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Über die Zukunft der CDU als Volkspartei

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Viele hatten nicht mehr daran geglaubt. Die Zeiten, in denen Parteien bundesweit Ergebnisse von über vierzig Prozent erreichen könnten, seien endgültig vorbei – so konnte man es in Kommentaren vieler Politikwissenschaftler in den letzten Jahren immer wieder lesen. Die CDU als große Volkspartei der Mitte hat das eindrucksvoll widerlegt. Dank der Politik der CDU unter Führung von Angela Merkel erreichte die Union 41,5 Prozent der Wählerinnen und Wähler und steigerte ihr Ergebnis um 7,7 Prozent – ein Zuwachs, der seit 1953 unerreicht geblieben war.

Aus dem großen Erfolg vom September 2013 leitet sich für die Zukunft und über das Wahljahr 2014 hinaus eine große Verantwortung für die CDU ab. Mit unserer Politik muss sie Angebote für alle gesellschaftlichen Gruppen machen – für Jung und Alt, für Männer und Frauen, für Familien, für Zuwanderer, für Unternehmer, Arbeitnehmer und für Menschen, die auf die Solidargemeinschaft angewiesen sind. Dabei müssen wir an die denken, die sich politisch bei der CDU „zu Hause“ fühlen, aber auch an die, die erstmals CDU gewählt haben oder sich bis dato nur schwer vorstellen konnten, ihr Kreuz bei der Union zu machen.

Will die CDU Volkspartei bleiben und mehr Menschen dafür gewinnen, in der CDU mitzumachen oder für die CDU ein Mandat im Gemeinderat zu übernehmen, dann muss sie sich der Frage stellen, ob ihre Angebote und Möglichkeiten zur Mitarbeit attraktiv und überzeugend genug sind.

Die CDU steht daher aus meiner Sicht vor vier großen Herausforderungen, die wir anpacken müssen.

Erstens muss sie in einer sich permanent verändernden und zunehmend „bunteren“ Gesellschaft stärker ihren zweiten Markenkern neben dem im „C“ verankerten christlichen Menschenbild herausstellen: Der Gedanke der Union ist eine Idee, die uns in der Tat von allen anderen Parteien unterscheidet. Wir stehen also vor der Aufgabe, als Volkspartei attraktive programmatische Angebote für alle gesellschaftlichen Gruppen unseres Landes zu machen. Die „Union“ ist die Klammer, die Menschen mit unterschiedlichen Sichtweisen zusammenbringt. Wer erkannt hat, dass nicht das Durchsetzen von Partikularinteressen, sondern das Bemühen um einen Ausgleich unsere Gesellschaft freier und gerechter macht, der wird in der Union seine politische Heimat finden. Das heißt konkret: Eine Politik für Familien mit vielen Kindern zu machen, schließt nicht aus, auch die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare in den Blick zu nehmen. Diese Form der „Ausschließeritis“ ist falsch und führt auch nicht zu dem Mehr an Gemeinsinn, den unser Land braucht.

Zweitens kommt es darauf an, wie die Union das tut. Aus meiner Sicht unterscheidet sich die Union in einem zentralen Punkt grundsätzlich von anderen, die den Anspruch erheben, Deutschland politisch führen zu wollen. Wir gehören nicht zu denen, die immer nur wehklagen und meckern. Wir sehen die Herausforderungen und Probleme und stellen uns ihnen. Und wir tun das als CDU im wahrsten Sinne des Wortes mit Gottvertrauen und Zuversicht. Das war beim Wiederaufbau nach dem Krieg so und erst recht nach dem Fall der Mauer und dem Vollzug der deutschen Einheit. Aus diesem Verständnis heraus sollte es gelingen, ein Angebot an die Bürgerinnen und Bürger zu machen, wie wir uns Deutschland im Jahr 2030 vorstellen. Ich glaube, dass viele Menschen neben den alltäglichen Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz oder die Gesundheitsversorgung genau diese Frage umtreibt: Es geht darum, zu fragen, welches Ziel und welche Idee die Menschen in Deutschland einen.

