Länderberichte
Hintergrund
Trinh Xuan Thanh (in Vietnam unter der Abkürzung TXT geläufig), ehemaliger hochrangiger Parteikader in Vietnams Kommunistischer Partei und ehemaliger Leiter des staatlichen Unternehmens PetroVietnam Construction Company, wurde am 23. Juli 2017 in Berlin entführt und vermutlich über Osteuropa nach Vietnam verschleppt. In einer ersten Reaktion bestellte das Auswärtige Amt den Botschafter ein und erklärte den Residenten des vietnamesischen Geheimdienstes zur Persona non grata. In einer Erklärung wurde der Fall als „präzedenzfallloser und eklatanter Verstoß gegen deutsches Recht und gegen das Völkerrecht“ bezeichnet, der „das Potenzial hat, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam massiv negativ zu beeinflussen.“ Die Bundesanwaltschaft hat den Fall übernommen. Die vietnamesische Position ist nach wie vor, dass sich TXT freiwillig gestellt habe und aus freien Stücken nach Vietnam zurückgekehrt sei. In einer Vorführung im staatlichen Fernsehen gab TXT an, sich gestellt zu haben.
Die vietnamesische Perspektive
Gegenwärtig ist in Vietnam eine Antikorruptionskampagne im Gange, die sich vor allem gegen hochrangige aktive und ehemalige Funktionäre richtet. Als qua Verfassung höchstes Organ im Staate, das jedoch nicht vom Volk legitimiert ist, steht die Kommunistische Partei unter andauerndem Rechtfertigungszwang, und nutzt Verhaftungen, Absetzungen oder Verurteilungen hochrangiger Funktionäre als sichtbares Instrument, die grassierende Korruption zumindest oberflächlich zu bekämpfen. Hinzu kommt – und das gilt auch für den Fall TXT –, dass unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung parteiinterne Grabenkämpfe ausgetragen werden. So wird TXT dem Lager des ehemaligen Premierministers Dung zugerechnet, das vom KP-Generalsekretär Trong bekämpft wird.
TXT wird Veruntreuung in dreistelliger Millionenhöhe (es ist die Rede von ca. 125 Millionen Euro) vorgeworfen, es handelt sich um einen in Vietnam sehr hochkarätigen und vielbeachteten Fall, auch schon vor der Entführung. Gegen TXT wurde 2016 in Vietnam Haftbefehl erlassen, er floh nach Deutschland, wo er Asyl beantragte (über das noch nicht entschieden wurde) und gegen seine Auslieferung vorging. Generalsekretär Trong wird mit den Worten zitiert: „Wir werden ihn TXT mit allen Mitteln suchen und verhaften lassen.“ Sein Fall war dann auch Gesprächsthema zwischen vietnamesischen Funktionären und Vertretern der Bundesregierung am Rande des G20-Gipfels.
Die vietnamesischen Medien – allesamt gleichgeschaltet – halten sich an die Version der Regierung bzw. der Partei, dass TXT sich gestellt habe, weil er einen Handel vereinbart habe, der ihm gegen Informationsweitergabe eine Strafminderung zugesteht. Auf Facebook, das in Vietnam weit verbreitet ist, fanden sich aber auch Stimmen, die das Handeln der Regierung kritisierten und als „wilde Aktion“ und „dumm“ bezeichneten. Es gibt allerdings auch Hinweise, dass Facebook zeitweise gerade dann nicht funktionierte, als die Diskussion um den Fall im Begriff war, stark an Dynamik zu gewinnen. Aus dem Partnerumfeld der KAS glaubt kaum jemand, dass sich TXT freiwillig stellte – diese Aussagen erfolgen allerdings nur inoffiziell.
Warum?
