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Robotische Assistenz in der Pflege

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Robotische Technologien finden sich zu­ nehmend im medizinischen Alltag wieder – bekannte Beispiele sind moderne Bein­ oder Armprothesen sowie die automatisierte Labordiagnostik. Auch in der Urologie ist das daVinci-Robotersystem seit Jahren fest etabliert und wird international unter anderem bei der Prostatektomie eingesetzt. Diese rasanten Fortschritte sind möglich, weil die moderne Leichtbaurobotertechnologie zu einer immer sichereren Mensch-Roboter-Interaktion führt.

Klassische industrielle Fertigungsroboter, wie sie beispielsweise in der Automobilindustrie genutzt werden, müssen quasi stets hinter Schutzzäunen eingesetzt werden. Die neuen Systeme sind hingegen deutlich leichter und sicherer. Einen wichtigen Wegbereiter in diesem Bereich stellt der vor knapp zwanzig Jahren durch das Deutsche Zentrum für Luft­ und Raumfahrt (DLR) entwickelte Leichtbauroboter LBR da. Er kann durch Kraft­ und Drehmomentsensoren auch detektieren und erkennen, wie er mit seiner Umgebung in Interaktion tritt. Durch diese zusätzlichen Informationen ist der Roboter in der Lage, sich – ähnlich wie ein menschlicher Arm – aktiv nachgiebig und dadurch sicher zu verhalten; eine Grundvoraussetzung für den Einsatz in der direkten Umgebung des Menschen.

Nun geht der Trend auch dahin, Roboter als Assistenten in der Pflege einzusetzen. In Deutschland verursachen der demografische Wandel und die daraus entstandene Versorgungslücke gravierende Probleme. Bereits jetzt ist der Pflegebedarf nicht ausreichend gedeckt: Knapp drei Millionen Menschen sind auf ambulante oder stationäre Pflege angewiesen – und die Zahl wird weiter steigen. Während die Anzahl der zu Pflegenden stetig zunimmt, werden die Menschen zugleich älter als noch vor einigen Jahrzehnten. In der Pflege könnten künftig robotische Assistenzsysteme eingesetzt werden, um Pflegekräfte zu unterstützen und zu entlasten. Zugleich könnte die Selbstständigkeit zu Pflegender im ambulanten Bereich massiv erhöht werden, sei es im Hinblick auf alltägliche Aufgaben oder auf deren Mobilität.

Derzeit erforschen Wissenschaftler des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik einen Lösungsansatz: Gemeinsam mit Pflegern und zu Pflegenden erarbeiten sie im Projekt SMiLE (Servicerobotik für Menschen in Lebenssituationen mit Einschränkungen), wie robotische Unterstützung in diesem Bereich unter anderem für Menschen mit Behinderungen eingesetzt werden könnte. Das Forschungsvorhaben wird durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie gefördert.

 

Entlastung des Pflegepersonals

„Die Vision von SMiLE ist es, Menschen trotz alters­ oder krankheitsbedingter Bewegungseinschränkungen zu einem erfüllteren und selbstständigeren Leben zu verhelfen“, sagt Institutsleiter Alin Albu­Schäffer. „Bei den SMiLE­-Robotern kommen digitale Spitzentechnologien zum Einsatz, die seit Jahren in der Weltraumforschung entwickelt und mit Astronauten erprobt wurden. Jetzt kommen sie der Pflege zugute.“

Doch welche Tätigkeiten können – und vor allem sollen – Roboter in Zukunft überhaupt übernehmen? Wie kann man gewährleisten, dass der Mensch und seine Bedürfnisse stets im Mittelpunkt der technologischen Entwicklung stehen?

