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Die angemessene Transformation - Artikel aus dem Pester Lloyd vom 18.02.2004

Prof. Hasse fordert die Berücksichtigung kultureller Besonderheiten eines Gesellschaftssystems durch die Wirtschaft

Der Vortrag von Prof. Hasse fand im Rahmen der „Budapester Besuche“ statt, und war der erste seiner Art in diesem Jahr. Den finanziellen Hintergrund bot die Konrad-Adenauer-Stiftung, die logistische Unterstützung erfolgte durch die Andrássy-Universität. Die Ehre gaben sich u.a. die Deutsche Botschafterin Ursula Seiler-Albring, und der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung, Klaus Weigelt.

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Die deutschsprachige Andrássy Universität ist mit ihren zwei Jährchen eher jung. Das heißt aber nicht, dass sie noch viele Sommer erleben muss, um akademisch zu reifen. Zumindest der Vortrag „Ist Ordnungspolitik Ökonomik?“ am vergangenen Dienstag bot, was eine Universität mit Renommee sich erhofft. Professor Rolf Hasses Vorlesung war provokant, theoretisch, knifflig, er gab Forschungsanregungen und bewegte sich auf dem dünnen Eis der politischen Handlungsanweisung – kurz: sie hatte alles, was das Akademikerherz in höheren Frequenzen schlagen lässt.

Der Referent Rolf Hasse ist Professor an der Universität Leipzig und dort Direktor des Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen und des Instituts für Wirtschaftspolitik. Der 1940 in Berlin Geborene ist Experte auf den Gebieten der Allgemeinen Wirtschaftspolitik, der Ordnungspolitik und Wirtschaftssysteme, der internationalen Handels- und Währungspolitik und der europäischen Integration. Der Volkswirt hält außerdem eine Vorlesungsreihe für die Studenten der Andrássy-Universität und gibt mit Klaus Weigelt ein Lexikon der Sozialen Marktwirtschaft heraus.

Die Kernaussage des Abends war, dass ein fremdes Wirtschaftssystem nicht einfach einer Nation, wie z.B. dem Transformationsland Ungarn, übergestülpt werden könne, da jedes Land eigene (wirtschafts-) kulturelle Rahmenbedingungen hat und weil Gesellschaft und Wirtschaft wechselseitig miteinander in Verbindung stünden. Dies müsste unbedingt durch das Wirtschaftsystem berücksichtigt werden, da kein überall gültiges System existiert.

Dem Ganzen gibt er den Namen Wirtschaftskulturforschung; ein Begriff, der „nicht gebräuchlich, sondern provokant ist”, wie der Wirtschaftsprofessor zugibt. Genau hier gebe es, laut Hasse, eine Forschungslücke. Er warnte vor allem davor, die modische angelsächsische Wirtschaftsordnung einfach zu übernehmen, ungeachtet der Eigenheiten des eigenen und des angelsächsischen Systems.

Wie es sich für einen patenten Wissenschaftler gehört, brachte Rolf Hasse zunächst Licht in das Begriffsdunkel. Demnach bedeutet Ordnungspolitik kurz die Ordnung für Wirtschaft und Gesellschaft, wobei Ordnungspolitik ein deutscher Beitrag zur Wirtschaftstheorie ist, der bis heute kein fremdsprachiges Äquivalent gefunden hat. Die Ökonomik (nicht Ökonomie!) wiederum gibt Erklärungen über wirtschaftliche Handlungen und ihre Wirkungen.

Um seine Konzeption der Ordnungspolitik zu untermauern, führte er Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft und Lehrer Hasses wie Alfred Müller-Armack ins Feld, und bediente sich Zeugen wie dem klassischen Nationalökonomen Adam Smith und Systemtheoretiker Niklas Luhmann, um den unabdingbaren Zusammenhang von Wirtschaft und Gesellschaft, und damit eine Berechtigung der Ordnungspolitik zu beweisen.

Für die mittelosteuropäischen Staaten bedeutet das, dass die geforderte dezentrale Wirtschaftsstruktur in Konflikt mit den vorhandenen und sozialismusbedingt zentralisierten Strukturen stehe. Und genau deshalb dürfe die Auslotung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bei der zukünftigen Wirtschaftsforschung in den mittelosteuropäischen Staaten nicht ausgespart werden.

Eine besondere Verantwortung schreibt er den Akademikern zu, um Probleme zwischen wirtschaftlichen Institutionen und Staat festzustellen, somit Verwerfungen der Gesellschaft mit der Wirtschaft zu verhindern und nicht dem Beispiel Russlands als ein Staat ohne funktionierende Institutionen zu folgen: „Dort herrscht nicht Kapitalismus, sondern Kannibalismus”, polemisiert Hasse.

Zusätzlich gab er den Hinweis, dass die Transformationsforschung nicht nur auf der Staatsebene erfolgen dürfe, sie solle sich vielmehr auf der mikroökonomischen Ebene mit Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzen. Als gutes Beispiel führte er die Ergebnisse seiner vergleichenden Forschung zwischen Leipzig und Wroclaw an.

Besonders Stefan Okruch, Experte für Wirtschaftspolitik von der Andrássy-Universität, wartete mit einer Fundamentalkritik auf. Der Vortrag sei demnach kein gravierender Beitrag zur Wirtschaftstheorieforschung gewesen, die Hervorhebung der kulturellen Besonderheiten stünde im Konflikt mit dem angeführten Luhmann und Hasse überließe mit seiner Wirtschaftskulturforschung die Ordnungspolitik den Schreibtischattentätern. Rolf Hasse gab seine Antwort zuvor, wenn er sie auch im Zusammenhang mit der Europäischen Union äußerte: „Ungenau und richtig ist besser als genau und falsch.”

Henning Höhne, Pester Llyod, 18.02.2004

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