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Fritz Hellwig, Portrait. (Quelle: Peter Bouserath/KAS-ACDP) Fritz Hellwig, Portrait. (Quelle: Peter Bouserath/KAS-ACDP) © (Quelle: Peter Bouserath/KAS-ACDP)

Fritz Hellwig

Ökonom, Leiter des Deutschen Industrieinstituts, Mitglied der Hohen Behörde der EGKS, Vizepräsident der EG-Kommission Prof. Dr. habil. August 3, 1912 Saarbrücken July 22, 2017 Bonn
by Reinhard Schreiner
Ein Leben, drei Karrieren: Fritz Hellwig hat als Wissenschaftler, Politiker und Industrieberater deutsche und europäische Geschichte geschrieben. Der „Manager und Wissenschaftler“, wie er in der Presse der 1950er Jahren charakterisiert wurde, war immens ehrgeizig, fleißig und zielstrebig, gleichzeitig immer tolerant und fair. Sein Temperament und seine klare Urteilskraft hat sich der langjährige Bundestagsabgeordnete bis ins hohe Alter bewahrt.

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Herkunft, Ausbildung und erste berufliche Tätigkeiten

Fritz Hellwig wurde am 3. August 1912 in Saarbrücken geboren. Sein Vater Friedrich war Schulrat und gehörte 1919 zu den Gründern der deutsch-saarländischen Liberalen Volkspartei, als das Saarland nach dem Ersten Weltkrieg ein französisch beherrschtes Völkerbundsmandat war. Hellwig war in einer der Jugendgruppen der Partei aktiv; schon als Schüler setzte er sich mit der nationalen Frage und der Grenzproblematik auseinander. Nach dem Abitur in Saarbrücken folgte das Studium der Philosophie, Erdkunde, englische Philologie, Volkswirtschaft, Staatenkunde und Geschichte in Marburg, Wien und Berlin. Mit dem Thema „Der Kampf um die Saar 1860-1870. Beiträge zur Rheinpolitik Napoleons des Dritten“ promovierte Hellwig 1933 in Berlin, mit gerade mal 21 Jahren. Drei Jahre später folgte die Habilitation in Heidelberg mit einer Biographie des Stahlindustriellen Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg. Schon 1933 war Hellwig als Referent in die Industrie- und Handelskammer Saarbrücken eingetreten, wo er bis 1939 das Saarwirtschaftsarchiv leitete. Von 1937 bis 1938 lehrte Hellwig zusätzlich als Dozent an der Hochschule für Lehrerbildung in Saarbrücken. Diese Stelle kündigte er 1938 unter dem wachsenden politischen Druck der Staatsmacht. Das zuständige Ministerium in Berlin stellte ihn vor die Wahl, entweder auf seinen Lehrauftrag oder auf die Tätigkeit in der Wirtschaft zu verzichten. Hellwig löste darauf hin das Beamtenverhältnis und entschloss sich für eine wissenschaftliche und praktische Arbeit in der Wirtschaft und ihren Verbänden.

 

Im Vordergrund: Die Eisen- und Stahlindustrie

Die Eisen- und Stahlindustrie rückte in den Vordergrund der beruflichen und wissenschaftlichen Interessen. 1939 wurde Hellwig Geschäftsführer der Organisation der Eisenhüttenindustrie in Düsseldorf, er kehrte 1940 nach Saarbrücken zurück als Geschäftsführer der dortigen Bezirksgruppe Südwest der Wirtschaftsgruppe Eisenschaffende Industrie, zu der nach der Niederlage Frankreichs sowohl die saarländische als auch die lothringische Eisen- und Stahlindustrie gehörten. Ende 1942 erfolgte die Ernennung zum Kriegsverwaltungsrat in der Wirtschaftsinspektion Mitte der Ostfront und im Februar 1943 die Einziehung als Panzergrenadier. In Süditalien geriet Hellwig Ende 1943 in britische Kriegsgefangenschaft und wurde nach den USA transportiert. Ausführlich dazu berichtet er in einem 2004 geführten Zeitzeugengespräch mit Michael Gehler: Weil er keine Informationen zur deutschen Stahlindustrie lieferte, kam er in ein Straflager nach Oklahoma. Dort organisierte er eine Art Lageruniversität mit Kursen zur Amerikanistik und für den Englischunterricht.

Hellwig wurde erst im Sommer 1947 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Eine Rückkehr ins Saarland war unmöglich, weil er wegen seiner pro-deutschen Rolle in der Protektoratszeit von den französischen Besatzern als „persona non grata“ unerwünscht war.

