Länderberichte
Das nationale Zielprogramm zum Klimawandel (National Target Program to Respond to Climate Change, NTP – RCC ), welches eng an die internationalen Richtlinien der Klimagesetzgebung gebunden ist, bildet den institutionellen Rahmen der vietnamesischen Klimapolitik und wurde am 02. Dezember 2008 verabschiedet. Am 09. November 2011 wurde das nationale Komitee für Klimawandel (National Comittee for Climate Change) gegründet. Die Aufgabe des Komitees war die Konzipierung einer detaillierten Klimastrategie. Bereits im Dezember wurde die Klimastrategie (National Climate Change Strategy ) mit einer Laufzeit bis 2050 verabschiedet.
Klimastrategie versus Wirtschaftsentwicklung
Die aktuelle Klimastrategie beinhaltet ehrgeizige Ziele und beachtet die Effekte des Klimawandels auf die wirtschaftliche Entwicklung in hohem Maße. Die Wirtschaft soll in Zukunft weniger energieintensiv und der Energieverbrauch stark reduziert werden. Allein für den Industrie- und Bausektor sollen bis 2020 90% der industriellen Betriebsanlagen umweltfreundlicher im Hinblick auf Verbrauch von Energie, Brennstoffen und Materialien sein . Der Industrie- und Bausektor machen etwa 39% des vietnamesischen BIP ($155.8 Milliarden im Jahr 2012) und 52,5% des Gesamtstromverbrauches aus . Somit sind der Industrie- und Bausektor nicht nur wichtige Eckpfeiler, sondern auch die energieintensivsten Branchen der vietnamesischen Wirtschaft. Außerdem soll der Anteil von erneuerbaren Energieträgern an der Stromerzeugung von derzeit etwa 3,0 auf 4,5% bis 2020 und 6,0% bis 2030 erhöht werden . Die vietnamesische Klimapolitik steht prinzipiell nicht im Gegensatz zur sozioökonomischen Entwicklungsstrategie bis 2020. In dieser gibt sich Vietnam die ambitionierte Aufgabe bis 2020 eine Industrienation zu sein. Laut der Strategie soll der Energiekonsum dabei um 2,5-3% reduziert werden sowie 100% der neuen Unternehmen und deren Anlagen sollen „saubere“ Technologien verwenden . Die Entwicklungsvorhaben Vietnams sind eng mit Klimaschutz- und Energiesparmaßnahmen verbunden.
Energiepolitik: Kohle und Kernkraft
Auch wenn die klima- und energiepolitischen Rahmenbedingungen in Vietnam sehr umfassend sind, bestehen berechtigte Zweifel an der Umsetzbarkeit dieser Strategie und ihrer Vereinbarkeit mit der Wirtschaftsentwicklung. Dies spiegelt sich auch in der momentanen Klima- und Energiepolitik wider. So kann das eigentliche Ziel, eine effektive Klimapolitik mit einer kohlenstoffarmen Wirtschaft in Einklang zu bringen, im Moment nicht konsequent verfolgt werden. Denn dieses Ziel steht im Widerspruch zu aktuellen Entwicklungen im Energiesektor des Landes . Konträr zur deutschen Energiepolitik genießt laut Germany Trade & Invest der Bau von Kohlekraftwerken höchste Priorität und das, obwohl die sozialistische Republik über erhebliche Potentiale im Bereich der erneuerbaren Energien (Wasserkraft, Biomasse, Atomenergie) verfügt. Bis 2020 sollen 72,4% der vietnamesischen Stromproduktion durch Kohle, Gas und Öl gedeckt werden (53,8% im Jahr 2012) . Die Förderung fossiler Brennstoffe soll den zukünftig steigenden und bereits hohen Energiebedarf Vietnams decken. Das Ministerium für Industrie und Handel schätzt, dass das durchschnittliche Wachstum an Stromverbrauch bis 2020 9,3% beträgt. Der hohe Anstieg des Anteils nicht erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung im Gegensatz zum Anstieg erneuerbarer Energien ist ein klares Indiz dafür, dass die angestrebte Klimastrategie im Moment nicht wie geplant ausgeführt werden kann und von der ursprünglichen Entwicklungsstrategie abweicht. In dieses Bild passt auch der Beschluss, den Bau des Kernkraftwerkes Ninh Thuan, geplant in 2020, aufgrund fehlender Rahmen- und Sicherheitsbedingungen aufzuschieben. Bis 2030 sollten 30 weitere Atomkraftwerke folgen, doch Verspätungen können auch hier erwartet werden.
