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Und trotzdem ein Chancenkontinent

Die neuen afrikapolitischen Leitlinien

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Am 21. Mai 2014, drei Jahre nach der Verabschiedung des Afrikakonzepts der Vorgängerregierung, hat die Bundesregierung neue afrikapolitische Leitlinien verabschiedet. Die Afrikadebatte der Großen Koalition begann Anfang des Jahres 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mahnten eine größere Verantwortung Deutschlands in Krisensituationen an. Die daran anschließende öffentliche Debatte verlief leider in den eingespielten Mustern. Wo gibt es Krisen? Wird nicht vielleicht die Bundeswehr in Afrika gebraucht? Afrika ist aber kein Experimentierfeld für mögliche deutsche Militäreinsätze.

Die Debatte erhöhte immerhin das allgemeine Interesse an Afrika und an dem, was die Bundesregierung, vor allem auch das Entwicklungsressort, dort vorhat. Insbesondere auf diesem Kontinent wird über Zukunftsfragen der Menschheit entschieden – Armut, Rohstoffnutzung, Einsatz moderner Cybertechnologien, Rolle und Verantwortung des Staates, kulturelle Prägungen versus universalen Menschenrechtsschutz, globale Herausforderungen beim Schutz des Klimas und beim Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Insofern spielt Europas Nachbarkontinent eine eigenständige und zunehmend wichtigere Rolle in der Welt und auch speziell für Deutschland.

Die Leitlinien kennzeichnen Afrika als einen Kontinent im Wandel, auf den sich die deutsche Afrikapolitik noch präziser einstellen muss. Trotz fortbestehender Risiken, die durch aktuelle Ereignisse wie die Entführungen durch die Boko Haram in Nigeria, den Bürgerkrieg in Zentralafrika, die Massaker im Südsudan und die Anschläge auf Touristen in Mpeketoni (Kenia) besonders im Blickfeld der Öffentlichkeit liegen, bietet Afrika aber auch Chancen und Möglichkeiten, die es zu nutzen gilt – zuerst im Interesse der dort lebenden Menschen, aber auch aufgrund eigener Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen. Wirtschaftswachstum, Reichtum an natürlichen Ressourcen und eine wachsende Mittelschicht in vielen afrikanischen Ländern sollten die Aufmerksamkeit einer Exportnation wie Deutschland auf sich ziehen. Afrika wandelt sich trotz allem vom Krisen- zum Chancenkontinent.

Das Auswärtige Amt unternimmt mit den afrikapolitischen Leitlinien den Versuch, auf diese Veränderungen mit unserer Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik, aber auch mit der Wirtschafts- und Umweltpolitik koordiniert und abgestimmt zu antworten. Die Leitlinien reagieren auch auf gestiegene afrikanische Erwartungen an Deutschland: Seit der Finanzkrise sind Deutschland und die Bundeskanzlerin aus afrikanischer Perspektive noch mehr zu zentralen Akteuren in Europa geworden.

Die Leitlinien zeichnen ein differenziertes, aber ein grundsätzlich positives Bild des Kontinents. Sie knüpfen an erstmals benannte deutsche Interessen und an das noch stärker auf Wirtschaft orientierte Afrikakonzept der christlich-liberalen Bundesregierung an und nehmen Deutschlands neue Rolle in der Welt in die Überlegungen auf. Sie setzen die Rahmenbedingungen, Grundsätze und Schwerpunkte der Afrikapolitik und bilden somit eine gute Grundlage für ein abgestimmtes Handeln der gesamten Bundesregierung in Afrika.

In diesem Rahmen hat das Auswärtige Amt eine allgemeine Koordinierungsfunktion für die deutsche Afrikapolitik, während das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Koordinierung für die Official Development Assistance (ODA)-Mittel verantwortet. Schon im März 2014 hatte Bundesminister Gerd Müller die Neuausrichtung der Afrikapolitik des BMZ im Bundestag vorgestellt. Das BMZ fügt sich mit seinen konkreten, handlungsorientierten Aktivitäten in den Gesamtrahmen der afrikapolitischen Leitlinien ein und bleibt das entscheidende Ressort, wenn es um die finanzielle Unterfütterung nicht nur der entwicklungspolitischen Interessen Deutschlands geht.