 

Wirtschaftsberater und Politiker

Hellwig schlug es als Wirtschaftsberater nach Düsseldorf und Duisburg, 1947 wurde er Mitglied der Christlich-Demokratischen Union. Der Mitverfasser der Düsseldorfer Leitsätze arbeitete in den wirtschaftspolitischen Ausschüssen seiner Partei mit und verfasste Gutachten zur Entflechtungs- und Demontagepolitik, zur geplanten Montanunion und zum Gemeinsamen Markt. Diese Gutachten wurden oft Grundlagen für die deutschen Verhandlungspositionen gegenüber Frankreich.

Es kennzeichnet Hellwigs Arbeitsstil, dass er am 15. Mai 1950, nur sechs Tage, nachdem Robert Schuman seine berühmte Erklärung abgegeben hatte, der Bundestagsfraktion der CDU eine mit wissenschaftlicher Gründlichkeit erarbeitete Analyse des Plans für die Montanunion vorlegte. Dieses Memorandum zur Beurteilung des Schuman-Plans prägte die deutsche Europapolitik. Fritz Hellwig trat erstmals als wichtiger Vordenker in der Geschichte der Europäischen Integration nach außen hin in Erscheinung.

Von 1949 bis 1951 war Hellwig Geschäftsführer des Arbeitskreises für die Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie; von 1951 bis 1959 leitete er das neugegründete Deutsche Industrieinstitut, das heute Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln heißt. In dieser Position begleitete er politisch und publizistisch die Verhandlungen zur Montanunion. Daneben war er Vorsitzender des „Deutschen Saarbundes“; seine Analysen in dieser Funktion haben die Saarpolitik von Konrad Adenauer entscheidend beeinflusst. Der ursprüngliche Gegner des Saarstatuts und von Adenauers Saarpolitik unterstützte ab Februar 1955 die Kanzlerlinie im CDU-Bundesvorstand, die der Aussöhnung mit Frankreich den Vorrang gab.

Im Europarat, dessen Beratender Versammlung er von 1953 bis 1959 angehörte, war er der Berichterstatter für die Konferenz von Messina, den Spaak-Bericht und für Fragen der Zollunion und der Wettbewerbsbestimmungen in den Römischen Verträgen. Neben all diesen Tätigkeiten in den verschiedensten Gremien publizierte Hellwig reihenweise Bücher über die Montanwirtschaft und die Wirtschaft an der Saar und in Lothringen.

In der CDU machte Hellwig ebenfalls Karriere: Im September 1953 wurde er für den Wahlkreis Remscheid-Solingen in den Deutschen Bundestag gewählt, von 1956 bis 1959 wirkte er als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftspolitik an zentraler und entscheidender Stelle in der wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetzgebung der Bundesrepublik mit. Der entschiedene Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft, 1953 bis 1967 Mitglied im CDU-Bundesvorstand, war damit einer der führenden Wirtschaftspolitiker der Union.

 

Der neue Mann in Luxemburg

1959 stand Hellwig an einem neuen Kreuzweg seiner Laufbahn. Als Nachfolger des verstorbenen Franz Blücher wurde er zum zweiten deutschen Mitglied der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Luxemburg ernannt und legte sein Bundestagsmandat nieder. „Seinem bisherigen Werdegang nach ist Hellwig wie kaum ein zweiter für die Stellung bei der Montanunion geeignet“, schrieb die Pforzheimer Zeitung am 29. August 1959. Der neue Leiter der Arbeitsgruppe für den Kohle- und Stahlmarkt innerhalb der Behörde hatte eine Schlüsselposition inne. Nach dem EG-Fusionsvertrag 1967 wurde Hellwig bis 1970 Kommissar für die Forschungspolitik und Vizepräsident der Kommission der EG.

Fritz Hellwig trieb viele Jahre lang die Idee des Gemeinsamen Marktes voran; die europäische Einigung, deren Geschichte er heute wie kaum ein anderer Deutscher verkörpert, war für ihn stets eine wirtschaftliche und politische Notwendigkeit. Dabei hat er sich stets für ein Europa auf solider wirtschaftspolitischer Grundlage eingesetzt. Nach seinem Ausscheiden aus der Kommission wurde Hellwig von 1970 bis 1973 geschäftsführendes Präsidialmitglied des Verbandes Deutscher Reeder in Hamburg.

Für seine großen Verdienste erhielt Fritz Hellwig 1971 das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband.

