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Country Reports

Das Jahr 2 nach dem Tsunami: Aceh im Aufwärtstrend

Zwei Jahre nach der Katastrophe trifft man überall auf rege Bautätigkeit; in weiten Teilen des Küstenabschnittes stehen bereits neue Häuser, errichtet von staatlichen und zivilen Organisationen und in erster Linie finanziert durch private Spenden von Menschen aus aller Welt. Allein in Deutschland wurden 670 Millionen Euro gespendet – verglichen mit den ca. 270 Millionen Euro deutscher Hilfe aus öffentlichen Geldern ein beeindruckendes Beispiel für die Solidarität der Menschen in Deutschland mit den Tsunamiopfern und ihren Angehörigen.

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Am Morgen des 26. Dezember 2004 ereignete sich im Indischen Ozean vor der Insel Sumatra ein Seebeben mit einer der Stärke von 9,0 (Richter), das die gesamte eurasiatische Platte um einen Zentimeter anhob und um 2 Zentimeter nach Norden verschob. Doch nicht das Beben, sondern die Flutwelle von bis zu 20 Metern Höhe und einer Geschwindigkeit von 650 km/h machte das Ereignis zu einer der größten Naturkatastrophen der Menschheitsgeschichte. 223.000 Menschen starben in den Fluten oder werden bis heute vermisst, weitere 2 Millionen Menschen wurden mit einem Schlag obdachlos. 11 Länder in Südostasien, Südasien und Ostafrika wurden von der Flutwelle getroffen. Die am stärksten betroffene Region sind 800 Küstenkilometer der indonesischen Provinz Aceh im Norden Sumatras. Allein dort forderte der Tsunami 168.000 Menschenleben und hinterließ 600.000 Obdachlose. In der Hauptstadt Banda Aceh starb am Morgen des 26. Dezember ein Drittel der knapp 300.000 Einwohner!

Zwei Jahre nach der Katastrophe trifft man überall auf rege Bautätigkeit; in weiten Teilen des Küstenabschnittes stehen bereits neue Häuser, errichtet von staatlichen und zivilen Organisationen und in erster Linie finanziert durch private Spenden von Menschen aus aller Welt. Allein in Deutschland wurden 670 Millionen Euro gespendet – verglichen mit den ca. 270 Millionen Euro deutscher Hilfe aus öffentlichen Geldern ein beeindruckendes Beispiel für die Solidarität der Menschen in Deutschland mit den Tsunamiopfern und ihren Angehörigen.

Doch noch immer leben in Aceh 12.000 Familien - das sind etwa 50.000 Menschen - in Zelten und Notunterkünften. Von den 128.000 benötigten Wohnungen sind gerade erst 40.000 gebaut. Viele Menschen, die in andere Teile des Landes geflohen sind, weil sie dort bei Verwandten unterkommen konnten, warten darauf, endlich in ihre Heimat zurückkehren zu können. Die Kosten des Wiederaufbaus werden auf insgesamt 4,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Trotz aller internationalen Anstrengungen rechnet die zuständige indonesische Wiederaufbaubehörde BRR mit weiteren drei Jahren, bis alle materiellen Schäden weitestgehend beseitigt sind. Wie lange allerdings die Überlebenden benötigen werden, den Verlust ihrer Angehörigen und Freunde, von Heim, Hab und Gut auch psychisch zu bewältigen, ist nur schwer abschätzbar.

Und dennoch: Sogar eine historische Tragödie wie die Tsunami-Katastrophe kann Positives bewirken! Die 4,4 Millionen Einwohner der Region Aceh, die drei Jahrzehnte lang von einem Bürgerkrieg mit 15.000 Toten erschüttert worden ist, können heute mit Zuversicht in eine friedliche Zukunft blicken. Denn es ist zu einem Großteil auf die Anwesenheit der vielen internationalen staatlichen und zivilen Hilfsorganisationen in dem bis dahin für Ausländer verbotenen Gebiet sowie auf den Druck der internationalen Gemeinschaft zurückzuführen, dass die beiden Konfliktparteien – die Unabhängigkeitsbewegung Freies Aceh GAM (Gerakan Acegh Merdeka) auf der einen und die Republik Indonesien auf der anderen Seite - am 15. August 2005 in Helsinki nach langen Verhandlungen einen Friedensvertrag unterzeichneten.

