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Veranstaltungsberichte

Terrorismus(bekämpfung) in Westafrika

von Elke Erlecke, Franziska Porst

Konferenz des Regionalprogramms Politischer Dialog in Westafrika (PDWA)

Am 25.-27. April 2013 trafen sich 50 Militärangehörige, Parlamentarier und Sicherheitsexperten aus dem westlichen Afrika und Europa in Niamey auf der jährlichen Regionalkonferenz des PDWA, um sich über das Thema „Terrorismus(bekämpfung) in Westafrika“ auszutauschen. Als Gastgeberland der Konferenz und Knotenpunkt zwischen dem westlichen und dem östlichen Sahel ist die Republik Niger ein lehrreiches Beispiel: zum einen für die Bedrohungen, die die Region zunehmend destabilisieren, zum anderen für die Bemühungen, die im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität unternommen werden.

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Die Sahelzone – vom blinden Fleck zum Zentrum der Weltöffentlichkeit

Die Sahelzone ist als Bindeglied zwischen dem Maghreb und West- bzw. Ostafrika seit Jahrhunderten ein Gebiet vielfältigster Interaktionen zwischen diversen Volksgruppen. Dabei bot der sich über 6000 Kilometer von Dakar (Senegal) über das Tschadbecken bis zum Roten Meer (Eritrea) erstreckende semiaride Gürtel schon immer viel Krisen- und Konfliktpotential. Dazu gehören die Konkurrenz von nomadisch und sesshaft lebenden Ethnien und das lebensfeindliche Klima, das wiederholt zu verheerenden Hungerkatastrophen führte. Trotz des großen Reichtums des Sahels an Bodenschätzen (Uran, Edelmetalle, Erdöl) leben weite Bevölkerungsteile in extremer Armut. Immer wieder eskalieren Rivalitäten zwischen Sahel- und Anrainerstaaten. Der Sahel ist der Transitraum für (illegale) Immigration gen Norden. Das riesige, kaum kontrollierbare Gebiet durchziehen zahlreiche historisch gewachsene Schmuggelrouten. In Teilen der Region zeichnet sich eine Radikalisierung des Islams ab.

Derweil entsprach das Interesse der EU und der USA an der Sahelzone nicht immer deren geografischer Nähe zu Europa, den vielfältigen Verflechtungen mit dem globalen Norden und der Bedeutung des Sahels für die internationale Energiesicherheit. So äußerten die Teilnehmer der Konferenz ihr Bedauern über den aus ihrer Perspektive deutlichen Mangel an Aufmerksamkeit an den besorgniserregenden Entwicklungen in der Region. Erst spät, nach 2001, rückte die Sahelzone als potentieller Hort der Instabilität langsam in das Gesichtsfeld der USA und der EU. Mit der Mali-Krise ist die Region nun endgültig zum Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit geworden. Ein wesentlicher Destabilisierungsfaktor, der durch die Geschehnisse in Mali offenbar geworden ist, ist der rasante Anstieg terroristischer und extremistischer Aktivitäten insbesondere im westlichen Sahel.

Westafrikanischer Nährboden für den Terrorismus

Der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, definierte Terrorismus in seiner Madrider Rede von 2005 als Gesamtheit „aller der Handlungen, die die Absicht haben, den Tod oder die schweren Verletzungen von Zivilisten und Nicht-Kombattanten herbeizuführen, mit dem Ziel, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung bzw. eine internationale Organisation zu einer Aktion zu zwingen oder sie zu unterlassen.“ In Abgrenzung dazu wird gewalttätiger Extremismus als das Zusammenwirken von körperlicher Gewalt und Vorgehen gegen Normen und Werte in Form unvorhergesehener Angriffe definiert. Terrorismus geht über diesen hinaus, insofern er das psychologische Moment der Einschüchterung der Bevölkerung als Taktik einsetzt. Die aktuelle Diskussion über Phänomen und Wirkungsweise des Terrorismus, die von Oberst Mohamadou Barazé, Chef des Generalstabs im Niger, und Auguste Denise Barry, ehemaliger Minister für Sicherheit in Burkina Faso, vorgestellt wurde, unterscheidet zwischen nationalem, internationalem und transnationalem Terrorismus, wobei in der aktuellen Krise im Sahel vor allem letzterer zum Tragen kommt. Die funktionale Verbindung organisierter Kriminalität mit Terrorismus, wie sie seit längerem im Sahelraum der Fall ist, führt langfristig zu einer anhaltenden Destabilisierung der innen- und außenpolitischen Lage und zu einer „société incivile“.

Erstarkt sei der Terrorismus in Westafrika und dem Sahel aufgrund struktureller Defizite, so Oberst Adama Dembele, stellvertretender Generalstabschef aus Mali. Fragile Staatlichkeit, schwache Institutionen, autokratische Herrschaftspraktiken und endemische Korruption hätten zu einem Klima der Rechts- und Straflosigkeit in einigen Teilen der Region geführt. Soziale Ungleichheit, extreme Armut und hohe Jugendarbeitslosigkeit bildeten einen idealen Nährboden für die Rekrutierungsaktivitäten terroristischer Gruppierungen. Der hohe Bevölkerungsanteil von Jugendlichen − ansonsten ein Trumpf für die Entwicklung der Sahelstaaten − schlage in diesem Fall in sein Gegenteil um. Ein kaum kontrollierbarer Austausch von Gütern und Informationen − zusätzlich verstärkt durch moderne Kommunikationstechnologien und erhöhte Mobilität − erleichtere die Aktivitäten terroristischer Vereinigungen in der Sahelzone enorm. Zudem stelle Westafrika durch seine Mittellage zwischen Südamerika und Europa einen Transitraum für Drogenschmuggel dar, der neben dem Geschäft mit westlichen Geiseln eine wesentliche Einnahmequelle für terroristische Gruppierungen in der Region geworden sei.

