Asset Publisher

Event Reports

Die arabische Jugend in Israel - zwischen Chancen und Gefahren

KAS/KAP-Konferenz

Dass die junge Generation des arabischen Sektors in Israel sich in einer Krise befindet, wurde spätestens im Oktober 2000 offenbar, als Auseinandersetzungen zwischen israelisch-arabischen Jugendlichen und Sicherheitskräften den Staat Israel erschütterten. Die große, angestaute Wut der arabischen Jugendlichen gegen den Staat und ihre Identifizierung mit der sogennanten „Al-Aqsa-Intifada“ der Palästinenser im Westjordanland, die kurz zuvor ausgebrochen war, zeigten plötzlich und überdeutlich, wie fragil das Verhältnis des Staates zu seiner arabischen Minderheit ist und dass eine Vernachlässigung der jungen arabischen Generation zu unwiderruflichen Konsequenzen für die Zukunft Israels führen könnte.

Asset Publisher

http://farm4.static.flickr.com/3032/2491583313_1e1114e3cb.jpg
Minister Ghaleb Majadle spricht bei der KAS/KAP-Konferenz.

Dass diese Gefahr weiterhin aktuell ist, betonte jetzt Ghaleb Majadle, israelischer Minister für Wissenschaft, Kultur und Sport und selbst israelischer Araber: „So lange 54 Prozent der arabischen Kinder unter der Armutsgrenze aufwachsen, kann dies in der Zukunft zu Ergebnisse führen, die in einem demokratischen Staat unerwünscht sind“, sagte der Minister bei einer gemeinsam von KAS und dem Konrad-Adenauer-Programm für jüdisch-arabische Zusammenarbeit an der Universität Tel-Aviv organisierten Konferenz.

Die Konferenz unter dem Titel „Die arabische Jugend in Israel – wohin? Zwischen Chance und Gefahr“ wurde langfristig geplant und trug die Ergebnisse von entsprechenden Forschungsarbeiten zusammen. Der sechzigste Geburtstag Israels war als Anlass gewählt worden, die israelische Gesellschaft und ihre Bestandteile zu analysieren und Vorschläge für sinnvolle Veränderungen zu entwickeln. Die Integration der arabischen Israelis in die israelische Demokratie ist sicher eine der großen Herausforderungen, denen sich Israel in Zukunft stellen muss. An der Konferenz nahm ein sehr vielfältiges Publikum teil: Akademiker verschiedener Disziplinen, Vertreter von NGOs, jüdische und arabische Studenten, Mitglieder von Jugendbewegungen usw. Die rege Beteiligung machte deutlich, dass ein breiter Teil der israelischen Bevölkerung die große Bedeutung dieses Themas erkennt. Zudem wurde im Rundfunk und Fernsehen über die Konferenz berichtet.

http://farm4.static.flickr.com/3243/2491583317_363b1343f7.jpg
Arabische Jugend in Israel: zwischen Tradition und Moderne.

Um die aktuelle Situation der arabischen Jugend in Israel tiefer verstehen zu können, wurden folgende Aspekte untersucht: Erziehung und Erwerbstätigkeit, Familie und Freizeit, Gewalt- und Verbrechensraten sowie die politischen Aktivitäten dieser Jugend. Ein näherer Blick in die innere Welt israelisch-arabischer Jugendlicher zeigt, dass ihr Leben sich in einem sehr komplizierten Umfeld abspielt. Dies äußert sich vor allem im Problem der Identitätsbildung. Sehr treffend äußerte sich dazu Nabeh Abu Saleh vom Follow-up-Komitee zur arabischen Erziehung: „Ich bin schon 50 Jahre alt, weiß aber immer noch nicht, was eigentlich meine Identität ist.“

Die Frage der Identität bezieht sich nicht nur auf nationale Aspekte, d.h. Definition als Palästinenser und/oder Israeli, sondern auch auf die Weltanschauung. Einerseits werden die junge Leute von ihren Familien dazu aufgefordert, Sitten und Traditionen zu bewahren, andererseits leben sie nicht in einem Vakuum: Fernsehen, Internet und andere Medien bringen die Jugendlichen unablässig mit dem westlichen Lebensstil in Kontakt, der diesen Traditionen oft entgegensteht.

