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"Ungarns Verwaltung ist noch nicht EU-reif" - Artikel aus der Budapester Zeitung vom 19.01.2004

BZ-Interview mit Klaus Weigelt, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Budapest

Klaus Weigelt, Leiter der Budapester Konrad-Adenauer-Stiftung, hat Zweifel an der EU-Reife Ungarns. Besonders im Bereich Verwaltung und bei den Dienstleistungen habe das Land noch großen Nachholbedarf. Gegenüber BZ-Chefredakteur Gunnar Erth analysierte Klaus Weigelt die Geschehnisse des vergangenen Jahrs in Ungarn.

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- Was waren für Sie die herausragenden Ereignisse in Ungarn 2003?

Da würde ich drei nennen: an erster Stelle das EU-Referendum vom 12. April, dann die Neuorientierung des Fidesz auf dem Weg zu einer starken Volkspartei und drittens die Schaffung der ungarischen Parteistiftungen. Das EU-Referendum hatte einen positiven Ausgang, auch wenn es ein paar Schrammen erlitt. Zum Bereich EU zählt auch die Unterzeichnung des Beitrittsvertrags und dessen Ratifizierung durch das ungarische Parlament. Ein Wermutstropfen war der letzte EU-Monitoringbericht, der einige kritische Punkte für Ungarn enthielt.

- Warum halten Sie die Fidesz-Neuorientierung für so wichtig?

Der Fidesz hat nach einem Jahr voller Irritationen am 17. Mai 2003 wieder den Vorsitzenden erhalten, der ihr zusteht. Viktor Orbán war in Zwischenzeit zwar präsent, beteiligte sich aber vor allem außerparlamentarisch. Seit Mai hat er seine Partei wieder in eine geordnete Bahn gelenkt, der Fidesz hat wieder Fuß gefasst für die Europawahl und die Parlamentswahl 2006. Die Partei hat sich geöffnet und neue Mitglieder gewonnen.

- Was wird aus den Bürgerlichen Kreisen, die als außerparlamentarische Opposition vom Fidesz gegründet wurden?

Die Bürgerlichen Kreise bestehen weiter, aber in deutlich abgemilderter Form. Sie bilden weiter ein Reservoir für neue Mitglieder, ihre Rolle als Massenaufmarschbasis ist in den Hintergrund getreten - und das ist auch richtig so.

- Neben dem Fidesz kooperieren Sie auch mit dem MDF, der zweiten Partei, die innerhalb der Europäischen Volkspartei aktiv ist. Wo sehen Sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten?

Wir bedauern, dass das Verhältnis von Fidesz und MDF so gespannt ist. Das MDF bereitet uns Sorgen, wir wissen nicht, wohin sich diese Partei entwickelt, die einen christdemokratischen Kern besitzt. Ihre Popularität ist stark geschrumpft, sie hat eine Wählerbasis von nur zwei bis drei Prozent. Der Fidesz hat demgegenüber einen langen Weg hinter sich, von der liberalen zur christlich-konservativen Volkspartei, was allerdings noch nicht alle Mitglieder mittragen. Sein Spektrum ist deutlich breiter als das des MDF.

- Wo sehen Sie die Stärken des MDF?

Vor allem in der Kommunalpolitik. Der Vorsitzende des Städteverbands MÖSZ ist ein MDF-Mann, der Bürgermeister von Gödöllo. Das MDF hat außerdem ein starkes Profil im Bildungsbereich und in der Drogenpolitik. Und es verfügt mit dem IDF über eine gute Jugendorganisation. Auch der Fidesz verfügt mit der Fidelitas über eine gute Jugendorganisation, nur lebt deren Vorsitzender in Brüssel. Der IDF-Vorsitzende ist dagegen präsent und engagiert sich stark in diversen Kampagnen.

