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Country Reports

Griechenlands Parteienlandschaft vor den Wahlen

by Jeroen Kohls

Das Land geht auf erneut unsichere politische Zeiten zu

Allein in den letzten dreieinhalb Jahren wurden in Griechenland drei Parlamentswahlgänge, eine Europa- und Kommunalwahl sowie ein Referendum durchgeführt. Nun sind die Griechen am 20. September erneut zur Wahl gerufen. Diese findet vor dem Hintergrund weiterer, tiefgreifender Veränderungen in der griechischen Parteienlandschaft statt.

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Die Ereignisse des Sommer 2015 haben in Griechenland Spuren hinterlassen: die überraschend und kurzfristig angesetzte Durchführung eines Referendums über die Fortsetzung der Reformpolitik; dessen unerwartet klares Ergebnis bei umso unklarerer Fragestellung; die politische Folgenlosigkeit der Volksabstimmung; das Auslaufen des nicht beendeten, zweiten Hilfsprogramms; die Einführung von bis heute andauernden Kapitalverkehrskontrollen; die zeitweise Schließung der Banken; die Unterzeichnung der dritten Kreditvereinbarung („Memorandum“). In der Folge ist das seit 2010 in der griechischen Politik bestimmende Narrativ der Aufkündigung der Memoranden bei gleichzeitigem Verbleib des Landes in der Eurozone als politische Option unglaubwürdig geworden. Eine zuvor nach pro- und anti-Memorandum aufgeteilte Parteienlandschaft folgt nun der neuen Spaltung in Lager der Befürworter und Gegner der Eurozonenmitgliedschaft Griechenlands. Neue politische Kräfte haben das Feld betreten, alte Akteure bemühen sich um Reformen und Neuausrichtung und das Zusammenspiel aller ist neuen, ungewohnten Logiken unterworfen.

SYRIZA

Der glorreiche Gewinner der Parlamentswahl im Januar 2015 tritt den zweiten Wahlgang des Jahres inmitten seiner größten Krise an: SYRIZA ist tief gespalten und hat durch die aus ihren Reihen erfolgte Parteineugründung der „Volkseinheit“ ihren linken Flügel verloren. Führende Figuren aus der zu Ende gegangenen Legislaturperiode – wie Energieminister Lafazanis, die Vizeminister für Verteidigung und Soziales, Isychos und Stratoulis, sowie die Parlamentspräsidentin Konstantopoulou – haben der Partei ebenso den Rücken gekehrt wie zahlreiche Mitglieder der Basis.

Größer ist jedoch die inhaltlich-strategische Krise der Partei: Das Aufwachsen SYRIZAs von einer marginalisierten Kleinstpartei vor 2012 bis zur Regierungsmehrheit 2015 beruhte auf der Fundamentalopposition gegen die Kreditvereinbarungen mit den europäischen und internationalen Partnern. Mit der Unterschrift des Ministerpräsidenten und SYRIZA-Parteivorsitzenden Tsipras unter dem dritten Memorandum für Griechenland ist dieses politische Narrativ für SYRIZA überholt. Die Partei bemüht sich um einen Neuanfang – unter anderem mit dem Versuch, auf europäischer Eben die Umsetzung des Reformprogramms in Aussicht zu stellen. Und gleichzeitig innenpolitisch dasselbe Programm als das Ergebnis von Erpressung und einem harten, leider verlorenen Kampf der Griechen darzustellen. Dabei gelingt es der Partei mit Blick auf die jetzigen Wahlen nicht, ihre Rhetorik mit glaubwürdigem politischem Inhalt zu untermauern. Vor diesem Hintergrund erscheint die weitere Wandlung der SYRIZA hin zu einer wirklich pro-europäisch und reformorientierten Partei der Mitte wenig wahrscheinlich. Vielmehr wird man den unglaubwürdigen Spagat weiter vollführen, wenn die Partei, in der Mehrheits- oder Juniorposition, Teil der neuen Regierungskoalition wird. Ebenso möglich erscheint der Rückfall in die Fundamentalopposition gegen die Reform- und Sparauflagen für den Fall, dass die neue Regierung ohne SYRIZA gebildet werden sollte.