Gerade in einem Land, in dem immer mehr Menschen leben, deren Vorfahren keine gebürtigen Deutschen sind, entsteht durch eine „gemeinsame“ Vergangenheit nicht automatisch das notwendige Gemeinschaftsgefühl, um eine deutsche Identität herauszubilden. Deshalb ist es zum einen so wichtig, gerade jungen Menschen mit Migrationshintergrund die deutsche Geschichte näherzubringen. Denn nur mit diesem Wissen sind entscheidende Aspekte der deutschen Rolle in der Welt verständlich. Zum anderen geht es darum, eine über die Wohlstandssicherung hinausgehende verbindende Idee für eine gemeinsame Zukunft zu entwickeln. Wir müssen darüber reden, welche Rahmenbedingungen nötig sind, damit sich die Menschen für ein Leben mit Kindern entscheiden und unsere Geburtenrate wieder steigt. Andere in Europa haben es vorgemacht. Es gilt zu fragen, welche Antworten sich aus den für uns wichtigen Werten für eine moderne Gesellschaftspolitik im 21. Jahrhundert ableiten lassen. Und wir sollten uns dessen bewusst werden, welchen Platz wir als Deutsche in der internationalen Völkergemeinschaft künftig einnehmen wollen. Aus den Antworten auf diese Fragen ergibt sich im Wesentlichen das, was unsere Nation für die Zukunft prägen wird. Die CDU sollte den Anspruch erheben, diese Debatten dort zu prägen, wo sie bereits geführt werden, oder sie anzustoßen.

Drittens muss die Union noch mehr Menschen begeistern und zum Mitmachen einladen. Wir brauchen neue, engagierte Mitglieder für die Arbeit vor Ort und Bürgerinnen und Bürger, die sich offen dazu bekennen, dass ihre politische Heimat die Union ist. Unsere Mitgliederstruktur spiegelt nicht den breiten Zuspruch aus allen Gesellschaftsschichten wider, den wir am 22. September erhalten haben. Das müssen wir ändern.

Viertens gilt es, die Partei organisatorisch so aufzustellen, dass wir die Menschen unmittelbar erreichen und für unsere Politik werben können. Das ist umso wichtiger, je komplexer politische Zusammenhänge werden. Mittels sozialer Netzwerke hat die CDU im zurückliegenden Wahlkampf viele Menschen erreicht, die nicht über Infostände oder Wahlkampfveranstaltungen mit uns ins Gespräch gekommen wären. Auch deshalb war die Union bei der Bundestagswahl die mit Abstand stärkste Partei bei den Jung- und Erstwählern. Wir müssen diese Form des politischen Diskurses verstetigen und als Partei permanent ansprechbar und erreichbar sein.

Wie kann die CDU das schaffen? Vor uns liegen in zehn Bundesländern Kommunalwahlen und darüber hinaus noch zahlreiche Bürgermeister- und Landratswahlen. In den Stadt- und Gemeindeverbänden laufen die Vorbereitungen für den Wahlkampf auf Hochtouren. Vielerorts hat die CDU das Prinzip der offenen Listen etabliert. Wir laden Bürgerinnen und Bürger ein, für die CDU zu kandidieren, auch wenn sie (noch) kein Parteimitglied sind. Mancherorts sind fast ein Drittel der Kandidaten noch kein Mitglied der CDU. Darüber hinaus sind Wahlkampfzeiten auch immer Zeiten, um neue Mitglieder zu werben. Wir müssen es schaffen, noch stärker junge Menschen, Frauen und Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte anzusprechen und für die CDU zu gewinnen. Das ist zwar immer auch eine Aufgabe der Stadt- und Gemeindeverbände vor Ort, aber noch stärker müssen sich unsere Bürgermeister, Landräte und Abgeordneten der Länderparlamente und des Bundestags diesem Gedanken verpflichtet fühlen.

Man erlebt immer wieder, wie Einzelinteressen aufeinanderprallen und mit Argusaugen darüber gewacht wird, wer sich auf Kosten eines anderen durchgesetzt hat – nicht nur im politischen Raum. Ein solcher Geist widerspricht dem Grundverständnis der Unionsparteien. Aus den Erfahrungen der Weimarer Republik heraus war es ein Anliegen der Gründerväter der CDU, eine politische Kraft in Deutschland zu schaffen, in der Menschen aus verschiedensten gesellschaftlichen Kreisen zusammenfinden – geeint durch gemeinsame Überzeugungen, aber auch miteinander verbunden in dem Bewusstsein, dass es das Gemeinsame braucht, um für den Einzelnen etwas zu erreichen. Die preußische Königin Luise hatte es einst so formuliert: „Wenn jedermann nach seinem Gang handeln wollte, jeder seinen Neigungen folgen; was würde da aus uns allen werden.“

Dieser Gedanke der Union ist die Brücke, die wir schlagen müssen, um noch mehr Zuwanderer und mehr junge Leute einzuladen, in der CDU mitzumachen. Ich bin der Überzeugung, dass es nach wie vor viele Menschen in diesem Land gibt, denen das Gemeinwohl und die Zukunft unseres Landes nicht egal sind, die nicht nur an ihr eigenes Fortkommen denken. Oder um es mit den Worten von Papst Benedikt XVI. zu sagen: „Wo der persönliche Egoismus oder die Interessen von Gruppen sich über das Gemeinwohl hinwegsetzen, wenn jeder nur an seine eigenen Interessen denkt, kann die Welt nur zugrunde gehen.“ Für Menschen, die so denken, muss die CDU sich stärker als bisher als politische Heimat anbieten und sie einladen.