- Sie heben auch die Gründung der ungarischen Parteistiftungen hervor. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Ich hatte selbst die Schaffung von Parteistiftungen auf einer Strategiekonferenz im Jahre 2002 angeregt. Das dafür nötige Gesetz wurde am 23. Juni des vergangenen Jahres verabschiedet. Obwohl das Interesse bei allen vier Parteien im Parlament groß war, operiert allerdings mit der fidesznahen Stiftung "Bündnis für ein bürgerliches Ungarn" erst eine. Der Fidesz hatte die sich bietende Möglichkeit am stärksten ergriffen. Seine Stiftung strebt auch ausdrücklich die Kooperation mit den Stiftungen der anderen Parteien an, als Symbol zur Überbrückung des innenpolitischen Grabens. Bernhard Vogel, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, hat bei seinem Besuch anlässlich der Vorstellung der Stiftungen im Dezember ausdrücklich den Aspekt der Stärkung der politischen Kultur durch die ungarischen Parteistiftungen betont.

- Was machen die Stiftungen der anderen Parteien?

Das MDF hatte erst spät mit den Planungen begonnen. Seine Stiftung ist mitten im Entstehungsprozess, hat aber an der Veranstaltung zur Vorstellung der politischen Stiftungen im Dezember teilgenommen. Die Pläne von MSZP und SZDSZ sind mir nicht bekannt.

- Wie war das vergangene Jahr für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Budapest?

Im vergangenen Januar hatten wir eine Konferenz zum jüdisch-christlichen Verhältnis, zwei medienpolitische Konferenzen im Frühjahr und Herbst und eine sehr wichtige Konferenz zum Thema "Armut in Ungarn". Mit den Jugendorganisationen der uns nahestehenden Parteien haben wir vier Konferenzen organisiert. Außerdem haben wir für sechs Bürgermeister aus der Umgebung von Budapest ein Seminar in Baden-Württemberg zum Thema "Kommunale Wirtschaftsförderung" ausgerichtet. Dabei ging es uns darum, Möglichkeiten der regionalen Kooperation aufzuzeigen. Höhepunkt unseres Jahres war die Abschlusskonferenz am 12. Dezember mit unserem Vorsitzenden, auf der die ungarischen Parteistiftungen vorgestellt wurden.

- Sind Sie mit der Bilanz zufrieden?

Ja. Es war mein erstes volles Jahr hier im Amt. Für uns war es auch eine neue Situation, denn auf einmal mussten wir mit Fidesz und MDF als Oppositionsparteien kooperieren. Es stellte sich heraus, dass dies viel produktiver war. Regierungsparteien sind oft beratungsresistent, sie wissen alles besser, während Oppositionsparteien offen für das Gespräch und aufnahmebereit sind.

- Die EU war das große Politikthema. Halten Sie denn Ungarn für beitrittsreif?

Ungarn hat noch erheblichen Nachholbedarf. Vieles spielt sich auf einem Niveau ab, das weit unter dem EU-Standard liegt. Auf die Post ist zum Beispiel kaum Verlass - wir sind vor Weihnachten zu den Veranstaltungen der Kirchengemeinden gegangen um zu fragen, ob jemand unsere Briefe und Pakete mitnimmt. Viele Päckchen an uns werden von irgendwelchen Leuten geöffnet in der Hoffnung, etwas Wertvolles zu finden. Auch in der Verwaltung liegt vieles im Argen. Wir warten seit zwei Monaten darauf, dass wir ein Auto anmelden können, die Behördenarroganz ist hier sehr ausgeprägt. Auch die Kriminalitätsrate ist sehr hoch, und die Handgelder im Gesundheitswesen sind ein großes Übel, das vor allem die Armen trifft. Das steht auch alles in den EU-Berichten, nur wird es nicht energisch genug moniert. Ich habe große Sorgen, was passiert, wenn Ungarn erst in der EU ist. Ohne hier mangelnde Dinge wie Vertrauen und Vertragstreue geht es nicht.

- Immerhin hat Ungarn ein stabiles politisches System. Und die Regierungswechsel alle vier Jahre vermeiden die Verfilzung der Gesellschaft, oder?