Nea Dimokratia (ND)

Auch die konservative Nea Dimokratia (ND) steht vor großen Veränderungen. Nach dem deutlichen „Nein“ in dem von der SYRIZA-ANEL-Regierung angesetzten Referendum über die Fortführung der Spar- und Reformpolitik sah sich der langjährige ND-Parteivorsitzende Antonis Samaras zum Rücktritt gezwungen. Seitdem befindet sich die ND unter ihrem, im Eilverfahren ohne Beteiligung der Basis nominierten, Interims-Vorsitzenden Evangelos Meimarakis ebenfalls in einer Phase der personellen, inhaltlichen und strategischen Neuaufstellung – unterbrochen vom aktuellen Wahlkampf. Meimarakis, ehemaliger Parlamentspräsident, ist Gründungsmitglied der ND-Jugendorganisation ONNED, war deren Vorsitzender und immer in der Partei aktiv, ohne sich klar einer der diversen Strömungen innerhalb der ND anzuschließen. Er gibt zur Überraschung vieler bisher ein sehr gutes Bild als Parteivorsitzender ab und es ist sicherlich auch seinem Zutun zu verdanken, dass sich die Position der ND in den Umfragen verbessert hat. Dabei hat er den strikt gegen SYRIZA aufgestellten Oppositionskurs verlassen und bietet, bei gleichzeitig starker Kritik an Tsipras und dessen Regierungsführung in den letzten sieben Monaten, die Beteiligung der ND an einer breit aufgestellten Koalition unter Beteiligung von SYRIZA an; diese Option lehnt Tsipras – im Wahlkampf – strikt ab. Auch für die ND ist dies eine ganz neue Linie und es wird sich zeigen, ob sie für den Fall verlorener Wahlen Bestand haben wird.

Laiki Enotita (LAE)

Die „Volkseinheit“, auf Griechisch Laiki Enotita, ist der jüngste Neuzugang in der bereits zuvor reichlich fragmentierten griechischen Parteienlandschaft. Sie ist das Ergebnis der SYRIZA-Unterstützung (in der Parlamentsabstimmung gemeinsam mit der oppositionellen ND, PASOK und To Potami) für das dritte Memorandum. Nachdem 47 SYRIZA-Abgeordnete nicht mit der Regierung gestimmt hatten, spaltete sich anschließend der linke Parteiflügel, die sogenannte „Linke Plattform“, ab. Mitglieder dieser Plattform waren vor allem Ehemalige der kommunistischen KKE sowie von anderen Parteien der kommunistischen Linken Griechenlands. Daraus ist nun LAE entstanden, angeführt von dem ehemaligen Energieminister Panagiotis Lafazanis, der den vormals von SYRIZA vertretenen Anti-Memorandums-Kurs nun fortführt und dabei offen für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone und die Rückkehr zu einer nationalen Währung eintritt. Dabei positioniert man sich bewusst nicht anti-europäisch, um das gemäßigte Wählerpotenzial nicht zu verschrecken, aber es ist klar, dass zentrale Ideen wie die Verstaatlichung von Betrieben sowie des gesamten Bankensektors im EU-Kontext schwerlich umsetzbar wären. Es waren auch die Mitglieder der Linken Plattform, maßgeblich Lafazanis selber, die sich in den letzten Monaten um außereuropäische Unterstützung für Griechenland in Russland bemüht hatten – wenn auch ohne Erfolg. Trotz des strategischen Vorteils der LAE, deutlich näher an den ursprünglichen Wahlversprechen der SYRIZA dran zu sein als die Partei selber, wird sie bei den bevorstehenden Wahlen voraussichtlich nur eine marginalisierte Rolle spielen. Aber LAE wird in das Parlament einziehen und dort ihren Beitrag zu einer zersplitterten, in Teilen sehr anti-europäischen Diskussion leisten.

PASOK

Für die sozialdemokratische PASOK stellten sich nach den Parlamentswahlen im Januar 2015 erneut existenzielle Fragen: man hatte, nach 43,9 Prozent 2009 und 12,3 Prozent 2012, nur noch knapp über 4,5 Prozent Wählerzustimmung erreicht. Auch hier hatten Abspaltungen und persönliche Antagonismen zur Schwächung der Partei beigetragen. Der neuen Parteivorsitzenden Fofi Gennimata ist es bisher zwar nicht gelungen, die Partei zu revitalisieren. Dennoch könnte PASOK bei den kommenden Wahlen neue Bedeutung zukommen: Enttäuschte SYRIZA-Wähler könnten zurückkehren nachdem sie feststellen mussten, dass SYRIZAs gern geglaubte Wahlversprechen sich als nicht umsetzbar erwiesen haben. Zudem hat man sich mit der pro-europäischen

SYRIZA-Abspaltung DIMAR von 2010 zur Dimokratiki Symbarataxi („Demokratischer Zusammenschluss“) zusammengetan. Und die von Georgios Papanderou im Affekt gegründete PASOK-Abspaltung KIDISO, die die Partei in Europa- und Kommunalwahl Stimmen gekostet hat, wird nicht mehr antreten. Alexis Tsipras hat sich zu einer Koalitionsaussage für die Zeit nach der Wahl hinreißen lassen, die ein Bündnis zwischen SYRIZA und PASOK ermöglichen könnte.

