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Event Reports

Der stark-schwache Staat

„Der Frühling von Damaskus”

Der Nahe Osten ändert sich vor unseren Augen. In einigen arabischen Ländern führte der „arabische Frühling“ zu schnellen und unerwarteten Entwicklungen, die im Laufe der Zeit eine komplexere Region als zuvor erzeugt haben. Die Konrad-Adenauer-Stiftung mit ihrem Programm für jüdisch-arabische Zusammenarbeit und das Moshe Dayan Zentrum für Nahost-Studien organisierten an der Universität Tel Aviv eine Reihe von Expertenforen, um die Entwicklungen des arabischen Frühlings in den verschiedenen Ländern des Nahen Ostens zu analysieren.

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Dabei betonten die Teilnehmer die tieferen politischen Gesichtspunkte, die nicht unbedingt in der alltäglichen Berichterstattung vorkommen. Das gilt insbesondere in Bezug auf die Zukunft der Region und die Implikationen für Israel.

Eine der außergewöhnlichen Entwicklungen des arabischen Frühlings ereignet sich aktuell nur weniger Kilometern nördlich von Israel. Seit März 2011 tobt in Syrien ein blutiger Protest und mittlerweile ein Bürgerkrieg, den das Regime Baschar al-Assads mit harter Hand bekämpft und dem bereits Tausende Menschen zum Opfer gefallen sind. Erstaunlicherweise, ungeachtet internationaler Kritik, und ganz im Gegensatz zu den anderen arabischen Ländern, wo die diktatorischen Regimes rasch stürzten, bleibt Assad auf seinem Posten.

Die Entwicklungen in Syrien können für Israel von großer politischer Bedeutung sein. Die Geschehnisse des arabischen Frühlings im Allgemeinen haben erneut die Problematik der Beziehung Israels zu den arabischen Ländern in den Vordergrund gerückt. Es ist noch schwierig festzustellen, wie die Entwicklungen in der arabischen Welt diese Beziehung beeinflussen werden. Sicher sei allerdings, dass die syrische Arena hier eine besonders wichtige Rolle spiele, da Syrien sich immer als die „arabische Festung“ gegen Israel verkauft habe, erklärte Prof. Eyal Zisser, Dekan der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Universität Tel Aviv und internationaler Experte für Syrien.

Zisser verwies auf das Interview des Wall Street Journal mit dem syrischen Präsidenten im Januar 2011, also noch vor Ausbruch der Unruhen. Darin verkündete Assad ganz selbstsicher: „Syrien ist nicht Ägypten“! Damit zielte Assad, laut Zisser, auf zwei wichtige Aspekte: Erstens seine „populäre Politik“ gegen Israel, die ihm immer das Gefühl gegeben habe, sein Volk zufrieden zu stellen, so dass es sich nicht gegen ihn richten würde.

Der zweite Aspekt sei mit der Struktur der syrischen Gesellschaft und der politischen Kultur verbunden. Die Gesellschaft in Syrien sei durch religiöse, ethnische, gesellschaftliche, Klassen- und regionale (Stadt und Peripherie) Unterschiede tief gespalten. Die Assad-Familie selbst gehört zur Minderheit der Alawiten, die lediglich sechs Prozent der Bevölkerung stellen.

Prof. Zisser ist der Meinung, dass Assad mit seiner ersten Annahme völlig falsch lag und mit der zweiten Einschätzung nur teilweise Recht hatte. Es sei wichtig zu verstehen, dass seit Jahren in Syrien die städtische Elite herrschte. Der Geist der gegenwärtigen Proteste käme also nicht von der besser gestellten Stadtbevölkerung, sondern aus Richtung der ärmeren, vernachlässigten, islamisch-sunnitisch geprägten Peripherie, die in den vergangenen Jahren noch stärker an den Rand gedrängt worden sei. Das zeige, dass „Israel“ im Grunde nicht das primäre Problemfeld in Syrien darstelle und dass die internen Angelegenheiten für das syrische Volk bedeutungsvoller seien.

Allerdings hätte Assad Recht damit gehabt, dass die Spaltung der syrischen Gesellschaft dazu beigetragen habe, die Macht und das politische Überleben des Regimes zu sichern. Abgesehen von allen negativen Erscheinungen gebe es in Syrien immer noch Gruppen, die Assad gegenüber einer islamistischen Regierung bevorzugen würden. Als Beispiel nannte Zisser die christlichen Geschäftsleute aus Damaskus, die zwar vom Assad-Clan nicht viel hielten, jedoch größere Angst vor den Islamisten hätten, die Christen in Syrien verfolgten und den Familien den Lebensunterhalt entziehen könnten.

Die Furcht vor dem radikalisierten Islam halte im Moment auch den Westen von einer deutlichen Einmischung in Syrien ab, meinte Prof. Zisser. Nach der Erfahrung in den anderen arabischen Ländern habe der Westen verstanden, dass ihre Freude auf Demokratie im Nahen Osten verfrüht gewesen sei und dass die Alternative zu den gestürzten diktatorischen Regimes am Ende das genaue Gegenteil von Demokratie sein könnte.

Prof. Shimon Shamir, ehemaliger israelischer Botschafter in Ägypten und Jordanien und Gründer des Dayan Zentrums an der Universität Tel Aviv, erklärte die Situation in Syrien mit der „Entschlossenheitstheorie“, die in der letzten Zeit verstärkt in Verbindung mit dem Überleben von Assad diskutiert wird. Laut dieser Theorie sei ein entschlossenes diktatorisches Regime praktisch unstürzbar. Assad sei entschlossen, sich an der Macht zu halten. Dafür sei er politisch wie militärisch zu allem bereit. Zum Vergleich: Mubarak habe sorglos agiert, die politische Struktur Ägyptens sei bereits völlig eingerostet gewesen. Mit Blick auf Tunesien wird ebenfalls diskutiert, ob Präsident Ben-Ali zu früh aufgegeben hätte und dass es anders hätte kommen können, wenn er seine Macht entschlossener verteidigt hätte.

„Man muss immer hinterfragen, wie entschlossen der Hauptmann ist und wie stark das politische System hinter ihm steht,“ meinte Shamir. Im Fall von Syrien und Assad sollte außerdem nicht vergessen werden, dass er nach wie vor durch Iran, Russland und China unterstützt würde. Um den gegenwärtigen Zustand Syriens treffend zu beschreiben, eigne sich besonders die Bezeichnung als „starker schwacher Staat“, wie Prof. Shamir resümierte.

Die Ereignisse in Syrien zeigen, dass die Entwicklungen und die Folgen des arabischen Frühlings komplizierter sind, als es zu Beginn der Ereignisse im Frühjahr 2011 den Anschein hatte. Das Axiom des Volkswiderstandes, gefolgt vom Sturz diktatorischer Regimes und einen Wandel hin zur Demokratie ist nicht gesichert. In jedem Staat sollten politische sowie gesellschaftliche Grundlagen berücksichtigt werden. Dabei spielen auch die außenpolitischen Beziehungen in der Region und darüber hinaus eine wichtige Rolle. Sicher ist nur, dass der neue Nahen Osten, der mit der Zeit entsteht, völlig anders als in der Vergangenheit aussehen wird. Um diese Entwicklungen genauer zu beobachten und zu analysieren werden daher auf den nächsten Treffen des Expertenforums auch andere Ländern und politische Entwicklungen im Nahen Osten im Mittelpunkt stehen.

Palina Kedem

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Dr. Alexander Brakel

Alexander.Brakel@kas.de

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