 

100 Millionen mehr für Afrika

Die im BMZ-Konzept dargestellte Neuausrichtung, in der die Leitlinien ihre Konkretisierung in bestimmten Punkten erfahren, wird derzeit vom Ministerium operationalisiert. So sollen bereits in diesem Jahr die Mittel für Afrika um rund 100 Millionen Euro erhöht und neue Initiativen im aktuellen Haushalt berücksichtigt werden. Außerdem wird die Liste der Kooperations- und Partnerländer offener gehandhabt und das Engagement in fragilen Staaten verstärkt werden.

Insbesondere der letzte Punkt findet sich auch im Schwerpunkt des Konzepts wieder: die Förderung von Frieden und Sicherheit in den afrikapolitischen Leitlinien. Deutschlands Engagement beim Abbau von Fragilität und der Stärkung guter Regierungsführung wird ausgeweitet, um Krisen vorzubeugen. Dabei ist aus Sicht des BMZ klar, dass ODA-Mittel nicht für militärische Zwecke und Einsätze genutzt werden. Vor allem durch vielfältige Unterstützungsmaßnahmen bei der Krisenprävention sollen afrikanische Partner besser in die Lage versetzt werden, Konflikte selbst zu lösen.

Weitere Schwerpunkte in den Leitlinien sind die regionale Integration als Voraussetzung einer friedlichen, stabilen und wirtschaftlich erfolgreichen Entwicklung, die Bekämpfung von Fluchtursachen wie Armut, Hunger und Konflikten und die verstärkte Zusammenarbeit mit Afrika als globalem Partner beim Schutz globaler öffentlicher Güter.

Beim Schwerpunkt selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung geht es um die Förderung lokaler Existenzgründer und Unternehmen, damit sie am Markt bestehen können. Durch diese Unterstützung verbreitert sich die wirtschaftliche Basis: Wertschöpfung und Beschäftigung in afrikanischen Ländern werden erhöht, und über verbesserte Steuereinnahmen ergeben sich neue Finanzierungsmöglichkeiten des Staates. Für die afrikanische Wirtschaft bieten deutsche Unternehmen Branchenexpertise und wertvolles Know-how, Ausbildung von Fachkräften und hohe Maßstäbe bei Qualität und gesellschaftlicher Verantwortung. Umgekehrt bietet Afrika für deutsche Unternehmen einen enormen Zukunftsmarkt. Durch die Verbesserung des regulatorischen Rahmens und des Investitionsklimas will die Bundesregierung die Zusammenarbeit fördern.

 

Perspektive für die Jugend

All diese Ziele der Unterstützung privater Wirtschaftsunternehmen und Investitionen in afrikanischen Ländern sind Kernfaktoren für eine stabile und nachhaltige Entwicklung. Denn ohne den Millionen Jugendlichen in Afrika eine Perspektive für ihr Leben geben zu können, was nur durch wirtschaftliches Wachstum und gute Politik, nicht aber durch Entwicklungszusammenarbeit möglich ist, wird die Stabilisierung afrikanischer Staaten kaum gelingen.

Es liegt im deutschen und europäischen Interesse, dass die Inseln der Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Prosperität und des Menschenrechtsschutzes größer werden und zusammenwachsen. Nur das erhöht mittel- und langfristig unsere Sicherheit und unsere wirtschaftlichen Kooperationsmöglichkeiten. Das wird nur möglich sein, wenn Europa auf dem afrikanischen Kontinent geschlossen auftritt und den eigenen Prinzipien folgt. Deutschland wird sich den Leitlinien entsprechend stärker in Brüssel einbringen. Altes koloniales Besitzdenken und Belehrungen müssen der Vergangenheit angehören. Afrikanische Länder sind selbstbewusste Partner. Sie erwarten zu Recht Respekt! Kritik ist aber angebracht, wenn in Afrika elementare Menschenrechte verletzt werden oder sich korrupte Eliten schamlos bereichern. Eine solche Kritik wird auch an anderen Orten der Welt geübt, und es gibt keinen Grund, die teilweise sich selbst überschätzenden afrikanischen Partner damit zu verschonen. Am Ende kann man nur gemeinsam erfolgreich sein – das gilt für die Nachbarkontinente Europa und Afrika und für alle beteiligten Ressorts der Bundesregierung.

 

Günter Nooke, geboren 1959 in Forst (Lausitz), Persönlicher Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

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