To Potami

Die Partei To Potami („Der Fluss“) wurde mit Blick auf die Europawahl 2014 gegründet und konnte bei dieser sowie den Parlamentswahlen im Januar 2015 einige Sitze gewinnen. Sie versucht liberale, wirtschafts- und unternehmensnahe Elemente vor allem mit einer klaren pro-europäischen und reformorientierten Position zu verbinden. Gleichzeitig macht sie sich für sozialpolitische Elemente stark. Dabei vereint sie Personal mit unterschiedlichem parteipolitischem Hintergrund oder ausgewiesener technokratischer Expertise. Dennoch ist es To Potami in den rund eineinhalb Jahren des Bestehens nicht gelungen, ein klares politisches Profil zu gewinnen. Das mag daran liegen, dass man sich bisher bemühte, als Koalitionspartner in alle demokratischen, politischen Richtungen Offenheit zu signalisieren. Potami versteht sich als flexible Koalitionsoption für alle großen Parteien. Die größte Enttäuschung für To Potami war vor diesem Hintergrund die Entscheidung SYRIZAs, die rechtspopulistische ANEL im Januar 2015 in die Regierungskoalition zu holen. Potami hat mit dem klaren Bekenntnis zu administrativen Reformen und der Notwendigkeit, ausländische Investitionen anzuziehen, eine kleine Stammwählerschaft um sich scharen können. Es ist davon auszugehen, dass die Partei dieses Mal in der einen (mit ND) oder anderen (mit SYRIZA) Variante eine Rolle in einer zukünftigen griechischen Regierungskoalition spielen wird.

ANEL

Der kleine Koalitionspartner ANEL („Unabhängige Griechen“) in der zu Ende gegangenen, rechts-links-populistischen Regierung hat in den letzten Monaten einen rasanten Glaubwürdigkeitsverlust erlebt. Die 2012 als anti-Memorandums-Abspaltung von der ND entstandene Partei unter Führung von Panos Kammenos war mit dem Versprechen eines „rechten Korrektivs“ der SYRIZA-Mehrheit in der Koalition angetreten und ist damit an allen Fronten gescheitert: die Partei vollzog nicht nur den rasanten Richtungswechsel von SYRIZA mit und stimmte – untermauert von einer populistischen Argumentationslinie – geschlossen für das dritte Hilfsprogramm. Sie hat auch alle weiteren, zuvor von ihr definierten „roten Linien“ übertreten und unter anderem die sehr liberale Migrations- und Einbürgerungspolitik von SYRIZA mitgetragen. Auch die Einführung des erhöhten Mehrwertsteuersatzes auf einigen der griechischen Inseln war ein Rückschlag für ANEL, die dort traditionell einen Teil ihrer Klientel findet. ANEL mag auf der positiven Seite verbuchen, dass SYRIZA sie als überaus loyalen Koalitionspartner erlebt hat und die Zusammenarbeit fortsetzen möchte. Doch die rechtspopulistischen Wähler von ANEL sind in weiten Teilen verschreckt worden. Der Wiedereinzug der Partei in das nächste griechische Parlament ist fraglich.

Chrysi Avgi

Die neofaschistische Chrysi Avgi („Goldene Morgendämmerung“) konnte in den letzten beiden Parlamentswahlen die Position der drittstärksten Partei erreichen und ausbauen. Das politische Umfeld hat sich für diese strikt antisystemisch, antieuropäisch sowie offen fremdenfeindlich aufgestellte Partei mit den sprunghaft angewachsenen Flüchtlingsströmen noch verbessert. Es ist nicht auszuschließen, dass weitere frustrierte Wähler dieser Partei aus Protest ihre Stimme geben werden. Doch zeigt sich Chrysi Avgi zugleich geschwächt durch die anhaltenden juristischen Untersuchungen gegen die Partei wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung. Teile der Parteiführung befinden sich nach wie vor in Untersuchungshaft, Generalsekretär Nikos Michaloliakos war von Ende September 2013 bis Ende März 2015 inhaftiert und steht nun vor Gericht. Zudem ist auch Chrysi Avgis Position für die Aufkündigung der „Memorandums-Politik“ durch das Scheitern der SYRIZA-ANEL-Koalition in diesem Punkt geschwächt.

