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Freya von Moltke (geb. Deichmann)

Juristin, Schriftstellerin, Widerstandskämpferin March 29, 1911 Köln January 1, 2010 Norwich/Vermont
by Wolfgang Tischner

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Familie und Ausbildung

Geboren 1911 als Tochter des Kölner Bankiers Carl Theodor Deichmann und seiner Frau Ada, gehörte sie durch ihre Familie zur bildungsbürgerlichen Oberschicht der wichtigsten Stadt der preußischen Rheinprovinz. Obwohl Mädchen ihrer Generation schon alle Bildungsmöglichkeiten offenstanden, strebte sie anfangs kein Studium an und legte das Abitur erst nach einer Unterbrechung der Schullaufbahn und Privatunterricht ab: Das Ziel einer Berufsausbildung war für eine „höhere Tochter“ damals noch die Ausnahme. Sie selbst sprach später von einer fehlenden Zielstrebigkeit, die ihre Jugendjahre charakterisiert hätte. Über Freunde ihres Bruders lernte sie 1929 am österreichischen Grundlsee Helmuth James von Moltke kennen, in den sie sich sofort verliebte.

Helmuth James Graf von Moltke war der Urgroßneffe des preußischen Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke, des Strategen der Bismarck’schen Einigungskriege. Von der kaiserlichen Dotation kaufte Moltke das schlesische Gut Kreisau nahe Schweidnitz. Die Moltkes waren eine der prominentesten Familien im Deutschen Reich. Trotz ihrer militärischen Familientradition lassen sie sich aber nicht auf die Rolle wilhelminischer Nationalisten reduzieren. Im Gegenteil, sie fühlten sich ganz der preußischen Tradition des 19. Jahrhunderts besonders dem englischen Kulturraum verbunden. Die Mutter von Helmuth James, Dorothy, war die Tochter eines der höchsten Richter in Südafrika. Helmuth James zog durchaus eine Auswanderung nach Großbritannien in Betracht und machte sich deshalb in den Jahren 1935 bis 1938 mit dem englischen Rechtssystem vertraut. Aus dieser Zeit und über familiäre Bekanntschaften ergaben sich vielfältige Kontakte zu einflussreichen englischen Familien.

Nachdem die Beziehung zwischen Freya und Helmuth James immer enger geworden war, heirateten die beiden am 18. Oktober 1931, aufgrund der angespannten finanziellen Situation beider Familien nur in kleinem Kreis. Freya musste nach dem Tod ihrer Schwiegermutter 1935 sehr jung die Verwaltung von Gut Kreisau übernehmen, scheint sich aber schnell in die Rolle eingefunden zu haben. Allerdings wurde sie nach einem kursorischen Studium 1935 noch in Jura promoviert. Die Eheleute einte die Ablehnung der NS-Weltanschauung, was Helmuth James von Moltke 1935 auf eine Karriere im Justizdienst verzichten ließ. Diese Entscheidung zog eine häufige Abwesenheit von Kreisau und seiner Familie nach sich, da er jetzt als Rechtsanwalt in Berlin tätig war. Die Ehe war trotz der Phasen der Trennung sehr glücklich, 1937 wurde der Sohn Helmuth Caspar, 1941 Konrad geboren.

 

Der Kreisauer Kreis

Nach dem Ausbruch des Krieges sollte Helmuth James von Moltke das Auswärtige Amt und die Wehrmacht in Fragen des Völkerrechts beraten, was er immer wieder dazu nutzte, Völkerrechtsverletzungen im Kriegsverlauf und in der deutschen Besatzungspolitik zu kritisieren. Seine Tätigkeit bot ihm die Möglichkeit zu einer umfangreichen Reisetätigkeit, angesichts der Postkontrollen eine wesentliche Voraussetzung für die Bildung eines oppositionellen Netzwerkes. Außerdem war sein Umfeld – er war dem Nachrichtendienst von Admiral Canaris zugeteilt – ebenfalls NS-kritisch eingestellt.

Moltke schloss sich mit Peter Graf Yorck von Wartenburg zusammen, der aus einer ähnlich prominenten preußischen Familie wie er selbst stammte. Aus ihren Diskussionen entwickelte sich 1940 das Projekt, umfassend die Möglichkeiten einer Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg zu diskutieren. Die dafür hinzugezogenen Personen kannten sich aus Sicherheitsgründen nicht alle untereinander; je nach Bewertung wird man den verschiedenen Diskussionszirkeln etwa 20 bis 40 Beteiligte zurechnen können. Die Treffen fanden an unterschiedlichen Orten statt, übrigens weit häufiger in Berlin als in Kreisau. Der Name „Kreisauer Kreis“ entstand erst nach den Verhaftungsaktionen in den Vernehmungen. Allerdings gab es 1942/43 drei größere Tagungen in Kreisau, die zu schriftlichen Grundsatzerklärungen führten, so dass der Name durchaus berechtigt ist.

