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Welchen Einfluss hat der Westen heute?

Experten aus Washington diskutieren über das Sykes-Picot Abkommen und die Zukunft in Nahost

Das vor 100 Jahren zwischen Briten und Franzosen besiegelte Sykes-Picot Abkommen teilte einst die Gebiete des Osmanischen Reiches auf. Diese von der Allgemeinen Zeitung als "imperialer Federstrich" beschriebene Grenzteilung erscheint sehr kontrovers und sorgt bis dato für starke Spannungen unter den verschiedenen Regionen. Eine neue Friedensordnung wurde nicht geschaffen, der Einfluss des Westens droht zu schwinden.

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Anlässlich dieses Jahrestags lud das Wilson Center im Rahmen seines „Middle East Programms“ verschiedene Politexperten ein, die noch einmal den historischen Werdegang, die bisherige Beziehung des Westens zum Nahen Osten, die zukünftige Ausrichtung und etwaige Problembewältigung dieser Region aufzeigten.

Das im Mai 1916 zwischen dem britischen Offizier und Unterhaus-Abgeordneten Mark Sykes und dem französischen Diplomaten François-George Picot geschlossene Sykes-Picot Abkommen diente als „Blaupause“ westlicher Fremdherrschaft über die Nahost-Teile des Osmanischen Reiches. Die Franzosen erhielten den nördlichen Teil des Nahen Ostens, darunter der heutige Nordirak, Teile der heutigen Südosttürkei, des heutigen Libanons und Syrien. Den Briten hingegen unterlag der restliche Teil des heutigen Iraks, Jordanien und Palästina. Weitere Gebietsaufteilungen fanden in den kommenden Jahrzenten statt. Wie üblich bei Instrumenten aus dem Baukasten des Kolonialismus: Die Menschen, die zu jener Zeit in diesem Land lebten, wurden bei der geheimen Aufteilung übergangen. Heute, 100 Jahre nach dem Abkommen, urteilen Historiker über dieses Vorgehen und sehen es als einen Grundstein für viele Konflikte, die noch heute die Region und die Welt beschäftigen. Von einer erfolgreichen Grenzteilung und einem harmonischen Zusammenleben kann kaum die Rede sein. Viele Ursachen sind Grundlage der Zerrüttung der Region, darunter die Nicht-Berücksichtigung der unterschiedlichen Religionen, die wirtschaftliche Instabilität und die politischen Konflikte. Zwar üben die USA und West-Europa bis heute einen gewissen Einfluss auf die Region aus. Man betrachte aber die aktuell angespannte Situation mit Sorge, so Michele Dunne, leitende Wissenschaftlerin des Rafik-Hariri-Center des Atlantic Council.

„Die Menschen verlieren ihre Identität“

Die Experten stellen bereits zu Beginn fest, dass die problematische Entwicklung jedoch nicht nur durch geographische Grenzen entstanden ist. Vielmehr seien die gescheiterte Politik und radikale religiöse Ansichten als signifikanter Auslöser zu nennen. Anstatt mit Beginn der Gebietsaufteilung und Kolonieerrichtung einen florierenden Staat samt Rechtsgebiet aufzubauen, nahmen religiöse Ansichten und Gebietsstreitigkeiten die Überhand und verhinderten somit die Bildung einer einheitlich geführten Staatsstruktur. Dieser Konflikt zwischen Staat und Religion sei fast überall zu spüren. Die Menschen vor Ort haben Angst, ihre (religiöse) Identität zu verlieren und verleihen dieser Angst ein Bild, welches sich überwiegend in Krieg, Zerstörung und Zerfall äußert. Die Auslöser hierfür seien auf eine hohe Arbeitslosigkeit, Anpassungsschwierigkeiten bei der Globalisierung sowie das Fehlen eines privatwirtschaftlichen Sektors ohne staatliche Regulierung zurückzuführen. Diese Gründe münden dann in eine Perspektivlosigkeit, welche sich durch die komplette Bevölkerungsschicht der verschiedenen Länder zieht. Zudem sei eine Anpassung an die westlichen Werte ohne eine Säkularisierung des Islam nicht möglich gewesen. Amerika habe auf Grund einer fehlenden Implementierung westlicher Ansichten versagt und konnte weder Stabilität noch einen erhofften Neuanfang für den Nahen Osten mit sich bringen.

Politische Struktur – Die Hoffnung auf Frieden?

Bei der Frage, ob es besser wäre die Grenzen neu zu verlegen und eine politische Struktur aufzubauen waren sich die Experten schnell einig. Es ergebe wenig Sinn, sagte Daniel Neep, Professor für Arabische Politik und Geschichte von der Georgetown University, neue Grenzen zu ziehen. Die Grenzen, die durch Sykes-Picot gezogen wurden, seien nie das Problem gewesen.