Enosi Kentroon

Die „Union der Zentristen“ schickt sich an, eine Überraschung der kommenden Parlamentswahlen zu werden. Bereits bei den letzten Wahlen gelang es dieser bisher marginalisierten Partei, in manchen Regionen des Landes die PASOK zu übertrumpfen. Enosi Kentroon versteht sich als Nachfolge-Organisation der Enosis Kentrou („Union des Zentrums“), der von Georgios Papandreou (dem Älteren) gegründeten Partei, die dann in die PASOK überging. Unmittelbar nach der Militärdiktatur trat der Parteigründer Vasilis Leventis zunächst der PASOK bei, bracht mit ihr 1981, trat 1989 mit der ND bei den Wahlen an und gehörte schließlich zu den Gründern von Enosi Kentroon, der er seitdem als Präsident vorsteht. In aggressiver Tonlage und exzentrischem Stil setzt er sich vor allem für den Kampf gegen Korruption ein. Das seit 1993 von ihm verfolgte Ziel, die Dreiprozenthürde im griechischen Parlament zu nehmen, könnte – nach zuvor konstanten Zustimmungswerten zwischen 0,2 und 0,7 Prozent – 2015 erstmals gelingen. Leventis hat Kooperationsbereitschaft in alle Richtungen signalisiert.

KKE

Die kommunistische Partei KKE ist inzwischen mit einer Geschichte, die bis 1924 zurückreicht, die Partei mit größter Konstanz im griechischen Parlament. Der 2013 in das Amt gekommene Vorsitzende Dimitris Koutsoubas hat an den harten Positionen seiner langjährigen, von den Anhängern gefeierten Vorgängerin Aleka Papariga nichts verändert: klare antikapitalistische, anti-Euro und insgesamt anti-europäische Positionen charakterisieren KKE bis heute. Durch das Scheitern von SYRIZA sieht sich KKE in diesen Standpunkten bestätigt. Zugleich versucht die Partei, LAE und ihren Vorsitzenden Lafazanis zu desavouieren. KKE strebt keinerlei Regierungsverantwortung an und wird mit dieser Position erneut voraussichtlich um die 6 Prozent Wählerzustimmung gewinnen.

Ausblick

Nach überaus schwierigen Wochen zwischen Ende Juni und August, geprägt von massiver politischer, wirtschaftlicher und finanzieller Instabilität, geht Griechenland nun erneut auf politisch unsichere Zeiten zu. Es gilt als sicher, dass sich die neue Regierung nach dem 20. September wieder in einer Koalition wird aufstellen müssen. Dieses für Griechenland – nach Jahrzehnten regierender absoluter Mehrheiten – immer noch ungewohnte Format stellt erneut eine Herausforderung dar: es muss voraussichtlich eine knappe Mehrheit mit zwei oder drei Koalitionspartnern sichergestellt und stabilisiert werden. Bei den bevorstehenden politischen Entscheidungen und notwendigen Gesetzesvorhaben zur Erfüllung der Reformauflagen wird dies die neue Regierung in höchstem Maße beanspruchen. Weitere Stimmenthaltungen, Fraktionsausschlüsse und Parteiabspaltungen sind nicht auszuschließen. Mögliche Szenarien wie eine Zusammenarbeit von ND, PASOK und To Potami betrifft dies ebenso wie eine denkbare Koalition zwischen SYRIZA, PASOK und To Potami. Die von SYRIZA derzeit ausgeschlossene, von Seiten der ND, To Potami und PASOK mit Offenheit quittierte „Regierung auf breiter Grundlage“ würde hier mehr Stabilität und politisches Durchsetzungsvermögen ermöglichen. Doch birgt dieses Szenario einen finsteren Ausblick auf die Opposition im Parlament, die – unter voraussichtlicher Führung durch die neofaschistische Chrysi Avgi als erneut drittstärkster Partei – mehrheitlich aus anti-systemisch und anti-europäisch aufgestellten Parteien bestünde.

Für den Länderbericht von 18. September: Griechenland - Parlamentswahlen und unsichere Perspektiven, bitte klicken Sie HIER

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