Von anderen deutschen Widerstandsgruppen unterscheidet sich der Kreisauer Kreis inhaltlich durch die Konsequenz, mit der die Neuordnung Deutschlands durchdacht und auch bittere Fragen wie die nach der Verfolgung von Verbrechen, die im deutschen Namen begangen worden waren, bearbeitet wurden. Vorgesehen war ein Rechtsstaat, der wesentlich auf „kleinen Gemeinschaften“, so die Formulierung Moltkes, beruhen sollte: eine Vorstellung, die der heutigen „Zivilgesellschaft“ sehr nahe ist. Eingebettet sein sollten die Staaten Europas in einen gesamteuropäischen Kontext, auch dies erstaunlich zukunftsweisend.

Genauso einzigartig wie die inhaltliche Arbeit war die personelle Zusammensetzung. Anders als etwa der kommunistische Widerstand strebten die Kreisauer gerade nicht die Diskussion nur mit politisch Gleichgesinnten an, sondern wollten alle wesentlichen Gruppierungen des deutschen Volkes vertreten sehen. Es bildete sich auf der einen Seite die „Grafengruppe“ aus adligen Vertretern der alten borussisch-protestantischen Eliten, zu der bewusst Sozialdemokraten und Sozialisten wie Carlo Mierendorff und Adolf Reichwein hinzugezogen wurden. Es gab mit Eugen Gerstenmaier, Harald Poelchau und Theodor Steltzer Vertreter der Bekennenden Kirche, aber auch mit den Jesuiten Augustin Rösch und Alfred Delp sowie den ehemaligen Zentrumspolitikern Hans Lukaschek, Paul van Husen und Hans Peters Vertreter des politischen Katholizismus. Eine wichtige Rolle für Moltke persönlich spielte der katholische Bischof von Berlin, der spätere Kardinal Konrad von Preysing, mit dem er sich im Abstand von wenigen Wochen immer wieder beriet. Preysing war ein Vertrauter Papst Pius XII. und der vielleicht entschiedenste NS-Gegner im deutschen Episkopat, nahm allerdings nicht persönlich an den Tagungen teil. Freya von Moltke war über ihren Mann in alles eingeweiht, nahm aber kaum selbst das Wort.

Die Verhaftung Helmuth James von Moltkes erfolgte am 19. Januar 1944 eher zufällig, er hatte einen Freund vor der Verhaftung gewarnt. Damit kam die Arbeit des Kreises größtenteils zum Erliegen. Die Treffen in Kreisau selbst waren nicht im Visier der Gestapo gewesen. Moltkes familiäre Verbindungen ließen eine Zeit lang die Hoffnung wachsen, dass eine Entlassung aus der Haft erreicht werden könnte. Mit dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 verschärfte sich jedoch der Zugriff des Regimes dramatisch. Vorher noch geübte Rücksichten auf die alten Eliten des Kaiserreichs verkehrten sich ins Gegenteil, auch gelang es der Gestapo weitgehend, die Kreisauer Diskutanten zu identifizieren und zu verhaften. Im Prozess vor dem Volksgerichtshof mit seinem Präsidenten Roland Freisler verteidigte sich Helmuth James von Moltke geschickt, ohne seine Überzeugungen zu verraten: „Macht eine Legende aus uns!“ forderte er die NS-Richter auf. Eine Beteiligung an den Vorbereitungen des 20. Juli konnte ihm nicht nachgewiesen werden, tatsächlich hatte er das Attentat abgelehnt. Deshalb wurde er letztlich wegen seiner grundsätzlichen geistigen Opposition zur NS-Weltanschauung am 11. Januar 1945 zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet.