Nachdem im August 2006 nun auch das indonesische Parlament einer weitgehenden Autonomie und damit der für alle Seiten akzeptablen Lösung zum Verbleib Acehs im indonesischen Staatgefüge zugestimmt hat, verfügt die Provinz mit dem offiziellen Namen Nanggroe Aceh Darussalam heute über eine eigene Flagge und Hymne, darf bestimmte Steuern erheben, den Hauptteil der Gewinne aus der Erdöl- und -gasförderung behalten und selbständig Kredite im Ausland aufnehmen. Ab 2009 wird die Provinz sogar eigene Gesetze verabschieden können, die nicht der Zustimmung der Zentralregierung in Jakarta unterliegen.

Sichtbarer Ausdruck dieser neu gewonnen Selbständigkeit: Am vergangenen 11. Dezember wählten die Acehnesen erstmals in ihrer Geschichte auf demokratische Weise einen Provinzgouverneur (der früher stets von der Zentralregierung in Jakarta ernannt worden war) sowie die Bürgermeister der 19 Städte und Landkreise. 87 Prozent der Acehnesen verbinden mit diesen Wahlen laut einer Umfrage tiefe Hoffnungen auf eine friedliche Entwicklung in ihrer Provinz. Und in der Tat wirkte bereits die Selbstverpflichtung der Kandidaten für den Gouverneursposten zu einer fairen und friedlichen Wahlkampfgestaltung positiv, denn bis auf wenige Einzelfälle verlief der gesamte Wahlprozess vor und nach dem 11. Dezember in einer unerwartet friedlichen Atmosphäre.

Insgesamt traten acht Kandidatenpaare für die Position des Gouverneurs und dessen Stellvertreter an. Fünf von ihnen gingen als Vertreter von Parteien ins Rennen, drei starteten als Unabhängige; ein Novum, denn in Indonesien konnten Kandidaten bisher nur als Parteivertreter bei Wahlen antreten. Zwei der unabhängigen Kandidatenpaare erfuhren allerdings eine deutliche Unterstützung der nach wie vor einflussreichen, allerdings in zwei Gruppen gespaltene Unabhängigkeitsbewegung GAM, sodass sie nur bedingt als neutrale Kandidaten von den Wählern eingestuft wurden. Und in der Tat zeigte sich, dass die Acehnesen starkes Vertrauen in die GAM und ihre geteilte Führung setzen: Mit aller Voraussicht nahc mehr als 25 Prozent der gültigen Stimmen gewannen der ehemalige GAM-Sprecher Irwandi Yusuf und sein Stellvertreterkandidat Muhammad Nazar klar vor dem zweiten GAM-unterstützten Kandidatenpaar Human Hamid / Hasbi Abdullah, das ca. 16 Prozent erzielen konnte. Die Vertreter der Parteien spielten somit beim Wahlausgang keine Rolle. Zugleich fiel die Entscheidung so unerwartet hoch aus, dass eine Stichwahl wahrscheinlich nicht mehr nötig wird. Diese müsste dann erfolgen, wenn keines der Kandidatenpaare 25 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang erzielt. Da mit dem offiziellen Wahlergebnis erst gegen Mitte Januar gerechnet werden kann, sind möglicherweise noch gewisse Feinjustagen, aber wohl keine Überraschungen mehr zu erwarten.

