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Aufgrund des Wahlergebnisses könnte sie theoretisch ohne Labour (19,4 Prozent) regieren, wäre dann jedoch auf die Unterstützung anderer Parteien oder unabhängiger Kandidaten (Independents) angewiesen. Eine Koalition Fine Gael/Labour gilt daher als wahrscheinlich. Die Aufnahme von Gesprächen soll laut Medienberichten schnell beginnen. Die nationalistische Sinn Féin hat 9,9 Prozent der Wählerstimmen erhalten und wird sich wohlmöglich als Protestpartei etablieren können.
Auf andere Parteien und Independents entfallen 15,2 Prozent der Stimmen. Die Grünen, die seit fast vier Jahren als Koalitionspartner an der Regierung beteiligt sind, haben den Einzug ins Parlament verpasst (1,8 Prozent). Aufgrund des komplizierten Wahlsystems hat das Auszählen der Stimmen mehrere Tage gedauert. Auch am heutigen Montag wird in einigen Wahlkreisen nochmals nachgezählt . Die Wahlbeteiligung lag bei 70,1 Prozent und war somit die höchste seit 1987.
Hintergrund
In Folge der Finanzkrise ist es in Irland zu einer politischen Krise gekommen, die zur Auflösung der Koalitionsregierung führte. Nachdem Premierminister Brian Cowen Ende Januar den Vorsitz seiner Partei aufgegeben hat, kündigten die Grünen das Regierungsbündnis auf und es wurden Neuwahlen beschlossen. Die Parlamentswahlen in Irland sind nicht zuletzt auch eine Abrechnung mit dem schlechten Krisenmanagement der Regierung. Diese hatte 2008 eine unbegrenzte Garantie für die Banken ausgesprochen und nach Ansicht vieler Wähler im Rahmen eines Rettungspaketes von EU und IMF zu schlechte Konditionen ausgehandelt.
Auch die Ernennung von Micheál Martin, ehemals Außenminister Irlands, zum Spitzenkandidaten der Fianna Fail konnte den Abwärtstrend der Regierungspartei nicht stoppen. Zu Beginn des Wahlkampfes hatte es nach einem gemeinsamen Weg durch ein Bündnis von Fine Gael und Labour ausgesehen. Im weiteren Verlauf war es der bürgerlichen Fine Gael jedoch gelungen, ihre Umfragewerte deutlich zu verbessern, so dass auch das Erreichen einer Alleinregierung möglich schien. In den Umfragen renommierter Institute gelang es Fine Gael innerhalb weniger Wochen, die Zustimmungswerte um sechs Prozentpunkte zu steigern.
Dies lag auch daran, dass es dem als farblos geltenden Spitzenkandidaten der Partei Enda Kenny zunehmend gelang, seine Popularität zu steigern. In den letzten TV-Debatten war der Ton zwischen den potentiellen Bündnispartnern Fine Gael und Labour rauer als zuvor. Dementsprechend rief Eamon Gilmore, Anführer der sozialdemokratischen Labour Partei, die 3,2 Millionen Wahlberechtigten dazu auf, Fine Gael nicht das Monopol auf die Macht im Inselstaat zuzusprechen. Wahlstrategen werfen der Partei vor, eine zu negative Kampagne gefahren zu haben, erst gegen die Regierung, dann gegen den potentiellen Partner. Dennoch ist die Bildung einer Regierung aus Fine Gael und Labour sehr wahrscheinlich und laut Medienberichten wird es rasch zu Verhandlungen kommen.
Nicht nur die Machtverhältnisse unter den großen Parteien standen bei der Wahl zur Disposition. Auch im Verhältnis der kleineren Parteien bedeutet der Urnengang eine politische Umwälzung. Die nationalistische Sinn Féin, die unter den Katholiken in Nordirland traditionell viel Zustimmung erfährt, kann mit fast zehn Prozent der Stimmen ihr bestes Ergebnis in der Republik Irland seit neunzig Jahren erzielen. Nach Jahren an der Regierung verpassen die Grünen nun sogar den Einzug ins Dáil.
Ausblick
Auf die neue Regierung kommen große Aufgaben zu. Irland, noch vor wenigen Jahren als keltischer Tiger gerühmt, liegt wirtschaftlich am Boden. Die Zahlen belegen, wie aus dem Wirtschaftwunderkind ein Sorgenfall geworden ist. Zwischen 1993 und 2000 war die irische Wirtschaft jedes Jahr um durchschnittlich zehn Prozent gewachsen. Niedrige Zinsen und günstige Kredite führten dazu, dass innerhalb weniger Jahre eine enorme Immobilienblase entstehen konnte. Fast hunderttausend Häuser wurden gebaut und 300.000 Menschen fanden eine Anstellung im Bausektor. Mit der Krise kam der Einbruch. Die irische Wirtschaftsleistung ist um fast zwölf Prozent gesunken; die Arbeitslosenquote stieg auf 13 Prozent.
Das Staatsdefizit liegt bei alarmierenden 11,6 Prozent – drei Prozent sind im Rahmen des EU-Stabilitätspakts maximal erlaubt. Um die gebilligten Milliardenhilfen von der Europäischen Union und vom Internationalen Währungsfond (IMF) zu erhalten, musste der irische Staat sich zu einem drastischen Sparkurs verpflichten. Die bisherige Regierung hat das Kindergeld gesenkt, die Gehälter im öffentlichen Dienst gekürzt und die Steuern erhöht, wobei besonders die Mittelschicht zur Kasse gebeten wird. Die neue Regierung wird versuchen, die Konditionen des EU-Rettungspaketes zu verbessern. Aus diesem Grund hat bereits ein Treffen zwischen Bundeskanzlerin Merkel und dem zukünftigen Premier Kenny in Berlin stattgefunden. Eine Mehrzahl der Iren zweifelt jedoch daran, dass es Irland gelingen wird, die strengen Auflagen zu lockern. Irland, zwischenzeitlich zum Einwanderungsland geworden, sieht einer neuen Welle der Abwanderung entgegen und es wird prophezeit, dass jede Woche Tausend Iren die Insel verlassen werden.
Die neue Regierung wird dramatische Einsparungen durchsetzen müssen. Gleichzeitig muss sie auf eine Ankurblung der Wirtschaft hoffen, wobei kaum finanzieller Handlungsspielraum besteht. Es wird wohl zu einer Reform des politischen Systems kommen, in deren Verlauf das Oberhaus höchstwahrscheinlich abgeschafft wird. Die Diäten von Politikern sollen ebenfalls gekürzt werden. Mit diesen Maßnahmen soll das Vertrauen der Bürger in die Politik wieder gestärkt werden. Angesichts der immensen Probleme des Landes wird die neue Regierung dieses neu wachsende Vertrauen durch die Bevölkerung benötigen. „Es werden schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden müssen“, hat Enda Kenny verkündet.