Über die Haftzeit in Tegel sind wir durch den umfangreichen Briefwechsel der Eheleute informiert, einen der anrührendsten Quellenbestände zum deutschen Widerstand. Nach einer ersten Veröffentlichung 1988 sind, wie von Freya von Moltke bestimmt, auch die Briefe aus den letzten Wochen der Haft vor der Hinrichtung ihres Mannes ein Jahr nach ihrem Tod veröffentlicht worden. Freya und Helmuth James von Moltke schrieben sich täglich. Die von der Zensur ungestörte Korrespondenz war möglich, weil der Tegeler Gefängnispfarrer Harald Poelchau, eines der wenigen nicht verhafteten Mitglieder des Kreisauer Kreises, das Risiko auf sich nahm, die Briefe in die Haft und wieder heraus zu schmuggeln. Geholfen hat dabei wohl auch die teilweise wohlwollende Haltung des Tegeler Gefängnispersonals, das heimlich die Fesseln von Helmuth James von Moltke löste, damit er schreiben konnte. In den Briefen kommt neben der Beziehung der Eheleute die weltanschauliche Grundlage ihres Handelns zum Ausdruck, die einer sittlichen Verpflichtung aus einem tiefen, undogmatischen Christentum entsprang. Freya von Moltke hat die Motivlage ihres gemeinsamen Widerstandes später als die „Verteidigung der Menschlichkeit“ umschrieben.

 

Südafrika und die USA

Nach dem deutschen Zusammenbruch verlebte Freya von Moltke den Sommer 1945 wieder auf Gut Kreisau. Im Laufe der Monate nahmen die Schikanen durch umgesiedelte Polen, die ihrerseits vertrieben worden waren, zu. Einen gewissen Schutz boten allerdings sowjetische Offiziere. Auch die britischen Freunde, an die sich Freya brieflich nach Kriegsende gewandt hatte, machten ihren Einfluss geltend, sogar der britische Außenminister erkundigte sich bei einem Berlin-Besuch nach ihrem Schicksal. Als im Herbst 1945 deutlich wurde, dass alle Deutschen von den Polen vertrieben werden würden, schickten die Briten Lastwagen nach Kreisau, die Freya und die Kinder über die Demarkationslinie nach Berlin brachten. Nachdem sie zunächst eine Mitarbeit im Evangelischen Hilfswerk, das Eugen Gerstenmaier aufbaute, erwogen hatte, entschied sie sich 1947, nach Südafrika zu gehen, der Heimat ihrer Schwiegermutter. Immerhin hatte sie der südafrikanische Premier Jan Smuts persönlich eingeladen. Zugrunde lag wohl auch die damals weit verbreitete Überzeugung, dass das vom Krieg zerstörte Europa nicht wieder auf die Beine kommen würde. In Südafrika arbeitete Freya im karitativen Bereich, konnte sich jedoch nicht mit dem herrschenden Apartheidsystem anfreunden und empfand ihr Leben als zu eintönig. 1956 entschloss sie sich deshalb, mit ihren Söhnen zurück nach Deutschland zu gehen.

Dort traf sie Eugen Rosenstock-Huessy wieder, den akademischen Lehrer ihres Mannes. Er hatte 1927 mit seinen Schülern, unter ihnen auch Helmuth James von Moltke, in der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft einen freiwilligen Arbeitsdienst organisiert. Rosenstock hatte als konvertierter Jude seinen Breslauer Lehrstuhl 1933 aufgegeben und war in die USA emigriert, hatte jedoch nie den Kontakt nach Deutschland verloren. Obwohl eigentlich Jurist, war Rosenstock doch eher ein Universalgelehrter, dessen wissenschaftliches Spektrum auch theologische Diskussionen oder sozialpolitische Fragen umfasste. Freya war ihm schon begegnet, als er sich von Helmuth James von Moltke vor seiner Emigration verabschiedet hatte.

Nachdem Freya von Moltke 1960 in die USA zu Eugen Rosenstock-Huessy übergesiedelt war, setzte sie trotzdem ihre Bemühungen um eine angemessene Würdigung des NS-Widerstands fort. Allerdings war ihre Arbeit bei Weitem nicht nur rückwärtsgewandt: In ihrer neuen Heimat widmete sie sich so unterschiedlichen Projekten wie der Förderung von Einkaufskooperativen und dem sozialen Wohnungsbau und, nach dem Tod ihres Lebensgefährten 1973, der Wahrung von dessen wissenschaftlichem Erbe. Sie entschied sich, im gemeinsamen Haus in Norwich in Vermont zu bleiben, wo sie am 1. Januar 2010 verstarb.

