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Johannes Bell, Portraitfoto. Johannes Bell, Portraitfoto. © Bundesarchiv, Bild 146-2002-006-23 / Sennecke, Robert / CC-BY-SA 3.0

Johannes (Hans Josef Alexander) Bell

Rechtsanwalt, Zentrumspolitiker, Reichsminister September 23, 1868 Essen October 21, 1949 Würgassen/Weser
by Kordula Kühlem

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„Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in diese Fesseln legt?“ Mit dieser wohlbekannten rhetorischen Frage bündelte der damalige Ministerpräsident des Deutschen Reiches, Philipp Scheidemann, am 12. Mai 1919 seine Ablehnung des in Form eines Ultimatums vorgelegten Friedensvertragsentwurfs. Nach schweren parlamentarischen Kämpfen und Diskussionen unterzeichneten die Deutschen dennoch am 28. Juni 1919 den Versailler Vertrag. Neben Außenminister Hermann Müller (SPD) war es Reichsverkehrsminister Johannes Bell von der Zentrumspartei, der für diese Unterschrift nicht nur rhetorisch, sondern ganz konkret seine Hand zur Verfügung stellte und damit die Verantwortung mit übernahm.

Johannes Bell kam am 23. September 1868 als Sohn des Obergeometers Josef Bell und dessen Frau Josefine, geborene Steuer, in Essen auf die Welt, wo er auch 1886 auf dem Burggymnasium seine Reifeprüfung ablegte. Nach seinem Studium in Tübingen, Leipzig und Bonn, wo er 1889 zum Dr. jur. utr. promoviert wurde, folgten Stationen als Referendar in Werden, Essen und Hamm/Westfalen. Während der anschließenden Jahre als Rechtsanwalt und Notar in Essen heiratete Bell 1896 Trude Nünning. In seiner Geburtsstadt wurde Johannes Bell 1900 auch zum Stadtverordneten gewählt und übernahm 1909 den Vorsitz der örtlichen Zentrumspartei.

Schon ein Jahr zuvor, 1908, war er ins Preußische Abgeordnetenhaus eingezogen, 1912 folgte zusammen mit der Ernennung zum Justizrat der Einzug in den Reichstag für den Wahlkreis Düsseldorf–Moers, den fast durchgehend seit der Reichsgründung ein Mitglied des Zentrums vertreten hatte. Nach dem Ende der Monarchie und der Ausrufung der Republik zog Bell sowohl in die Preußische Landesversammlung als auch in die Nationalversammlung ein. Während der dramatischen Umbruchsmonate stieg er in den engeren Vorstand der Zentrumspartei und den weiteren ihrer Fraktionen in Nationalversammlung und Reichstag auf. In der am 13. Februar 1919 konstituierten ersten Koalitionsregierung der Weimarer Republik unter Philipp Scheidemann übernahm Johannes Bell das Reichskolonialministerium als einer von vier Ministern des Zentrums.

Dieses Amt behielt Bell nach dem Rücktritt Scheidemanns und der Bildung einer neuen Regierung unter Gustav Bauer (SPD) am 21. Juni 1919, außerdem übernahm er das Ressort des Verkehrsministers. In dieser Funktion warb Johannes Bell in der Zentrumsfraktion für die Annahme des Friedensvertrages, obwohl er diesen wie die Mehrheit der Abgeordneten und der Deutschen insgesamt in Form und Inhalt ablehnte. Doch aus Sorge vor einem Auseinanderbrechen des Deutschen Reichs votierte er nicht nur für die Unterzeichnung des Versailler Vertrages, sondern er reiste zusammen mit seinem Kollegen, Außenminister Hermann Müller von der SPD, nach Versailles, um die geforderte Unterschrift zu leisten.

Bells persönlicher Einsatz galt zum einen dem Erhalt der Einheit des Deutschen Reiches, weshalb er sich auch gegen jegliche separatistischen Tendenzen, besonders im Rheinland, wandte. Zum anderen bemühte er sich um eine Aufarbeitung der Vergehen während des Weltkriegs. Schon 1917 hatte er für die Friedensresolution vom 17. Juli gestimmt; nach dem Krieg übernahm er den stellvertretenden Vorsitz im Untersuchungsausschuss des Reichstags zu Völkerrechtsverletzungen. Schließlich unterstützte der Zentrumspolitiker auch die neue deutsche Demokratie. In seiner Partei warb er erfolgreich für eine Zustimmung zur Weimarer Verfassung, die Reichspräsident Friedrich Ebert am 11. August 1919 unterzeichnete.