Um diese hochsensiblen Fragen auch aus pflegerischer, ethischer und alltags­ praktischer Sicht zu beantworten, wollen die Wissenschaftler gemeinsam mit der Caritas in Garmisch-Partenkirchen und der Katholischen Stiftungshochschule München an möglichen Szenarien für die robotische Assistenz der Zukunft arbeiten. DLR­Institutsleiter Professor Albu­Schäffer erklärt: „Am allerwichtigsten ist uns dabei, die Erwartungen der Patienten und des Pflegepersonals tiefgreifend zu verstehen, um ihre tatsächlichen Bedürfnisse zu erkennen. Es gibt viele verhältnismäßig einfache Tätigkeiten, an die man als nicht beeinträchtigter Mensch gar nicht denkt – und bei denen so ein System die Unabhängigkeit der Nutzer stark erhöhen kann.“

Allen Beteiligten ist klar: Robotische Pfleger können und dürfen menschliche Zuwendung und bestehende Pflegeleistungen nicht ersetzen, sondern sollen vor allem für eine Entlastung des Pflegepersonals bei hoher Pflegequalität sorgen. So können sie einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Menschen und zur komfortablen Kommunikation mit Angehörigen und Helfern leisten.

 

Rollin‘ Justin

Im Rahmen des Projekts SMiLE werden verschiedene robotische Pflegeassistenten eingesetzt: Der zweiarmige, mobile Heimassistenzroboter Rollin’ Justin beispielsweise soll zur Unterstützung für Pflegen­ de, Angehörige und ältere Personen mit moderaten Mobilitätseinschränkungen dienen. Der humanoide Roboter ist dem Menschen nachempfunden; mit seinen helfenden Händen könnte er ein selbst­ bestimmteres Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen.

-Der Rollstuhlassistent EDAN umfasst einen robotischen Arm samt Roboterhand, montiert an einem elektrischen Rollstuhl, den Menschen mit starken motorischen Einschränkungen über Muskelimpulse steuern können. Er kann wesentliche tägliche Aufgaben durch elektromyographische (Messung der verbliebenen Muskelaktivität) Steuerung teilautonom durchführen und es daher auch nahezu gelähmten Menschen ermöglichen, selbstständig Türen zu öffnen, hindurch­ zufahren und Aufzugknöpfe zu drücken oder Getränke anzureichen.

In beiden Fällen können die Benutzer auf die Unterstützung seitens der Angehörigen zurückgreifen, die die Roboter über geläufige Kommunikationsgeräte wie Smartphones und Tablets zu steuern vermögen. Zusätzlich können sie professionelle Hilfe via Teleoperation (Fernsteuerung) aus einem Pflegekontrollzentrum, angeschlossen über wirkungsvolle Kraftrückkopplungsgeräte, in Anspruch nehmen – so die Vision. Die verwendeten Methoden sind bereits in der Raumfahrt umfassend getestet worden. So setzten Astronauten diese Technologie ein, um von der Internationalen Raumstation aus einen Roboter in Oberpfaffenhofen im Rahmen unterschiedlichster Experimente zu steuern. Robotische Systeme könnten so in Zukunft eine wertvolle Unterstützung sein, um die gesellschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte abzufedern. Langfristig könnte diese Technik sich auch beispielsweise auf Ausbildung und Berufsbild von Pflegern auswirken.

„Wir haben ein erstes Verständnis dafür entwickelt, um jetzt die Erprobung durchzuführen“, sagt Albu­Schäffer. Umso wichtiger ist es aus Sicht des DLR­Teams, alle Beteiligten wie Pflegende, Angehörige, Pflegekräfte, Träger von Pflegeeinrichtungen, Pflegeausbilder und Experten aus dem Bereich der Ethik bereits im Entwicklungsprozess einzubinden.

 

Alexander Dietrich, geboren 1983 in Ravensburg, Forschungsgruppenleiter Whole-body control group und Projektleiter SMiLE.

Annette Hagengruber, geboren 1989 in Zwiesel, Dipl.-Ingenieurin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin.

Lioba Suchenwirth, geboren 1979 in Kassel, Institutsbeauftragte für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Jörn Vogel, geboren 1982 in Lippstadt, Forschungsgruppenleiter für Re-Enabling Robotics und Projektleiter SMiLE.

 

Alle Autorinnen und Autoren gehören dem Institut für Robotik und Mechatronik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Oberpfaffenhofen, an.

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