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„Machtkalkül war entscheidend“

by Michael Mertes

DLF-Interview von Sandra Schulz mit Michael Mertes

Der Deutschlandfunk hat am 8. Mai in einem Interview den Leiter des KAS-Büros in Israel, Michael Mertes, zum unerwarteten Eintritt der bisherigen Oppositionspartei Kadima in das von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geführte Regierungsbündnis befragt. Lesen Sie in der Abschrift des Gesprächs seine Einschätzungen zu den Hintergründen und möglichen Folgen dieses Überraschungscoups.

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Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1751446/

Der Überraschungs-Coup habe Benjamin Netanjahu vor allem Zeit verschafft, seine Ausgangsposition für reguläre Knesset-Wahlen zu verbessern, sagt Michael Mertes. An einen Alleingang Israels gegen den Iran glaubt der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung Tel Aviv auch in der neuen Koalition mit der Kadima-Partei nicht.

Peter Kapern: Benjamin Netanjahu, dem israelischen Ministerpräsidenten, ist ein echter Überraschungs-Coup gelungen. Es gibt, anders als alle Welt erwartet hatte und anders als es angekündigt worden war, keine vorgezogenen Neuwahlen in Israel. Stattdessen hat Netanjahu einen neuen Koalitionspartner gefunden, die Kadima-Partei. Damit ist seine Regierung nun stabiler als je zuvor im Parlament aufgestellt. Überraschend ist diese Wende nicht zuletzt deshalb, weil Kadima-Chef Mofas Netanjahu kürzlich noch als Lügner bezeichnet hatte.

Meine Kollegin Sandra Schulz hat mit Michael Mertes, dem Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem, gesprochen und ihn gestern Abend gefragt, wie er sich diese plötzliche Wende denn erklärt.

Michael Mertes: Ich denke, dass es für Mofas darum geht, seine eigene Haut zu retten. Die letzten Umfragen haben sehr deutlich gezeigt, dass bei vorgezogenen Neuwahlen die Kadima, seine Partei, sehr schlecht abgeschnitten hätte. Auf diese Weise kann er sich Zeit kaufen und er kann es schaffen, seine Ausgangsposition für reguläre Knesset-Wahlen im kommenden Jahr zu verbessern.

Sandra Schulz: Aber wenn das jetzt ein reines Machtkalkül ist, wird sich das nicht erst recht rächen bei den nächsten Wahlen?

Michael Mertes: Das kann ich jetzt nicht beurteilen. Alle Beobachter sind sich hier einig, dass das Machtkalkül die entscheidende Rolle gespielt hat in dieser sehr überraschenden Entscheidung. Ich habe heute mit Mitgliedern der Knesset gesprochen, die mir gesagt haben, das sei völlig überraschend gekommen, sie hätten nicht mit dieser Entscheidung, diesem Schachzug gerechnet. Es geht nicht nur darum, dass Mofas sich auf diese Weise Zeit kauft, um seine Position zu festigen, sondern es bedeutet auch für Netanjahu, dass er jetzt eineinhalb Jahre Amtszeit sicher hat. Es bedeutet für die Schas-Partei, dass sie zunächst einmal geschützt ist vor der Bedrohung durch eine neue Formation unter der Leitung ihres ehemaligen Vorsitzenden. Also, es gibt verschiedene Gruppierungen innerhalb der Regierung, die ein Interesse daran haben, dass es zu dieser Koalition statt zu Neuwahlen gekommen ist.

Sandra Schulz: Umgekehrt: aus der Opposition ist die Kritik ja ganz deutlich. Da wird eben vor allem die Glaubwürdigkeit eines solchen Bündnisses bestritten. Was sagen Sie, wie viel Glaubwürdigkeit steckt hinter dem Schritt?