Boko Haram − von der nigerianischen „Hausguerilla“ zum Schreckgespenst einer ganzen Region

Ein wesentlicher terroristischer Akteur in der Region ist die islamistische Sekte Boko Haram, die 2002 im Norden Nigerias gegründet wurde und seitdem insbesondere durch Bombenattentate auf christliche Kirchen, staatliche nigerianische Einrichtungen, aber auch auf Kritiker jedweder religiöser oder politischer Couleur auf sich aufmerksam gemacht hat. Der Name Boko Haram leitet sich aus der Sprache der Haussa, einer im Sahel weit verbreiteten Volksgruppe, ab und bedeutet so viel wie „Bücher in Lateinschrift sind Sünde“ oder auch „westliche Bildung verboten“.

Der multiethnische und multireligiöse Staat Nigeria, der sich faktisch in einen christlichen Süden und einen muslimischen Norden teilt, hat seit der Demokratisierung 1999 mit zunehmender Islamisierung zu kämpfen. So wurde auf Bestreben islamischer Gruppen in Nordnigeria die Scharia eingeführt. Die Ablehnung westlicher Bildung unter nigerianischen Muslimen geht bis auf die Kolonialzeit zurück. Noch heute weigern sich viele Nordnigerianer, ihre Kinder in staatliche Schulen zu schicken. Vor diesem Hintergrund ließ der muslimische Geistliche Mohammed Yussuf, bis zu seiner Festnahme und Tötung 2009 durch die nigerianische Armee Anführer von Boko Haram, 2002 in Maiduguri eine Koranschule errichten. Der Bedarf ist gegeben: Schätzungen zufolge gibt es in Nordnigeria mehr als 9,5 Millionen Almajiris, umherziehende Jugendliche, die traditionelle Koranschulen besuchen.

Der Fokus auf Bildung stellt ein Vehikel für die Sekte dar, um ihr übergeordnetes politisches Ziel − die Schaffung eines islamischen Staates − zu erreichen und Anhänger für ihren gewalttätigen Kampf zu rekrutieren. Insbesondere unter der Führung Yussufs, der dank seines Charismas und seiner organisatorischen Fähigkeiten eine große Anhängerschar um sich versammelte, tat sich Boko Haram durch „karitative“ Tätigkeiten unter den Armen Nordnigerias hervor und ersetzte immer mehr der ohnehin defizitären staatlichen Einrichtungen. Die Tötung Yussufs verfehlte daher ihr Ziel: Anstatt die Rebellion zu beenden, führte sie zu einer weiteren Radikalisierung der Sekte und zur Verstärkung ihrer terroristischen Aktivitäten. Die postelektorale Gewalt im April 2011, während der Boko Haram unter dem Deckmantel religiöser Ideologie als Vertreter nordnigerianischer Interessen auftrat, scheint die Legitimität der Sekte in Nordnigeria noch weiter gestärkt zu haben.

Der Terror Boko Harams hat bis heute zum Tod von mehr als 2000 Menschen und zur nachhaltigen Destabilisierung der nigerianischen Politik und Wirtschaft geführt. Das Wirken der Sekte hat ein Klima der Angst und ein Trauma in der nigerianischen Gesellschaft ausgelöst. Trotz zahlreicher Gegenkampagnen der nigerianischen Sicherheitskräfte, die mit massiven, nicht juristisch verfolgten Menschenrechtsverletzungen und außergerichtlichen Tötungen einhergingen, sind große Teile des Landes der Kontrolle des Staates mittlerweile entglitten. Präsident Goodluck Jonathan, der im Kampf gegen Boko Haram recht hilflos wirkt, spekulierte zuletzt über eine Infiltration des politischen Systems Nigerias durch die Terroristen und bot Boko Haram eine Amnestie an, die allerdings vom mutmaßlichen Anführer der Gruppierung, Abubakar Shekau, abgelehnt wurde.

Dennoch stellt ein nationaler Dialog mit den Hintermännern von Boko Haram nach Ansicht von Obadiah Mailafia, Kabinettschef der AKP-Gruppe in Brüssel und Boko-Haram-Experte, den einzig erfolgversprechenden Ausweg aus dieser Lage dar − umso mehr, als Prinzip, Denken und Methode der Sekte der westafrikanischen Kultur völlig entgegenstünden. Immer wieder wurde über die Frage gerätselt, inwieweit Boko Haram internationalisiert ist: Lange als nigerianische „Hausguerilla“ abgetan, hat sich mittlerweile immer mehr die Ansicht durchgesetzt, dass die Sekte − zumindest über ihre Splittergruppe Ansaru − über beste Beziehungen zu AQIM (Al-Qaida im Islamischen Maghreb) verfügt. Die Finanzierung Boko Harams wird und wurde in weiten Teilen durch ausländische Geldgeber gesichert: Zu den Geldgebern zählte der libysche Staatschef Muammar Ghaddafi; heutzutage wird vermutet, dass u.a. der Iran die Terrororganisation finanziert. Diese Verstrickungen und die Radikalität des Vorgehens von Boko Haram machten ein grenzüberschreitendes Handeln nötig − insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass ein Zusammenbruch Nigerias eine Katastrophe für die ganze Region darstellen würde ...

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Bauern in Afrika | Foto: EU Humanitarian Aid und Civil Protection/Flickr EU Humanitarian Aid und Civil Protection/Flickr

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