Dass der Wahlprozess fair, transparent und nach demokratischen Regeln vonstatten ging, wurde von den beiden bei der unabhängigen Wahlkommission akkreditierten, internationalen Beobachterkommissionen des Asian Network for Free Elections (ANFREL) und der Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union (EU EOM) deutlich bestätigt. Ursprünglich war die Durchführung der Wahlen bereits am 26. April dieses Jahres vorgesehen, doch war zu jenem Zeitpunkt das Autonomiegesetz noch nicht vom indonesischen Parlament verabschiedet worden. Zudem bereitete die Registrierung der Wähler im Katastrophengebiet ungeahnte Schwierigkeiten. Viele Menschen, die zwar ihr Leben retten konnten, hatten aber alles andere verloren und verfügten über keinerlei Papiere, die ihre Existenz bestätigten. Dieses Problem hätte kurzfristig sogar fast die Dezemberwahlen verhindert, denn einige Tage vor dem Wahltag wurden Unregelmäßigkeiten in den Wahllisten festgestellt. So waren etwa nur 10 Prozent der ca. 100.000 GAM-Mitglieder in den Wahllisten registriert, da die Integration vieler früherer Guerillakämpfer in die acehnesische Gesellschaft noch lange nicht vollzogen ist. Die Wahlen dennoch durchzuführen, war eine mutige, aber zugleich die einzig richtige Entscheidung der Wahlkommission, da auch der Leiter der EU-Beobachtermission, Glyn Ford, erklärte, dass es keinerlei Anzeichen für eine politisch motivierte Manipulation der Wahllisten gegeben habe. Die große Mehrheit der Wahlberechtigten habe sich ohnehin in die Wochen vorher ausgelegten Register eingeschrieben.

Bei den Kommunal- und Distriktwahlen stellten sich insgesamt 260 Kandidaten dem Votum der 2,2 Millionen Wahlberechtigten. In der Mehrzahl konnten sich auch hier die von der GAM unterstützten unabhängigen Kandidaten gegenüber den Vertretern von Parteien durchsetzen (vorbehaltlich des amtlichen Endergebnisses). Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang das unerwartet schwache Abschneiden der religiösen Parteien an ihrer vermeintlichen Basis.

Denn eine entscheidende Voraussetzung, sich überhaupt als Bürgermeisterkandidat einschreiben zu können, stellt in der seit Jahrhunderten stark vom Islam geprägten Provinz die Fähigkeit dar, auswendig den Koran rezitieren zu können. Bereits 1999 - ein Jahr nach dem Ende des Suharto-Regimes - begann in der Provinz Aceh, die in früheren Zeiten den Beinamen „Balkon Mekkas“ trug, ein Prozess der schleichenden Implementierung des islamischen Rechts (Schari’a) in mehr und mehr Bereiche des täglichen Lebens. Diese Entwicklung war nicht zuletzt ein Ausdruck des Unabhängigkeitswillens gegenüber dem indonesischen Staatsgebilde, das zwar mit einem Anteil von 90 Prozent Muslimen bei 220 Millionen Einwohnern das größte islamische Land der Welt überhaupt ist, aber zusammen mit der Türkei zu den beiden einzigen Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit gehört, die den Islam nicht als Staatsreligion in ihren Verfassungen verankert haben. Aber es gab durchaus auch andere Gründe für die Implementierung der Schari’a gerade in Aceh: So sind die Acehnesen eine eigenständige, relativ homogene Ethnie mit einer eigenen Sprache und einer eigenen Geschichte, die eng mit der Jahrhunderte langen Existenz des Sultanats Aceh verbunden ist. Dies hat nicht zuletzt dazu geführt, dass die Acehnesen nicht nur für ihre Religiosität, sondern mehr noch für ihr rebellisches Wesen gegenüber Fremdherrschaften wie z.B. den Holländern oder eben dem indonesischen Vielvölkerstaat bekannt waren. Es entsprang daher eher einem politischen Schachzug der ersten Post-Suharto-Regierung zur Befriedung der rebellischen Provinz denn dem tiefen Wunsch der Bevölkerung Acehs, im Jahr 1999 grünes Licht für die Implementierung des Schari’a-Rechts zu geben. Dennoch: Viele Acehnesen verbanden mit der Schari’a-Einführung die tiefe Hoffnung auf eine sozial gerechtere Gesellschaftsordnung.