Michael Mertes: Das ist sehr schwer zu sagen. Ich denke, es geht letzten Endes um die Frage, ob dieses Bündnis es schaffen wird, ganz bestimmte schwierige Entscheidungen zu treffen, die eine so übergroße Koalition rechtfertigen. Dazu gehört zum einen, dass endlich eine Regelung getroffen werden muss, die Wehrgerechtigkeit herstellt. Wie Sie wissen, sind ultraorthodoxe Jeschiwa-Studenten befreit vom Wehrdienst. Das wird von der großen Mehrheit der Israelis, die drei Jahre – Männer – und zwei Jahre – Frauen – Wehrdienst leisten müssen, als eine Ungerechtigkeit empfunden. Die Regierung Netanjahu ist gescheitert mit dem Versuch, eine Neuregelung zu finden, die die Ultraorthodoxen mit in die Wehrpflicht einbezieht. Also, das ist die erste große Bewährungsprobe für diese neue Formation, und die zweite große Bewährungsprobe ist eine Änderung des Wahlsystems, die dazu führt, dass wir in der Knesset künftig stabilere Verhältnisse haben.

Sandra Schulz: Das sind wichtige innenpolitische Themen. Ich würde mit Ihnen gerne noch auf die außenpolitischen Konsequenzen schauen. Was heißt die Entwicklung denn jetzt für die israelische Haltung im Atomstreit mit dem Iran?

Michael Mertes: Ich glaube, dass sich da nichts Fundamentales ändern wird. Es gibt Kommentatoren, die sagen, diese „Koalition der nationalen Einheit“, das sei ein Kriegskabinett. Das halte ich für falsch. Wenn Mofas sich nicht um 180 Grat dreht, dann wird er bei seiner Linie bleiben und sagen, nein, wir müssen in Sachen Iran den Schulterschluss suchen mit den Amerikanern, wir können das nicht im Alleingang machen. Das ist übrigens auch eine Meinung, die von Fachleuten vertreten wird. Es haben in den letzten Wochen zwei ehemalige israelische Geheimdienstchefs sich in dieser Richtung sehr eindeutig positioniert. Ich sehe nicht, dass in der neuen Regierungsformation die Wahrscheinlichkeit eines israelischen Alleingangs gegen den Iran zunimmt.

Sandra Schulz: Würden Sie denn sagen, die Wahrscheinlichkeit sinkt?

Michael Mertes: Es wird sehr viel spekuliert in dieser Frage. Ich sehe diese Wahrscheinlichkeit nicht. Ich sehe vielmehr, dass exzellente, international anerkannte Fachleute warnend ihre Stimme erheben, und ich sehe auch, dass der Regierungschef Benjamin Netanjahu letzten Endes ein sehr vorsichtiger Mensch ist. Die Entscheidung, die vorgezogenen Neuwahlen nun nicht abzuhalten, sondern die vollen eineinhalb Jahre, die ihm noch bleiben, auszuschöpfen, deutet ja darauf hin, dass er auch Risiken gesehen hat, und von daher gesehen halte ich es für psychologisch unwahrscheinlich, dass er tatsächlich diesen Schritt machen würde, im Alleingang gegen den Iran vorzugehen.

Sandra Schulz: Dann noch der Blick auf das andere wichtige Thema der israelischen Außenpolitik. Was meinen Sie, was ist Ihre Prognose, wie wird die neue Regierung den Palästinensern begegnen?

Michael Mertes: In der Koalitionsvereinbarung zwischen Likud und Kadima steht ausdrücklich drin, dass man die Gespräche mit den Palästinensern fortsetzen wolle. Ich glaube nicht, dass sich in den nächsten Monaten substanzielle Fortschritte ergeben werden. Letzten Endes schaut alles auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten. Und Sie dürfen auch nicht vergessen, dass innerhalb der jetzigen Koalition unter Hinzufügung von Kadima immer noch starke Kräfte sind – innerhalb des Likud, aber auch in der nationalreligiösen Partei –, die strikt dagegen sind, eine Einigung mit den Palästinensern zu erzielen, die zur Folge hätte, dass ein Großteil der Siedlungen in der Westbank abgebaut wird. Also, von daher glaube ich, dass die Beharrungskräfte, dass die Kräfte, die sagen, wir lassen jetzt die Finger davon, stärker sein werden und dass erst richtig Bewegung in die Sache wieder kommen wird, wenn die Entscheidung über den neuen Präsidenten in Washington gefallen ist.

Peter Kapern: Meine Kollegin Sandra Schulz im Gespräch mit Michael Mertes, dem Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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