Asset Publisher

Single title

„Skeptischer Realismus, aber kein Pessimismus in Israel“

by Michael Mertes

Domradio-Interview mit Michael Mertes

Wie reagiert man in Israel auf die Wahl des Islamisten Mohammed Mursi zum neuen ägyptischen Staatspräsidenten? In einem Domradio-Interview am 27. Juni 2012 meint Michael Mertes, Leiter der KAS Israel, dass Mursi nachhaltiges Interesse an der Stabilisierung des eigenen Landes haben müsse – und dies sei auch ganz in Sinne Israels.

Asset Publisher

Quelle: Domradio

Domradio: Das war noch nie da: Mit Mohammed Mursi wird jetzt zum ersten Mal in der Geschichte Ägyptens ein Islamist an der Spitze des Staates stehen, und das auch noch als zumindest halbwegs demokratisch gewählter Präsident. Bei den Muslimbrüdern löste diese Nachricht erwartungsgemäß Begeisterungsstürme aus. Ägyptische Liberale und Kopten reagierten eher zurückhaltend bis skeptisch. Westliche Politiker begrüßten die Wahl und kündigten eine konstruktive Zusammenarbeit an. Und unterdessen gab sich Mursi selbst betont moderat: Er wolle der Präsident aller Ägypter sein, die Rechte der Frauen und der Christen gewährleisten und auch am Friedensvertrag mit Israel festhalten. Wie wird die Wahl Mursis in Jerusalem aufgenommen? Darüber spreche ich mit Michael Mertes; er leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung vor Ort und ist jetzt bei uns am Domradio-Telefon.

Was war denn der Haupttenor der israelischen Kommentatoren am Tag nach dem Bekanntwerden des Wahlsiegs Mursis?

Michael Mertes: Die israelischen Kommentatoren zeigten sich nicht besonders überrascht. Das Ergebnis war ja vorherzusehen – und man hatte sich auch schon darauf eingestellt, es in Ägypten künftig mit einem Partner zu tun zu haben, bei dem die Islamisten, bei dem die Muslim-Brüder eine entscheidende Rolle spielen. Insgesamt ist der Tenor aber nicht alarmistisch gewesen. Sie haben ja selber erwähnt, dass der neue Präsident Mursi betont moderat sich geäußert hat, und das ist hier auch zur Kenntnis genommen worden. Es wird inzwischen betont, dass es auch sehr viele gemeinsame Interessen gibt zwischen Israel und Ägypten – Interessen an einer stabilen Region –, und insofern sieht man mit einem gewissen skeptischen Realismus, aber doch nicht pessimistisch in die Zukunft der ägyptisch-israelischen Beziehungen.

Domradio: Nehmen die Israelis Mursi also ab, dass er am Friedensvertrag mit Israel festhalten will?

Mertes: Ja, das tun sie. Ich glaube auch, dass Mursi, wenn er die Interessen seines Landes analysiert, daran festhalten wird. Davon hängt ja unter anderem auch die massive amerikanische Hilfe ab. Es ist so, dass Mursi vor der Wahl erklärt hat, dass er insgesamt 20 Millionen Touristen jährlich nach Ägypten locken möchte – vor der Revolution waren es zwölfeinhalb Millionen. Das Ganze geht nur, das Ganze funktioniert nur, wenn Ägypten eine Zone der Stabilität ist. Das heißt: Eine radikale Politik, eine Politik, die letzten Endes auch den Frieden in der Region gefährdet, kann nicht im Interesse Mursis sein.

Domradio: Mursi hat auch angekündigt, er wolle das Verhältnis seines Landes mit dem Iran intensivieren. Das dürfte die Israelis vielleicht nervös machen.

Mertes: Es ist ja gar nicht klar, ob Mursi das tatsächlich gesagt hat. Er selber hat doch dementiert, dass er eine solche Äußerung gegenüber einem iranischen Sender gemacht hat. Man kann es auch umgekehrt sehen – und ich halte das für eher wahrscheinlich –, dass Ägypten kein Interesse daran hat, die iranische Position zu stärken. Wir erleben ja gegenwärtig im Nahen Osten ein großes Machtspiel, eine große Mächtekonkurrenz, in der Iran versucht – auch mit seinem Nuklearprogramm –, eine führende Rolle zu spielen, und ich sehe nicht, dass das sunnitische Ägypten ein Interesse daran hat, dass der schiitische Iran zu einer regionalen Großmacht aufsteigt.

Domradio: Jahrzehntelang konnte sich Israel auf einen stabilen Frieden mit Ägypten verlassen und sich auf die Sicherung seiner Nordgrenzen konzentrieren. Jetzt gilt auch auf einmal die Südgrenze auf dem Sinai nicht mehr so als sicher. Was hat das für Konsequenzen?

Mertes: Das ist eine Entwicklung, die bereits im vergangenen Jahr abzusehen war. Die erste praktische Konsequenz aus israelischer Sicht besteht darin, dass ein Schutzzaun gezogen wird vom Gazastreifen bis nach Eilat. Und sie besteht sicher auch darin, dass Israel jetzt verstärkt mit Ägypten in Gespräche treten wird, wie man diese Zone der Anarchie im Sinai befrieden kann. Denn es ist nicht das Interesse des Präsidenten Mursi, dass der gegenwärtige Zustand so bleibt, wie er ist – dass der Sinai ein Tummelplatz ist für Terroristen, Schmuggler und andere finstere Gesellen. Also, insofern glaube ich, dass Mursi – übrigens auch unter dem Gesichtspunkt des Tourismus, den ich eben schon erwähnt hatte – jedes Interesse daran hat, im Sinai für geordnete Verhältnisse zu sorgen.

Domradio: Mursis Macht ist beschränkt, ohne Zustimmung des Militärrates wird er außenpolitisch gar nicht viel bewegen können. Ist das in Ihren Augen eine Rückversicherung für Israel?

Mertes: Aus israelischer Sicht ist das der Fall, in der Tat …

Domradio: … sagt Michael Mertes, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Wir haben gesprochen über den Sieg des Islamisten Mursi bei der Präsidentschaftswahl in Ägypten und was diese Entwicklung für Israel bedeutet. Ich danke Ihnen für Ihre Einschätzungen.

Asset Publisher

comment-portlet

Asset Publisher