Der Grund dafür liegt in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes der vergangenen Jahre. Die vietnamesische Wirtschaft ist seit der Doi Moi Reform 1986 in einem rasanten Tempo gewachsen. Bis zum Jahre 2007 hat das Wirtschaftswachstum immer zwischen 7-8% betragen. Doch seit 2008 hat sich das Wirtschaftswachstum Vietnams deutlich abgekühlt. Es folgten Jahre makroökonomischer Instabilitäten. Die Banken- und Finanzkrise beeinträchtigte die vietnamesische Wirtschaft stark. Obwohl es in den vergangenen zwei Jahren zu einer wirtschaftlichen Erholung kam, ist die vietnamesische Wirtschaftsleistung noch weit von den ursprünglichen Zielvorgaben entfernt. Diese Jahre des unerwartet niedrigen Wirtschaftswachstums, meist um 5%, haben dazu geführt, dass Vietnam den wirtschaftlichen Zielen seines Entwicklungsplans hinterherhinkt. Mit der schwachen Wirtschaftsentwicklung erhöht sich der politische Druck auf die Regierung. Deshalb hat die vietnamesische Regierung im Moment ein großes Interesse daran, der Wirtschaft wieder zu alter Dynamik zu verhelfen. Der kurz- sowie mittelfristige Fokus liegt also auf der wirtschaftlichen Entwicklung. Aus politischer Sicht ist dies nicht überraschend, denn die Legitimation der Kommunistischen Partei (KPV) resultiert zu großen Teilen auch aus dem wirtschaftlichen Aufstieg Vietnams in den letzten Jahrzehnten. Nach wirtschaftlichen Krisenjahren muss die vietnamesische Regierung neben effektiven wirtschaftspolitischen auch wirtschaftlich unterstützende energiepolitische Maßnahmen, wie der Förderung von Kohle, ergreifen. Von bürgerlicher Seite wird kein Druck auf die Regierung im Bezug auf die Klima- und Energiepolitik ausgeübt. Auch bei den Bürgern steht die wirtschaftliche Entwicklung im Vordergrund. Laut des Vietnamesischen Journalistenverbandes (VJA) nimmt die Berichterstattung im Bezug auf klimapolitische Fragen zwar sukzessiv zu, das bürgerliche und mediale Interesse befinde sich jedoch noch in einem Anfangsstadium. Somit hat die Regierung im Moment keinen Anreiz, ihre Klima- und Energiepolitik so konsequent zu verfolgen, dass die gesetzten Ziele erreicht werden. Hier zeigt sich der Schwachpunkt der vietnamesischen Klimastrategie. Obwohl die langfristigen wirtschaftlichen Chancen, die eine innovative Klima- und Energiepolitik mit sich bringen können, von der Regierung erkannt wurden, führten wirtschaftliche Fehleinschätzungen zu überzogenen Erwartungen und somit einer unrealistischen Klimastrategie. In den ursprünglichen Plänen ist man von einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 7-8% bis 2020 ausgegangen . Die letzten drei Jahre betrug dieses aber nur 5,6% . Schon zur Zeit des Beschlusses der National Climate Change Strategy war jedoch klar, dass die Wirtschaft sich nicht so schnell erholen wird und das wirtschaftliche Ziel der Entwicklungsstrategie bis 2020 wohl nicht eingehalten werden kann. Die Klima- und Energiepolitik Vietnams kann deshalb nicht wie geplant umgesetzt werden, weil sie auf Gegebenheiten beruht, die nun nicht mehr realistisch sind.
Klimapolitik: Quo Vadis?
Man muss aufgrund der grundlegenden Probleme in der Konzipierung der Klimastrategie und der wirtschaftlichen Situation davon ausgehen, dass Vietnam generell noch nicht bereit für solch eine ambitionierte Klimastrategie ist. Es fehlen Förderstrukturen für erneuerbare Energien sowie die absolute politische Bereitschaft und Konsequenz, die angestrebte Klimapolitik auch in Zeiten wirtschaftlicher Krisen fortzusetzen. Eine noch wichtigere Komponente ist, dass die wirtschaftlichen Bedingungen im Moment eine derart ehrgeizige Klimastrategie nicht zulassen. Vietnam als ‚Lower Middle-Income-Country’ besitzt noch nicht die Voraussetzungen, um einer solch ambitionierten Klimapolitik nachzukommen. Denn diese erfordert nicht nur den politischen Willen, der bei der vietnamesischen Regierung zweifelsohne vorhanden ist, sondern auch die finanziellen Kapazitäten auf lange Frist. Es bleibt abzuwarten, ob die vietnamesische Regierung die Klima- und Energiepolitik an die derzeitigen Gegebenheiten in naher Zukunft anpassen wird.