Als Verkehrsminister war Johannes Bell für die Überführung der Eisenbahnen in Reichsbesitz zuständig, was dazu führte, dass er auch nach dem Regierungswechsel am 27. März 1920 unter Reichskanzler Hermann Müller für weitere vier Wochen sein Amt behielt, um das Projekt zum Abschluss zu bringen. In dem am 6. Juni 1920 gewählten Reichstag wurde Johannes Bell Vizepräsident und blieb es bis 1926. Dieses Amt hinderte ihn jedoch nicht, als prominenter Redner seiner Fraktion zu wichtigen Fragen weiterhin aufzutreten. Beispielsweise formulierte er das Votum des Zentrums für das sogenannte Republikschutzgesetz vom 18. Juli 1922.

Vom 16. Juli 1926 bis zum 1. Februar 1927 amtierte Johannes Bell im dritten Kabinett von Wilhelm Marx kurzzeitig als Reichsjustizminister und nahm die Aufgaben des Reichsministers für die besetzten Gebiete wahr. Auch in den folgenden Jahren blieb der Zentrumspolitiker ein prominenter Abgeordneter seiner Fraktion und des Reichstags – als Vorsitzender des Reichstagsausschusses für Völkerrechtsverletzungen und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.

Seit dem Sommer 1932 gehörte Johannes Bell immer wieder zu Abordnungen seiner Partei, die im Parlament Gespräche mit der erstarkten NSDAP-Fraktion führten. Dabei spielte zum einen seine Mitgliedschaft im Ältestenrat des Reichstags eine Rolle und zum anderen, dass er der Illusion anhing, die Nationalsozialisten „zähmen“ zu können. In diesen Zusammenhang gehörte auch sein Treffen mit dem Fraktionsführer der NSDAP Wilhelm Frick am 23. Januar 1933. Nach den Memoiren von Heinrich Brüning soll Bell sogar für ein Ministeramt in der wenige Tage später installierten Regierung Hitler im Gespräch gewesen sein.

Seine letzte Rede im Parlament hielt Johannes Bell am 23. März 1933, in jener Sitzung des Reichstags, in der dieser sich selbst mit der Annahme des Ermächtigungsgesetzes entmachtete. An der Formulierung eines Gegenentwurfs des Zentrums zu diesem Gesetz war Bell noch beteiligt, doch die Eingabe scheiterte.

Bis zur nächsten Reichstagswahl am 12. November 1933 blieb Johannes Bell noch Mitglied des Reichstags. Denn nach der Auflösung des Zentrums am 5. Juli 1933 hatte die Partei erreicht, dass aus ihrer Fraktion einige Abgeordnete als Hospitanten der NSDAP weiter dem Parlament angehören konnten.

Von einer späteren politischen Tätigkeit Johannes Bells ist bisher nichts bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ er sich mit seiner Frau an der Weser nieder, wo ihn 1948 auch sein früherer Weggefährte Heinrich Brüning besuchte. In seinem neuen Heimatort Würgassen starb Johannes Bell am 21. Oktober 1949.

 

 

Bestand: BA N 1272

Curriculum vitae

  • 23. September 1868 geboren in Essen
  • 1886 Reifeprüfung auf dem Burggymnasium in Essen
  • 1889 Promotion zum Dr. jur. utr.
  • 1896 Heirat mit Trude Nünning
  • 1900 Stadtverordneter in Essen
  • 1908–1918 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses
  • 1909 Vorsitz der Zentrumspartei in Essen
  • 1912–1933 Mitglied des Reichstags und der Nationalversammlung
  • 1919–1921 Mitglied der Preußischen Landesversammlung
  • 28. Juni 1919 Unterzeichnung des Versailler Vertrages gemeinsam mit Hermann Müller (SPD)
  • 1919 Reichskolonialminister
  • 1919–1920 Reichsverkehrsminister
  • 1926–1927 Reichsminister der Justiz und für die besetzten Gebiete
  • 21. Oktober 1949 gestorben in Würgassen/Weser​

 

Literatur

  • Dickhoff, Erwin: Essener Köpfe. Wer war was? Essen 1985.
  • Haunfelder, Bernd: Reichstagsabgeordnete der Deutschen Zentrumspartei 1871–1933. Biographisches Handbuch und historische Photographien (Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 4). Düsseldorf 1999.
  • Kosch, Wilhelm: Das katholische Deutschland. Biographisch-bibliographisches Lexikon, 1. Band: AAL–John. Augsburg 1933.
  • Luckau, Alma: Unconditional Acceptance of the Treaty of Versailles by the German Government, Jun 22–28, 1919. In: The Journal of Modern History XVII (1945), S. 215–220.
  • Morsey, Rudolf: Die Deutsche Zentrumspartei 1917–1923. Hg. von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Düsseldorf 1966.
  • Ders.: Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwischen christlichem Selbstverständnis und „Nationaler Erhebung“ 1932/33. Stuttgart u. a. 1977.
  • Schwarz, Max: Biographisches Handbuch der Reichstage. Hannover 1965.

 

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