Doch was machen wir, wenn es uns gelungen ist, Menschen, die sich mit der Union identifizieren können, für eine Mitarbeit zu begeistern? Wenn jemand die Zukunft der Pflege in einer alternden Gesellschaft umtreibt, dann wird er auf Dauer keine Erfüllung darin finden, im CDU-Stadtverband über die Hundesteuer- oder Friedhofssatzung zu diskutieren, so wichtig diese Entscheidungen vor Ort – das sage ich als ehemaliger Stadtverordneter und Kreistagsabgeordneter mit großer Überzeugung – auch sind. Wir brauchen also stärker als bisher regelmäßige Formate, bei denen beispielsweise der Chefarzt des Kreiskrankenhauses die Gelegenheit hat, mit dem Gesundheitsexperten der CDU ins Gespräch zu kommen. So findet er mit seinem Anliegen und seiner Expertise Gehör bei den Entscheidungsträgern der Partei und die Partei hat umgekehrt einen Mehrwert, indem sie sich seines Knowhows bedienen kann. Diese Angebote müssen niedrigschwellig und regelmäßig sein.

Die Digitalisierung bietet die einmalige Chance, solche neuen Formate zu entwickeln. Die CDU kann und sollte künftig ganz anders als bisher um diejenigen werben, die in unserer Gesellschaft an vielen Stellen Verantwortung tragen. Darüber hinaus müssen wir die Möglichkeiten von sozialen Netzwerken nicht nur in Wahlkampfzeiten nutzen. Ich bin oft gefragt worden, ob ich nun Facebook nutze, statt Hausbesuche zu machen oder auf die Kirchweih zu gehen. Schon die Frage offenbart, dass der Fragesteller das Prinzip von Social Media nicht verstanden hat. Ich kann auf Facebook und Twitter nichts diskutieren und keine Geschichte erzählen, die nicht irgendwo in der analogen Welt stattgefunden hat. Inzwischen sind viele Abgeordnete und Bürgermeister in den sozialen Netzwerken präsent. Das ist ein erster, wichtiger Schritt. Wenn man nun noch akzeptiert, dass die Regeln der Kommunikation dort anders funktionieren, als das Politiker bisher gewohnt waren – und damit meine ich nicht den bisweilen leider rüden und unpassenden Umgangston miteinander –, dann ist viel gewonnen. Mit Bürgerinnen und Bürgern, Mitgliedern und Anhängern der CDU dort auf Augenhöhe zu diskutieren, bietet die Chance, Menschen mitzunehmen. Wir sollten uns als politische Funktionsträger die dafür notwendige Zeit nehmen – und es reicht nicht, wenn das der Generalsekretär tut. Ich erwarte, dass alle, denen unsere Mitglieder ein Amt übertragen haben und die von den Bürgerinnen und Bürgern für die CDU gewählt worden sind, sich diesem Gedanken verpflichtet fühlen – und zwar nicht nur in Wahlkampfzeiten.

Wann fühlen sich Menschen motiviert und eingeladen mitzumachen? Sicher nicht, wenn man ständig klagt und jammert, wenn man Szenarien beschreibt, bei denen man das Gefühl hat, der Untergang des christlichen Abendlandes stehe unmittelbar bevor, und schon gar nicht, wenn man alles schlechtredet. Jeder kennt diese ständigen Nörgler in den Kommentarspalten auf Spiegel online oder auch auf Facebook. Niemand mag sie. Und das gilt auch für den politischen Diskurs. Ludwig Erhard hat gesagt: „Natürlich ist es die Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren. Es ist aber nicht ihre Aufgabe, unser Land schlechtzureden.“ Genau darum geht es. Die CDU steht nicht dafür, Probleme schönzureden, wir wollen anpacken und dabei die Kräfte in unserer Gesellschaft stärken und als Partner gewinnen, die das auch tun. „Jeder einzelne Bürger muss das Gefühl haben und das Bewusstsein, dass er selbst Mitträger des Staates ist. Er muss erkennen und wissen, dass es ein gemeinsames Interesse gibt, das beachtet werden muss, und dass das in seinem ureigenen Interesse geschieht.“ So hat es Konrad Adenauer formuliert. Wenn wir uns diesem Satz verpflichtet fühlen und ihn wieder stärker in den Vordergrund rücken, dann wird es der CDU gelingen, Volkspartei zu bleiben und an den großen Erfolg vom 22. September 2013 anzuknüpfen.

 

Peter Tauber, geboren 1974 in Frankfurt am Main, Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Generalsekretär der Christlich Demokratischen Union Deutschlands.