Die eigentlichen Unruhen entstanden während der frühen 60er Jahre mit Beginn des israelisch-arabischen Konflikts und zogen sich durch die folgenden Jahrzehnte. Neue Grenzen würden hierbei nichts verändern, da einige Staaten stärker und andere wiederum schwächer aufgestellt seien. Weitere Konflikte um neue Gebiete und mehr Einfluss seien programmiert. Ansätze zur Problembewältigung sollten durch einen Austausch unter den Staaten geschehen. Neue Wege zu einer gemeinsamen Kommunikation und Aufbau beständiger Staaten seien u.a.:

1.Grenzfreies Reisen in den verschiedenen Staaten

2.Visaverfahren: Visaanträge und die entsprechenden Prozesse vereinfachen, bessere Interaktion zwischen den verschiedenen Behörden schaffen

3.Soziokultureller Austausch: Vermittlung zwischen den Staaten, Austausch über gemeinsame Werte, kulturelle Güter und Religionen

Diese Vorschläge seien nur exemplarisch für eine Zusammenkunft der verschiedenen Staaten. Würde erst einmal eine Kommunikationsbasis geschaffen, könnte man fortschreitend dazu übergehen, wieder ein politisch funktionierendes System und Wirtschaft aufzubauen. Das politische Konstrukt herzustellen bedürfe jedoch einiges an Zeit und noch mehr Geduld, es langfristig zu implementieren.

Marina Ottaway, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Naher Osten“ am Woodrow Wilson International Center, sorgt sich um die verschiedenen Ansichten, die vor Ort herrschen. Viele Staaten seien auf Grund ihres historischen Hintergrunds, Angst vor einem Identitätsverlust und politischen Unruhen zu keinen Kompromissen bereit. Es müsste von starren Ansichten abgewichen und Zugeständnisse gemacht werden. Dies sei die Basis, die weitere wichtige Schritte mit sich bringen könnte. Die eigentliche Problemlösung, und da pflichteten ihr die anderen Kollegen bei, müsse von innen herrühren.

„It is better, when we accept we cannot help there“

Durch die doch eher skeptische Haltung dem Westen gegenüber könne man sich eine Vorgabe und Regulierung interner Streitigkeiten nicht (mehr) leisten. Dies zeigte bereits die Vergangenheit, in der es nicht möglich war, durch westlichen Einfluss einen Wiederaufbau oder Vermittlung der einzelnen Parteien herzustellen. Der Weg, der bisher eingeschlagen wurde, sei zwar keineswegs optimal, ein Eingriff bringe aber ebenso wenig und könnte die Situation noch verschärfen.

Die USA und Europa könnten lediglich vermitteln und Hilfestellung leisten, z.B. bei Friedensgesprächen, wenn dies gewünscht sei. Ebenso könne man Lösungswege aufzeigen, die in anderen Ländern bereits erfolgreich umgesetzt wurden. Diese müssten dann nur noch an die gegebenen Voraussetzungen angepasst und optimiert werden. Wichtig hierbei sei es, einen gemeinsamen Weg zu finden, um die bisherigen Problematiken zu entkräften. Erst dann könne ein Wechsel in Richtung kommunikativer Austausch und Sicherheit geschaffen werden.

Gegen Ende fassten die Experten zusammen, dass die bisherige Situation, wie sie aktuell im Nahen Osten zu beobachten ist, nicht zu akzeptieren sei und auf Dauer auch keinen Bestand aufweisen wird.

Die verschiedenen Staaten und die Menschen, die in ihnen leben, können nicht für weitere Jahrzehnte nebeneinander in einer Art „abgeschotteten Ghetto“ leben. Die Bevölkerungen werden einen Wandel erleben, den sie durch ihre Offenheit und kulturellen Austausch selbst vorantreiben. Die USA und auch Europa werden sich in den kommenden Jahren bezüglich des Nahen Ostens neu positionieren müssen. Hierbei ist es fraglich, ob sich der Einfluss der westlichen Welt, wie geplant, eher verringern wird oder es als eine essentielle Aufgabe anzusehen ist im Nahen Osten weiterhin zu agieren. Für letzteres spreche zum einen die Situation, dass Russland immer mehr Interesse am Nahen Osten und somit auch an neuen Einflussgebieten zeigt. Mit einem weiteren Akteur könnte sich der Nahostkonflikt sogar noch verschärfen.

Zum anderen wäre es angebracht für einen neutralen Verhandlungsboden zwischen den Regionen zu sorgen und für die Sicherheit der Menschen während dieser schwierigen Zeiten einzustehen.

Seit Abschluss des Sykes-Picot Abkommens im Jahr 1916 hat sich im Nahen Osten vieles verändert – u.a. werden mehr Mitspracherechte der Player vor Ort eingefordert. Es bleibt abzuwarten, welchen Part die westlichen Partner in den kommenden Jahren einnehmen werden. Einen Beitrag hierzu wird auch die Entscheidung der kommenden US-Präsidentschaftswahl leisten, und welche Ausrichtung der US-Außenpolitik dann erfolgt.

ein Beitrag von Alexandro Roß

Verantwortlich und Redaktion Dr. Lars Hänsel

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