Ich halte die ständigen Regierungswechsel für sehr problematisch. Sie vermeiden die Umsetzung von langfristigen Konzepten, das sieht man zum Beispiel jetzt klar und deutlich an der Forintkrise. Ungarn fehlt eine auf Vertrauen basierende Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Es fehlt an einer sozialen Marktwirtschaft, wie sie in Deutschland die Basis für das Wirtschaftswunder gebildet hat. All dies geht nicht ohne einen gesunden Mittelstand. Diesen gibt es in Ungarn nicht. Wir haben hier eine starke Orientierung an der Großindustrie und einer großflächigen Landwirtschaft. Alles was groß ist, wird hofiert. Ich frage mich, wie Ungarn in der EU ohne Mittelstand funktionieren will, doch das interessiert die EU leider nicht. Ein Audi alleine reicht nicht.

- Wie steht es um die Akzeptanz der EU-Politik in Ungarn?

Wenn man einmal über das Land fährt, merkt man, dass die Leute sehr wenig Ahnung von dem haben, was in Brüssel geschieht. Ein Europabewusstsein gibt es dort nicht. Viele Leute werden nach dem Beitritt glauben, dass sie das Nachsehen haben werden. Dies ist aber auch klar die Schuld der alten EU-Staaten, die den neuen Mitgliedsländern im Struktur- und Agrarfonds einen so schlechten Start geben. Leider überschatten diese Dinge die Tatsache, dass es in der EU viel mehr um politische als um ökonomische Gedanken gehen sollte - um die Sicherung von Frieden und Freiheit.

- Also werden die Bauern Verlierer des Beitritts sein?

Ja, falls die Behörden zur Verwaltung der Agrarsubventionen nicht rechtzeitig fertig werden. Die Landwirte haben sonst keine Chance, an das Geld zu kommen, was ihnen zusteht.

- Binnenpolitische Händel verhindern in Ungarn den Aufbau der EU-konformen Regionen. Gibt es da Hoffnung?

Die Schaffung der sieben Regionen in Ungarn ist 2004 ein prioritäres Thema. Die Regionen müssen klare Rechte bekommen, vor allem eine gewisse Finanzautonomie. Die Frage ist, ob die Komitate als nächstkleinere Einheit bestehen bleiben - und wer welche Befugnisse erhält. Kommen die Regionen nicht bald zustande, wird Ungarn lediglich einen statt sieben Vertreter im Ausschuss der EU-Regionen haben. Nicht nur das: Die Entwicklung der Infrastruktur des Landes hängt von der Schaffung der Regionen ab, das betrifft die Autobahnen genau so wie die Bahn und die Flughäfen.

- Bringt der EU-Beitritt Ernüchterung oder Euphorie?

Ungarn wird den Beitritt sicher mit einem großen Feuerwerk feiern. Das ist auch richtig so, der Beitritt ist eine tolle Sache. Es ist sehr schön für das Land, dass bald 24 Abgeordnete im Europaparlament sitzen. Mit wahrscheinlich Pál Schmitt und József Szájer wird der Fidesz hervorragende Persönlichkeiten in das Parlament entsenden. Ab Mai wird das Land mit einem eigenen Vertreter in der Brüsseler Kommissars-Runde sitzen. Dies alles kann trotz der bestehenden Probleme dem Europabewusstsein einen großen Schub geben. Für Europa ist es großartig, dass Ungarn dabei ist.

- Wird sich in absehbarer Zeit die für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich heftige Streitpolitik Ungarns im Parlament verbessern?

Wir dürfen nicht zu viel erwarten. Die Menschen können erst seit 14 Jahren offen diskutieren. Wir erleben Identitätsprobleme, verursacht durch die teils ungebrochene Identität der einstigen Machthaber bis heute. Dies sieht man deutlich an der unbeendeten Diskussion zur Reform der MSZP. Die Machthaber von einst haben nicht nur in der Sozialistischen Partei bis heute eine starke Stellung, sondern auch in den Medien, der Verwaltung und der Wirtschaft. Auch die Herausbildung einer christlich-konservativen Identität im Mitte-Rechts-Spektrum ist nicht abgeschlossen. Erst wenn die Parteien mit sich selbst im Reinen sind, kann es zwischen ihnen besser laufen. Bis dahin werden sie reflexartig jede Kritik zurückschmettern. Das sieht man etwa jedes Jahr bei den Feiern zum 23. Oktober.

Mit Klaus Weigelt sprach Gunnar Erth,

Budapester Zeitung, 19.01.2004

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