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Veranstaltungsberichte

Der „Rassereferent“ Hans Calmeyer – ein Fall wie Oskar Schindler?

von Reinhard Wessel

Dr. Mathias Middelberg referiert über einen ungewöhnlichen Juristen aus Osnabrück

Hans Calmeyer war während des Zweiten Weltkriegs „Rassereferent“ in den Niederlanden – und rettete dort in dieser Funktion mehreren Tausend Juden das Leben.

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Damit das menschenverachtende und rassistische nationalsozialistische System funktionieren konnte, bedurfte es vieler linientreuer Mitarbeiter. Daneben gab es einige wenige Staatsbedienstete, die in ihrer Funktion Spielräume in Vorschriften und Gesetze so nutzten, drohende Härten abzumildern. Darauf verwies in seinem Grußwort der CDU-Politiker Stephan Albani MdB und Barbara Woltmann MdB machte in ihrer Einführung deutlich, dass die Erinnerung an Hans Calmeyer auch und gerade jetzt im Kampf gegen die aktuell wieder aufflammenden antisemitischen Tendenzen in unserer Gesellschaft notwendig und hilfreich sei.

Zu dem (sehr kleinen) Kreis derjenigen, die sich dem Rassismus der Nazis mit ungewöhnlichen Methoden widersetzten, gehörte der gebürtige Osnabrücker Jurist Hans Calmeyer. Wie der „Rassereferent“ mehr als drei Tausend Juden davor bewahren konnte, nach Auschwitz „ins Gas“ deportiert zu werden, darüber referierte der Bundestagsabgeordnete und Jurist Dr. Mathias Middelberg bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung im Landesmuseum für Natur und Mensch am Montag, dem 29.02.2016.

„Wer bin ich, dass ich über Leben und Tod entscheide?“ lautet der Titel eines Buches, das im Herbst erschienen ist und in dem Middelberg beschreibt, wie der mit der Wehrmacht in die Niederlande gekommene Calmeyer dort als Jurist in die Innenverwaltung der Besatzungsmacht abkommandiert wurde.

Im Vergleich zur brutalen und unverzüglichen Verfolgung und Vernichtung der Juden in Osteuropa, habe man in den Niederlanden anfangs zurückhaltend agiert und sich darauf beschränkt, die dort lebenden Juden zu identifizieren und zu registrieren. Leider konnten sich die Deutschen dabei auf ein effizientes Meldewesen der niederländischen Verwaltung stützen. Trotzdem gab zahlreiche Fälle, in denen im Sinne der auch in den Niederlanden angewandten „Nürnberger Rassegesetze“ Menschen als Juden oder „Arier“ einzustufen waren. „Diese unklaren Fälle waren Calmeyers Fälle“, so Middelberg. Während im Deutschen Reich ein Betroffener selbst beweisen musste, dass er „arisch“ gewesen sei, sei Calmeyer in den Niederlanden umgekehrt vorgegangen. In zahlreichen Fällen hätte er akzeptiert, wenn jüdische Gemeinden für die fraglichen Personen eidesstattliche Versicherungen abgegeben hätten, in denen sie „geloofwaardig“ –also glaubhaft - bestätigten, dass es sich bei ihnen nicht um Gemeindemitglieder handelte.

Im Fall der halbjüdischen Freundin von Anne Frank, Jacqueline van Maarsen, reichte Calmeyer z.B. die briefliche Versicherung der Eltern, sie sei nur „aus Versehen“ bei der jüdischen Gemeinde angemeldet worden. Tatsächlich sei sie katholisch und habe nach Regeln des katholischen Katechismus gelebt. Der „Rassereferent“ griff in solchen Fällen zu einem Trick: Er beklagte die jeweilige jüdische Gemeinde mit einer Feststellungsklage und da diese darauf nicht reagierten, nahm er dies als Beweis des Nichtjüdischseins der betreffenden Person.

Diese und andere „Methoden“ blieben auf Dauer nicht unbemerkt, aber zunächst ohne Konsequenzen. Erst Mitte 1944 konkretisierten sich Untersuchungen durch das Reichssicherheitshauptamt der SS. Nur dem schnellen Vormarsch der Westalliierten im Herbst 1944 war es zu verdanken, dass die Untersuchungen und Nachstellungen der SS ins Leere liefen.

Die Person Hans Calmeyer sei, so Middelberg, erst sehr spät zu Ehren gekommen. 1992, zwanzig Jahre nach seinem Tod, verlieh Yad Vashem Hans Calmeyer postum den Titel „Gerechter unter den Völkern“. Drei Jahre später folgte die Stadt Osnabrück und verlieh ihm postum die Justus-Möser-Medaille, die höchste Auszeichnung der Stadt.

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