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Dass der Mauerfall 1989 selbst bei kühlen Denkern ungebremsten Optimismus auslöste, ist bekannt. Schnell erwiesen sich zukunftsfreudige Vorhersagen als eitle Erwartung. Ein schönes, neues Zeitalter globaler Vernunft und Demokratie ist nicht angebrochen. Das westliche Modell hat sich weder von allein noch durch Interventionen umfassend durchgesetzt. So maßlos wie vorher die Hochstimmung ist heute die Resignation. Der Westen „im Niedergang“, „rat- und tatenlos“, „uneins und überschuldet“ – das sind, noch ohne die heftigen Ausschläge der NSA-Affäre, aktuelle Losungen.

Die Niedergeschlagenheit hat gute Gründe: Die Entwicklungen im Irak oder in Syrien zeigen dem Westen schmerzlich seine Grenzen auf. Seit der Finanz- und Schuldenkrise steht noch dazu die westliche Wirtschaftsordnung in schlechtem Licht. Europäisches Rettungsschirm-Gezerre und amerikanisches Haushaltshickhack säen Zweifel an der Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen. Umso schlimmer, dass Schwellenländer – zumal autoritär regierte – wirtschaftlich Paroli bieten.

So scharf der Blick auf eigene Schwächen zu sein hat, so wenig ratsam ist es, sich darauf zu fixieren. Vielmehr geht es darum, die Krisen zum Ausgangspunkt einer ebenso selbstkritischen wie vergewissernden Debatte zu machen, in der die Zukunft des Westens mit Sicht auf ein multipolares Staatensystem neu gedacht wird. Selbst wenn die einstige Dominanz perdu ist – die Chance, weiterhin eine wesentliche Rolle zu spielen, darf nicht ungenutzt verstreichen. Unendlich viel hängt davon ab: ob sich das Zusammenleben in der Welt von morgen an demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiert oder ob autoritäre Handlungsstile die Oberhand gewinnen. Nur wenige nehmen wahr, dass andernorts fragwürdige Ordnungsgedanken zirkulieren, die mit westlichen Vorstellungen in Konkurrenz treten (vgl. hierzu die Beiträge dieser Ausgabe Seite 80 bis 83 und Seite 84 bis 85).

Entscheidend wird sein, dass das Bewusstsein westlicher Zusammengehörigkeit nicht dahindämmert. Bei allen Differenzen überwiegen die gemeinsamen Interessen. Mehr noch: Westen bedeutet auch heute ein allen offenstehendes Projekt für Freiheit und Menschenrechte. So ist es wahr, dass dem Westen machtpolitisch eine bescheidenere Zukunft winkt. Aber seinen ideellen Einfluss muss das nicht schmälern. Aufzwingen lässt sich das westliche Modell ohnehin nicht, es muss durch Überzeugung wirken. Die Aufgabe, die sich stellt, lautet: Die freiheitliche Ordnung, die Demokratie und Marktwirtschaft untrennbar miteinander verbindet, muss zu pragmatischen, zukunftsfähigen Lösungen führen. Insoweit liegt der Schlüssel zu einer kooperativen Globalordnung vor der eigenen Haustür.

 

Bernd Löhmann, Chefredakteur