Die Schari’a gilt als die grundlegende Quelle des islamischen Rechts und der Rechtsprechung. Sie setzt sich zusammen aus dem Koran und den in sog. Hadithen gesammelten Überlieferungen des Lebens des Propheten Muhammad. Die Schari’a regelt nicht nur Fragen des Familienrechts, sondern praktisch alle Belange des öffentlichen Lebens sowie des Strafrechts. Nicht von ungefähr definierte das nationale indonesische Gesetz Nr. 44/1999 die Schari’a als das islamische Regelwerk für alle Lebensbereiche und übertrug den kommunalen Regierungen in Aceh das Recht, auf der Schari’a basierende Politiken in Fragen des religiösen Lebens, des Erziehungswesens und des Alltagsleben generell zu formulieren. In diesem Zusammenhang eröffnete die Provinzregierung im Jahre 2001 das Schari’a-Büro, um all die verschiedenen Politiken auf kommunaler Ebene zu überblicken, zu koordinieren und möglichst in Form von Religionsgesetzen - sog: qanun - zusammenzuführen. Im gleichen Jahr wurde auch die Schari’a-Gerichtsbarkeit ins Leben gerufen, der nicht nur die Zuständigkeit für die üblichen familienrechtlichen Belange, sondern auch für strafrechtliche Angelegenheiten übertragen wurde. Damit war - als zusätzlicher positiver Effekt für den Arbeitsmarkt - eine neue Bürokratie mit einigen hundert Angestellten geschaffen worden.

Doch die Konkurrenzsituation und die fehlende, klar definierte Trennlinie zwischen dem öffentlichen staatlichen Rechtswesen einerseits und der Schari’a-Gerichtsbarkeit zum anderen entpuppte sich in den letzten Jahren als steter Quell des Konflikts, der mit der Gründung der Religionspolizei wilayatul hisbah (WH) und des damit einhergehenden Dualismus’ zwischen staatlicher und religiöser Polizeigewalt eine dramatische Verschärfung erfahren hat. Das zum Teil willkürliche Vorgehen der „Tugendwächter“ erinnert teilweise an frühe Pasdaranzeiten im postrevolutionären Iran der 80-er Jahre. Die WH hat sich daher schnell zu einer bei der Bevölkerung höchst unpopulären Institution entwickelt, der sogar Verfechter der Schari’a kritisch gegenüber stehen.

Zugleich konnte die Schari’a bisher auch nicht die Hoffnungen auf mehr soziale Gerechtigkeit erfüllen. Vielmehr erwuchsen insbesondere in der Zeit seit der Tsunamikatastrophe völlig neue, bis dahin nahezu unbekannte Probleme, die eng mit der Schari’a in Zusammenhang gebracht werden müssen: So hat in den städtischen Zentren die Häufigkeit unehelicher Schwangerschaften erheblich zugenommen, seitdem Frauen offiziell nach 20 Uhr nicht mehr ihre Häuser verlassen dürfen und zugleich viele der neu gebauten Unterkünfte für die Tsunamiopfer noch leer stehen. Auch die drastische Zunahme von verschwiegenen Homosexuellentreffs, insbesondere in der Provinzhauptstadt Banda Aceh ist ein offenes Geheimnis. Am problematischsten jedoch ist, dass nahezu jeder, der es sich finanziell erlauben kann, seine Wochenenden in der quirligen Millionenmetropole Medan, der größten Stadt auf der Insel Sumatra, verbringt und dort das in Aceh verdiente Geld mit Vergnügungen aller Art verpulvert. Der durch diesen Geldabfluss entstehende volkswirtschaftliche Schaden für die Provinz Aceh wird von moderaten Politikern und auch Wissenschaftlern als nicht unerheblich eingestuft. Es gibt durchaus ernst zu nehmende Stimmen, die davon ausgehen, dass die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Aceh so gravierend werden, dass sie die Provinzregierung zur Aufhebung der Schari’arechts zwingen – vielleicht nicht heute oder morgen, aber doch in nicht allzu ferner Zukunft.

Die neue Provinzregierung wird sich also mit einer Vielfalt von Problemen konfrontiert sehen, die es in den kommenden Jahren zu lösen gilt. An den neu gewählten Akteuren und der Ernst- und Ehrenhaftigkeit ihres politischen Handelns wird es liegen, ob die krisen- und katastrophengeschüttelte autonome Provinz Nanggroe Aceh Darussalam einer demokratischen und friedlichen Entwicklung entgegengeht.

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Thomas Yoshimura

Thomas Yoshimura

Resident Representative in Korea Interim Head of the Japan office until July 2024

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