 

Das neue Kreisau

Die Friedliche Revolution in Osteuropa 1989/90 schaffte die Voraussetzungen dafür, dass der im Kalten Krieg geteilte Kontinent wieder zusammenwachsen und es zu einer wirklichen Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen kommen konnte. Die Geschichte des Kreisauer Kreises bot dafür einen geeigneten Anknüpfungspunkt. Am 12. November 1989 besuchte deshalb der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl bei seinem Staatsbesuch in Polen zusammen mit Tadeusz Mazowiecki, dem ersten nichtkommunistischen polnischen Ministerpräsidenten, in Kreisau eine Versöhnungsmesse. Freya von Moltke unterstützte den von polnischen und deutschen Bürgerrechtlern entwickelten Gedanken, das seit 1945 verfallene Gut Kreisau zu einer deutsch-polnischen Begegnungsstätte umzuwandeln, und übernahm den Ehrenvorsitz des Stiftungsrates der am 9. Juli 1990 gegründeten „Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung“. Zu ihren Partnern gehört u.a. das Warschauer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung. 2004 wurde mit der „Freya-von-Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau“ in Berlin eine Bürgerstiftung zur Unterstützung der Arbeit in Kreisau ins Leben gerufen. In ihrem Kuratorium arbeiteten Richard von Weizsäcker und Christian Wulff mit.

 

Kreisau und das neue Deutschland

Die Bedeutung des Kreisauer Kreises für das neue Deutschland nach Hitler ist wohl weit größer, als der Öffentlichkeit und auch einem Teil der Forschung bis heute bewusst ist. Sicherlich sind bei der Etablierung der Staatlichkeit in den Westzonen und der Gründung der Bundesrepublik die Kreisauer Denkschriften – übrigens ebenso wenig wie die Planungen anderer Widerstandskreise – nicht eins zu eins als Blaupausen umgesetzt worden. Jedoch sind fast alle der überlebenden Kreisauer in Deutschland nach dem Krieg an führenden Stellen am Wiederaufbau beteiligt gewesen und haben den geistigen Klärungsprozess aus dem schlesischen Gutsort in die Gestaltung der Bundesrepublik eingebracht. Gerade die Union, die sich besonders in ihrem Berliner Gründungskern dem deutschen Widerstand verpflichtet fühlte, hat davon profitiert. Otto Heinrich von der Gablentz, Theodor Steltzer und Hans Peters haben die CDU als ehemalige Kreisauer dort mitgegründet, in Thüringen wurde Hans Lukaschek aktiv, bevor er in den Westen fliehen musste und schließlich in der Regierung Adenauer Bundesvertriebenenminister wurde. Hans Peters spielte in den Verfassungsdiskussionen in den Westzonen eine wichtige Rolle. Eugen Gerstenmaier begründete das Evangelische Hilfswerk und war als langjähriger Präsident des Deutschen Bundestages einer der Wegbereiter für die Aussöhnung mit Israel. Für das politische System der DDR entschied sich, soweit zu sehen, keines der überlebenden Mitglieder des Kreisauer Kreises. Die SED-Diktatur stand allem entgegen, was in Kreisau gefordert worden war. Lediglich Harald Poelchau versuchte anfangs, den Strafvollzug in der SBZ möglichst human zu gestalten.

Wichtiger vielleicht noch als die direkte Beteiligung ehemaliger Kreisauer ist die Wirkung für die moralische Legitimation des neuen Staates. Nur die Tatsache, dass auch Deutsche im Widerstand gegen Hitler gestanden und gestorben waren, gab den Angehörigen des „Tätervolks“ nach 1945 das Recht, wieder ihre Stimme zu erheben. Hierin liegt neben ihrer direkten Beteiligung an den Kreisauer Treffen auch die weitere Bedeutung Freya von Moltkes: Mit ihrem Bemühen, die Arbeit ihres Mannes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, war sie sich mit den anderen Frauen des deutschen Widerstands einig. Das Gedenken an Kreisau und den Widerstand hat der Bundesrepublik die notwendige positive Traditionslinie gegeben, die neben der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen (und später der Friedlichen Revolution in der DDR) zum geistigen Fundament des demokratischen Deutschlands geworden ist.

Veröffentlichungen

  • Freya von Moltke: Erinnerungen an Kreisau 1930–1945. 2. Aufl. München 2006.
  • Helmuth James und Freya von Moltke: Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel: September 1944 – Januar 1945. Herausgegeben von Helmuth Caspar und Ulrike von Moltke. München 2011.

Literatur

  • Frauke Geyken: Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben 1911–2010. München 2011.
  • Helmuth James von Moltke: Briefe an Freya 1939–1945. Herausgegeben von Beate Ruhm von Oppen. 3. Aufl. München 2005.
  • Hans Mommsen: Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes. München 2000.

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