„Das Leben der arabischen Jugend in Israel dreht sich in zwei Kreisen: Der innere Kreis bezieht sich auf die arabische Gesellschaft und vor allem die Familie mit ihrer besonderen Struktur. Der äußere Kreis ist die umliegende Gesellschaft, an erster Stelle der israelische Staat. Beide Kreise tragen dazu bei, dass die jüngere arabische Generation sich gebeugt fühlt“, erklärte Dr. Khawla Abu Baker vom Max Stern Emek Yzrael Academic College. Die Psychologin hat häufig mit Jugendlichen zu tun, die mit dem doppelten gesellschaftlichen Druck nicht fertig werden.

Viele junge Menschen schaffen es nicht, dem Teufelkreis, der die durchschnittliche arabische Familie charakterisiert, zu entfliehen: Meistens arbeitet nur der Mann für den Familienunterhalt. Arabische Männer fangen typischerweise schon in sehr frühem Alter an, zunächst die Elternfamilie zu unterstützen und danach ihre eigene: Statistiken zeigen, dass männliche Schüler im arabischen Sektor durchschnittlich bereits nach der neunten Klasse von der Schule abgehen. Der prozentuale Anteil der bekannten Schulaustritte ist groß, aber dahinter verbirgt sich noch ein versteckter Austritt, dessen Dimensionen schwierig zu schätzen sind.

http://farm4.static.flickr.com/3130/2504828511_8a9130c747.jpg
Analysiert wurden auch fundamentalistische Bestrebungen islamistischer Organisationen in Israel.

Die daraus resultierenden Probleme sind gravierend: Wer seine Schulausbildung nicht abschließt, erhält keinen gut bezahlten Arbeitplatz, verbringt sein ganzes Leben in „schmutzigen“ Jobs, leidet an finanziellen Engpässen und entwickelt folglich eine große Frustration, die sich schließlich gegen den Staat richten kann.

Laut statistischen Erhebungen leidet die arabische Jugend auch an Langeweile und Einsamkeit. Trotz der Großfamilien und der traditionellen Rolle der Familie ist der Kontakt zwischen Kindern und Eltern nicht eng. Und obwohl es in den bedeutenden arabischen Städten und Dörfern genau wie in den jüdischen Städten Clubs mit Nachmittags-Aktivitäten (after-School Programs) gibt, nützen nur wenige Jugendliche diese Gelegenheit. Die Begründung dafür ist entgegen der Erwartungen meist nicht unbedingt Geldmangel, sondern mangelndes Interesse.

Langeweile und Frust sind wahrscheinlich auch die Gründe für die hohen Gewaltraten. 60 Prozent der offenen Ermittlungsverfahren der israelischen Polizei beziehen sich derzeit auf arabische Bürger.

Der Unterschied zwischen den Lebenswelten von Jungen und Mädchen ist jedoch groß: Die Mädchen dürfen meistens nicht aus dem Haus. Bereits im frühen Alter heiraten sie und bekommen Kinder. Andererseits haben sie mehr Chancen weiter zu studieren, so dass sich in den vergangenen Jahren eine bedeutende Schicht von ausgebildeten arabischen Frauen entwickelt hat. Der hohe Anteil arabischer Referentinnen bei der Konferenz war ein deutlicher Beleg dafür.