 

Schriftsteller, Sammler und Mäzen

Nach seiner Pensionierung widmete sich Fritz Hellwig der Wirtschaftsgeschichte des Saarlandes. Zu seinem 90. Geburtstag legte die Bücherei des Instituts der deutschen Wirtschaft ein Verzeichnis seiner Publikationen mit mehr als 850 Titeln vor. Sie reichen von Werken über die Saar und Lothringen, den Gemeinsamen Markt und die Montanunion, die Forschungs- und Technologiepolitik der EG, Kartographie und Wirtschaftsgeographie, die Seeschifffahrt bis hin zu allgemeinen historischen Themen.

Fritz Hellwig sammelt außerdem altes kartographisches Material und Kupferstiche, vor allem historische Landkarten aus dem Saarland, Elsass und Lothringen. Wesentliche Bestände daraus hat er der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek sowie dem Saarländischen Landesarchiv geschenkt. 1990 übernahm er als Honorarprofessor ein Lehrauftrag zum Thema „Geschichte der Kartographie und Wirtschaftsgeographie“ an der Universität Trier.

Am 22. Juli 2017 verstarb Fritz Hellwig in Bonn.

Curriculum vitae

  • 03.08.1912 geboren in Saarbrücken
  • 1918-1921 Knabenschule in Saarbrücken
  • 1921-1930 Städtisches Reform-Realgymnasium in Saarbrücken
  • 1930 Abitur
  • 1930-1933 Studium der Philosophie, Volkswirtschaft, Staatenkunde und Geschichte in Marburg, Wien und Berlin
  • 1933-1939 Referent bei der Industrie- und Handelskammer Saarbrücken, Leiter des Saarwirtschaftsarchivs
  • 1933 Promotion
  • 1936 Habilitation
  • 1937-1938 Dozent an der Hochschule für Lehrerbildung in Saarbrücken
  • 1939 Heirat mit Dr. Margarete Werners. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Hansjürgen (geb. 1940), Antje (geb. 1942) und Martin (geb. 1949).
  • 1939-1940 Geschäftsführer der Organisation der Eisenhüttenindustrie in Düsseldorf
  • 1940-1942 Geschäftsführer der Bezirksgruppe Südwest der Wirtschaftsgruppe Eisenschaffende Industrie in Saarbrücken
  • 1942-1943 Kriegsverwaltungsrat in der Wirtschaftsinspektion Mitte der Ostfront
  • Februar 1943 als Panzergrenadier eingezogen
  • 1943-1947 britische und amerikanische Kriegsgefangenschaft
  • seit 1947 Wirtschaftsberater in Düsseldorf und Duisburg, Mitglied der CDU und ihrer wirtschaftspolitischen Ausschüsse, Mitverfasser der Düsseldorfer Leitsätze
  • 1949-1951 Geschäftsführer des Arbeitskreises für die Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie
  • 1951-1959 Leiter des Deutschen Industrieinstituts (heute: Institut der deutschen Wirtschaft in Köln)
  • 1953-1959 Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates
  • 1953-1959 Mitglied des Deutschen Bundestages
  • 1953-1967 Mitglied im Bundesvorstand der CDU
  • 1956-1959 Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des Deutschen Bundestages
  • 1959 Mitglied der Gemeinsamen Versammlung der EGKS
  • 1959-1967 Mitglied der Hohen Behörde der EGKS
  • 1967-1970 Kommissar für die Forschungspolitik und Vizepräsident der Kommission der EG
  • 1971 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband
  • 1971-1973 geschäftsführendes Präsidialmitglied des Verbandes Deutscher Reeder in Hamburg
  • nach 1990 Honorarprofessor für Geschichte der Kartographie und Wirtschaftsgeographie an der Universität Trier

Literatur

  • Beate Brüninghaus: Fritz Hellwig - Ein Leben zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Wegbegleiter der Stahlindustrie. In: 125 Jahre Stahl und Eisen 126 (2006), Nr. 7, S. 40-42.
  • Albrecht Rothacher: Fritz Hellwig. In: Die Kommissare. Vom Aufstieg und Fall der Brüsseler Karrieren. Eine Sammelbiographie der deutschen und österreichischen Kommissare seit 1958, Baden-Baden 2012, S. 81-85.
  • Klaus Malettke/Klaus Oldenhage (Hg.): Fritz Hellwig. Saarländer, Deutscher, Europäer. Eine Festschrift zum 100. Geburtstag, Heidelberg 2012.

 

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