte. So geschah es auch bis auf wenige Ausnahmen. Dabei geht man kaum fehl in der Annahme, dass die Unterschriften der Abgeordneten nur ein begrenztes Haltbarkeitsdatum haben werden. Ihr Interesse ist zuvörderst darauf ausgerichtet, das Ausmaß der bei den Europawahlen im Juni und schließlich auch bei den Parlamentswahlen 2010 drohenden Niederlagen zu begrenzen; natürlich nicht zuletzt, den Schwund an Abgeordnetenmandaten im eigenen Interesse nicht gar so dramatisch ausfallen zu lassen.

Bajnais „Konzept der Grausamkeiten“ enthält im Übrigen nicht sonderlich viel mehr als das, was die internationalen Geldgeber Ungarn an zwingenden Sanierungsmaßnahmen ohnehin auferlegt hatten, um überhaupt in den Genuss von Mitteln zu kommen, die die Zahlungsunfähigkeit des Landes vorübergehend verhinderten. Im April kommenden Jahres werden diese Mittel, die exakt eingeplant sein sollten, aufgebraucht sein. Derzeit tauchen aber neue Zahlenspiele auf, die diesen Zeitpunkt weit in 2009 vorverlegen. Mit ein Grund dafür, dass der ungarische Regierungschef vor einigen Wochen beim Brüssler Gipfel seinen verwegenen und unabgestimmten Finanzvorstoß mit der Forderung nach 160 bis 190 Milliarden Euro für alle Staaten des ehemaligen Ostblocks machte. Ein Vorgang, der sicher zu seinem Rückzug beitrug.

Präsident Sólyom forderte Neuwahlen

Ungarns Staatspräsident László Sólyom meldete sich zu Wort: Neuwahlen seien in einer so schwierigen Situation, die nach einer erneuerten Legitimation der politischen Führung rufe, die allein richtige Maßnahme. Er fügte hinzu: Ungarn leide nicht nur unter einer Wirtschaftskrise, sondern vor allem unter einer moralischen Krise. Der scheidende Premier habe den Verlust seiner Glaubwürdigkeit selbst eingestanden. Eine Expertenregierung, die nach seiner, Sólyoms, Meinung am wenigsten demokratisch legitimiert sei, werde als Übergangsregierung bis zu den Wahlen die bitter notwendigen Schritte zur Sanierung des Landes nur verzögern.

Was bei der Regierungsmannschaft, die Bajnai zusammenbringt, tatsächlich dem entspricht, was Viktor Orbán, der Oppositionsführer, vor vielen Monaten einmal als Expertenregierung – fern der Parteipolitik - ins Gespräch gebracht hatte, muss sich noch erweisen. Schon jetzt fürchten viele, dass zu viele der bisherigen MSZP-Minister wieder kommen. Ansonsten hätten sie wohl dem Kandidaten die Zustimmung verweigert. Etliche werden es gewiss sein. Von der ursprünglich beim Expertenkabinett mitgedachten „Parteiferne“ solcher Experten ist ganz sicher dann nur wenig die Rede. Außerdem der Kandidat: Die wirtschaftliche Lage des Landes ist bekanntlich keineswegs so, dass sie eine Empfehlung wäre, den verantwortlichen Ressortminister mit noch höheren Aufgaben zu betrauen. Wobei er gewiss nicht derjenige ist, der die wirtschaftlich/finanziell miserable Situation des Landes in seiner Person zu vertreten hätte. Er war aber wohl er einzige, dem eine gewisse Kompetenz zuerkannt wird und auch das Vermögen, die Dinge als Regierungschef professionell in die Hand zu nehmen und der schließlich auch bereit war, diese Mission zu übernehmen.

Fazit: Der notwendige Aufbruch findet so nicht statt…

Voraussichtlich wird sich eine Dualität besonderer Art in der politischen Praxis zeigen: Der neue Ministerpräsident wird versuchen, sich ein Krisenmanagerprofil zu geben. Er ist jung genug. Auch wenn er scheitert, so ganz vergeblich soll dieser persönliche Opfergang für ihn wohl nicht sein. Zugleich wird die Fraktion, auf deren Unterstützung er in erster Linie angewiesen ist, die MSZP, den Versuch machen, sich von den geplanten Einschränkungen abzugrenzen. Wie lange sich aber ein kräftiges Ja zur Person des Ministerpräsidenten und ein deutliches Nein zu seinem Konzept durchhalten lassen, ist fraglich. Die derzeit gemessene Popularität der MSZP, die je nach Institut bei 10 bis 14 Prozent liegt, lässt aber kaum eine andere Wahl als so zu agieren. Außerdem haben sich in jüngster Zeit zunehmend Kommunalpolitiker der MSZP zu Wort gemeldet, die letztlich auch den Rückzug des Parteivorsitzenden Gyurcsány thematisiert, betrieben und durchgesetzt haben. Sie fürchteten und fürchten um den Rest ihrer kommunalpolitischen Basis und Anhängerschaft, die bei den Kommunalwahlen am 1. Oktober 2006 schon dramatisch in sich zusammen gebrochen war.

Man muss befürchten: Ungarn wird sich weiter durch schwere Wasser quälen, ohne endlich Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Der vom Staatspräsidenten geforderte Legitimations- und Vertrauensschub geht von dieser politischen Veränderung gewiss nicht aus. Freilich: Die für viele zum Schreckensbild gewordene Person des gescheiterten Ministerpräsidenten Gyurcsány wird nicht mehr im Vordergrund stehen. Er wird Fidesz auch keinen Anlass mehr geben, bei seinem Auftreten im Parlament den Saal zu verlassen; eine Maßnahme, die auch bei Anhängern und Freunden des Fidesz zunehmend in Misskredit geraten war.

Das, was vor allem notwendig wäre, der Gang der Bürger zur Wahlurne, um einen neuen Wählerauftrag zu erteilen, findet vorerst also nicht statt. Spätestens in wenigen Wochen wird gewiss darüber spekuliert, wie lange Bajnai durchhält und wann der Zeitpunkt gekommen sei, doch endlich Neuwahlen zu betreiben. Fürs erste ist die Chance für das Land vertan, einen ersten ernsthaften Schritt zu tun, um doch wieder Boden unter die Füße zu bekommen.

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Frank Spengler

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