„Gleichgültigkeit, Ungläubigkeit, Widerstreben, Bedenken, Zugeben, Theilnehmen, eifriges Entbrennen, endlich phantastischer Schwindel“ – das sollen nach Angabe des Brockhaus 1838 die Meinungsphasen gewesen sein, die die Zeitgenossen bei der Einführung der Eisenbahnen durchlaufen hätten. Heute, mehr als eineinhalb Jahrhunderte später, lassen sich die Reaktionen auf den Durchbruch des digitalen Zeitalters durchaus ähnlich beschreiben – nur dass die Abfolge der Erkenntnisstadien offensichtlich nicht konsequent auf eine rauschhafte Begeisterung zusteuert.
Fantastische Heilserwartung war gestern, als das angeblich anarchische Internet noch als basisdemokratischer Hort der Freiheit und Transparenz gepriesen werden konnte, in dem jeder eine eigene Stimme habe und Enthüllungsplattformen Zugang zu den geheimsten Geheimnissen versprachen. Unterdessen wachsen die Bedenken, weil eine Reihe aktueller Ereignisse deutlich werden ließ, wie ungleich auch im Internet Macht und Möglichkeiten verteilt sind und wie zweischneidig die Idee einer umfassenden Transparenz erscheint, sobald die eigene Privatsphäre betroffen ist.
Noch äußert sich das aufkommende Unbehagen kaum in einem veränderten Nutzungsverhalten der fast 2,5 Milliarden Netzteilnehmer weltweit, doch wird der Stimmungsumschwung daran ablesbar, dass selbst Netzaktivisten inzwischen nach gesetzgeberischem Handeln rufen. „Big Law“ soll die Antwort auf „Big Data“ sein! Fast entsteht derzeit der Eindruck, als ob der utopische Glaube an die Internetfreiheit in überzogene Erwartungen an die Internetregulierung umschlüge. Aber mit Gesetzen und Verordnungen wird man den enormen Umwälzungen und Problemen, wie sie disruptive Technologien auslösen, allenfalls teilweise begegnen können. Schließlich sind die Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur umfassend und kaum abzusehen.
Die vollständige Kapitulation vor der digitalen Revolution würde darin bestehen, die Zukunft in der Vergangenheit zu suchen und Ausstiegsszenarien zu propagieren. Der technologische Fortschritt lässt sich aber nicht ohne enorme Nachteile zurückweisen. Um die Veränderungsprozesse unserer Lebens- und Arbeitswelt gestalten zu können, bleibt daher nicht viel anderes, als intensiv über sachgerechte Lösungen für die unterschiedlichsten Problemfelder zu debattieren. Dabei sollten Ängste und Warnungen ebenso ihre Berechtigung haben wie die mutige Zuversicht, dass wir uns durch Offenheit und Kreativität auch in einer veränderten Umwelt zurechtfinden können. Es muss nicht unbedingt alles schlechter werden. Vieles könnte künftig sogar besser sein.
Bernd Löhmann, Chefredakteur