Es stellt sich die Frage, warum Vietnam die im Grunde genommen pragmatische bis gute Beziehung zu Deutschland durch solch ein provokatives Handeln riskieren sollte. Vermutlich spielt dabei eine Rolle, dass Vietnam eine solch heftige Reaktion Deutschlands nicht erwartet hatte und den Schaden, den die deutsch-vietnamesischen Beziehungen nun zu erleiden drohen, unterschätzt hatte. Der Machtkampf zwischen den beiden Lagern innerhalb der Kommunistischen Partei ist wohl auch ein Faktor, immerhin wurde ein sehr prominentes Mitglied aus dem Umfeld des ehemaligen Premierministers Dung vorgeführt. Der Fall dient Partei und Regierung damit auch in doppelter Hinsicht als ein Zeichen: an Anhänger Dungs, dass die Partei am Ende immer am längeren Hebel sitzt, und an die Bevölkerung, dass die Korruptionsbekämpfung allerhöchste Priorität besitzt. Zusätzlich mag hinzukommen, dass sich auf Seiten Vietnams das Gefühl einstellte, schnell handeln zu müssen, da in Deutschland wichtige Entscheidungen im Asylverfahren anstanden.
Ausblick und Optionen
Die bisherigen Äußerungen einer Sprecherin des vietnamesischen Außenministeriums waren sehr allgemein und drückten das Bedauern über die deutsche Reaktion sowie die Wertschätzung der strategischen Partnerschaft mit Deutschland aus. Es ist derweil nicht davon auszugehen, dass eine Rückführung von TXT nach Deutschland erfolgen wird. In Vietnam wird er voraussichtlich wegen zwei Verbrechen angeklagt werden. Einmal nach Art. 165 des vietnamesischen Strafgesetzbuches, wonach ein vorsätzlicher Verstoß gegen staatliche Regeln zum Wirtschaftsmanagement mit schwerwiegenden Folgen mit bis zu 20 Jahren Haft geahndet werden kann – eine vergleichbare strafrechtliche Regel gibt es in den meisten Staaten nicht. Die Anwendung von Art. 278 des vietnamesischen Strafgesetzbuches, in dem es um den Unterschlagungstatbestand geht, könnte noch schwerwiegendere Konsequenzen für TXT haben. Die Strafe beträgt hier von 20 Jahren Haft bis hin zur Todesstrafe, wenn der Unterschlagungswert mehr als 500 Millionen Dong (umgerechnet ca. 18.500 EUR) beträgt und die Folgen der Unterschlagung besonders ernst waren. Von der Todesstrafe kann abgesehen werden wenn der Täter 75 Prozent der unterschlagenen Summe zurückzahlt. Das Strafmaß könnte nach Ermessen des Gerichts auch reduziert werden, da sich TXT nach vietnamesischer Version ja freiwillig gestellt hat. Grundsätzlich sollte der Prozess nach den allgemeinen Strafprozessregeln Vietnams durchgeführt werden, das heißt öffentlich, in zwei Instanzen, mit Anwaltszwang, etc. Ein der KAS nahestehender Rechtsexperte geht davon aus, dass wegen der großen rechtspolitischen Bedeutung mit Blick auf die Prozessdurchführung eher nicht von willkürlichem Handeln seitens der Ermittlungsbehörden, Staatsanwaltschaft und Gerichte ausgegangen werden sollte. Ob sich diese Einschätzung – auch angesichts der Vorgeschichte – bewahrheiten wird, bleibt abzuwarten.
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, dass sich auch weitere Konsequenzen auf politischer, wirtschaftlicher und entwicklungspolitscher Ebene vorbehalten werden. So sind von deutscher Seite bereits hochrangige Reisen deutscher oder vietnamesischer Delegationen ausgesetzt worden (darunter z.B. eine KfW-Reise, während derer ein Kreditvertrag über rund 150 Millionen Euro unterschrieben werden sollte). Aus der deutschen Botschaft heißt es jedoch auch, dass nun zunächst die Reaktion Vietnams abgewartet werden müsse. Die Entwicklungszusammenarbeit sollte vorerst keine weiteren Einschränkungen erfahren. Auch das Wirtschaftsverhältnis und die Investitionsbedingungen seien nicht unmittelbar betroffen.