Die politisch-nationalen Aspekte im Leben der arabischen Jugend präsentierte Dr. Elie Rekhess, Leiter des Konrad-Adenauer-Programms. Er stellte die drei wichtigsten Aktivitäten vor, die der arabischen Jugend zur Verfügung stehen: Erstens jene Jugendbewegungen, die mit den ehemaligen kommunistischen Parteien verbunden sind. Ihre Agenda ist die Gleichberechtigung zu fördern und das palästinensische nationale Erbe zu bewahren. Eine Alternative ist zweitens die Islamitische Bewegung, die sich mehr auf soziale Aspekte konzentriert und sich bemüht, die arabische Jugend von der nach ihrem Verständnis „verdorbenen westlichen Kultur“ fern zu halten. Darüber hinaus gibt es drittens Jugendaktivitäten im Rahmen von NGOs. Die prominenteste ist „Baladna“, die Kontakte zu internationalen und vor allem europäischen Organisationen hat und sich für Demokratie und Koexistenz einsetzt.

Diese NGO hat kürzlich mit ihrer Kampagne bezüglich des aktuellen Themas Zivildienst für arabische Bürger für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Frage, ob die arabische Jugend in Israel einen „National Service“ (anstelle des dreijährigen Militärdienstes, den jüdische Jugendliche ableisten müssen) machen soll, beschäftigt aktuell sowohl die arabische als auch die jüdische Gesellschaft in Israel. Eine häufig geäußerte Meinung ist, dass die arabischen Bürger, die Gleichberechtigung fordern, auch Pflichten gegenüber dem Staat wahrnehmen sollten. Darüber hinaus könne ein solcher Dienst auch der arabischen Jugend helfen, sich besser in die Gesellschaft zu integrieren und anschließend bessere Arbeit zu finden. Zwar lehnen arabische Meinungsführer diese Vorschläge bisher ab, doch Statistiken zeigen ein gänzlich anderes Bild: In Umfragen gaben drei Viertel der befragten arabischen Jugendlichen an, sie wollten diesen Dienst ableisten.

Der Minister Ghaleb Majadle sagte diesbezüglich bei der Konferenz, zur Anpassung des Dienstes an die Bedürfnisse der arabischen Jugend müsse ein Kompromiss gefunden werden. So dürfe der Dienst keinesfalls „National Service“ genannt werden – der Begriff „Civil Service“ sei vorzuziehen.

Zusammenfassend stellte Dr. Haled Abu Issbe vom Massar Institute fest, die arabische Gesellschaft im Allgemeinen befinde sich in einer Krise, und nicht in einer Übergangsphase, wie es üblicherweise behauptet werde. Es sei wichtig zu verstehen, dass die Probleme der arabischen Jugend in Israel ein Phänomen seien, das heutzutage in allen arabischen Ländern festzustellen sei. Die arabische Jugend weltweit schaffe sich selbst eine eigene individuelle Kultur, indem sie sich ohne sich ganz von den Traditionen zu entfernen mehr an die Moderne anpasst. Die Probleme in Israel hätten zwar ihren eigenen Charakter, der mit der Situation als Minderheit verknüpft sei, aber sie müssten in einem pan-arabischen und internationalen Kontext betrachtet werden. Dr. Abu Issbe warnte: „Wenn die arabische Gesellschaft nur den Staat beschuldigt und sich nicht sofort mit ihren internen Problemen auseinandersetzt, findet sie sich bald in einem Sturm wieder, der die Jugend beeinflusst und als Bumerang die eigene Gesellschaft trifft.“

Die Konferenz machte deutlich, dass die Situation der arabischen Jugend in Israel eine besondere Herausforderung für den Staat ist. Die Tatsache, dass aus dieser Generation die zukünftigen Führungskräfte und kulturellen Eliten hervorgebracht werden, zeigt, wie wichtig es ist, dass staatliche Autoritäten deren Probleme ernst nehmen und sich ihrer annehmen.

Palina Kedem

Ausführliche statistische Angaben sind der angefügten pdf-Datei zu entnehmen (siehe oben).

Asset Publisher

comment-portlet

Asset Publisher